y
Günther Urzynicok:
Hier gibt es Land umsonst!

1945 wurde ich aus englischer Gefangenschaft in die damalige englische Besatzungszone entlassen. Arbeit fand ich als Landarbeiter auf einer Domäne im Detmolder Land. Hier erreichte mich ein kurzes, aber bedeutsames Telegramm. Mein Vater telegrafierte aus Thüringen: „Komm zu uns, hier gibt es Land umsonst!“

Umgehend packte ich meine Sachen und ging über die grüne Grenze zu meinem Vater. Da es in Thüringen nur wenig aufzuteilende Güter gab, schickten wir nach kurzem Familienrat Vater auf „Landsuche“ in Richtung Oderbruch. Er fuhr über Berlin, doch schon dort riet man ihm ab, im Oderbruch, meist schwer kriegszerstört, zu siedeln. „Fahr in den Kreis Prenzlau“, sagten gute Freunde zu meinem Vater, „dort findest du reichlich Land, das an Neubauern vergeben wird!“ Vater folgte dem Rat, fuhr nach Prenzlau und von dort nach Dedelow.

Als der dortige Bürgermeister hörte, daß vier Männer zur Familie Urzynicok gehörten, erhielt Vater zwei Siedlungen. Sie lagen auf dem damaligen Vorwerk von Dedelow in Steinfurth, reichlich drei Kilometer vom Ort entfernt. Der Boden war gut, und in den Ochsenstall des Vorwerks - es war noch das am besten erhaltene Gebäude - ließ sich auch eine Wohnung einbauen.

Am Anfang hatten wir es in der neuen Heimat sehr schwer. Zwei von uns arbeiteten auf dem Feld. Viele Mühe bereiteten uns die unzähligen Disteln. Die beiden anderen bauten am Haus. Licht, Wasser und eine feste Straße gab es damals noch nicht. Es fehlte in unseren Neubauernsiedlungen einfach an allem!

Viel half uns Neubauern die VdgB. Wir erhielten einiges Inventar. Geräte, Dünger und Vieh wurden so gerecht wie möglich verteilt. Wir bekamen sogar ein Pferd. Es war auf einem Auge blind, zog aber dennoch gut. Dazu kamen vier Küken. Leider waren, wie sich bald zeigte, drei Hähne darunter. Steine für den Hausbau holten wir uns von der Schloßruine in Dedelow.

Eine entscheidende Hilfe beim Bau von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden war der Befehl Nr. 209 der SMAD, der uns die umfangreiche Unterstützung von Kreis und Gemeinde sicherte. Unser Neubauerndorf wuchs in den folgenden Jahren schnell. Bereits 1952 konnten die 90 Einwohner (25 Familien) nach harter gemeinsamer Arbeit das „Lichtfest“ feiern. Alle Höfe hatten nun elektrisches Licht. Zwei Jahre später entstand aus Eisenschlacke die erste feste Straße von Steinfurth nach Dedelow. Inzwischen hatte sich das Neubauerndorf Steinfurth, das wirklich ein ganz neues Dorf war, in einen Ort mit gut entwickelten Mittelbauernwirtschaften verwandelt. Unsere Erträge waren auf Grund der guten Bodenverhältnisse recht hoch. Das Vieh in den Ställen gedieh prächtig; doch je mehr dazu kam, um so schwerer wurde die Arbeit, desto mehr wuchsen die fachlichen Anforderungen.

Anfang der fünfziger Jahre nahm ich ein Fernstudium als Landwirt an der Fachschule in Weimar auf. Eine politische Entscheidung hatte ich schon 1949 mit meinem Eintritt in die DBD1 sowie meiner Mitgliedschaft in der VdgB und der DSF2 vollzogen.

1952 wurde auch in Dedelow eine LPG gegründet. Sie entwickelte sich recht langsam und kam nicht aus den roten Zahlen heraus. Der MTS-Direktor sprach oft mit mir über den Eintritt in die LPG. Mir als gutgestelltem Mittelbauern erschien dieser Schritt nicht nötig. Ich hatte mein Auskommen, mir fehlte es an nichts. Wozu also in die LPG eintreten? Bis Ende der fünfziger Jahre wirtschafteten wir noch allein, und es ging uns materiell nicht schlecht. Aber um uns herum entwickelte sich das Neue.

Mein Vater dachte schon weiter als wir Jungen. Er hatte alles durchgerechnet und gut überlegt. Ihm fiel es auch schwerer als uns, mit allen landwirtschaftlichen Arbeiten allein fertig zu werden. Die Plackerei der Frauen rieb er mir und meinem Bruder ebenfalls unter die Nase. So heizte er uns tüchtig ein.

Aber mit der schwachen Dedelower LPG wollte er auch nicht zusammengehen. Sein Vorschlag lautete: „Wir gründen in Steinfurth eine eigene LPG Typ I und zahlen den Mitgliedern 20 Mark je Arbeitseinheit aus.“ Ich zog nun los, um Mitglieder für „unsere“ LPG in Steinfurth zu gewinnen, zunächst aber mit geringem Erfolg. Am 25. März 1958 gründeten sieben Mitglieder aus drei Wirtschaften die LPG Typ I „Uckermark“.

Unsere LPG entwickelte sich gut. Wir wirtschafteten vom ersten Tage an rentabel. Die Entwicklung unserer LPG blieb nicht ohne Eindruck auf die anderen Steinfurther. Fünf Bauernfamilien baten schon 1959 um Aufnahme. Im Frühjahr 1960 überzeugten die Steinfurther Genossenschaftsbauern durch ihr vorbildliches Wirtschaften die restlichen Einzelbauern im Ort, Mitglieder unserer LPG „Uckermark“ zu werden.