Da steht eine Mühle am Saaleufer
Gar seltsame Sagen sich ranken um sie
Hexen und Geister wohnen darin
Der Wind streicht sacht ums Gemäuer herum

1. Kapitel

Der alte Müller Franz ließ den letzten Mehlsack zu den anderen plumpsen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein Tagwerk war für heute getan. Gerade wollte er seine mehlbestäubte Schürze abbinden, als es laut unten an der Mühlentür pochte. Wer mag das noch sein zu so später Stunde, wunderte sich Franz, aber er stieg die hölzerne Wendeltreppe hinab und öffnete vorsichtig die Tür an die schon wieder ungeduldig geklopft wurde. Vor ihm stand ein Fremder, ein etwas unheimlicher Mann. Sein Gesicht war bleich und wurde von einem schwarzen Schlapphut fast verdeckt. Auch sein schwarzer Umhang, der im Wind wehte, war schwarz und nass. Der kalte Regen lief dem Fremden übers Gesicht. Franz, der noch niemanden abgewiesen hatte, bat auch diesen seltsamen Besucher herein und bot ihm einen Stuhl an. Der Fremde nahm schweigend Platz und sah den Müller mit zugekniffenen Augen an. Franz wurde etwas unsicher und fragte, ob er einen heißen Tee möchte und was ihn denn hierher geführt hätte. Endlich machte der "schwarze" Mann den Mund auf und fing an zu reden. "Ich habe mich bei dem Unwetter verirrt und suche ein Nachtlager". Da Müller Franz ein gutmütiger Mann war, suchte er ein paar saubere Mehlsäcke zusammen und legte sie neben den alten Kanonenofen. "Hier könnt ihr schlafen Fremder, und eine heiße Kanne Tee steht auch bereit". "Ein Nachtmahl kann ich euch leider nicht bieten, da ich nun nach Hause gehe, aber morgen, in der Frühe, bringe ich euch frisches Brot und Eier mit". "Dann schlaft gut und gute Nacht"!


2. Kapitel

Die Sonne beleuchtete gerade die ersten Wipfel der Bäume, als der Müller die Mühle aufschloss. Von dem Fremden war keine Spur zu sehen, selbst die Mehlsäcke lagen noch so, wie er sie am Vorabend hingelegt hatte. Mühsam stapfte Franz die steile Wendeltreppe nach oben um den seltsamen Nachtgast zu suchen. Aber auch hier war niemand. Nun, da er sich nicht um seinen Gast kümmern brauchte, wollte Franz gleich mit seiner Arbeit beginnen. Heute sollten die Kleiesäcke nach unten, denn der Großbauer hatte fünfzehn Stück bestellt. Franz befestigte den ersten Sack am Flaschenzug und betätigte die Kurbel. Doch was war das? Der schwere Sack löste sich, fiel nach unten und zerplatzte. Kopfschüttelnd band Franz den nächsten Sack sorgfältig an die Seilwinde und ließ ihn hinunter. Aber auch dieses Mal passierte das Gleiche. Der zweite Sack fiel und zerplatzte. Da die Zeit drängte, beschloß der Müller die Säcke einzeln herunterzutragen. Er warf sich einen Kleiesack über den Rücken und betrat die Stiege. Doch schon auf der ersten Stufe rutschte er aus und fiel in die Tiefe.
Zu später Stunde kam seine Frau sorgenvoll in die Mühle, da sie ihren Franz vermisste. Am unteren Ende der Treppe lag der Müller mit verdrehten Gliedern und bewegte sich nicht mehr. Auch seine Frau konnte ihm nicht mehr helfen. Franz, der Müller war tot !

3.Kapitel

Ein Jahr später. Ludwig, ein junger, noch unerfahrener Müller, hatte das Mühlengeschäft übernommen. Da er Frau und Kind zu versorgen hatte, ackerte er von früh bis spät in die Nacht. Manchmal schlief er sogar neben dem alten Kanonenofen, wenn es gar zu sehr stürmte. So auch diese Nacht. Doch er kam nicht zum schlafen, da ihn ein lautes Klopfen zur Tür holte. Und wieder stand der seltsame Fremde vor der Tür und bat um ein Nachtlager. Ludwig war froh Gesellschaft zu haben und legte dem Besucher Mehlsäcke als Bett zurecht.
Am darauffolgendem Abend kam Ludwigs Frau in die Mühle, um ihren Mann etwas zu Essen zu bringen. Ihre Schreie hörte man bis ins Dorf. Ludwig lag zerstückelt neben seinen Mehlsäcken!

