Eigentlich würde ich den Artikel gerne in mehrere Threads kopieren, gerne auch als full quote. Aber mir fehlt gerade der wirklich passende Aufhänger, daher packe ich ihn erst mal hier rein, und hole ihn dann bei Gelegenheit hier aus der Versenkung ;)

Hier ein paar meiner Highlights:
Ein kurzes fiktives Beispiel: Im Literarischen Quartett haben drei Leute einen aktuellen Familienroman gelesen und diskutieren lebhaft und kontrovers darüber. Ein Vierter kennt das Buch nicht und ruft unentwegt "Hanuta!" oder "Ich bin ein Habicht!" dazwischen, bis ihn die anderen fragen, ob er den Roman denn gelesen habe, woraufhin er sich beschwert, seine geäußerte Meinung zum Roman werde von einer Geheimregierung unterdrückt. Sonst passiert ihm eigentlich nichts. Er wird nur nicht wieder eingeladen, und der Abend ist dann auch endlich vorbei.
Offenbar genügte das nicht, da es hier wohl um das Tiefenmanagement von Emotionen geht. Dafür war früher einmal ausschließlich die Psychotherapie zuständig. Heute sind es wohl vorrangig Politikerinnen und Zeitungen, die sich vor allem dann um den Seelenhaushalt der Mitbürger sorgen, wenn diese sich zu größtenteils reaktionären oder zumindest regressiven Anlässen versammeln wie in Berlin oder kommenden Samstag wohl in Stuttgart. Nach Demos gegen Neonazis, Bankenrettungen, Atomkraft oder G20 hat man dieses dringende Verstehenwollen (oder dessen markttaugliche Simulation) jedenfalls selten gehört.
Aber es genügt offenbar, ein "Gefühl" so "stark" zu empfinden, um sich dennoch dringend für ein weiterführendes Gespräch zu qualifizieren. Denn in der Forderung des "Mehr Zuhörens" steckt letztlich die Annahme, man (Politik, Wissenschaft, Journalisten, weißderteufel) hätte zuvor zu wenig zugehört, beziehungsweise nicht "gut genug kommuniziert", eine Floskel aus dem Bereich moderner Unternehmensführung, wo "Kommunikation" als Allheilmittel fetischisiert wird. Auf die Gesellschaft übertragen bedeutete dies die naive Vorstellung, dass sich alle Friktionen und Konflikte von selbst auflösten, am Ende Gemeinschaft und Gesellschaft miteinander identisch würden, wenn man nur richtig miteinander rede. Ein Glaube, der sich in den vergangenen Jahren verfestigte, je aussichtsloser es erschien, einen harmonischen Zustand wiederzuerlangen, den es historisch gesehen ohnehin nie gegeben hat.
Und wenn übrigens Wolfgang Kubicki nach den Berliner Protesten sagt, die Politik habe versäumt, den Menschen genau zu erklären, was eigentlich das Ziel der gesamten Maßnahmen sei, dann ließe sich fragen, wer denn die ganzen vergangenen Monate eigentlich besser hätte zuhören müssen.
Oder wie überträgt sich noch mal dieses Virus?
Quelle: https://www.zeit.de/kultur/2020-08/corona-demo-berlin-verschwoerungstheorien-zuhoeren-kommunikation/komplettansicht

Ich habe den Artikel nun mehrfach komplett gelesen und mir kam dabei ein Wort in den Sinn: Bildungsnotstand.