Von sich selbst angeekelt, stand Aphila beim Aufbruch ihrer Sklavengruppe neben ihrem Bruder. Sie konnte keinem der Menschen ins Auge sehen, Rufus schon gar nicht. Sie hatte ihn einfach ihrem Bruder überlassen aus bloßer Angst um das eigene Leben. Wie kindisch und egoistisch das doch war. Nun aber war es passiert und ihr vorher so angenehmes Verhältnis war unter der Hand Methos´s zerstört worden. Nichts was sie tun konnte, war angemessen als Wiedergutmachung – das war ihr gewiss. „Nicht so lahm, ihr Insekten! Seht ihr die helle Kugel da oben? Wir wollen hier weg, ehe dort stattdessen ein hell leuchtender Stein zu sehen ist! Jetzt kapiert? Macht hinne!“, kommandierte Methos seine Sklaven herum. Er genoss seine Position als Sklaventreiber deutlich. Aphila dagegen fand sein Verhalten widerlich, konnte aber im Augenblick rein gar nichts dagegen tun. Sie war ebenso im Visier von ihm, wie der gesamte Rest der Leute. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie Rufus noch ein weiteres Mal zu retten vermochte, sollte ihr Bruder auf dumme Ideen kommen. Sie alle waren seiner kompletten Willkür ausgesetzt. Sie packten also alle brav ihre Sachen zusammen und gingen Richtung Nordwesten mit Methos an der Spitze. Dort sollte laut Rufus ein ganzes Dorf auf sie warten. Methos´s gierige Ungeduld spiegelte sich deutlich in seinen Augen wieder, während er die Gruppe immer wieder dazu antrieb, noch schneller voran zu kommen. Ab und zu stolperte mal ein Menschen und fiel hin. Ohne Rücksicht kam er dann zum Sklaven und schlug diesen, bis er wieder auf die Beine kam. Dabei achtete er allerdings penibel darauf „nur“ Schmerzen zu verursachen und keine ernsthaften Verletzungen hervorzurufen – noch war seine Sklavenanzahl zu gering für derlei Verluste. Gerade, als sie ungefähr die Hälfte der Strecke hinter sich hatten, rief ein Sklave: „Engel! Engel…“ Methos drehte sich zu ihm um und schrie: „Wie gehirnverbrannt seid ihr eigentlich? Hast du noch nicht gecheckt, dass wir keine – “ Er stoppte seinen Satz, als er die wahre Bedeutung der plötzlichen Anmerkung hinter sich spürte. Ihm brannte der Lichtstrahl eines Engels die Spitzen seiner Flügel weg. Das war also die Aura eines Erzengels, der stark genug war seine Artgenossen mit seiner bloßen Anwesenheit zu braten. Vorsichtig drehte Methos sich um. In Aphilas Gesicht stand währenddessen das bloße Entsetzen. Engel, mindestens ein starker Engel erschien ihnen gerade – sie bezweifelte, selbst in ihrer neuen Gestalt genug Macht zu besitzen um gegen diese Macht anzukommen. Ihr Bruder dagegen schien blitzschnell einen Plan entworfen zu haben, denn er grinste trotz der Gefahr vor ihnen wie immer.