4. Kapitel

Zirka fünfzig Jahre waren vergangen. Die Mühle stand einsam und verlassen am Waldrand. Kein Mensch hatte je gewagt, seit dem grausamen Mord die Mühle zu übernehmen. Doch nun waren andere Zeiten. Der neue Bürgermeister hatte beschlossen, den Kindern im Dorf etwas tolles, noch nie dagewesenes, zu bieten. Er ließ die alte Mühle notdürftig umbauen. Dann konnten alle Dorfbewohner auf einem großen Plakat lesen, daß alle Kinder in den Ferien in der Mühle übernachten können. Heiße Suppe und Gruselgeschichten sollte es geben. Die Kinder waren natürlich aufgeregt. Auch sie hatten von dem grausigen Mord vor fünfzig Jahren gehört, aber sie verspürten keine Angst. Diese Übernachtung sollte ein Abenteuer für sie werden. Also nahm jedes Kind seinen Schlafsack, einen Teller und einen Löffel und fand sich auf dem Vorplatz der Mühle ein. Die Sonne ging langsam unter und die Bäume warfen lange Schatten. Alle Kinder setzten sich im Kreis auf die noch warme Wiese und warteten auf den Erzieher. Der Erzieher war Thomas und noch keine zwanzig Jahre alt, aber er liebte Horrorfilme und diverse Romane die er in seiner Freizeit verschlang. Thomas öffnete die alte Mühlentür und das Abenteuer konnte beginnen.
Die Kinder suchten sich ihre Plätze und kuschelten sich in die Schlafsäcke. Doch erst einmal gab es die versprochene Erbsensuppe mit einer dicken Bockwurst dazu. Nach dem Essen waren die Kinder still und schläfrig. Doch Thomas stellte eine Kerze auf den Boden und fing an zu erzählen. Nun hörten alle aufmerksam zu. Es war so gruselig, daß die Mädchen heimlich näher an die Jungs heranrückten und alle hatten vor Aufregung Gänsehaut.
Doch was war das ? Klopfte es nicht an der Tür ? Die Kinder fingen vor Angst an zu schreien. Nur Thomas blieb still. Er versuchte die Kinder zu beruhigen, was ihm auch bald gelang. Dann ging er zur Tür und öffnete sie weit. Ein scharfer modriger Geruch schlug ihm entgegen. Die stille ruhige Nacht hatte sich in ein Inferno verwandelt. Blitze zuckten am Himmel, der Sturm heulte um die Mühle und es regnete in Strömen.
Vor Thomas stand ein blasser Mann ganz in schwarz gekleidet, der etwas zu ihm sagte, aber ein lauter Donnerschlag übertönte alles. Wieder fingen die Kinder zu schreien an. Die Mädchen weinten und klammerten sich an die verängstigten Jungen. Da Thomas die Verantwortung für die Kinder übernommen hatte, ließ er den Besucher stehen und wandte sich den Kindern zu, welche sich auch bald wieder beruhigten. Als Thomas später zur Tür sah, war der unheimliche Gast verschwunden. Er schloß die Mühlentür fest zu und erzählte den Kindern noch eine lustige Geschichte, damit sie schlafen konnten.

