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Der österreichische Schriftsteller Arno Geiger zeichnet die Geschichte des Wiener Ostfrontsoldaten Veit Kolbe nach, der aufgrund einer Verletzung beurlaubt ist und von Wien nach Mondsee zieht, da dort ein Onkel lebt. Dort beginnt er ein Liebesverhältnis mit einer verheirateten Darmstädterin, versucht seine Wehruntauglichkeit so lange wie möglich zu verlängern, freundet sich mit einem Brasilienrückkehrer an, der einen Gemüsegarten in einem Glashaus pflegt und wegen seiner Anti-Hitlerhaltung schließlich untertaucht (Kolbe verhilft ihm zur Flucht, indem er seinen Onkel, der ihn verhaften will, erschießt). Am Ende wird Kolbe wieder in die Wehrmacht eingezogen.

Die im Roman gestalteten Figuren sind nicht erfunden, Geiger hat deren Leben recherchiert und im Nachwort in aller Kürze nachgezeichnet und deren Nachkriegsleben skizzenartig präsentiert: Kolbe überlebt den zweiten Fronteinsatz und heiratet seine Darmstädterin, die sich von ihrem ersten Mann, der auch den Krieg überlebt, scheiden lässt. Fast ein "Dear John" ...

Formell ist es ein Ich-Roman aus der Sicht Kolbes mit vielen eingestreuten Briefen, auch von Bekannten und Verwandten, so auch nach Ungarn geflüchtete Juden, die allesamt von den Nazis ermordet werden: in Auschwitz und auf den Todesmärschen am Ende des Krieges von Ungarn in KZs auf österreichischem Boden. Real. Nicht erfunden.

Konzeptuell nimmt sich der Erzähler komplett raus aus dem Roman, nur das Ich Kolbes und die Briefe bilden die Perspektive. Und genau dort fängt die Schwäche des Romans an: sind diese Texte erfunden oder sind reale Texte montiert? Ich tippe auf erfunden. Allen hängt eine distanzierte, emotionslose Sachlichkeit an, die mich an die derzeit modernen Doku-Fictions erinnert: an der Realität orientiert, reale Personen als Basis nehmend, aber geglättet.

Alleine dass bis auf eine Person (der Quartiergeberin Kolbes und seiner Darmstädter Geliebten) frisch und fröhlich ihre Ablehnung gegenüber dem Hitler-Regime äußern, erscheint mir zu weltfremd. Nur der "Brasilianer" wird deswegen verhaftet. Selbst aus Ungarn treffen Briefe ein, die in keinster Weise offen lassen, dass Juden systematisch ermordet werden.

Für mich bleibt die Schlussfolgerung: da erzählt ein zeitgenössischer Schriftsteller ein Leben real existiert habender Menschen eine neue Geschichte, seine eigene Traumgeschichte. Dies schmälert das Interesse an der Lektüre. Die zum Teil euphorischen Rezensionen teile ich nicht.

Infolinks im Spoiler

Der Autor:
Wikipedia: Arno Geiger
https://www.hanser-literaturverlage.de/autor/arno-geiger/

Verlagsinfo:
https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/unter-der-drachenwand/978-3-446-25812-9/

Rezensionen:
https://www.profil.at/kultur/arno-geiger-unter-drachenwand-8615616
https://derstandard.at/2000071475923/Arno-Geiger-Die-Notwendigkeit-sich-zu-erinnern
https://www.zeit.de/2018/03/unter-der-drachenwand-arno-geiger
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/arno-geigers-meisterlicher-roman-unter-der-drachenwand-15381048.html
https://www.wienerzeitung.at/themen_channel/literatur/buecher_aktuell/940492_Liebe-in-Zeiten-des-Krieges.html (Archiv-Version vom 17.01.2018)
http://www.kulturzeitschrift.at/kritiken/literatur/wie-ein-blick-in-die-augen-des-anderen-einen-menschen-oeffnet-unter-der-drachenwand-von-arno-geiger
https://www.deutschlandfunkkultur.de/arno-geiger-ueber-seinen-roman-unter-der-drachenwand-jede.1270.de.html?dram:article_id=407604
https://www.kulturradio.de/rezensionen/buch/2018/01/Arno-Geiger-Unter-der-Drachenwand.html