Noch verstand Aphila nicht ganz recht, was hier passierte. Erst vor wenigen Minuten waren ihr Bruder und sie durch die Engel lebensbedrohlich in die Enge getrieben worden – und jetzt war aus dem Nichts dieser Typ aufgetaucht. Sie war sich weder darüber sicher, was er war – noch was er wollte, oder wieso er die Engel niederstreckte. Was auch immer mit dem Kerl los war, ihre Angst vor ihm saß tief.
„Hey, ihr beiden da! Meine Herrin hier will mit euch reden!“, tönte es von dem Fremden. Daraufhin krabbelte die Dämonin, die zuvor aus dem Loch im Boden kam, auf sie zu und hielt genau vor Methos und Aphila an. „Hallo, meine Freunde. Wie euch mein Diener Vaith bereits sagte, ich habe Interesse daran, ein Gespräch mit euch zu führen – aber erst mal packen jetzt alle ihre hässlichen Schwerter weg!“, fing sie an. Aphila schaute noch verwirrter zu Methos und beide sowie der Typ bei ihr steckten ihre Schwerter ein. Methos riss sich endlich aus seiner Verwunderung: „Sag mir, was ist dein Diener für ein Wesen? Er weist Züge von Engel sowie Dämon auf.“ Da kicherte die Dämonin: „Das hast du richtig erkannt! Er ist ursprünglich ein Engel gewesen. Allerdings haben ihn seine Geschwister in einer tödlichen Situation zurückgelassen und ich habe mich erbarmt, ihn zu retten. Jetzt ist er sogar mächtiger als ihr, die ihr von Engelsfleisch gekostet habt!“

Methos schien hin- und hergerissen gegen diese Behauptung zu protestieren. Angesichts jedoch, mit welcher Leichtigkeit Vaith die Engel besiegt hatte, hielt auch er sich zurück. Allerdings war Engel, ein gutes Stichwort. „Wie dem auch sei, was willst du von uns?“, fragte Methos schließlich. Das Grinsen der Dämonin wurde breiter. „Es ist immer besser, mehr als einen Gefolgsmann hinter sich zu haben. Schließt euch uns an und erlebt den Aufstieg unserer Macht!“, gab sie ihre Ambitionen zu verstehen. Methos wirkte gar nicht begeistert. Eigentlich war es auch sein Plan gewesen, in der neuen Welt der Boss zu werden. Doch gegen diesen dämonisch gestärkten Engel war er nicht in der Lage anzukommen.
Aphila war es gleich. Ob nun unter der Herrschaft ihres Bruders, oder der einer größenwahnsinnigen Dämonin. Für sie kam das fast auf das Selbe hinaus. Ihre Bedenken lagen eher darin, dass sie unter diesen Umständen Rufus nicht länger mit einbinden konnte. Es war schon schwierig gewesen, ihren Bruder von ihm abzubringen – aber eine fremde Dämonin, die mit ihrem Diener ihr und Methos gleichermaßen überlegen war, davon zu überzeugen einen schmackhaften Menschen mit Seele am Leben zu lassen – das verbesserte die Situation nicht gerade. Nein, sie musste ihn zurücklassen!
Zunächst schien Methos scharf zu kalkulieren, was sie tun konnten – doch er schien zu keinem befriedigenden Schluss zu kommen. Das war allerdings auch verständlich, er mochte gierig und größenwahnsinnig sein – aber er war nicht dumm. „Wie es aussieht haben wir ohnehin keine große Wahl. So werden wir also mit euch kommen. Eine Frage habe ich aber: Vaith hat gerade zwei Engel niedergestreckt. Wir wurden im Kampf verletzt, können wir das Engelsfleisch haben?“, erfragte Methos. Aphila schaute ihn etwas überrascht an. Selbst in dieser Lage dachte er noch ans Fressen? Auch wenn sie zugeben musste, ihr wäre es auch nicht schlecht bekommen. Die Dämonin aber, lachte bloß herzhaft auf: „Ja, labt euch ruhig an ihren Körpern. Ich habe dafür keine Verwendung.“

Schon stürmte Methos zu Achel hin – jedoch nur um blitzschnell Vaith im Nacken zu haben: „Warte! Der Typ, gehört mir! Du kannst meinetwegen den Kleinen haben. Mit diesem, habe ich jedoch noch eine Rechnung auf!“ Von Hunger und Gier geplagt, blickte Methos ihn mit einer fast schon bestialischen Fratze an. Wenn Aphila – die bereits zur Leiche des kleineren Engels Achis gegangen war - es nicht besser wüsste, sah es fast so aus, als war ihr Bruder im Begriff Vaith anzugreifen. Er war aber klug genug es zu lassen und begab sich zu Achis. Von seiner vorher immer wieder geheuchelten Geschwisterlichkeit war allerdings wenig zu spüren, als er Aphila von seiner Beute wegschubste. Wie ein wildes Raubtier fuhr er auf den toten Engel herunter und riss ihm das Fleisch Stück für Stück vom Leib herunter. Aphila dagegen, wagte es nicht dazwischen zu gehen. Sie brauchte zwar auch Nahrung - alleine schon wegen ihren Verletzungen – blöd genug, ihren Bruder beim Fressen zu stören war sie aber auch nicht. Da trat überraschend Vaith zu ihr: „Du brauchst auch etwas Heilung. Lass mich mal etwas ausprobieren.“ Sie war nervös, was hatte er vor? Langsam strich er ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Eine Woge des Glücks überkam sie urplötzlich und ehe sie sich versah, waren alle Schnitte und andere Wunden fort. „So ist das also. Ich bin jetzt tatsächlich zu derlei Heilungen fähig“, stellte Vaith fest. Aphila versuchte sich zu bedanken, doch die zuvor angestaute Angst ließ ihr nun die Stimme versagen. So ging er ohne ein Wort wieder zurück zu Achels Körper.

