Jetzt warfen die Leute Steine auf sie

(Berlin)

„... Als ich am 16. ... auf dem Weg in die Brunnenstraße war, um bei der Glasfirma Müller & Co. Glasgeräte für mein Laboratorium einzuhandeln, da stieß ich an der Ecke Reinhardt-Straße/Friedrichstraße auf einen Trupp von Bauarbeitern in den üblichen Arbeitskleidern, mit den weißen Mützen, mit den weißen Hosen und den Jacken, und ganz wenig Zivilisten, was mich damals schon erschüttert hat, nachdem ich die ersten Parolen rufen hörte: Nieder mit der Normentreiberei! Dieses „Treiberei" hat sich bei mir eingeprägt, und ich war beschämt, daß so wenig Zivilisten dabei waren. Es liefen 'n paar aufm Bürgersteig. Ich hab mich aber dann direkt in die Kolonne eingereiht, was eventuell sehr gefährlich hätte werden können, weil ich nun fragte: „Was habt ihr für Motive, wo kommt ihr her, was wollt ihr, was beabsichtigt ihr, wer sind eure Führer, wie ist das entstanden?", weil mich die ungeheure Spontaneität mitten im tiefsten Stalinismus so überraschte und gefesselt hat, daß ich also laufend um mich fragte.

Als wir die Wilhelm-Pieck-Straße runtermarschierten, mit dem Lautsprecherwagen, der umgedreht worden war, vorneweg ..., da passierte dieser Lawineneffekt, daß in der Wilhelm-Pieck-Straße sich so viele Menschen anschlossen und der eigentliche Kern der Bauarbeiter irgendwie so'n bißchen zersplittert wurde, daß also die Straße in der ganzen Breite von Demonstranten ausgefüllt war... Dann hieß es: „Wir marschieren zum Polizeipräsidium!" Ich bummelte da irgendwie mit im letzten Viertel von dem Zug, fragte immer wieder Leute, welche Motive sie hätten, ob sie von Anfang an dabei waren. - Vor dem Polizeipräsidium drängte sich eine große Menschenmenge, Scherengitter waren runtergelassen, die Leute rüttelten an den Gittern, und es hieß: „Wir stürmen das Polizeipräsidium!" Oben guckte immer wieder mal ein verschüchterter, uniformierter Kopf raus und ging sofort wieder zurück.
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