Wenige Stunden nach der Rettung und Versorgung Achis gab Lamal bekannt, dass sie neue Anweisungen erhalten hatten. „Es gibt Probleme aufgrund des regelmäßigen Ausfalles der Beobachterlinse. Wir haben den Kontakt zu mehreren unserer Geschwister verloren, zumeist in stark dämonenverseuchten Gebieten“, verkündete er. Vaith sowie Klerod und Jessy – ein Bruder und eine Schwester, die in der Zwischenzeit auch von ihren Missionen zurückgekommen waren – hörten ihm aufmerksam zu. Sie befanden sich wieder in Nähe des Himmelstores, da dort Lamal über die Beobachtungslinse ihnen am schnellsten alle Neuigkeiten mitzuteilen wusste. Mit jeder neuen Nachricht und jedem neuen Befehl war ihnen mehr der Ernst der Lage klar geworden. Anders als vermutet war die Zahl der noch immer existierenden Dämonen weit höher als zuvor angenommen. Sie waren bis zu Nekros Tod sogar davon ausgegangen, die letzte Säuberung sei kein Problem. Nun wurde immer klarer, dass sie unbekümmert viele ihrer Geschwister durch die Unterschätzung der Gefahr in den sicheren Tod geschickt hatten. Jetzt hieß es nur noch den Schaden so gering wie möglich zu halten. Dies war aber ebenso nur durch waghalsige Rettungsversuche machbar. Als höher gestellte Engel wie Achel war das nicht weiter schwierig, seine bloße Ausstrahlung reichte für die Vernichtung der meisten Dämonen – dementsprechend gefragt war er aber auch für die Missionen. Schon während Lamal und der Rest sich neu ordnen mussten, war Achel wieder unterwegs.

„Also, es sieht so aus. Wir haben von Maleko zuletzt kurz etwas vor der Menschensiedlung gehört zu der er sollte. Seitdem herrscht totale Stille zwischen ihm und uns. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er in eine Falle getappt ist“, informierte sie Lamal. Ehe er aber weitersprechen konnte, platzte Vaith dazwischen: „Dann ist ja alles klar. Auf in seine Umgebung, suchen und retten!“ Stirnrunzelnd korrigierte ihn Lamal: „Nein, es wird etwas anders aussehen. Die Menschenseelen ins Paradies zu führen ist von höchster Priorität, von daher wird die Siedlung von der anderen Seite her besucht. Allerdings muss dabei vorsichtig agiert werden, da – “, schon fuhr ihn Vaith an: „Was war das? Soll das heißen wir lassen unseren Bruder im Stich? Das kann nicht dein Ernst sein!“ Doch Lamal versuchte ihn auszubremsen: „Ruhig, Bruder. Niemand sagt, dass wir ihm nicht zur Hilfe kommen. Unsere Hauptpflicht gilt es aber zuerst zu erfüllen und diese besagt, führet die Menschenseelen ins Paradies. Daher werdet ihr mit einiger Vorsicht – aufgrund des Verdachtes auf eine Falle – erst in die Siedlung gehen und anschließend ist eine Suchaktion für Maleko immer noch drin.“ Vaith verzog angewidert das Gesicht. Es war klar, dass er lieber direkt zu Maleko gegangen wäre. Immerhin bestand dort die größere Wahrscheinlichkeit auf Dämonen zu treffen und es war bekannt, wie heiß Vaith auf Rache sinnte. Nach einer kurzen Sprechpause um Vaith in Ruhe herum fluchen zu lassen, wurden sie von Lamal noch in die Beschaffenheit des Ortes eingeführt und dann wurde das Team losgeschickt.