5.Kapitel

Der Busfahrer bremste vorsichtig und ließ seine Gäste aussteigen, bevor er sich sein spätes Frühstück aus der Aktenmappe holte. Seit zirka einem Jahr hatte er nun schon diese Stelle und er war froh wieder Arbeit zu haben. Als er anfing seine Gäste hier zur Mühle zu fahren, hätte er nie gedacht, daß er das nun jeden Tag machen sollte. Der Besucherstrom riss nicht ab. Es waren die seltsamsten Leute dabei und manche unterhielten sich auch mit ihm und wollten mehr über die Mühle erfahren. Doch Fred, der Busfahrer, wußte nur, was alle Welt auch wußte. Aber er erzählte es gern.
Vor etwa fünfzig Jahren wurden hier fünfzehn Kinder mit ihrem Erzieher ermordet aufgefunden. Die Leichen waren grausam zerstückelt und der Mörder wurde nie gefasst.
Von den unzähligen Besuchern wußte Fred, daß es in der Mühle spuken sollte. Alle hatten so ein komisches Gefühl, wenn sie sich darin aufhielten. Und mancher "Verrückte" erzählte ihm, das er einen bleichen, in schwarz gekleideten Mann gesehen habe. Fred glaubte nicht an solche Dinge, aber er hörte sich alles geduldig an. Also fuhr er tagaus tagein seine Fahrgäste und wunderte sich über garnichts mehr. Da Fred in der Blüte seines Lebens stand, blieb es nicht aus, das eine Frau in sein Leben trat und die wahre Liebe ihn endlich erreichte. Ina, seine neue Liebe war anders als alle Frauen, die er bisher kennengelernt hatte. Sie legte Tarot-Karten und glaubte an das Unmögliche. Schon bald nahm er sie auf eine seiner Fahrten zur Mühle mit. Aber was in der nächsten Zeit passierte hätte Fred nie für möglich gehalten. Ina war leichenblass als sie aus der Mühle herauskam. Nur mit Mühe konnte er ihr entlocken, was sie dort erlebt hatte. Die Mühle war voll von Spukgestalten. Hauptsächlich Kinder hatte Ina gesehen. Aber was ihr solche Angst gemacht hatte, war dieser überaus bleiche Mann mit dem schwarzen Umhang. "Er ist das Böse". "Er hält die Kinder dort fest und lässt sie nicht ins Licht gehen". Ina war vollkommen aufgelöst. Fred versuchte sie zu beruhigen und langsam dämmerte ihm, das es dort etwas unheimliches gab. Seine Ina würde ihn nie belügen und ihr verwirrter Zustand sprach Bände. In seiner Verzweiflung versprach Fred die Kinder zu befreien.

6.Kapitel

Fred hatte endlich, nach monatelanger Suche, einen für ihn vertrauenswürdigen Menschen gefunden, der ihm bei der Befreiung der Kinder helfen sollte. Auch den "schwarzen" Mann, den er als Satan bezeichnete, wollte er aus der Mühle verbannen. Bedingung war jedoch, daß sich keine Besucher in der Mühle aufhielten, das es nachts geschehen müsse und das Ina und Fred dabeisein müssten.
Da Fred, unser Busfahrer, ein Versprechen abgegeben hatte, stimmte er allem zu. Sie trafen sich gegen dreiundzwanzig Uhr an der Mühle. Fred bemerkte bald, daß es Ina nicht gut ging. Sie war wieder blass und versuchte ihr Zittern zu unterdrücken. Er schob es jedoch auf ihre Angst, denn seit jenem Tage hatte sie die Mühle nie wieder betreten. Ihr "Helfer" war ein Mann in mittleren Jahren, grauer Anzug, graues Haar. So sah er ganz vertrauenswürdig aus. Er stellte sich als der "Dunkle Seher" vor, wie er sich auch schon im Internet nannte.
Langsam betraten die Drei die Mühle. Der "Dunkle Seher" stieg die alte Wendeltreppe empor und verlangte, daß sie unten warten sollten. Fred leuchtete mit seiner Taschenlampe alle Ecken ab. Die Zeit verging und ihnen wurde langweilig. Sie wollten aber ihren Helfer nicht stören und unterhielten sich flüsternd. Und plötzlich ging die Taschenlampe aus. Mit einem Schlag. Das Licht wurde vorher nicht schwächer. Nun bekam auch Fred Angst. Es war stockdunkel. Draußen hatte das Wetter umgeschlagen und es stürmte und regnete. Ein heller Blitz erleuchtete die Mühle und sie sahen in seinem Schein den bleichen blassen Satan, der mit langen messerscharfen Krallen auf sie zukam. Ihre Todesschreie übertönte ein lauter Donnerschlag.


