M-CervantesDie-unziemliche-Neugier

Inmitten des Don Quixote findet sich eine Novelle, die eines Boccaccios würdig wäre, die Vertrauen, Vertrauensmissbrauch und Misstrauen zum zentralen Thema hat. Sie spielt in Florenz.

Hauptfiguren sind das seit Kindestagen miteinander vertraute Freundespaar Anselmio und Lotario. Beide wohl in ihren Mittzwanzigern. Anselmio heiratet eine Schönheit namens Camilla, Lotario ist immer wieder zu Gast, bis Anselmio das Ansinnen hat, die Treue seiner Frau auszutesten. Er bittet Lotario ihr Avancen zu machen. Lotario lehnt zunächst ab, weil solches die Ehre aller drei verletze, willigt aber schließlich in diesen Freundschaftsdienst ein. Er trifft sich mit Camilla, spricht mit ihr aber kein Wort, während er Anselmo immer wieder berichtet, wie standhaft Camilla sich wehre.

Als Lotario den Auftrag hat, während einer achttägigen Abwesenheit Anselmos Camilla täglich zu besuchen, verfallen die beiden, die sich bisher nur angeschwiegen haben, am dritten Tag einander und werden ein geheimes Liebespaar. Das mitwissende Kammermädchen wird zum Schweigen gebracht, indem sie ihren Freund jede Nacht heimlich zu Besuch empfangen darf.

Nach Rückkehr Anselmos spielen Lotario und Camilla jenem, den sie verleiten durch ein Guckloch zu beobachten, ein Schauspiel vor, in dem Camilla den Liebesschwüren Lotarios trotzt, ihn mit einem Dolch zu töten droht und sich selbst an der Schulter verletzt. Anselmo ist überglücklich, dass Lotario seinen Auftrag so trefflich erfüllt und seine Frau so standhaft ist.

Beiläufig wird am Ende erzählt, dass das geheime Verhältnis nach einigen Monaten aufgedeckt und Anselmo getötet wird:
so daß den Anselmo sein grübelnder Fürwitz das Leben kostete.
Nach Don Quixotes schlafwandlerischem Kampf gegen die Weinschläuche wird die Novelle beendet. Anselmo sieht den Freund des Kammermädchens, wie er aus dem Haus schleicht. Dieses verspricht, am nächsten Morgen ein Geheimnis zu offenbaren. Camilla flieht in ein Kloster, Lotario flieht die Stadt, um sich einem Heer anzuschließen, Anselmo geht zu einem Freund am Land, wo er in Verzweiflung entkräftet hinstirbt. Auch Camilla verlassen nach dieser Nachricht die Kräfte und stirbt. Lotario fällt im Kampf.

Alles wegen einer Idee, die auf Misstrauen und Vertrauensmissbrauch gründete.

Eine Novelle nach sehr alten und zum Teil eigentümlichen Ehrvorstellungen, zu der die antiquiert wirkende, aber sprachlich wunderschöne Übersetzung Ludwig Tiecks sehr passend ist.

Sehr interessant auch das Männerbild, das einen für Frauen attraktiven Mann auszeichnet. Hier die Worte des Kammermädchens, wie sie Lotario über den grünen Klee lobt:
Nach meiner Meinung ist er nämlich Angenehm, Beständig, Cavalier, Dankbar, Erkenntlich, Freigebig, Galant, Heimlich, Jung, Liebenswürdig, Männlich, Natürlich, Offen, Prächtig, Reich, nun folgen die vier S.S., dann Tapfer, Vornehm, Wahrhaft, X paßt sich für einen Geliebten nicht, denn es ist ein zu harter wie Y ein fremder Buchstabe, dann folgt zum Beschluß Z, Zärtlich über deine Ehre.
Online zu lesen hier (dieses und das nächste Kapitel):
http://www.zeno.org/Literatur/M/Cervantes+Saavedra,+Miguel+de/Roman/Don+Quijote/Erster+Teil/Viertes+Buch/Zweites+Kapitel