So machten sich Vaith und die anderen Beiden zur Menschensiedlung auf. Sie verließen den Himmel und flogen mit ihren Flügeln in den Himmel der Erde herunter. Die Siedlung war wenige Minuten von ihrem Aufenthaltsort entfernt, so dachte sich Jessy ein kleines Gespräch führen zu müssen. Sie und ihre Brüder flogen in einer Dreierformation in der Vaith ihnen vor flog. Doch um mit ihm zu reden, preschte sie ein Stück nach vorne um dann auf gleicher Höhe mit ihm zu fliegen. Er sah sie verärgert an: „Was machst du? Zurück in deine Position“. Sie lächelte ihn mit ihren grünen Augen an während ihr schulterlanges, blond-braunes Haar im Wind flog und sprach: „Ich will nur etwas mit dir reden. Uns allen ist nicht entgangen, wie sehr du deinem – unserem – Bruder hinterher trauerst.“ Vaiths Verärgerung wurde deutlich größer und sein Gesichtsausdruck machte dies auch sichtbar. „Sprich nicht so, als hättest du ihn gekannt. Keiner von euch wusste mehr über ihn als ich. Nicht Einer sieht die Ungerechtigkeit in seinem Tod so sehr, wie ich“, giftete er sie an. Eine solche Reaktion hatte sie erwartet, daher blieb sie unberührt davon und sprach weiter: „Mir ist durchaus bewusst, wie nah ihr euch standet. Größere Vertrautheit zwischen zwei Engeln kann es glaube ich gar nicht geben, wie es bei euch der Fall war. Überlege allerdings mal, ob er es so toll gefunden hätte, dass du dich von uns anderen Geschwistern so stark deswegen distanzierst? Ich denke, sein Wille wäre es gewesen, dass du in Harmonie mit uns abgestimmt zusammenarbeitest.“ Sie waren nun schon in Sichtweite der Siedlung. Er schaute sie mit einem kaum deutbaren Blick an. Vielleicht war es Wut über ihre Worte, vielleicht aber auch Nachdenklichkeit. Sie war sich da nicht so sicher. Daher änderte sie ihre Flügelhaltung leicht und gab ihm damit einen freundschaftlichen Stupser. Er seufzte daraufhin nur genervt und sagte: „Wir landen jetzt, sonst sehen sie uns – wer immer da unten auch auf uns wartet“. Schon begab er sich in den Sturzflug und seine Begleiter taten es ihm nach. Wenige Meter vor der Siedlung, die von einem großen Felsen umgeben war sodass zu links und rechts bewohnbare Unterkünfte in den Fels hineingehauen wurden und in der Mitte freier Platz war, landeten sie auf dem Sandboden. Trostlos wie es inzwischen auf der ganzen Erde aussah, lag eine karge Wüstenlandschaft um die Siedlung herum. Während Vaith mit wenigen ungeduldigen Handzeichen das Weitergehen signalisierte, packte Klerod seine Schwester an der Schulter und flüsterte: „Lass ihn besser in Ruhe. Er ist noch tief in der Trauerphase und solange er nicht von selbst darüber reden möchte, solltest du ihn lassen.“ Anschließend ließ er seine Hand von ihrer Schulter weichen und strich sich sein Haar zu Recht, dass ebenso lang wie ihres aber weiß war. Sie schaute ihn böse an und erwiderte: „Aber er tut sich selbst keinen Gefallen damit. Seine Qualen werden von den Racheakten an einer x-beliebigen Dämonenmeute auch nicht geringer werden. Was er braucht ist eine vernünftige Aussprache und Ausleben seiner Trauer!“ Klerod zuckte nur die Achseln: „Lass ihm Zeit. Der Rest wird sich schon noch von selbst ergeben.“ Damit beließen sie es und folgten dem vorausgegangenen Vaith.