7. Kapitel

Ina erwachte schweißgebadet und wagte nicht die Augen zu öffnen. War dies nun ein Traum oder die schreckliche Wahrheit? War sie tot, war Fred tot? Bei dem Gedanken an ihren geliebten Fred riss Ina die Augen weit auf. Die Sonne schien durchs kleine Mühlenfenster und Fred lag friedlich schlafend neben ihr auf einem Mehlsack. „Fred, Fred, bitte wach auf, sag das das alles nicht wahr ist“. Fred riss erschrocken die Augen auf und sah Ina verwundert an. „Da sind wir doch glatt eingeschlafen bei der langen Warterei. Was ist denn los? Wo ist der „Dunkle Seher“? Und Ina, warum weinst du?“
Nachdem Ina ihren furchtbaren Traum erzählt hatte und Fred sie beruhigend in die Arme geschlossen hatte, machten sie sich auf, die Mühle nach ihrem Gast abzusuchen. Sie kletterten bis ins höchste Gebälk und schauten sogar draußen im Wald nach ihm. Jedoch erfolglos. Der „Dunkle Seher“ blieb verschwunden.

8. Kapitel

Die Zeit ging dahin und der Alltag kehrte wieder ein. Doch vergessen war das mystische Erlebnis noch lange nicht. Der „Dunkle Seher“ war und blieb verschwunden. Nicht einmal seine Internetseite konnten sie wiederfinden. Fred hätte ja gerne alles vergessen, doch Ina brachte immer wieder das Gespräch auf die Mühle und drängte, daß sie nocheinmal allein hingingen. Ina wollte unbedingt wissen, ob sie die Kinder noch finden konnte und vielleicht auch den bleichen schwarzen Mann. Fred versuchte ihr alles auszureden und sie sollte doch Ruhe geben.
Eines Abends, als Fred nach Hause kam, hatte Ina ihre Tarot-Karten auf dem alten Holztisch ausgebreitet. „Liebling schau mal was ich hier sehe“. Fred trat näher an Ina heran und strich ihr zärtlich über den Kopf. „Schatz erklärs mir, du weißt doch, daß die Karten mir nichts sagen“.
Ina hatte vor Aufregung kleine rote Flecke im Gesicht. Sie schaute ihren Fred liebevoll an und nahm seine Hand. „Die Karten sprechen aber zu mir und sie sagen, die Kinder schreien nach Hilfe. Sieh doch hier diese Karte, das ist der Teufel, du weißt schon, der schwarze Mann.“ Und sieh mal hier, diese Karte, das könnte der „Seher“ sein. Wollen wir nicht doch noch mal zur Mühle?“ „Ach Inamaus, du gibst ja eh keine Ruhe, also soll es denn sein“
Noch lange saßen sie bei Kerzenschein in ihrer gemütlichen Küche und schmiedeten Pläne. Ihnen war klar, daß sie es ohne fremde Hilfe nicht schaffen würden. Wer aus ihrem Bekanntenkreis war geeignet? Einstimmig beschlossen sie Bernd und Elke einzuweihen. Und sie fragten sich, warum sie das nicht schon lange getan hatten. Aber Bernd und Elke wohnten in einer anderen Stadt und sie sahen sich nur selten, aber sie wußten auch, daß die Beiden ein seltsames Hobby hatten. Bernd und Elke besuchten nachts Friedhöfe in der Hoffnung dort Geister zu sehen und soviel sie wußten, klappte es auch manchmal. Ja, Bernd und Elke mußten helfen, sie waren ihre große Hoffnung.