Er kniete sich herunter und schlug ihm leicht auf die aufgeschlitzte, blutige Brust. Dieser gab ein Stöhnen von sich. „Hast du es tatsächlich bis jetzt noch überlebt. Tja, aber jetzt wird dir nichts mehr helfen. Du wirst jetzt in diesem Zustand von mir gefressen. Bist du auch schon so aufgeregt, wie ich?“, flüsterte er Achel ins Ohr. Aphila war baff. So freundlich Vaith zuvor zu ihr gewesen ist, so war er nun dabei seinen ehemaligen Bruder in grausamer Art und Weise zu verspeisen. Angewidert von beiden – von Vaith und ihrem Bruder gleichermaßen – schaute sie zu Rufus Zelt hinüber. Dieser lugte offenbar durch einen kleinen Spalt auf das Geschehen bei ihnen hin. Wenn er wusste, was gut für ihn war, blieb er auch dort.

Als die Fressenden fertig waren, hieß es von der Dämonin: „Jetzt, da ihr gesättigt wurdet, können wir mal über die nächsten Schritte reden. Habt ihr eine Ahnung, wo sich potenzielle, neue Rekruten so rumtreiben?“ Tatsächlich schaute Methos kurz zu ihr und mit sich im Unklaren, wie und ob er darauf antworten sollte. Schließlich aber erzählte er: „Laut den getöteten Engeln, ist das Dorf zu dem sich unsere Gruppe aufgemacht hat, bereits von Dämonen aufgerieben worden. Eventuell finden sich dort nützliche Artgenossen.“ Etwas in Vaiths Magen rumorte bei dieser Erwähnung und er war sich sicher, es lag nicht am Engelsfleisch. Ihm war bewusst, dass er nicht unweit von hier in den verhängnisvollen Kampf mit der engelhaften Dämonin gezogen wurde und es war sogar wahrscheinlich, dass es sich um eben dieses Dorf handelte. Sollte die Frau noch immer dort sein, war das wohlmöglich eine verzwickte Situation. Vaith gab nichts mehr um die Auslöschung der Dämonen – im Gegenteil er besaß nun ihre Macht und war ebenso unbarmherzig und kalt geworden. Jedoch, ausgerechnet diese Dämonin wieder zu treffen, war etwas Anderes. Er behielt seine Bedenken allerdings für sich.

„Dann ist es entschieden – wir gehen zu diesem Dorf. Da ihr alle beflügelt seid, schlage ich vor, mein Diener nimmt mich Huckepack und wir fliegen gemeinsam dorthin“, meinte die Dämonin. Da widersprach Methos plötzlich: „Du weißt es natürlich noch nicht, aber die Menschengruppe in deren Mitte wir uns hier befinden untersteht mir. Sie sind meine Sklaven und ich würde ungerne auf sie verzichten.“ Der Ausdruck in des Dämonin Antlitz veränderte sich erst in ein amüsiertes Lächeln, verzog sich dann aber plötzlich zu einer strengen Fratze: „Du hältst dir diese Menschen wie eine Herde Tiere? Mit Essen soll man doch nicht spielen, du ungezogener Junge! Eigentlich ist das ja fast schon niedlich, aber ich frage dich eins: Was ist wichtiger? Die Armee deiner Herrin zu unterstützen – oder deine alberne Fleischration mitzuschleppen?“ Methos war über diese Frage deutlich verärgert, schluckte seinen Zorn doch mit viel Wille herunter. Ehe er hätte letztlich antworten können, gab sie einen Kompromissvorschlag von sich: „Wenn dir so viel daran liegt, gut versorgt zu sein – dann schlachte ein paar der Menschlein und nimm ihr Fleisch mit.“ Solch ein freundliches Angebot gab es selten von einem Dämon.

Trotzdem musste Methos einen draufsetzen: „Ich bedanke mich für deine Güte. Ich habe noch eine weitere Bitte an dich: Meine Schwester besitzt besonderes Interesse an einem der Menschen, lass sie ihn mitnehmen – so sind alle zufrieden.“ Aphila traute ihren Ohren nicht und blickte verstört zu ihrem Bruder. Sie wollte Rufus hier lassen, bei seiner Gruppe! Offensichtlich lag es Methos aber daran, seine Schwester in seinem Bann zu halten und dazu nutzte er nun ihre Bindung zu Rufus aus. Es lief Aphila heiß und kalt den Rücken herunter, als die Dämonin zu dieser Bitte sagte: „Oh, so ist das? Meinetwegen, soll sie ihn mitnehmen. Wenn damit alles geregelt ist, lasst uns aufbrechen!“ Aphila wollte schreien, widersprechen, bitten ihn doch hier zu lassen. Alles aber was sie fähig war, war wie hypnotisiert zu nicken und Rufus auf sein hartes Los vorzubereiten – dies zudem in kürzester Zeit, denn sie waren im Grunde fast sofort flugbereit. Sie kannte die Fleischereikünste ihres Bruders, lange würde er nicht brauchen.