Da stand es vor mir. Mein erstes eigenes Auto. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Ein himmelblauer Trabant. Ich schaute ihn von allen Seiten an. Er kam mir riesengroß vor.
Ich blätterte meine 400DM hin und schwang mich auf den Sitz. Vorsichtig machte ich mich auf den Heimweg und las brav alle Verkehrsschilder. Naja, bei meinem Tempo war das auch gut möglich. Kurz vor dem Ziel wurde ich mutiger und beschleunigte rasant auf 40kmh. Was war das für ein tolles Gefühl so ein Schlachtschiff zu steuern. Nach läppischen zehn Einparkminuten hatte ich dann mein Auto in einer riesigen Parklücke akkurat abgestellt. Ich war immer noch stolz.
Ab nun wollte ich nicht mehr mit dem Fahrrad fahren, schließlich mußte ich üben. Also fuhr ich täglich auf vier Rädern zur Arbeit. Mit dem Fahrrad hätte ich fünf Minuten benötigt, mit meinem neuen, eigentlich gebrauchten, Trabi benötigte ich nach einiger Übung zehn Minuten. Das lag aber ganz gewiss nicht an mir. Denn immer, wenn ich fahren wollte, kam mir ein anderes Auto entgegen und ich mußte mir eine Lücke suchen und warten.
Allen Kolleginnen zeigte ich meine neue Errungenschaft und ließ mich bewundern. „Klasse, dass du in deinem Alter noch mal anfängst zu fahren, ich trau mich nicht“, waren die häufigsten Kommentare. Ich nahm es als Kompliment.
Nach ein paar Tagen verging mir etwas das Vergnügen am Fahren. Mein Liebster sprang nicht an. Anfangs schoben die Kolleginnen mich ja noch gern an und hatten ihren Spaß und lästerten was das Zeug hielt. Später fragte ich dann doch lieber starke Männer, die gerade in Reichweite waren. Zumindest konnte ich dann mit 20kmh im Schneckentempo nach Hause fahren. Fachmännisch machte ich dann vor der Haustür die Motorhaube auf und wechselte die Zündkerzen. Immer in der Hoffnung, die Nachbarn würden mich bei meiner schweren, komplizierten Arbeit bewundern.

Eine Stunde später saß ich wieder im Auto. Meine Freundin daneben. „Komm, wir fahren einkaufen.“ „Aber zuerst müssen wir tanken, sonst bleiben wir stehen“, war meine Antwort. Und ich war wieder mal aufgeregt. Wußte ich doch nicht mal, was ich für eine Sorte Benzin brauchte. Und überhaupt, wie tankt man, wie geht das? Zur Tankstelle zu kommen, war kein Problem, aber an die Zapfsäule zu kommen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die Säule sich ständig woanders hinstellt. Nachdem ich über die Bordkante hoppelte und total quer stand, erbarmte sich der Tankwart und kam mit einem Lächeln auf mich zu. „Junge Frau, darf ich ihnen helfen? Sie tanken das erste mal?“ Mit hochrotem Kopf nickte ich und überließ ihm den Rest. Zugeschaut, wie alles funktionierte, hatte ich nicht. Mir war das alles zu peinlich. Egal, ich hatte einen vollen Tank und konnte wieder stolz wie ein König, durch die Stadt brausen.
Im dicksten Verkehrsgewühl fand ich sofort einen Parkplatz, und, oh Wunder, ich parkte ohne langes hin und her sauber ein. Nun konnten wir zwei Weiber einkaufen gehen. Doch als wir nach Hause wollten, sprang er wieder mal nicht an. Was nun? Ersatzzündkerzen hatte ich nicht mit. Vor mir parkte ein schwarzer dicker Audi und der Besitzer wollte grad einsteigen. „Entschuldigung, können sie mir helfen, mein Auto springt nicht an.“ Der Mann im schwarzen Anzug, weißes Hemd, schwarzer Schlips, sah mich freundlich an. „Selbstverständlich, wo steht denn ihr Auto?“ Und er sah sich suchend um. Als ich auf meinen Himmelblauen zeigte, winkte er nur müde ab. „Tut mir leid, mit sowas kenne ich mich nicht aus. Aber ich bin Vertreter vom ADAC und sie sollten sich da anmelden, dann werden sie kostenlos abgeschleppt.“ Dabei zog er schon einen Vertrag aus seinen Papieren, die er unter den Arm geklemmt hatte. Ich lehnte dankend ab und rief einen Kumpel an, der mir am Telefon eine halbe Stunde erklärte, was ich alles ausbauen und reparieren sollte. Ich verstand nichts von den vielen Fachbegriffen und verabschiedete mich.
Nachdem wir fast eine Stunde quer durch die Stadt gelaufen waren, um neue Zündkerzen zu erstehen, konnte die Fahrt glücklich fortgesetzt werden. Was war das für ein aufregender Tag.