9. Kapitel

Das Auto fuhr um die Ecke und vor ihnen lag ein kleines verträumtes Dorf. Ohgott seufzte Ina, so romantisch, hier müßte man wohnen oder mal Urlaub machen. Fred, der entspannt hinterm Steuer saß, lachte verschmitzt zu Ina hinüber. „Urlaub nicht gerade, aber eine Nacht werden wir hier zubringen, bevor wir weiter zu Bernd und Elke fahren. Es sollte eine Überraschung sein. Mein Bruder hat hier sein Wochenendgrundstück und mit seinem Einverständnis bleiben wir diese Nacht hier“. Ina fiel vor Freude ihrem Fred um den Hals, der dabei das Steuer verriss und sie hätten beinahe jemanden überfahren. Der „Jemand“ war durchaus nicht erschrocken und stand seelenruhig auf der Straße. Die Beiden stiegen schnell aus dem Auto und näherten sich dem Fremden. Dieser jedoch hob die Arme, wie um sie abzuwehren und rief: „Geht weg von hier, lauft was ihr könnt solange noch Zeit ist. Das Böse geht um und ihr werdet ihm nicht entkommen. Alle werden sterben.“ Und so plötzlich wie der Fremde aufgetaucht war, so war er auch verschwunden. Eine Weile standen Ina und Fred auf der Straße ehe sie ihre Sprache wiederfanden. „Lass uns schnell weiterfahren, mir ist ganz komisch“. Fred, dem die ganze Sache nicht geheuer war, fuhr los. Nur weg hier. Sie waren fast raus aus dem kleinen Dorf und zuckelten den letzten Anstieg durch den Wald, als ein Reifen mit lautem Knall platzte. Zum Glück fuhren sie nicht schnell und das Auto kam sofort zum stehen. Sofort machte sich Fred daran das Rad zu wechseln. Ina, die ein kleines Bedürfnis quälte verschwand hinter einem Busch. Keine Minute später kam sie schreiend und zitternd zum Auto zurück. „Fred, schnell steig ein, schnell mach die Fenster und Türen zu“! Nun saß auch Fred zitternd da . Er hielt Inas Hand und versuchte sie zum Sprechen zu bewegen. Aber das war nicht mehr nötig. Drei große Wölfe hatten sich um das Auto aufgestellt. Drei schwarze zottige unheimliche Wesen. Ina und Fred hielten sich fest an den Händen und jeder spürte den Pulsschlag des anderen. Die Wölfe hatten ihnen ihr Hinterteil zugekehrt, so als wollten sie das Auto bewachen. „Kannst du losfahren“ flüsterte Ina. „Nein, das Rad ist noch nicht drann“ presste Fred mühsam zwischen den Lippen hervor. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen und würde sie beide doch gern hier wegholen. Die Nacht senkte sich langsam hernieder und der Vollmond lugte zwischen dunklen Wolken hervor. Ina und Fred saßen wie festgeschweißt auf ihren Sitzen und wagten sich nicht zu rühren. Es wurde Mitternacht. Die Wölfe fielen aus ihrer Starre und fingen an zu heulen. Es hörte sich so schaurig an, das die beiden im Auto sich in die Arme nahmen und ihre Köpfe ineinander vergruben. Wielange sie da verkrampft und verängstigt gesessen hatten, wußten sie nicht mehr zu sagen. Der Morgen dämmerte bereits als sie sich voneinander lösten. Aller Spuk war vorbei. Die Wölfe waren fort und sie konnten endlich aufatmen.

