Jonny Haegebarth
Ein glühender Kesselboden am Kranhaken


(Magdeburg)
Eigentlich kam vieles zusammen an Ursachen, Anlässen, Erscheinungen und Ereignissen. Vieles in kurzer Zeit mit wechselndem Gesicht.

Ich war damals 20 Jahre alt, APO-Sekretär einer kleinen Gruppe von Mitgliedern der SED und arbeitete als Maschinenschlosser im Betrieb Buckau-Wolf, Betriebsteil „Alte Bude" im Stadtteil Buckau. Es handelte sich dabei um eine Sowjetische Aktiengesellschaft (SAG). Unsere gesamte Produktion (Walzwerke, Bagger, Pumpen, Dampfmaschinen, Pressen usw.) ging in die Sowjetunion. Im Vergleich zu den in volkseigenen Betrieben, der Privatwirtschaft oder den Verwaltungen Beschäftigten hatten wir einen besseren Verdienst und erhielten gute Lebensmittelkarten. Trotzdem war die Stimmung auch bei uns nicht hervorragend. Unsere Arbeitsergebnisse gehörten der Sowjetunion, und unser eigener Wiederaufbau sowie die Versorgung der breiten Bevölkerung kamen nicht voran. Heute wissen wir, daß der kalte Krieg den Menschen der DDR viel abverlangte, aber auch die sowjetische Führung nicht genügend Weitsicht bewies. Die Segnungen des Marshallplanes für die BRD in Verbindung mit der bekannten Demagogie ihrer Politiker taten ein übriges, die Situation bei uns zuzuspitzen. Hinzu kam, daß die durch die Partei- und Staatsführung gegebene Orientierung sich mehrfach änderte und beispielsweise in der Normenpolitik große Fehler gemacht wurden. Deshalb gab es eigentlich stets sehr viel Diskussionsstoff zwischen meinen Genossen und Kollegen sowie im Sportverein.

Wir saßen auch am Abend des 16. Juni 1953 nach dem Training noch im Sportheim Zielitzer Straße zusammen, aber diesmal spielten politische Themen in unserem Gespräch überhaupt keine Rolle, geschweige denn irgendwelche Vorbereitungen für Streiks und Demonstrationen.

Am frühen Morgen des 17. Juni 1953 fuhr ich gemeinsam mit einem Freund zur Arbeit, der bei Schäffer und Budenberg beschäftigt war. Wir mußten nahezu die ganze Stadt durchqueren. Alles war ruhig, Bekannte und Kollegen grüßten uns - es gab keine Hinweise auf Außergewöhnliches. Das galt auch für den Betrieb. Wir jungen Kollegen alberten wie immer beim Umkleiden etwas herum und gingen dann zu unseren Arbeitsplätzen.

Gegen 8 Uhr fragten mich die ersten Genossen und Kollegen, was denn in Berlin los sei. Im Rundfunk sei gemeldet worden, daß die Bauarbeiter streiken. Ich konnte dazu nichts sagen, denn ich hatte kein Radio, und unsere zentrale Parteileitung hielt sich bedeckt..

Nach dem Frühstück - es war etwa 10 Uhr - verlangte ein Trupp Arbeiter aus dem Krupp-Gruson-Werk Einlaß in unseren Betrieb. Als man sie nach einigem Zögern hereingelassen hatte, forderten sie unsere Kollegen zum Streik auf und riefen wiederholt, „der Spitzbart" müsse weg - womit sie wohl Walter Ulbricht meinten. Da sich jedoch niemand so recht für ihr Tun erwärmte, zogen sie wieder ab. Ein ähnlicher Trupp wollte die Schmiede unseres Betriebsteils Salbke zum Streik bewegen. Aber die hängten einen glühenden Kesselboden an den Kranhaken und sperrten damit ihr Eingangstor

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