Einige Tage später mußte ich zum Einkaufszentrum. Stolz, wie immer fuhr ich die vorgeschriebenen 50kmh als mich eine Polizeikontrolle stoppte. Ich reichte die Papiere rüber und sie wurden genau untersucht. Leider auch mein liebstes Stück. „Ihr TÜV ist abgelaufen, meine Dame, das gibt eine Strafe!“ Was? Wie? TÜV? Mein Herz raste und die Tränen schossen mir in die Augen. „Was wird das denn kosten?“ „Na mit 80DM müssen sie schon rechnen. Hier ist ein Beleg, den lassen sie beim TÜV unterschreiben und schicken ihn uns dann zu. Wir schicken ihnen dann den Strafzettel.“
Zum Einkaufen bin ich nicht mehr gefahren. Hab mir gleich einen Termin bei einer Werkstatt geholt. Den Schein für die Polizei habe ich auch pflichtgemäß abgeschickt, aber eine Strafe brauchte ich nie bezahlen. So hatte ich wieder mal Glück.
An einem Wochenende fuhren meine Freundin und ich von der Stadt weg, aufs Dorf. Sie wollte bald ihren Führerschein machen und mit mir üben. Ja klar konnte ich ihr alles beibringen, ich hatte doch schon ein paar Monate Übung. Auf einem abgelegenem Feld tauschten wir die Plätze. Mit ruhiger Stimme gab ich meine Anweisungen. Schließlich wollte ich nicht so schreien wie mein Fahrlehrer, der an mir fast verzweifelte. Der Trabi hoppelte gehorsam über die Furchen und tat was man von ihm verlangte. „So, vorwärts kannst du fahren, jetzt fahren wir rückwärts, aber schön langsam.“ Auch das klappte anfangs, doch irgendwie wurde das Auto immer schneller. Es ging ja auch bergab. „Bremsen“, sagte ich leise. „Bremsen!“, sagte ich etwas lauter. „Du mußt bremsen“, schrie ich sie an. Doch es war schon zu spät. Ein Drahtzaun hatte uns gestoppt. Wir saßen da und schauten uns an. Dann lachten wir los und konnten uns lange nicht beruhigen.

Mein Himmelblauer hatte alles gut überstanden und nur ein paar kleine Kratzer abbekommen. Es war Zeit nach Hause zu fahren. Auf der Hauptstrasse gab ich Gas, hier durfte ich 80kmh fahren. Aber soviel ich auch das Gaspedal durchdrückte, mein Auto wollte nicht schneller fahren. Dann roch und sah ich den Schlamassel. Die Handbremse war noch angezogen. Was solls, kann ja mal passieren.
Die nächste Woche mußte ich zur Ärztin, ein Rezept abholen. Gelaufen wäre ich fünf Minuten, aber ich hatte mir geschworen immer zu fahren. Jeder sagte mir: Übung macht den Meister.
Ich hätte besser laufen sollen, denn die Straße dort war so eng, dass gerade mal zwei Autos nebeneinander passten und es war eine Sackgasse. Für einen guten Autofahrer kein Problem. Für mich schon. Ich fahr hin, parke, fahre rückwärts zurück und die Sache ist geritzt, dachte ich. Es ging auch alles prima, bis auf das Rückwärtsfahren. Links neben mir Gartenmauern, rechts neben mir parkende Autos. Die Autos wollte ich auf keinen Fall rammen. Die Gartenmauer zwar auch nicht, aber es ging nun mal nicht nach mir. Ratsch, war der Spiegel ab, ratsch war der Türgriff ab und die Mauer war plötzlich himmelblau. Irgenwie bin ich noch bis vor meine Haustür gekommen und bis ans Telefon. Ein Kumpel sollte helfen.