10. Kapitel

Das rostige Friedhofstor quietschte laut durch die Nacht. Bernd und Elke gingen voran und Ina und Fred folgten ihnen. Sie waren gestern Abend noch glücklich bei ihren Freunden angekommen und nach dem ersten Austausch der Neuigkeiten kam das Gespräch auf Geister. Natürlich wurde auch von den Wölfen erzählt. Da kam Elke auf die Idee, doch morgen Nacht zu dem kleinen alten Friedhof in genau diesem Dorf zu fahren. Fred grummelte ein bischen herum, aber er wurde von den anderen überstimmt.
Und nun waren sie hier. Es war ca. eine Stunde vor Mitternacht. Die Frauen hatten die Kameras umhängen und die Männer hatten sich mit Äxten bewaffnet. Sie passierten die ersten Grabsteine. Ihr Ziel war die uralte Kapelle aus dem 15. Jahrhundert mit den alten halbverfallenen Grüften ringsum. Durch die knorrigen Äste schaute der Vollmond herab. Sie hatten genug Licht um den Weg zu finden. Vor einem Grab blieben sie stehen und zückten die Fotoapparate. Bald gelangten sie zur Kapelle. „Hier ist irgend was“ flüsterte Elke aufgeregt. Sie griff in ihre Handtasche und holte eine Kerze heraus. Die anderen schauten gespannt zu. Elke saß vor der brennenden Kerze und murmelte vor sich hin. Verstehen konnte keiner etwas, aber es waren wohl Hexensprüche. Es sah schon gruslig aus, Elke so von hinten zu sehen im flackernden Kerzenschein. Sie hob die Arme und ihre Stimme wurde laut und befehlend. Nach einiger Zeit löschte sie die Kerze und stand auf. „So, der böse Geist ist vertrieben. Er war nicht stark.“ Ina und Fred sahen sich an und einer konnte die Gedanken des anderen lesen - es war richtig die Beiden auszusuchen. Und nachher würden sie fragen, ob sie die Kinder aus der Mühle befreien wollten. Nun begaben sich alle zur ersten Gruft und lasen die alten Grabinschriften. Plötzlich schlugen die Kirchenglocken die Mitternacht. Danach war es totenstill. Doch was war das ? In der Ferne fing ein Wolf an zu heulen und andere stimmten mit ein. Es war ein schauerlicher Gesang. Als das Geheul sich näherte, umspannten die Männer fester ihre Äxte. Vom weiten sahen sie vor dem Friedhofstor so an die zwanzig Wölfe heranschleichen. Inzwischen war das Wolfsgeheul ohrenbetäubend. „Wir gehen in die Kapelle“ flüsterte Bernd und sie traten den Rückzug an. In der Kapelle war ein warmer heller Schein, doch sie konnten keine Lichtquelle entdecken. Von hier aus beobachteten sie das Geschehen.
Die ersten Wölfe sprangen schon gegen das rostige Friedhofstor, das bedenklich knarrte. Es war nur eine Frage der Zeit, wann es nachgeben würde. Doch plötzlich verstummten die Wölfe und sie sahen, wie sich drei große schwarze Wölfe vor die Meute stellten. Die anderen Wölfe zogen ab. Die Schwarzen schickten ihnen ihr Geheul, das durch Mark und Bein ging, hinterher.
„Wartet hier“ sagte Elke und ging mit Bernd zu den drei Wölfen. Bernd hatte seine Axt Fred übergeben und hatte nun ein hölzernes Kreuz in der Hand. Elke ging mit vorgestreckten Handflächen auf sie zu. Etwa einen halben Meter vor dem Gittertor blieben sie stehen. Das unerträgliche Geheul verstummte und die Wölfe verschwanden in der Dunkelheit.
Auf dem Heimweg erklärte Bernd, daß sie sich vor den drei schwarzen Wölfen nicht fürchten müssen. „Die Drei beschützen euch, wo ihr auch seid. Wenn ihr sie nicht seht, werdet ihr sie spüren.“ Nun erzählten Ina und Fred von ihrem Anliegen. Elke und Bernd waren begeistert. „Natürlich helfen wir euch. Nächste Woche hat Bernd Urlaub.“
„Wir werden die Kinder befreien“!!!