Als sie schließlich an der Siedlung ankamen, war kein Mensch zu sehen. Der Ort wirkte wie ausgestorben. Alles was auf Anwesenheit von Menschen schließen ließ war ein Brunnen inmitten der Fläche zwischen den Felshöhlen. Sie standen nun mittig zu den Felsen und berieten sich. „Wir müssen in den Höhlenwohnungen nachsehen, vielleicht haben sie uns doch gesehen und halten uns für Dämonen“, mutmaßte Klerod. Vaith nickte bloß. „Es ist aber zu gefährlich uns dafür jetzt aufzuteilen. Wenn es sich um eine Falle handelt ist jeder Alleingang mehr als gefährlich!“, klagte wiederum Jessy. Vaith schien ihr Einspruch wenig zu interessieren, denn er ging bereits in Richtung des Eingangs eines Höhlenlochs. „Warte, Vaith! Sie hat wirklich recht damit. Es ist zu riskant alleine zu gehen“, Klerod trat neben ihn. Gerade als dieser zum Widerspruch ansetzte, rief Klerod plötzlich: „Da! Eine Überlebende!“ Sofort schauten Vaith und Jessy überrascht zu der Stelle, an die Klerod zeigte. Tatsächlich kam eine junge Frau mit einem einfachen, grünen Stofffetzen bekleidet an der Höhlenwand abgestützt aus eine der Höhlen gehumpelt. Schon lief Klerod zu ihr. „Gnädige Frau, was haben sie?“, sprach er sie an. Sie hielt sich mit der einen Hand den Kopf, während sie sich weiter an der Wand festhielt. Als sie realisierte, dass Jemand sie angesprochen hatte sah sie ihn an. Er erklärte ihr: „Hab keine Angst, wir sind Engel des Herrn und gekommen um dich ins Paradies zu führen! Gibt es noch weitere Menschen hier? Ist hier irgendetwas passiert?“ Noch ehe sie antworten konnte, fiel sie ihm in die Arme vor Erschöpfung. Er fing sie auf und sprach ihr zu: „Oh Kind, es wird alles wieder gu…Ahh!!“ Plötzlich hörte man einen herzhaften Biss und Blut spritzte aus Klerods Hals. Im nächsten Moment zogen Vaith und Jessy ihre Schwerter. Jetzt stieß Klerod die Frau von sich, die gierig nach seinem Blut schleckte. Über alle Maße erschrocken, schrie er sie an: „Was im Namen des Herrn?!“ Dann aber hörte man aus allen Ecken ein beständiges Raunen und es war klar, dass sie wie befürchtet in einer Falle waren. Die Frau war gestürzt, als er sie von sich stieß. Doch nun stand sie mit blutbeflecktem Mund auf und leckte sich genüsslich über die Lippen. „Wie wunderbar, unser Abendessen hat seinen Weg zu uns gefunden. Ich befürchtete schon, dieser Hänfling sei alles gewesen, was sich zu uns verirrt“, sagte sie mit purer Gier in der Stimme. Klerod – inzwischen ebenfalls mit Schwert in der Hand – fragte: „Was für eine Kreatur bist du? Du bist kein einfacher Dämon!“ Kaum sagte er das, lachte sie gackernd auf: „Jetzt sagt bloß, ihr wisst nicht was das Fleisch eurer Brüder und Schwestern aus uns macht? Wir sind die neue Generation! Die Macht, die uns euer Laib beschert wird uns über die gesamte Schöpfung erheben!“ Schon brach sie in immer schallender werdendes Lachen aus und spielte dabei mit ihren Händen – die mehr an Krallen erinnerten - in der Luft herum. Vaith durchfuhr ein tiefer Schock. DAS war mit dem Dämon passiert, der seinen Bruder fraß? Es gab schon Gerüchte, der Dämon habe neue Kräfte erworben und sei damit zu einem Held für seine Art geworden – doch was genau mit ihm geschehen war, blieb bis dahin unklar. Nun also wussten sie es. Er war mutiert, zu einer neuen Form von Wesen.

