Fleming-Casino Royale

Dies ist das erste Buch der Bond-Reihe, das im Original 1953 erschien. Ich habe die Neuübersetzung von Stephanie Pannen und Anika Klüver, die 2012 beim Cross Cult Verlag erstmals als ungekürzte Fassung vorgelegt wurde, gelesen.

Ich kenne die Filme und weiß, dass dieser Band es nie in die originale Filmserie gebracht hat, und beim Lesen muss sich auf zwei Aspekte eingestellt werden: Ja, es ist ein Kind der 50er Jahre mit ihren Klischees, und nein, es ist keine Klischeebombe. Fleming greift Elemente der Trivialliteratur auf, er zerschmettert sie jedoch auch.

Das typische Setting ist vorhanden: Ein mondäner fiktiver Ort an der französischen Atlantikküste der Normandie, ein Casino, in dem um Unmengen von Geld gespielt wird. Bond hat den Auftrag, Le Chiffre, einen französischen Sowjetagenten, der 50 Mio Franc, die der kommunistischen Gewerkschaft gehören, bei einer Bordellspekulation verloren hat und beim Baccara-Spiel zurückgewinnen will, in den Ruin zu treiben. Was ihm mit Hilfe von Geldern seitens des britischen und US-amerikanischen Geheimdienstes bei einem selbstverständlich spannenden Spielchen mit Höchsteinsätzen gelingt. Bond ist der mondäne Held einer mondänen Welt, seine zugeteilte Partnerin eine aparte Schönheit, jedoch ... kein Püppchen. Ihr Name: Vesper Lynd.

Was jedoch danach im zweiten Teil folgt, fällt nicht mehr unter die Kategorie Familienunterhaltung. Bonds Partnerin wird von Le Chiffre und zwei seiner Schergen entführt, Bonds Wagen läuft bei der Verfolgung auf einen Stahlnagelteppich auf, und Bond wird auch gleich mitkassiert. Die Folterungen, denen Bond ausgesetzt ist, um das Versteck des Schecks von über 40 Mio Francs zu verraten, werden seitenweise en detail beschrieben, und diese zielen auf seine privaten Körperteile ab. Gerettet wird er durch ein Mordkommando des sowjetischen Militärgeheimdienstes SMERSch, der den unzuverlässigen Le Chiffre aus dem Weg räumen soll (ein Akronym aus Smert špionam = Tod den Spionen und ein Geheimdienst, der bis 1946 existierte, aber nicht mehr im Jahr 1951, in dem der Roman spielt, aber vermutlich wusste Fleming das nicht). Warum die selbst bei Bond nicht nach dem Geld suchen, bleibt ein Geheimnis.

Bond wird von besten Geheimdienstärzten gesundgepflegt und zieht mit seiner Partnerin in ein nettes Hotel am Strand, ein typisches Bond-Ende ist erwartet, doch es läuft anders. Lynd wird zusehends nervöser, versucht Leute zu kontaktieren, und als ein Schweizer Uhrenvertreter mit Augenbinde und schwarzer Limousine zum zweiten Mal im Hotel zu Mittag isst, nimmt sie sich mittels einer Überdosis Schlaftabletten das Leben.

In einem Abschiedsbrief offenbart sie Bond, dass ihr polnischer Verlobter, der im Zweiten Weltkrieg bei der RAF kämpfte und nach dem Krieg als britischer Agent nach Polen beordert wurde, dort gefangen genommen wurde. Der kommunistische Geheimdienst stellte sie vor die Wahl: entweder wird ihr Verlobter hingerichtet, oder sie liefert als Doppelagentin Informationen an die Sowjets. Sie entschied sich für zweiteres.

Um auf Klischees zurückzukommen. Im Krankenhaus reflektiert Bond über seine Rolle als "Guter". Gut-Böse sei nur subjektiv und relativ, die andere Seite sieht es als gut an, eine Gewerkschaftsbewegung mit Geld zu stützen. Außerdem habe er bei den beiden Aufträgen, die ihm den 00-Code einbrachten, genauso kaltblütig und gezielt getötet wie die SMERSch-Leute. Der Unterschied sei, er jage nicht eigene abtrünnige Agenten. Fleming lässt aber durchaus die Frage offen, wie Bond gehandelt hätte, wenn er von der Doppelagententätigkeit Lynds erfahren hätte, als sie noch lebte. Diese Option wollte er offensichtlich dann doch nicht durchspielen.

Und was Vesper Lynd als Frau anbelangt, sie ist in diesem Roman nicht als "Bond Girl" der Filme konzipiert. Auch wenn die erotischen Szenen sprachlich etwas holprig daherkommen (da müsste ich das Original checken, ob das Fleming oder dem Übersetzerpaar zuzuschreiben ist), es wird eine selbstbewusste, intelligente, rational handelnde Frau präsentiert, die jedoch auch nichts dagegen hat, sich als Schönheit zu präsentieren, wobei sie zugibt, dass sie diesen Wunsch nach mondäner Schönheit in geliehenen sündteuren Kleidern nur deshalb ausleben kann, weil ihr der britische Geheimdienst für diesen Auftrag sowie eine Freundin aus der Modebranche die Möglichkeit böten.

Letztlich ist es ein Thriller, der sich um einiges komplexer und tiefgehender entpuppt hat, als ich von den Filmen her vermuten durfte. Kritik an der Sowjetunion beschränkt sich letztlich darauf, dass ein militärischer Geheimdienst auch dafür eingesetzt wird, um abtrünnige oder nicht funktionierende Agenten zu liquidieren und die aktiven unter ständiger Angst zu halten. Durchaus historisch nicht falsch.

Das Geschlechterverhältnis entspricht durchaus den 50er Jahren, auch die Sicht Bonds auf Frauen, jedoch wird auch diese Sicht reflektiert. Aus heutiger Perspektive vielleicht nicht sehr tiefgehend, aber doch auffällig.

Wen mal interessiert, wie sich ein Fleming-Bond lesen lässt, ist dies durchaus ein nicht uninteressanter Einstieg. Aber Vorsicht: die Folterszenen sind nur wenig kaschiert. Und: diese Übersetzung ist ungekürzt, bei früheren Übersetzungen scheinen explizite Gewaltdarstellungen und auch Hinweise auf die Resistance, aus der Le Chiffre kommt, gestrichen zu sein.