chirbes Am-ufer

Dies ist der 2013 veröffentlichte letzte Roman des 2015 verstorbenen spanischen Schriftstellers Rafael Chirbes, in dem er den 70-jährigen Esteban in einem langen Monolog (einer "existenziellen Sinnkrise" - Christian Thomas in der FR) sein Leben wie die Finanzkrise Spaniens in der Provinz Alicante reflektieren lässt.

Esteban hat die Schreinerei seines anti-frankistischen, aber sehr autoritären Vaters übernommen, den er nun in seinen alten Tagen selbst noch pflegen muss. Während des Booms vor 2008 hat er noch versucht so viel Geld wie möglich rauszuschlagen und auch zu verprassen, aber nun ist die Firma pleite gegangen und Esteban steht vor der Zwangsvollstreckung. Alle Arbeiter musste er entlassen, die Schwarzarbeiter aus aller Herren Länder sind sowieso weg. Nur mehr billige osteuropäische Huren und Kriminelle sind in der Region geblieben.

In allen möglichen Rückblenden und Reflexionen durchdenkt Esteban das Leben seines Vaters, seinen Wunsch Künstler zu werden, seine angebliche Ungeschicklichkeit, seine an Krebs verstorbene Jugendliebe Leonor (die ist mit seinem besten Freund durchgebrannt und hat in Madrid ein Michelin-Restaurant auf die Beine gestellt), die wieder versumpfende Küstenlandschaft Alicantes mit den für ihn völlig unverstehbaren Rad fahrenden und walkenden englischen und deutschen Rentnern.

Der Roman ist großartig geschrieben, aber man braucht schon etwas Geduld, um sich bei den vielen Assoziationen, Zeit- wie Gedankensprüngen und Personen orientieren zu können. Auch die existenzielle Orientierung auf die Grundbedürfnisse des Menschen (Essen, Schlafen, Arbeiten, Vermehrung) ist gewöhnungsbedürftig, da nichts Transzendentales - weder religiös noch gesellschaftlich - als Perspektive übrig bleibt. Die Menschheit wird irgendwann durch einen Vulkanausbruch dahingerafft werden.

Vor allem zu Beginn und am Ende des Romans verdichtet sich der Gedankenstrom zu einem sehr konzisen Denkwerk: zunächst wird festgestellt, dass die marokkanischen Arbeiter während der Krise sich immer mehr einem islamischen Fundamentalismus, der auch gewaltbereit ist, zuwenden, am Ende wird ein Schaubild der spanischen Kleinunternehmer gezeichnet, die das Geld verprassen, welches durch ihre (Schwarz-)Arbeiter erwirtschaftet wird.

Dieses Prassen und Nichtdenken an eine Zukunft ist mit einer der Gründe, warum sie alle am Ende verarmt sind, was Chirbes als Reinigung auffasst und mit der neuerlichen Versumpfung und dem Verfall metaphorisch als Rückkehr alter Zeiten verschriftlicht.

Keine leichte Lektüre, aber hochinteressant.

Infolinks im Spoiler

Der Autor:
Wikipedia: Rafael Chirbes
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/zum-tod-von-rafael-chirbes-epiker-der-entzauberung-13753350.html
http://www.zeit.de/kultur/literatur/2015-08/rafael-chirbes-spanien-tot

Verlagsinfo:
http://www.kunstmann.de/titel-0-0/am_ufer-938/

Rezensionen:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/rafael-chirbes-am-ufer-jede-wirtschaft-schafft-sich-ihre-abfallgrube-12767910.html
http://www.zeit.de/2014/07/rafael-chirbes-am-ufer-roman
http://www.zeit.de/kultur/literatur/2014-02/rafael-chirbes-roman-am-ufer
https://www.profil.at/gesellschaft/rafael-chirbes-virtuoser-wirtschaftskrisenroman-am-ufer-372418
http://www.sueddeutsche.de/kultur/am-ufer-von-rafael-chirbes-immer-wieder-im-sumpf-1.1863077
http://www.deutschlandfunk.de/rafael-chirbes-am-ufer-eine-stimme-fuer-die-abgehaengten.700.de.html?dram:article_id=297609
https://www.nzz.ch/feuilleton/buecher/schutthalden-im-sumpfgebiet-1.18240162
http://www.fr.de/kultur/rafael-chirbes-am-ufer-im-sumpf-a-607281
http://culturmag.de/rubriken/buecher/rafael-chirbes-am-ufer-2/79009