Kapitel 11

Sand und Scherben knirschten unter ihren Füßen. Die Sonne stand hoch am Himmel und strahlte mit voller Kraft. Es hatte seit Wochen nicht geregnet und das einst saftige Gras war blass und vergilbt. Ina und Elke durchquerten das kleine Waldstück und standen bald vor der Mühle. Fred hatte die Besucher wohl schon weggefahren, denn es war keine Menschenseele zu sehen. Aber er hatte versprochen die Mühlentür nicht abzuschließen. Elke wollte sich die Mühle bei Tageslicht besehen um einen ersten Eindruck zu bekommen. Und was für einen Eindruck sie bekam...Schon an der Tür verspürte sie eine gewaltige Kraft und es war nichts gutes. Trotzdem ging sie mutig weiter und stieg die knarrende Wendeltreppe empor. Oben sah sie die Kinder. Wie kleine weiße Schatten standen sie zusammengedrängt am Geländer. Elke stellte sich genau vor sie hin und streckte ihnen die Handflächen entgegen. Da spürte sie ein unwarscheinlich schönes Gefühl. "Ich werde wiederkommen und euch helfen", sagte sie leise und ging wieder zu Ina, die an der Tür stehengeblieben war. „Ina, was ist, hast du auch diese seltsame Angst?“. Ina nickte nur und verließ langsam und schleppend die Mühle. Erst auf dem Nachhauseweg sprachen beide über ihre Eindrücke. Elke und Ina waren sich einig, daß unten in der Mühle das absolute Böse herrschte.
Zuhause beratschlagten alle vier wie sie vorgehen wollten. „Bernd, ich schaffe das nicht allein, meine Kraft reicht nicht. Wir müssen Satan gemeinsam bannen.“ „Ina, du kannst ihn doch sehen, also kannst du auch helfen und Zaubersprüche aufsagen.“ „Fred, dich würde ich bitten zu den Kindern hinauf zu gehen und sag ihnen sie brauchen keine Angst zu haben, alles wird gut.“ Elke verteilte die Aufgaben und suchte nebenbei in ihrer Tasche nach den Utensilien, die sie mitnehmen wollte. Nun stand es fest. Sie wollten schon morgen Nacht zur Mühle.
"Mädels schnell kommt her, wo ist Bernd, ich muß euch unbedingt was erzählen." Fred sprudelte schon vom weiten die Sätze raus und überschlug sich fast. Und was sie jetzt zu hören bekamen verschlug allen die Sprache. „Heute waren geschniegelte Herren in feinen Anzügen in der Mühle. Sie haben sich alles genau angesehen. Soviel wie ich mitbekommen habe, war ein Makler dabei und ein Anwalt. Einer von ihnen war, glaub ich, ein Architekt. Die Mühle wurde verkauft.“ „Schluß - Aus !“ „Ich mußte den Schlüssel abgeben“. Alle saßen da und starrten ins Leere. So war das nicht geplant und was sollte aus den Kindern werden. Zu allem Unglück hatte Fred nun auch keine Arbeit mehr. Elke fand als erste die Sprache wieder. „Wenn sie dort umbauen, ob sie wohl den Satan samt Kinder vertreiben? Und wenn nicht, wird es dann dort weiterspuken und Mord - und Totschlag geben?“ Niemand antwortete. Der Schock saß zu tief. Sie saßen noch bis spät in die Nacht und suchten nach einem Ausweg. Endlich wurde beschlossen, mit einer Leiter ein Fenster zu erreichen um dann in die Mühle einzusteigen.


12. Kapitel

Den nächsten Tag nutzte man, um noch einmal das kleine Dorf, wo sie so seltsames auf dem Friedhof erlebt hatten, zu besuchen. Sie hofften auch, diesen Mann wiederzufinden, der sie aus dem Dorf vertreiben wollte. Sie hatten Glück mit dem Wetter. Es war ein wunderschöner Spätsommertag. Die Häuser lagen friedlich in der Mittagshitze. Sie liefen durch die engen Straßen, konnten aber nichts besonderes feststellen. In einem kleinen Laden wollten sie sich Getränke kaufen, fanden jedoch niemanden, wo sie bezahlen konnten. Nach einiger Zeit riefen sie laut „Kundschaft“! Nichts geschah. Nun gingen sie durch eine kleine eiserne Tür. Der Raum dahinter hatte keine Fenster. Auf der Erde standen drei schwarze Kerzen und verteilten ihr flackerndes Licht in den scheinbar von Gerümpel überladenen Regalen. Plötzlich flog mit dumpfen Knall die Tür hinter ihnen zu. Auch ein dagegenstemmen, schreien und klopfen half nichts. Die Tür blieb verschlossen. Zum Glück hatten sie ihre Getränkeflaschen in der Hand, verdursten würden sie nicht. Wohl stundenlang versuchten sie die Eisentür zu öffnen, aber in all dem Gerümpel was herumlag, konnten sie nichts Brauchbares finden. Irgendwann brannten auch die Kerzen nieder und es wurde stockdunkel. Endlich begriffen sie, daß sie vorläufig hier nicht herauskamen. Sie mußten einfach abwarten was weiter geschehen würde.
Es muß wohl Mitternacht gewesen sein, als sie aus ihrem Dämmerschlaf erwachten. Und wieder hörten sie das Heulen der Wölfe, die wie von Sinnen an der eisernen Tür kratzten. Elke murmelte ihre Zaubersprüche. Ina und Fred saßen eng umklammert in der Ecke. Nur Bernd war aufgestanden und tastete sich zur Tür vor. Als er sie berührte, zuckte er mit einem Aufschrei zurück. Die Tür war glühend heiß. Irgendwann kehrte Ruhe ein und ihnen wurde aufgeschlossen. Vor ihnen stand der fremde Mann von der Straße, den sie gesucht hatten. Er forderte sie auf ihm zu folgen und führte sie in ein gemütliches Kaminzimmer.
Und der Mann fing an zu sprechen. „ Ich mußte euch leider einsperren, es war zu eurem Schutz. Ich habe euch schon einmal gewarnt. Warum gebt ihr nicht auf und lasst alles wie es ist“? Sie sahen ihn stumm an, was würde er ihnen noch erzählen. Er fuhr fort : „Ich beobachte euch schon lange und versuche zu helfen, aber meine Macht reicht nicht, das Böse zu verbannen. Ich habe versucht euch als der „Dunkle Seher“ zu helfen. Ich schickte euch die drei schwarzen Wölfe. Ich sperrte euch hier ein um euch zu schützen, aber ich merke, ihr werdet nicht aufgeben. Also nehmt mich in eurem Bund auf und lasst mich helfen. Wir werden es gemeinsam schaffen und die Kinder befreien.“