Als sich das Licht endlich legte, standen zwei Engel vor der Gruppe – der Eine sah ganz normal nach einem üblichen Engel aus, ungefähr dieselbe Körpergröße wie Aphila, vielleicht einen Kopf größer. Er trug eine maßgeschneiderte, weiße Rüstung. Seine schwarzen Haare waren ungefähr so lang wie Aphilas. Einen wichtigen Unterschied zwischen ihnen gab es neben der Kleidung aber – er trug ein Schwert bei sich. Ihr Bruder besaß zwar das Schwert, des von ihm getöteten Engels, sie jedoch war nach wie vor unbewaffnet. Der andere Typ war noch schlimmer. Er war locker zwei Köpfe größer als Methos und strahlte mit seinem ebenfalls weißen Gewand und seinem funkelnden Schwert schon von sich aus viel mehr Energie aus als sein Begleiter. Sie schauten genauso irritiert wie die beiden, als sich ihre Blicke kreuzten. Hatten sie etwa noch keine mutierten Dämonen gesehen? – Wenn das so war… da kam ihr Methos bereits zuvor in der Überlegung: „Brüder! Was treibt euch denn hierhin? Seid ihr auch auf einer Mission?“ Er breitete herzlich zum Gruß erhoben seine Arme zu den beiden aus. Diese sahen nach wie vor verdattert aus. Schließlich fing sich aber der größere von ihnen: „Seid gegrüßt, Bruder. Ja, wir sind tatsächlich auf einer Mission. Es gab einen traurigen Zwischenfall, hier ganz in der Nähe. Dämonen haben ein Dorf überfallen und es in eine Falle für unsere Geschwister umfunktioniert und – “ Da wurde er von einem wütenden Aufschrei unterbrochen. Rufus schrie wie am Spieß: „NEEEEIIIIIIN!!!! Nicht das Dorf...“ weinend brach er auf dem Wüstenboden zusammen. Aphila stürmte sofort zu ihm und versuchte ihn zu beruhigen. Indes setzte der Engel fort: „Jedenfalls haben wir dort drei von uns unwissend darüber hingeschickt. Sie sind hineingeraten und seitdem werden zwei von ihnen vermisst – die Leiche unserer Schwester wurde bereits ausfindig gemacht, allerdings war nicht mehr viel von ihr übrig. Wir können uns nicht einmal sicher sein, ob das Wesen, das sie gefressen hat wohlmöglich noch dort auf weitere Beute lauert. Über dieses wiederum ist kaum etwas bekannt, die Beobachterlinse spielte wieder einmal nicht mit. Wir wollten also die Lage aus sicherer Entfernung selbst begutachten und haben dann diese Gruppe bemerkt und uns entschieden, nach dem Rechten zu sehen.“ Das alles war für Methos sehr interessant. Es hieß, die Engel tappten nach wie vor über die Evolution unter den Dämonen im Dunkeln. Das kam ihm gerade recht, zwei ahnungslose Engel, deren Fleisch noch mehr Macht bedeutete. „Doch nun mal eine Frage an euch – warum im Namen des Herrn sind bei euch beiden eure Flügel schwarz?“, wunderte sich der große Engel. Aphilas und Metho´s Herzen schlugen beide mit einem Mal schneller. Wie sollten sie das erklären? „Wir waren in einen heftigen Kampf verwickelt und ein Dämon hat uns etwas injiziert durch dass sich diese Umfärbung ergab“, log Methos spontan. Die beiden Engel tauschten einen undefinierbaren Blick miteinander. Für einen Moment bekam Methos es mit der Angst zu tun, gegen beide gleichzeitig hatte selbst er keine Chance. Dann schritt der große Engel auf ihn zu, Methos musste sich stark zusammenreißen um ihn nicht sofort anzugreifen vor Furcht. Zitternd, erfragte er: „Was, was hast du vor – Bruder?“ Dieser antwortete zu Methos Erleichterung: „Ich werde versuchen dieses Zeug aus euch herauszuholen.