Er war wirklich lieb und verkniff sich sämtliche Kommentare. Er fuhr in die Stadt, kaufte einen Spiegel,Türschlösser und Griffe. Nach der Reparatur überreichte er mir die neuen Schlüssel. Ich hab ihn gedrückt vor Freude, mein Trabi war wieder fahrbereit. Na und die Schramme an der Seite mußte ich verschmerzen. Die Farbe klebte noch lange an der Gartenmauer.
Nach zwei Tagen wollte ich etwas aus dem Kofferraum nehmen, doch kein Schlüssel passte. Wieder rief ich meinen Kumpel an. Der war ziehmlich zerknirscht und sagte mir, dass die neuen Schlüssel nur für die beiden Türen sind. Mein altes Schlüsselbund hat er entsorgt und damit auch den Schlüssel für den Kofferraum. Jedoch eine Stunde später stand er vor meiner Tür und gab mir den Schlüssel. Er hatte ihn in die Mülltonne geworfen, welche zum Glück noch nicht geleert worden war. Vor den Augen der hämischen Nachbarn, hatte er die Mülltonne ausgekippt und darin gewühlt, bis mein ersehnter Schlüssel zum Vorschein kam. Ein wahrer Freund.

Einmal klingelte meine Nachbarin bei mir und bat mich, sie schnell zum Amt zu fahren, weil sie gleich zumachen und sie müßte heute noch was klären und ihr Mann ist noch auf Arbeit. Natürlich half ich meiner redseeligen Nachbarin gern und fuhr nach ihrer Anweisung. Plötzlich war die Straße zu Ende. Es war nicht mehr weit und sie hätte laufen müssen. Doch das wollte sie scheinbar nicht. „Fahr einfach weiter, die machen gleich zu.“ Ich fuhr also über den Fußweg auf eine große Wiese bis zum Ziel. Sie sprang heraus und war nach 10 Minuten wieder da. Ich hatte 10 Minuten mitten auf der Wiese geschwitzt vor Angst. Ich wußte schon, dass ich hier nicht fahren durfte. Aber nun wollte ich es besser machen und nahm einen anderen Weg. Meine Nachbarin schwatzte munter drauf los. Sie wußte nicht, was ich für ein mieser Autofahrer bin und auf keinen Fall abgelenkt werden durfte. Und es kam was kommen mußte. Ich hatte wohl zu ihr rüber gesehen, als sie laut aufschrie. Vor uns, knapp vor uns, schlurfte ein Rentner über die Straße. Ja, ich konnte noch bremsen, aber der Schreck saß mir lange in den Gliedern. Hier hörte der Spaß auf. Zumindest für mich. Meine liebe Nachbarin machte noch ein Witzchen, von wegen gutes Werk getan und brauchten keine Rente mehr zahlen. Früher habe ich auch über den alten Witz gelacht. Jetzt sagte ich garnichts mehr und fuhr verbissen weiter. Verstört, würde eher passen, denn als ich später abbiegen mußte, passte ich wieder nicht auf. Zum Glück hat die Straßenbahn gute Bremsen. Erst mal saß ich wie gelähmt, doch die Fahrerin winkte mir, ich sollte weiter fahren.
Nach diesem Erlebnis beschloß ich nicht mehr zu fahren. Doch alle redeten auf mich ein, du mußt weiter fahren, du bekommst bald Routine. Und ich fuhr.