13. Kapitel

Vor der Mühle war es stockdunkel. Auch der Mond sendete ihnen keinen Lichtstrahl, da er sich hinter schwarzen dicken Wolken versteckte. In der Ferne zuckten Blitze und ein leises Donnergrollen war ab und zu zu hören. Die Luft war schwül und die Natur wartete auf Regen.
Sie waren nun zu fünft. Der Dunkle Seher hatte ihnen gestern erklärt, wie sie vorgehen würden. Es war ein Kinderspiel ein Mühlenfenster von außen zu öffnen und sie kletterten über die Leiter hinein. Nachdem der Seher einen Kreis mit Kerzen aufgestellt hatte, konnte man beobachten, was er weiter tat. Er verteilte viele Steine um den Kreis und legte in die Mitte ein Kreuz und verschiedene Pflanzenteile. Nun stellten sich alle um den Steinkreis herum und fassten sich an den Händen.
Sie mußten nicht lange warten. Obwohl sie darauf vorbereitet waren, traf es sie doch wie ein Schlag und die Haare standen ihnen zu Berge. Satan war da. Er war in der Mitte des Kreises und versuchte seine Macht gegen sie auszuspielen. Alle konnten ihn sehen. Sein schwarzes Gewand, seine glühenden Augen, sein bleiches Gesicht, welches wutverzerrt sie anstarrte und seine langen messerscharfen Krallen. Das schlimmste aber war die unerträgliche Hitze.
Sie fassten sich noch fester bei den Händen und schrien dem Teufel ihre Zaubersprüche entgegen.
Das Gewitter tobte jetzt über der Mühle, aber sie spürten nichts. Immer und immer wieder wiederholten sie die magischen Worte. Der Teufel wand sich und gab grausame Todesschrei von sich. Sein schwarzer Umhang stand in Flammen. Er raste als gräßliche lodernde Fackel im Kreis herum.Jetzt brannte auch die Kleidung der anderen. Aber keiner wich zurück. Sie schrieen nur noch lauter und wütender.
Plötzlich tat sich die Erde unter dem Teufel auf und er verschwand darin. Ein greller Blitzstrahl, der von einem ohrenbetäubendem Krachen begleitet wurde, schlug hinter ihm in den Höllenschlund.

Tiefe Stille und Ruhe. Dunkelheit.
Langsam lösten sie ihre verkrampften Hände voneinander. Nach einiger Zeit kam ein helles Licht von oben und sie schauten die Wendeltreppe empor. Kleine weiße Gestalten flogen dem Licht entgegen. Dann wurde es wieder dunkel. Aber ein warmes tiefes Gefühl der Geborgenheit breitete sich aus. Vorsichtig tasteten sich alle aus der Mühle und stiegen die Leiter hinunter. Draußen spendete der Vollmond sein Licht und alles Unwetter war vorbei. Nun merkten sie auch, daß der Dunkle Seher nicht mehr unter ihnen weilte. Soviel sie auch suchten - Er war und blieb verschwunden.


....Ende des 1. Teils......