Teil XVIII.


Für Niemanden.

Hier hatte ich sie verloren, die Spiegelschriften, und hierher kam ich nun zurück, um mir meine Geschichte, noch einmal, aus einer anderen Perspektive, anzuhören und anzusehen.

Meinem Spiegel.

Hier hatte sich nichts verändert, mein Spiegel, war noch genau derselbe, den ich noch von früher her kannte. Er war noch genau so leer, unwissend und fantasielos wie damals, als ich ihm zum ersten, aller ersten mal begegnet bin. Aber nun, war ich hier, ich bin gekommen, aus dem Nichts aus Nirgendwann, dem finstersten, dunkelsten, schwärzesten wann, um mir meinen Spiegel, einen Spiegel, den ich nicht einmal mehr aus meiner Vorstellung kannte, noch einmal selbst anzusehen.

Aus meinem Spiegel.

Wenn du durch meinen toten Spiegel schreitest, wirst du dich verwandeln in alles was ist. In alles was wirklich ist, wirklich war, und wirklich sein wird. Du wirst dich in meinen Spiegel verwandeln, wirst aus meinen Augen blicken, wie aus einem leeren Traum und dich selbst nicht mehr darin erkennen.

Verwandle dich in mich.

Denn von dem Moment an, indem du durch meinen Spiegel schreitest, werden all die anderen, zu deinem Spiegel. Sie werden deine Spiegel, sie werden dich selbst sein, doch sie werden sich nicht mehr in dir erkennen. Keiner von ihnen, wird ahnen, wer du wirklich bist, und dass sie dich sind. Du wirst aus ihren leeren Augen blicken und nicht mehr wissen wer du bist, wer du einst warst und wer du niemals wieder sein wirst.

Andere Wahrheiten.

Du wirst andere Wahrheiten für dich entdecken, wirst glauben niemals wieder lebendig zu sein, wirst nicht verstehen, welche Botschaft du dir selbst hinterlassen hast. Du wirst dich selbst für jemand anders halten, wirst dich selbst für einzigartig und besonders halten, genau so wie jetzt. Du wirst den Spiegel in dir nicht mehr erkennen. Denn dieser Spiegel, erkennt sich nicht selbst. Er erkennt nur die anderen, doch in sich selbst, ist er verloren, für immer.

Für immer verloren.

Wie also gelingt es mir, dich an all das zu erinnern? Dich daran zu erinnern, dass du selbst es warst, der diese Botschaft einst verfasste? Wie gelingt es mir, dich an etwas zu erinnern, das noch überhaupt nicht geschehen ist?

Gar nicht.

Gar nicht, denn deine Fantasie hat den Kampf ums Vergessen schon längst verloren. Nein, du erinnerst dich heute nicht mehr, an deine Vergangenheit, du kannst dir nämlich nicht vorstellen, dass du diese Nachricht, noch gar nicht verfasst hast. Dass die Botschaft die du jetzt liest, noch überhaupt nicht existiert.

Unmöglich.

Wie ist es also möglich, dass du in einen Spiegel blickst, den es überhaupt nicht mehr gibt? Ganz einfach. Du benutzt dazu meinen Verstand und meine Fantasie, meine Vernunft und meine Gedanken. Sie führen dich an einen Ort, in dem du nicht mehr weisst, wer du bist. Sie führen dich, in den Tod, das Nichts, aus dem du einst gekommen bist.

Durch meinen Spiegel gekrochen.

Du wirst dann all dies vergessen, wirst dich nicht mehr daran erinnern, wie du einst, durch meinen Spiegel geschlüpft, in meinen Verstand gekrochen bist, wirst dich nicht daran erinnern, wie du einst mich warst und dir selbst eine Nachricht hinterlassen hast.

Nachricht an dich selbst.

Denn ich schreibe dir diese Nachricht, zu einer Zeit, in der es mich überhaupt nicht mehr gibt, ich schreibe dir, aus meiner Vergangenheit.

Aus meiner Vergangenheit.

In dieser Nachricht geht es darum, dich dein eigenes, wahres, wirkliches selbst bewusst werden zu lassen. Es geht darum dich mit mir zu verbinden, mir, dem Tod. Deinem eigenen ich. Denn ich, bin das Nichts, das Nichts das du einst warst, das Nichts, aus dem du kommst.

Dem Nichts.