“ Zumindest glaubten sie ihnen, auch wenn ihm nicht ganz klar war – was passierte, wenn der Engel ihm versuchte zu helfen. Ehe er darüber jedoch nachdenken konnte, legte dieser schon seine Hand auf Methos´s Stirn. Ein glühendheißer Schmerz breitete sich schlagartig in seinem gesamten Körper aus und dementsprechend kreischte er auch auf. Erschrocken zog der Engel seine Hand sofort zurück und Methos kniete keuchend und schwitzend vor ihm am Boden. „..So wird das wohl nichts..“, keuchte Methos weiterhin den vergifteten Engel mimend. „Sieht so aus, das benötigt wohl härtere Mittel, die mir leider nicht zur Verfügung stehen, Bruder“, schloss sich der Engel dem Fazit seines vermeintlichen Bruders an. Als Methos sich halbwegs wieder aufgerappelt hatte, stellte er eine für seinen weiteren Plan entscheidende Frage: „Nun, Brüder. Wir sind eigentlich zum Dorf dieser Menschen bei uns hier aufgebrochen, um sie alle gemeinsam ins Paradies zu führen. Da aber laut eurem Bericht dies keinen Sinn mehr macht, schlage ich vor wir bleiben hier und schlagen unser Lager auf. “ Sofort wollten beide Engel etwas sagen, doch Methos stoppte sie aus: „Wartet, meine Brüder. Ich weiß, unsere Mission lautet Dämonen töten, Erdenkinder ins Paradies führen. Schön und gut, aber da bleibt kaum Zeit um sich mal auszutauschen über die vorgefallenen Ereignisse. Zum Beispiel hörte ich von einem Bruder von uns, der in einem Einzelkampf von einem Dämon niedergestreckt wurde – kennt ihr Einzelheiten dazu?“ Der große Engel nickte. Schon klatschte Methos in die Hand: „Na, super. Dann ist es entschieden. Heute bleiben wir hier und tauschen uns aus. Menschen, ihr habt es gehört. Packt eure Zelte aus, wir bleiben heute hier!“ Die Engel kamen gar nicht erst zu Wort, doch nach einem Blickabtausch, von dem der Eine genauso ratlos wie der Andere schaute gaben sie nach.

An diesem Abend saßen sich also zwei Engel und zwei angebliche Engel am Lagerfeuer gegenüber und tauschten sich über die Schlacht zwischen Engel und Dämonen aus. Da Rufus sich inzwischen beruhigt hatte und lieber in sein Zelt verschwunden war, konnte Aphila sich nun ganz mit einbringen. Insgeheim war das auch ihres Bruders große Hoffnung gewesen, denn er war überzeugt von ihren Verführungskräften – selbst gegenüber Engeln. „Jetzt, da die Menschlein in Sicherheit sind können wir mal etwas privater werden – wie heißt ihr zwei hübschen denn eigentlich?“, erkundigte sich Methos. Tatsächlich schien er die beiden peinlich berührt zu haben, denn der Größere von ihnen antwortete: „Oh, unsere Namen das habe ich ja ganz vergessen. Also das hier neben mir ist Achis und ich bin Achel. Wir stammen beide von der höheren Riege, er ist bloß knapp unter mir in der momentanen Hierarchie. Wie sieht es denn bei euch aus?“ Die dämonischen Geschwister schauten sich an. Methos antwortete: „Das hier ist meine – äh unsere, Schwester Aphila und ich bin Methos. Unsere Hierarchie.. nun jedenfalls stehe ich leicht über ihr.“ Mit einem Nicken signalisierten ihre Gegenüber verstanden zu haben. Methos und Aphila dachten unabhängig voneinander, dass es ganz schön schwer war diesen Engeln etwas vorzulügen. Hoffentlich wurden ihre Bemühungen auch belohnt. Plötzlich sprach der sonst so schweigsame Achis Aphila an: „Sag mal, mir fiel es zwar schon bei unserem Zusammentreffen mit euch auf, aber jetzt möchte ich es doch ganz gerne wissen – wo ist eigentlich dein Schwert?“