Ja ich fuhr bald wieder und zwar einen Audi. Aber der gehörte mir nicht, sondern meinem Freund. Ich fuhr also mit meiner Freundin Richtung Hamburg und ich sollte das erste mal Autobahn fahren. Was war ich wieder aufgeregt, würde ich das packen?
Die erste Hürde war die Autobahnauffahrt. Wieso war die so kurz? Und wieso fuhren die alle so schnell? Ich fuhr also erst mal bis zum Ende der Auffahrt und schaute dann in den Rückspiegel. Ständig kamen von hinten Autos, darunter auch riesige Brummis. Keiner wechselte die Spur um der gnädigen Frau Platz zu machen. „Fahr doch endlich“, quengelte meine Freundin. „Nee, das schaff ich nie, guck doch mal wie schnell die sind.“ Zum Glück hatte meine Freundin eine gute Idee. „Du fährst jetzt rückwärts die Auffahrt zurück und dann nimmst du Anlauf und kannst dich gut einfädeln.“ Das hat dann auch toll geklappt und wir sind ohne Zwischenfälle angekommen.
Zwischendrinn mußten wir eine Umleitung fahren. Ich vornweg und hinter mir viele, viele Autos. Ich befolgte genau die Schilder und fuhr nur 30kmh. Und die Straße zog sich dahin und wir kamen kaum vorwärts. Naja, ich gab Gas und fuhr 40. Die Autos hinter mir fuhren auch 40. Ich gab noch mehr Gas und fuhr 50kmh und die Autos klebten an meiner Stoßstange. Hah, ich gab also das Tempo an, dann wollen wir mal ein bisschen spielen. Ich fuhr mal 30, mal 40, mal 50 und alle fuhren brav das gleiche Tempo. Sie werden wohl heute noch fluchen über die bekloppte Autofahrerin.

Doch der Audi gehörte mir nicht und so fuhr ich weiter Trabi, so recht und schlecht.
Eines Tages ging garnichts mehr. Er blieb stehen und weder gutes Zureden noch gegen die Reifen treten half. Mein Himmelblauer wollte nicht mehr. Jetzt war guter Rat teuer. Ich schob ihn an den Straßenrand und bestellte meinen Freund her. Fachmännisch besah er sich den Schaden, mit der Feststellung: „Die Antriebswelle ist gebrochen, ich muß dich abschleppen. Das Beste wird sein, du fährst den Audi und ich den kaputten Trabi. Aber fahr nicht so schnell!“ Mein Trabi wurde angeseilt, ich stieg in den Audi und los ging die Fahrt. `Fahr nicht so schnell`, hatte ich noch in den Ohren, aber fragen, wie schnell ich fahren sollte, konnte ich nicht mehr. Ich war auf mich allein gestellt. Erst fuhr ich 30kmh und dann dachte ich, das wäre zu langsam. Denn für meinen Freund waren 40 oder 50kmh nicht schnell. Da ich alles richtig machen wollte, fuhr ich erst mal 40. Dann mußte ich abbiegen über die Straßenbahnschienen. Vom Weiten sah ich die Bahn kommen. Kein Problem, dachte ich, ich bieg ja jetzt ab. Doch da Gegenverkehr war, mußte ich warten. Mein Freund hat wohl Todesängste hinter mir ausgestanden und sah sich schon von der Bahn überrollt. Doch diese hat ja auch Bremsen. Und weiter gings. Bin ich vielleicht zu langsam, dachte ich ängstlich. Soll ich mal 50 fahren? Eine Ampel, die auf rot stand beendete meine Zweifel. Meine Tür wurde aufgerissen und ich wurde dienstgradmäßig zusammengeschissen, dass ich viel zu schnell bin. Boh, war ich erschrocken und sah zum Trabi hin, der qualmte, da mein Freund mich versucht hatte auszubremsen. Den Anschiss hatte ich mir verdient. Aber, das nächste mal bitte klare Anweisungen mit kmh und so. Ich armes Anfängerabschleppschwein. Von nichts Ahnung, aber Auto fahren.

Der Sommer war vorbei und mein Himmelblauer fror auf der Straße. Nix mit Garage. Jedes mal, bevor ich zur Arbeit fuhr, kratzte ich Eis und Schnee von meinem Liebling. Das dauerte natürlich ewig. Zu Fuß wäre ich schneller auf Arbeit gewesen. Das nächste Problem war, dass die Innenscheibe ständig beschlagen war und ich immer wischen mußte, dass ich überhaupt was sehe. Natürlich hat man Heizung, doch die war so armseelig, das sie es nicht schaffte. Und dazu das Problem mit den Zündkerzen. Es machte einfach keinen Spaß mehr. Außerdem wußte ich inzwischen, wie ein richtiges Auto fahren muß, hatte ich doch den Audi mehrmals benutzen dürfen.
Nein, ich wollte nicht mehr Trabi, nicht mehr Himmelblau. Und schon garnicht im Winter.
Und so trennte ich mich schweren Herzens vom himmelblauen Trabi.
Seitdem sind die Straßen wieder sicher. Mutti fährt nicht mehr. Nie wieder!