9783835313385l

Max Brod, berühmt eigentlich als Kafka-Entdecker - schrieb Anfang der 50er Jahre Romane über seine Kindheit und Jugend, die der Wallstein-Verlag unlängst veröffentlicht hat.

Ich habe mal den ersten gelesen, der von einem 15-jährigen deutschsprachigen (eigentlich österreichischen) Prager Kind namens Erwin aus jüdischer Familie schreibt, das im Gegensatz zu seinem Bruder Otto durch eine Krankheit benachteiligt ist.

Der Roman spielt in einem Sommer Ende des 19. Jahrhunderts über eine in der Familie übliche Ferienreise an die Ostsee nach Misdroy (heute in Polen).

Es ist eine gutbürgerliche Familie mit starken Affinitäten zu Österreich (dass der Perron in Deutschland Bahnsteig heißt und der Kondukteur Schaffner wird mehrfach betont), die Mutter ist streng dominant, der nicht mitreisende Vater (er erhält von der Bank, bei der er arbeitet, nicht so langen Urlaub wie die Schulferien dauern) gutmütig herzlich.

Es wird beschrieben, dass die Familie in einem eher ärmlichen Viertel Prags lebt, aber der Begriff Armut erscheint mir relativ: die Familie kann sich immerhin eine Vollzeitköchin und ein Vollzeitdienstmädchen leisten, die in ihrer Wohnung leben.

So richtig werden die Konflikte der Mutter mit Kindern, dem Vater und den beiden Angestellten, die zu Beginn extrapoliert werden, nicht weitergeführt. So wird es der "Coming of Age"-Roman eines musikbegabten und literarisch hochgebildeten Fünfzehnjährigen mit den typischen Altersproblemen: Reibereien mit den Eltern, problematische Bubenfreundschaften, erste Tändeleien (sehr klischeehaft mit dem Dienstmädchen).

Letztlich eine relativ langweilige Geschichte, wenn der Erzähler nicht immer wieder Zeitportale in die Post-Holocaust-Zeit eröffnete: der latente Antisemitismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts wird blitzlichtartig mit dem späteren tödlichen Schicksal verknüpft. So ist der Roman auch dem Bruder Otto gewidmet - Brods Bruder Ota wurde im Nazi-Vernichtungsregime ermordet.

Somit sind interessante Aspekte mit einer recht langweiligen Kindergeschichte verknüpft. Damit bin ich etwas kritischer als die professionellen Rezensionen.

Infolinks im Spoiler

Der Autor:
Wikipedia: Max Brod

Verlagsinfo:
http://www.wallstein-verlag.de/9783835313385-max-brod-der-sommer-den-man-zurueckwuenscht-beinahe-ein-vorzugsschueler.html (Archiv-Version vom 26.03.2018)

Rezensionen:
http://www.deutschlandfunk.de/max-brod-ruhiger-blick-auf-einen-prager-sommer.700.de.html?dram:article_id=309811
http://www.wienerzeitung.at/themen_channel/literatur/buecher_aktuell/711136_Ostseeglueck-und-k.u.k.-Romantik.html (Archiv-Version vom 03.01.2016)
http://literaturkritik.de/id/21277