Jetzt war guter Rat teuer, Aphila wusste keine spontane Antwort darauf und verhaspelte sich beinahe. Zum Glück fiel ihr Methos ins Wort: „Ihr ist es etwas peinlich. Sie hat ihr Schwert im Kampf mit dem Dämonen, der uns auch die schwarzen Flügel verpasste, verloren.“ Bei diesen Worten runzelte Achel die Stirn. „Verloren sagst du?“, wiederholte er. Ein dicker Kloß bildete sich in Aphilas Hals, war Methos unwissend in ein engelspezifisches Fettnäpfchen getreten? Methos dagegen versuchte so cool es nur ging zu bleiben: „Ja, sie hat das Schwert etwas unglücklich zur Abwehr gehalten und der Dämon hat es ihr im hohen Bogen einfach aus der Hand geschlagen. Wir haben es einfach nicht wiederfinden können – sie hatte wirklich mehr als Gottes Segen nicht selbst filetiert geworden zu sein. Das war auch der Grund, warum wir jetzt eher ungebräuchliche Kleidung für Engel tragen - unsere Kleidung wurde dabei zerfetzt und die Menschen haben uns freundlicherweise einen Ersatz geliehen.“ Er lachte künstlich auf. „Ach so. Na, da wollen wir doch gleich mal Abhilfe schaffen – wir können die Lady doch wohl schlecht ohne Waffe herumlaufen lassen“, sagte Achel und zwinkerte Aphila dabei zu. Sie wusste nicht recht, ob sie sich geschmeichelt oder angeekelt fühlen sollte. Achel legte zumindest daraufhin seine Hände mit Handflächen nach oben auf seinen Schoß und murmelte ein paar fremdartige Wörter, Aphila tippte auf Henochisch, der Sprache der Engel. Plötzlich flimmerte etwas golden in Achels Schoß auf und schon lag ein nagelneues, glänzendes Schwert dort. Aphilas Augen wurden groß als Achel ihr den Schaft des Schwertes entgegenhielt. „Hier, für dich. Nimm schon“, betonte er gönnerhaft. Sie nahm das Schwert entgegen und prüfte es mit sorgsamem Blick. Es war makellos und sehr, sehr scharf. Sie schwang damit einmal durch die Luft und verfehlte dabei nur knapp die Nasenspitze ihres Bruders, der ein verärgertes „Hey!“ von sich gab. Sie lächelte Achel dankend an: „Dieses Schwert ist ausgezeichnet, ich schulde dir was.“ Er aber winkte ab: „Ein Geschenk unter Geschwister.“ Mit diesen Worten wurde Aphila etwas flau im Magen, dieses Schwert würde - wenn sie diese Begegnung überleben sollten - viele dieser „Geschwister“ des Engels umbringen, da war sie sich sicher. „Nun sagt aber mal“, fing Achis an, „wieso schleppt ihr eigentlich all diese Menschen mit euch herum? Habt ihr denn nicht bemerkt, dass nur der eine Mann mit dem Zusammenbruch heute noch eine Seele besitzt?“ Die Rede war natürlich von Rufus. Dieses Mal war Methos ruhig und Aphila erzählte etwas: „Ja, das wissen wir. Jedoch können wir dem armen Mann nicht einfach so sagen, dass seine ganzen Freunde nichts mehr weiter sind, als seelenlose, fleischliche Hüllen. Das wollen wir ihm nach all dem Leid nicht auch noch antun. Darum warten wir einen günstigen Zeitpunkt ab um ihn herüber zu holen.“ Sie war zufrieden, ein Teil dessen war ja sogar wahr. Er wusste nichts von der Tatsache, dass er der einzige Mensch mit einer Seele in der Gruppe war – und vermutlich war das auch wirklich besser so. Sie hatte schon genug Schmerz an Rufus verursacht, sie musste nicht auch noch daran schuld sein, dass er die Wahrheit über seine Freunde und sich erfuhr. Achis aber erwiderte: „Euch ist aber hoffentlich klar, wie schwierig unsere Situation momentan ist und wir jede helfende Hand gebrauchen können?“ Methos Augen flammten auf und das lag nicht nur am Lagerfeuer. Er hatte erfahren, was er wollte. Die Armee der Engel war unkoordiniert und anfällig. Genau das brauchte er um schnell an viel Macht zu kommen. Das – und das Fleisch der zwei Engel vor ihm. Die Frage war nur, wie kam er am besten an sie heran?




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