Gaitskill

Dieser Erzählungsband war der Erstling von Mary Gaitskill, und da er in diesem Jahr in einer Neuübersetzung auf Deutsch veröffentlicht wurde, habe ich mir das Original gegeben.

Die Klammer fast aller Erzählungen sind Beziehungen, die zerbrechen oder nicht gelingen, oft auch mit physischer, sexueller oder psychischer Gewalt verbunden. Gleich zwei Erzählungen drehen sich um eine Nutten-Klienten-Beziehung, ein Buchhändler verlässt wegen einer Arbeitskollegin seine Frau (die Geschichte endet, als beide im Treppenhaus eines heruntergekommenen Wohnblocks sitzen), Fantasien werden nicht eingelöst (beidemale sind es Rendezvous tinder-like, einmal S/M).

Die besten Erzählungen sind diejenigen, in denen Frauen mittleren Alters an ihre Jugend zurückdenken. Einmal ist es eine gut 30-jährige Autorin, die in einer lesbischen Beziehung lebt und alte Beziehungen wieder trifft (einen Mann, eine Frau), das andere Mal eine gut 40-jährige Mutter von vier Kindern (finanziell abgesichert durch einen gut verdienenden Versichterungsagenten als Mann), deren Beziehung zu schwierigen eigenen Kindern (die Buben jagen Eichhörnchen und häuten sie, einer stirbt bei einem Autounfall, beide Mädchen in zerbrechenden Ehen, eine macht Karriere als Juristin, die andere ist esoterisch, nimmt Drogen und wird Floristin) und zu der Tochter ihrer Schwester reflektiert wird.

Wild ist die Geschichte "The Secretary". Eine bei den Eltern lebende Sekrektärin (Typistin-Ausbildung), wird vom Arbeitgeber (Rechtsanwalt) bei Fehlern geschlagen, schließlich onaniert er auf ihren Unterkörper.

Beeindruckend an diesem Erstlingswerk von Gaitskill ist, dass nicht Nabelschau betrieben wird, sondern unterschiedliche Kontexte und Figuren entwickelt werden, und allen ihren Figuren werden Stimmen gegeben. Einige Geschichten spielen im Intellektuellen-Milieu von New York, das ziemlich ihr Fett abbekommt, vor allem die Karrieresucht wird immer wieder mal aufs Korn genommen, da sie der nach außen getragenen alternativen Ideologie diametral widerspricht.

Durchaus lesenswert.

Hier eine aktuelle Kritik aus dem SPIEGEL:
https://www.spiegel.de/kultur/literatur/metoo-literatur-warum-sie-jetzt-mary-gaitskill-lesen-sollten-a-7f215454-170f-415d-b2e3-64e28f4cce5b