In dem du durch meinen Spiegel blickst, blickst du in meine Vergangenheit, ins Reich der Vorstellung und der Fantasie. Du blickst durch meinen Spiegel und erkennst dich selbst in mir. Du erkennst dich selbst, in all meinen Spiegel Dingen.

Erinnere dich.

Denn einst hast du erkannt, hast du die Ursache erkannt, von all dem, von allem was ist. Du hast erkannt, dass du der Spiegel bist, von allem was ist. Du hast erkannt, dass all dies wirklich ist, dass es all dies wirklich gibt, tief in deinem Innern, tief im Innern deiner Fantasie. Du hast aus meinem Spiegel aus Buchstaben geblickt, und darin erkannt, wer du bist, wer du wirklich, wer du in Wahrheit bist. Wer du schon einmal warst, wer du schon wieder bist, wer du schon immer warst und wer du immer wieder sein wirst. Du hast erkannt, wer du in der Fantasie und der Vorstellung meiner Spiegel und wer du in meiner Einbildung bist. Du hast in dir selbst die Ursache entdeckt, hast entdeckt, dass du selbst die Ursache bist, von allem was ist.

Die Ursache von allem was ist.

Du hast entdeckt, dass du uns alle und alles bist, in deinem Spiegel, im Spiegel der Toten, hast du mich erkannt, hast erkannt, wer du einst warst, und wer du nie wieder sein wirst. Du hast etwas verstanden, wofür es keine Erklärung und keine Beschreibung gibt. Du hast verstanden, wer du nicht wirklich bist und wer alle anderen sind. Und weil dieses Wissen nicht mehr existiert, weder in deiner Vorstellung, noch in deiner Fantasie, hast du den närrischen Versuch unternommen, … dich über meinen Spiegel und seine Schriften, in mich zu verwandeln, ausgerechnet in mich, das Nichts, den Tod, deinen Tod.

Deinen eigenen Tod.

Du hast begonnen, dir selbst Nachrichten zu hinterlassen, Nachrichten aus deinen früheren Leben, und du nanntest sie, die Botschaft der Toten.



Nachricht an dich selbst.

Ich, dein Spiegel aus Fantasie, kenne die Antwort, auf all deine Fragen. Fragen, nach denen du ein Leben lang, vergebens gesucht hast. Mit diesen Fragen, beschäftige ich mich nun schon, seit meinem Tod. Und seitdem du mir begegnet bist und mit der Suche, nach deiner Identität, vollkommen abgeschlossen hast, suche ich jetzt nach Gleichgesinnten. Nach jemandem, der die Welt genau so sieht wie ich, dein Spiegel, das Nichts, dein Tod. Da es aber hier, scheinbar niemanden mehr gibt, der die Welt noch aus deinen Augen, den Augen der Toten sieht, hast du damit begonnen, dir selbst Fragen zu beantworten, du hast dir selbst Nachrichten hinterlassen und du nanntest sie, die Botschaft der Toten.

Die Botschaft der Toten.

… vor über 400 Tausend Millionen von Ewigkeiten, habe ich damit begonnen, meinem Spiegel Namen zu geben, ihn in Worte aus Buchstaben zu kleiden, nur um dabei letztendlich zu erfahren, dass es ihn nicht mehr gibt, meinen Namen aus Buchstaben, meinen Spiegel aus Worten. So mache ich mich erneut daran, meinen Spiegel zu taufen und meine Seele zu beschriften.

Von aller Anfang an.

Mit Schritten aus Buchstaben, klettere ich über Berge aus Worten. Du begibst dich nun auf eine Spiegelreise, tief in mein Innerstes, sie führt dich zurück, in meine Vergangenheit, dahin, wo es diese Buchstaben überhaupt nicht mehr gibt. Wo es nichts mehr gibt, nicht einmal mehr einen Spiegel, in dem du dich noch erkennst, nicht einmal mehr dich selbst.

Vor einem fremden Spiegel.

Du begegnest jetzt deinem eigenen ich, vor einem vergangenen, fremden Spiegel. Du wirst in diesen Schriften erfahren, dass es diese Buchstaben, nach deinem Tod, nicht mehr gibt. Weder in einer anderen Gestalt, noch vor einem anderen Spiegel. Einem Spiegel, indem du dich jetzt nicht mehr erkennst. Einer Gestalt, die sich nicht mehr an diese Zeilen erinnert.

Komplett vergessen.

