Kohlhaas

So schwierig zu lesen und doch einer der ganz großen Texte der Weltliteratur! Kleist hat alles in diesen Text gesteckt, wessen er fähig war, und eine Jahrtausendnovelle hinterlassen.

Minutiös beschreibt er, wie in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein brandenburgischer Pferdehändler, dem durch die Willkür eines willkürlich handelnden sächsischen Grenzwächters zwei Rassepferde als Pfand gegen ein nicht vorhandenes Grenzpapier abgenommen und sein Pferdeknecht misshandelt wird. Die Pferde werden zur Feldarbeit herangezogen und schlecht versorgt, sodass sie zu Schindmähren verkommen.

Kohlhaas weigert sich, die Pferde in diesem Zustand zurückzunehmen, verlangt deren physische Wiederherstellung, brennt die Burg des verantwortlichen Junkers Wenzel von Tronka nieder, wendet sich an brandenburgische wie sächsische Obrigkeiten, die ihn allesamt abwimmeln. Seine Frau stirbt an einem Botengang zum brandenburgischen Kurfürsten unter dubiosen Umständen, und Kohlhaas schart Landsknechte um sich, erklärt seine Sache zur heiligen Sache und beginnt sächsische Orte, darunter Wittenberg, zu terrorisieren. Häuser samt Bewohner werden niedergebrannt. Mit Luther, der die Taten von Kohlhaas aufs Schärfste verurteilt, gibt es ein Treffen, und auf Luthers Wort erlässt der sächsische Kurfürst eine Amnestie gegen Einstellung der Terrorhandlungen.

Der alte Heerhaufen plündert und mordet im Namen von Kohlhaas weiter, dieser wird daraufhin in Dresden unter Hausarrest gesetzt. Kohlhaas entkommt, will aus Europa flüchten, aber als der Kurfürst von Brandenburg aufgrund eines aufflammenden polnisch-sächsischen Konflikts einen fairen Prozess verspricht, kehrt Kohlhaas mit seinen fünf Kindern in sein altes Haus zurück.

Die Gerichtsprozesse haben jedoch zwei Anklagen zum Gegenstand. Wenzel von Tronka wird wegen Amtsmissbrauch zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt und die Pferde von Kohlhaas werden gesund gepflegt, Kohlhaas wird wegen Landfriedensbruch zum Tode verurteilt.

Ein Amnestiegesuch zur Wandlung in eine Gefängnisstrafe (ein frühes Zeugnis eines Appells gegen die Todesstrafe) scheitert. Der Rechtsstaat der strengen Gesetzesauslegung obsiegt. Aber dennoch ist es ein Rechtsstaat: Kohlhaas wird im seinen Ansinnen Recht gegeben, doch Mordbrennerei und Terrorisierung Unbeteiligter wird nicht aufgerechnet. Erfahrenes Unrecht mildert nicht das Urteil über den durch das Unrecht erst Akt des Terrorismus.

Im ersten Absatz bereits fasst Kleist die Schlussfolgerung der Novelle zusammen:
An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ein Roßhändler, namens Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit. – Dieser außerordentliche Mann würde, bis in sein dreißigstes Jahr für das Muster eines guten Staatsbürgers haben gelten können. Er besaß in einem Dorfe, das noch von ihm den Namen führt, einen Meierhof, auf welchem er sich durch sein Gewerbe ruhig ernährte; die Kinder, die ihm sein Weib schenkte, erzog er, in der Furcht Gottes, zur Arbeitsamkeit und Treue; nicht einer war unter seinen Nachbarn, der sich nicht seiner Wohltätigkeit, oder seiner Gerechtigkeit erfreut hätte; kurz, die Welt würde sein Andenken haben segnen müssen, wenn er in einer Tugend nicht ausgeschweift hätte. Das Rechtgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder.
Die Haupthandlung ist schon komplex, in Tiefen steigt der Text mit Nepotismus, Korruption, Intrigen, europäische politische Verwicklungen, Reformation, marodierende Landsknechte, Verbandelungen zwischen Adelshäusern bis hin zu Irrationalem wie Astrologie- und Prophezeiungsglauben.

Und die Sprache? Wenn es ein Meisterwerk der kunstvoll verschachtelten Sätze gibt, dann ist es dieses.

Online unter anderem hier: https://gutenberg.spiegel.de/buch/michael-kohlhaas-583/1