Rechtsextremismus

Dieses Buch aus 2019 vom renommierten wissenschaftlichen Springer-Verlag (nicht zu verwechseln mit dem Axel-Springer-Verlag) habe ich durchgeblättert, da es mit doch interessiert hat, wie die Wissenschaft aus Politologie, Soziologie und Erziehung die Herausforderungen für Schule gegenüber rechten Strömungen in der Gesellschaft sieht. Geographisch ist dieser Sammelband auf Deutschland beschränkt.

Auffällig ist zunächst, dass der Begriff Rechtsextremismus (Kernmerkmal des Extremismus ist, dass Verfassungsbestimmungen ausgehebelt werden sollen) erweitert wird und damit auch eine Auseinandersetzung mit Radikalismus, der per definitionem nicht verfassungsfeindlich ist, sowie der AfD ermöglicht wird. Das Lehrpersonal sei an die Gesetzgebung gebunden, das dem Individuum Freiheitsrechte ohne Zuordung zu einer Gruppe zuspricht (ist wohl in allen demokratischen Gesellschaften und Staaten so), womit auch eine Auseinandersetzung mit Radikalismen, welche die Gemeinschaft bzw. das Kollektiv über die Rechte der Individuen setzen, legitimiere. Republikanische Demokratien würden mit ihren Verfassungen eben auch einem Mehrheitswillen eines postulieren Volkes als Souverän Grenzen setzen, dass sie mit ihren Rechten auch Schutzpflichten gegenüber Minderheiten festgeschrieben haben.

Andererseits wird zurecht postuliert, dass gerade Jugendliche diese Individualisierung als Bedrohung wahrnehmen können, besonders an der Schule, da diese durch individualisierte Leistungsbeurteilung auch eine gesellschaftliche Selektionsfunktion wahrnehme, die nicht nur Bildungs- sondern auch Lebenskarrieren zerstören könne. Somit sei es für die Schule grundsätzlich schwierig Werte zu vermitteln, dass jede Person "gleich an Würde und Rechten" sei.

Rechtspopulistische, rechtsradikale sowie rechtsextremistische Positionen würden genau dort ansetzen und anders als die Linke soziale Ungleichheiten ethnisieren, wobei auf Basis von Umfragen konstatiert wird, dass für Jugendliche es schwer sei, solche Argumentationen als rechts zu verorten. Besonders sei dies bei ethnopluralistischen Ideen (jedem Völkchen sein Räumchen) schwierig, da diese positive und nicht ausgrenzend negative Argumentationsmuster aufwiesen.

Auch sind sich die Autor:innen nicht sicher, ob der Beutelsbacher Konsens (Link zur Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg) für politische Bildung aus dem Jahr 1976 noch greifen kann, der drei Postulate setzt:

1) Die Lehrenden dürfen nicht indoktrinieren
2) In Wissenschaft und Politik Kontroverses muss als Kontroverses unterrichtet werden
3) Schüler:innen müssen in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und eigene Interessen zu analysieren

Besonders in der Auseinandersetzung mit der zugelassenen Partei AfD stoße dieser Konsens an seine Grenzen. Wie soll mit dieser Partei bei Veranstaltungen bzw. mit deren Positionen im Unterricht umgegangen werden? Einige Vorschläge werden unterbreitet, um zu verhindern, dass ein Agitationspotenzial für Positionen, welche die individuellen Rechte aufgrund einer Zugehörigkeit zu einer Gruppe eingeschränkt sehen wollen, geboten werde. Dies sei mit der Schulgesetzgebung bzw. mit Schulprofilen vereinbar. Was jedoch, wenn eine Podiumsdiskussion der parlamentarischen Parteien über Bildungspolitik angesetzt sei? Antworten werden nicht gegeben.

Im Umgang mit Schüler:innen, die rechtsradikale oder rechtsextremistische Positionen vertreten, lässt sich in mehreren Beiträgen eine Empfehlung erkennen. Gegenüber intoleranten Ansichten soll Intoleranz gezeigt werden, aber Toleranz gegenüber denjenigen, die sie vertreten. Die Person selbst soll nicht ausgegrenzt werden, vielmehr sollte versucht werden, sie in ihrem eigenen sozialen Umfeld abzuholen und nicht mit allgemeinen abstrakten Menschenrechtspositionen zu konfrontieren, was zu einer Ablehnung führen würde. Sei es eine Hinführung zur Erkenntnis, dass praktisch jede Person ihr eigenes Umfeld schätze und verteidige und daher unterschiedliche Interessen gleichwertig seien, oder sei es die Konfrontation damit, dass eine gewalttätige Durchsetzung eigener Interessen für den eigenen Lebensweg katastrophal enden könne (ein konkretes Beispiel von zwei Lehrlingen aus Brandenburg wird angeführt, die durch eine Gewalttat gegenüber einem "Ausländer" ihre Arbeit verloren bzw. eine Haftstrafe ausgefasst haben).

Dass Schulen und vor allem Lehrkräfte von der politischen Aufgabe überfordert sein können, lässt sich an der Gewichtung der Beiträge erkennen. Zur Lehrkräfteausbildung gibt es zwei kurze Beiträge am Ende des Bandes. Einer stellt die Frage, ob es mehr Lehrpersonal mit Migrationshintergrund geben solle. In einem Beitrag ist das Problem angedeutet: Neben der Wissensvermittlung und der Bildungschance für alle Schüler:innen werden nun nicht mehr nur erzieherische Aufgaben (eigentlich des Elternhauses) von Schulen übernommen, sondern sie sollen Wunderwuzzi-Institutionen sein, welche verhindern sollen, dass aus Jugendlichen radikale oder gar extremistische Erwachsene werden. Dass Lehrer:innen überfordert sind oder das schlichtweg nicht (mehr) wollen, kann ich mir gut vorstellen.