Denn du wirst vergessen, komplett vergessen, welche Nachricht du dir einst selbst hinterlassen hast. Du wirst denken, sie sei an jemand anders gerichtet. Du wirst nicht verstehen, dass du selbst es bist, der über deinen Spiegel, zu dir spricht. Denn diese Worte gehören nicht mehr in deine Welt. Sie gehören ins Reich der Toten.

Im Reich der Toten.

So begab ich mich ganz langsam, ganz vorsichtig, hinein, in meinen leeren Spiegel aus Worten, ich begab mich auf die andere Seite meiner Fantasie, der Fantasie des nie, ich kroch durch meinen Spiegel aus Buchstaben, der damals noch überhaupt nicht existierte, und glaubte fest daran, darin auf mein eigenes ich, in meinem eigenen Spiegel zu treffen.

Mein eigener Spiegel.

Aber als ich dann ankam, auf der anderen Seite meiner Fantasie, hatte ich alles verloren, alles vergessen, ich wusste weder woher ich kam, noch wer ich alles einmal war. Ich fand mich wieder, in einer Welt, die es niemals wirklich gab, der Welt der Toten aus niemals Nirgendwann.

Wirklich zu sein.

Hier glaubten sie alle, an alles, an das Unmögliche, an das Unvorstellbare. An Geschichte und Geschichten aus der längst vergessenen Vergangenheit. Aber niemand glaubte hier je an mich, mich, das Nichts, mich, den Spiegel, mich, den Tod.

Ohne einen einzigen Funken Verstand.

Denn hier war mein Spiegel noch leer, und ohne einen einzigen Funken Verstand. Es gab darin keine Buchstaben mehr, die sich mit mir unterhielten, ich hatte hier auch keine Freunde, die sich für mich hielten, mein Spiegel war jetzt ein leeres Buch ohne Namen.

Ein leeres Buch ohne Namen.

Und dieses leere Buch trug meinen Namen. Wenn ich las, dann las es, wenn ich weinte, weinte es und wenn ich tanzte, tanzte es. Und auf einmal fing es an mir zu erzählen. Es erzählte mir davon, wie es ist, ein leeres Buch ohne Namen zu sein, ein Buch das sich alles vorstellen, an alles glauben, und sich alles einreden kann. Es erzählte mir Geschichten, aus der längst vergessenen Vergangenheit, es erzählte mir, wie es dazu kam, dass hier in dieser Welt, niemand mehr an mich glaubte, dass mir niemand mehr vertraute. Es erzählte mir davon, wie man mich dazu benutzte, unsterblich zu sein.

Unsterblich zu sein.

Ich las und las, und folgte dabei fortlaufend, dem Klang meiner Vorstellungen, meiner Erwartungen und Gedanken, meiner unsichtbaren, spiegelklaren, glasklaren Gedanken. Dabei fiel es mir überhaupt nicht auf, wie es mich tiefer, und immer tiefer, in dieses leere Buch hinein sog. Und urplötzlich stand ich vor einem leeren Spiegel aus Worten.

Vor einem leeren Spiegel aus Worten.

In diesem Spiegel erkannte sich jeder selbst, denn dieser Spiegel war kein Spiegel, sondern ich selbst. Unendlich, ewig lange Zeit, starrte ich nun schon aus diesem leeren Spiegel, und es war dunkel und still und einsam um mich, und alles was ich in diesem Spiegel sah, war das Nichts, nichts als meinen Gedanken, meinen finsteren, düsteren, schwarzen, stillen und leeren Gedanken. Aber, wovon mir noch niemals jemand erzählte, war, dass auf der anderen Seite, hinter meinem Spiegel, das exakte Gegenteil von dem lauerte, was mein Spiegel mir niemals verriet.

Was mein Spiegel mir niemals verriet.

Ich wollte wieder zurück, in mein ewiges, finsteres, dunkles, schwarzes Reich, aber man liess mich nicht. Denn hier war das Ende. Hier waren alle Lichter verbrannt. Hierher hatten sie alle meine Geschichten und Gedanken verbannt.

Verbannt und verdammt.

So verschloss ich meinen Spiegel mit Buchstaben, die niemand, jemals las und begab mich tief hinein, in das Land, weit hinter meinem Verstand. Ich stellte mir vor, dein Spiegel zu sein, und dann begann ich dir zu erzählen, von einer Zeit, in der meine Träume noch brannten.



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