Fruehlings-Erwachen

1891 fertiggestellt und 1906 in Berlin uraufgeführt, ist es wohl eines der bekanntesten Dramen des deutschen Sprachraums. Aber wird es außerhalb von Gymnasialkursen überhaupt noch gelesen?

Hauptcharaktere sind die männlichen Mittelstandskinder Melchior und Moritz, die an einem Gymnasium in der Oberstufe lernen, und die 14-jährige Wanda. Thema ist die körperliche und seelisch-geistige Wirrnis Spätpubertärer und die gänzliche Unfähigkeit der Erwachsenen, ihnen beizustehen. Für zwei der drei Genannten endet die Pubertät tödlich.

Melchior schwängert Wanda in einem Heuboden und Wanda verstirbt an einem Abtreibungsmittel. Moritz ist schwacher Schüler, wird wegen Einbruchs in das Konferenzzimmer und dem Besitz einer schriftlichen und grafischen Anleitung zum Geschlechtsverkehr (von Melchior erhalten) von der Schule gewiesen und erschießt sich nach dem Misslingen eines Fluchtversuchs ins Ausland (er treibt kein Geld auf). Melchior kommt in eine Korrektionsanstalt, kann jedoch fliehen. In einer nächtlichen Halluzination auf dem Friedhof, wo er Wandas Grab sieht, will der tote Moritz ihn auf seine Seite holen, doch ein "vermummter Mann" weist ihm den Weg zurück ins Leben.

Wie sehr die Erwachsenen sich um den heißen Brei drücken, zeigt, wie Wanda nicht glaubt, schwanger zu sein, da man dazu verheiratet sein müsse, wie ihre Mutter ihr das erklärt habe. Auch die jungen Männer haben keine Ahnung, wie der Körper in sexuellen Dingen funktioniert, selbst das Lexikon schweige sich aus. Außerdem sind alle eingepfercht in Rollenerwartungen (Mädchen: Haushalt, Heirat, Familie; Jungen: Schulerfolg, dann Karriere). Bei einem Scheitern sind sie auf sich alleine gestellt.

Wedekinds Zielgruppe sind eindeutig die mittelständischen Erwachsenen, die Eltern und Pädagogen, die ja auch das damalige Theaterpublikum bildeten. Die weniger gelungene Beratungsszene im Konferenzzimmer mit den vielen Schenkelklopfern gegen die Lehrschaft ist wohl als eine Art Comic relief zu sehen.