978-3-426-78687-1

Der damalige EU-Abgeordnete und jetzige Minister in Schleswig-Holstein hat 2014 ein interessantes Buch über Datenschutz veröffentlicht. Auch wenn manche Teile heute obsolet sind, ist es eine lohnenswerte Lektüre, vor allem im ersten Teil, der rechtstheoretisch angelegt ist.

So wird der Rechtsunterschied zwischen den USA einerseits und der EU bzw. Deutschland andererseits sehr nachvollziehbar extrapoliert und Albrecht geht dabei in die 1970er Jahre zurück. In den USA wurde Datenschutz immer schon als Schutz der privat gesammelten Daten vor staatlichem Eingriff gesehen. Dies hat sich nach den Anschlägen von September 2001 zwar geändert, aber die Freiheit von Privatfirmen bezüglich Datensammelns habe sich nicht geändert: US-Firmen können gesetzlich unbehindert Daten von Privaten sammeln, wie sie wollen, und dieses Recht soll international durchgesetzt werden. Die EU sieht Datenschutz als Schutz der Bürger vor unreglementierter Datensammelei von Firmen, und in Deutschland gibt es seit den 70er Jahren den Rechtsgrundsatz der "informationellen Selbstbestimmung".

Wie wenig die europäischen Grundsätze in Europa durchgesetzt waren, zeigt Albrecht an europäischen Firmen auf, die Big Data mittels Algorithmen nutzen, um nicht mehr nachvollziehbare Entscheidungen zu treffen, die Menschen in ihren wesentlichen Lebensbereichten treffen:

- Firmen 123 people und Yasni grasen mit robots das Internet nach Daten ab, die sie weiterverkaufen
- VISA und Mastercard nutzen personenbezogene Daten und verkaufen sie weiter
- Arvato Infoscore verkauft Bonitätsgutachten an Kaufhäuser (offline und online) wie Marketingbüros
- Das Hamburger Kredithaus Kreditech sammelt Infos aus sozialen Netzwerken zur Bonitätsprüfung
- Das Münchner Apothekenrechenzentrum VSA verkauft Daten an IMS Health (USA) und die Pharmaindustrie
- Telefonica/O2 verkauft Standortdaten der Mobiltelefonkunden an Werbefirmen
- Allianz nutzt digitale Fahrtenschreiber zur Gestaltung von Versicherungsprämien (Partner u.a. Ford)
- Gleiches nutzt die KFZ-Versicherungsabteilung der Sparkasse

Albrecht zieht die Schlussfolgerung, dass durch die Permanentüberwachung und "Score-Erstellung" durch Algorithmen bei Versicherungen und Banken eine Bentham-Panoramaüberwachung entsteht, aufgrund derer das Verhalten in voreilendem Gehorsam angepasst wird, um Sanktionen zu entgehen. Die potenziellen Überwachungsmöglichkeiten durch den Staat werden angedacht, dass jedoch China dies mit seinem Sozialpunktesystem Realität werden lässt, konnte Albrecht noch nicht erahnen.

Was für europäische Firmen schon kein Problem darstellt, ist für US-Firmen eine Leichtigkeit, da sie sich nicht nur nicht ausländischer Gesetzgebung unterworfen sehen, sondern bei Gründung von europäischen Tochtergesellschaften sich unter den 28 EU-Staaten dasjenige aussuchen, welches ihnen die besten Konditionen bietet (sprich: minimalste Steuerbelastung, minimalster Datenschutzstandard), aber mit dem gewählten Standort den Markt innerhalb der EU offen haben. Irland ist wegen Steuer- und Datenschutzdumping der Standort erster Wahl.

Dass in den letzten jahren Europa sensibler wurde, zeigt die Entscheidung des EuGH, dass Server in den USA kein "sicherer Hafen" mehr ist (eine EU-Entscheidung wurde nach Klage des Österreichers Max Schrems gekippt), und vor einigen Wochen hat Hessen entschieden, dass die Microsoft-Cloud an Schulen nicht mehr genutzt werden darf, da selbst europäische Tochterfirmen von US-Unternehmen Serverdaten für US-Behörden öffnen müssen:
https://www.golem.de/news/datenschutzbeauftragter-schulen-duerfen-office-365-nicht-mehr-verwenden-1907-142440.html

Die andere Seite ist die staatliche Überwachung, und Albrecht führt an, dass Auslandsgeheimdienste wie die NSA oder der BND das Internet grundsätzlich als "Ausland" sehen und daher sämtlichen Internetverkehr in ihre Spionagetätigkeit einbeziehen und sich legitimiert sehen. Der Internetnutzer sei für Geheimdienste Kombattant und nicht Staatsbürger. Für die USA kommt dazu, dass Schutzrechte ausschließlich für US-Bürger gelten, Daten von Nicht US-Bürgern nicht unter die Schutzrechte der US-Gesetzgebung fallen.

Der Schlussteil dieses knappen Buches ist der Entwicklung einer europäischen Datenschutzgrundverordnung gewidmet, welche letztes Jahr in Kraft trat. Albrecht hält diese für wichtig, um die "informationelle Selbstbestimmung" des Bürgers noch gewährleisten zu können. Immerhin, rechnet er vor, belief sich der Marktwert der Personendaten aller EU-Bürger 2011 bei 315 Mrd. Euro, das sind in etwa 600 Euro pro Person (inklusive Kinder und Rentner). Das wirtschaftliche Interesse, persönliche Daten abzugreifen, ist enorm hoch.

Zum Schutz der persönlichen Daten tritt Albrecht auch vehement gegen eine Klarnamenpflicht bei Internetkommunikation ein. Daten, welche bei Unternehmen wie beim Staat hinterlegt werden, müssen gesetzlich geschützt sein, die freie Kommunikation jedoch muss auf eine Art und Weise stattfinden dürfen, dass keine Rückverfolgungsmöglichkeit auf die Person möglich ist, so diese dies nicht wünscht. Das Argument, dass damit Verbrechen Vorschub geleistet werden kann, weist er durch die ohnehin hohe Aufklärungsrate bei Fällen von Internetkriminalität zurück.

Infolinks im Spoiler
Verlagsinfo:
https://www.droemer-knaur.de/buch/7973707/finger-weg-von-unseren-daten

Info auf der Internetseite von Jan Philipp Albrecht:
https://www.janalbrecht.eu/2014/04/2014-04-30-finger-weg-von-unseren-daten/ (Archiv-Version vom 25.09.2020)

Interview:
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/eu-parlament-datenschutzreform-jan-philipp-albrecht/

Rezensionen:
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/rezension-jan-philipp-albrechts-finger-weg-von-unseren-daten-12930075.html
https://www.fabasoft.com/de/news/aktuelles/fabasoft-techsalon-finger-weg-von-unseren-daten-die-letzte-schlacht-um-unsere (Archiv-Version vom 28.11.2017)
https://titel-kulturmagazin.net/2014/08/15/jan-philipp-albrecht-finger-weg-von-unseren-daten/
http://www.report.at/index.php/telekom/politik/item/86667-schlacht-um-die-daten (Archiv-Version vom 18.03.2015)
http://www.humanistische-union.de/nc/publikationen/vorgaenge/online_artikel/online_artikel_detail/back/vorgaenge-213/article/wie-ein-gesetz-entsteht/
https://www.fiff.de/publikationen/fiff-kommunikation/fk-2015/fk-2015-2/fk-2015-2-content/fk-2-15-s73.pdf
https://www.welt-der-frauen.at/mein-handy-der-spion/ (Archiv-Version vom 26.09.2020)