Ehe Vaith jedoch mehr darüber nachdenken konnte, drangen die Lärmverursacher aus den Höhlen hervor. Dies waren dem Anschein nach normale Dämonen. Die Engel standen nun Rücken an Rücken und hielten sich kampfbereit. „Das wird hart…“, prophezeite Klerod unnötiger Weise. Ehe Jemand etwas zu erwidern wusste, kreischten die Dämonen aber schon in rasender Geschwindigkeit auf sie zu. Die nächsten Minuten waren nicht mehr als ein herumfliegen von abgetrennten Körperteilen, literweise spritzenden Blutes und immer wieder Aufschreie der Engel. Zu dritt ließ es sich allerdings deutlich besser kämpfen, stellte Vaith fest. Sie mussten zwar auch aufeinander aufpassen, doch ihre gegenseitige Deckung machte einiges wett. So kam es, dass sie nach gefühlten Stunden umgeben von Dämonenleichen waren. Sie waren zwar von Schweiß durchtränkt und mit ihren Kräften am Ende, doch sie hatten es ohne nennenswerte Probleme geschafft. Auch wenn es Vaith so vorkam, als hätten sie etwas Wichtiges vergessen. Wieder leicht zu Atem gekommen und mit einem Lächeln auf den Lippen sprach Jessy: „Siehst du Vaith, zusammen sind wir staaarghhhh..“ Quasi aus dem Nichts ragte ihr mit einem Schlag ein Schwert weit aus der Brust. Sie würgte Blut hervor und während Vaith ihr fassungslos abwechselnd auf die Brust und in die Augen sah, erlosch das Licht des Lebens in ihren Augen. Das Schwert wurde zurückgezogen und sie fiel leblos zu Boden. Schon hörte man wieder ein schreckliches Lachen. Die Dämonin in Frauengestalt leckte das Schwert in ihrer rechten Hand ab. Wie einen Lolli ging sie die Klinge entlang und fing jeden Tropfen des Engelsblutes mit ihrer Zunge auf. „Köstlich sag ich euch! Ihr solltet auch mal probieren. Es hat zwar nicht dieselbe Würze wie menschliches Blut, aber es schmeckt auf seine Art gut“, höhnte sie. Es dauerte keine volle Sekunde, da flog Klerod regelrecht mit einem Schrei der bloßen Wut auf sie zu, das seinerseits von Dämonenblut getränkte Schwert im Anschlag. Sein erster Schlag, der sie hätte locker köpfen können ging durch eine Beugung ihrerseits nach hinten daneben. Schon stürmte Vaith ebenfalls auf sie. Er sprang hinter sie, sodass er sie vom Rücken hin aufzuspießen vermochte, wie sie bei Jessy. Gleichzeitig kam Klerod ihr mit einer zweiten Attacke entgegen, diesmal in Richtung Herz. Sie machte einen minimalen Schritt zur Seite und nahm eine Pose wie eine Ballerina ein – dadurch war sie in der Lage beide Schwerter auf einmal abzublocken. Nun standen Vaith und Klerod genau nebeneinander und gingen mit einer Salbe von abwechselnden Schlägen, Stiche und Hieben auf sie ein. Jeder Angriff wurde von ihr aber gekonnt abgewehrt. Sie schaffte es immer wieder ihre Schritte so zu taktieren, dass ihr Schwert exakt vor dem ihren hing und so jeden Schlag verpuffen ließ. Plötzlich aber, holte Klerod besonders kräftig aus und mit einem unerwarteten Schwung erwischte er sie genau während einer Drehung am Rücken.

Der Stoff ihrer Kleidung wurde von der Klinge komplett aufgetrennt und so fiel ihre eh schon zerfetzte Lumpenkleidung endgültig zu Boden. Was zum Vorschein kam, war ein weiterer Schreckmoment für die beiden Engel. Sie besaß schwarze Flügel! „Was zur Hölle?...“, stieß Vaith hervor. Klerod dagegen war sprachlos. Die Dämonin dagegen nutzte die Verwirrung der beiden und schrie: „Jetzt reicht es! Wollen wir doch mal sehen, wie meine neuen Kräfte funktionieren!“ Noch bevor Vaith oder Klerod reagierten, streckte sie ihre Flügel aus und flog los. Wenige Meter über dem Boden fliegend – fast schwebend – zeigte sie mit ihrem linken Finger auf den Boden unter ihnen. Auf einmal schoss ein Blitz direkt aus ihrem Finger und schlug unter ihnen ein.

Der Boden unter ihren Füßen verformte sich und bildete einen Strudel. Sie waren erfasst! Weder ihre Versuche sich mit ihren Flügeln herauszufliegen, noch mit den Füßen direkt herauszuklettern oder sich mit ihren Schwertern frei zu schlagen half. Wütend schrie Vaith los, gleichzeitig schloss Klerod bereits die Augen und betete zu seinem Herrn. Nichts aber half und so sanken sie tiefer und tiefer ein. Kurz bevor er gänzlich versank hörte Vaith sie noch rufen: „Schöne Grüße an meine Kollegen!“ Er wusste ihren Zuruf nicht einzuordnen – dazu war aber ohnehin keine Zeit mehr, denn schon war er vollständig begraben und um ihn herum wurde es dunkel.




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