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Diese Sammlung von Anton Kuhs Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln reicht von Mitte 1926 bis Ende 1930. In diesen Zeitraum fällt seine Übersiedelung 1928 nach Berlin. Aus politischen Gründen. Österreichs Parteien haben bewaffnete paramilitärische Organisationen, 1927 wurden bei Demonstrationen nach einem Freisprunch von Heimwehrschützen mehr als 90 Menschen von der Polizei getötet.

Kuhs Theaterrezensionen drehen sich zunächst oft um die Revuen mit Mädchen mit Bubikopf, typisch Goldene Zwanziger, aber seine Essays werden immer giftiger. So stört ihn die permanente Benennung von Menschen als "Ausländer" bis hin zum Begriff "Feindsprache" für "Fremdsprache". Auch über sein eigenes Leben gibt er so manches bekannt, auch dass er - wie sein Idol, der Kaffeehausliterat Peter Altenberg - seit seinem 17. Lebensjahr in Hotels wohnt und kein Heim hat (nicht gemietet, schon gar nicht gekauft).

Thematisch und stilistisch ist Kuh in dieser Zeit nicht sehr griffig. Er schreibt, was ihm gerade einfällt, wie wohl auch seine Spontanreden, mit denen er Geld verdient, unterschiedlicheste Themen aufgreifen. Stilistisch werden seine Texte konziser. Einerseits beginnt er lange Essays in weniger mündlich geprägter Sprache zu schreiben, andererseits verkürzt er Texte auch hin zu Sentenzen und Aphorismen. Auch verwertet er - von ihm wohl als gelungen angesehene Passagen - mehrfach. Zweimal schreibt er von Flugreisen, die ihn in Todesangst versetzten: eine Zeppelinfahrt von Venedig nach Wien und eine Flugzeugreise von München nach Berlin.

Thema ist immer wieder der von ihm verhasste Karl Kraus, und in diesem Zusammenhang verteidigt er den ungarischstämmigen Wiener Boulevardverleger Imre Békessy, der auch nicht zimperlich ist, als Verteidiger gegen die nationalsozialistischen Horden. Békessy wurde von Kraus mit einer Anklage wegen Erpressung aus Wien geekelt. In diesem Zusammenhang ist auch ein Essay über Siegmund Bosel, einem Investor, der im Weltkrieg Militärausstatter war und danach mit Krediten hauptsächlich von der Postsparkasse ins Spekulationsgeschäft einstieg, was in einem Fiasko endete und die Postsparkasse beinahe in den Ruin trieb. "Pumpen" heiße nun "Finanzierung". Gar nicht unmodern. Anmerkung zu Bosel: Er wurde sehr wahrscheinlich am 6. Februar 1942 als Schwerkranker auf einer Bahre beim Judentransport von Wien nach Riga vom SS-Leiter der Deportationen Alois Brunner erschossen.

Tagespolitisch schreibt Kuh wenig bis gar nichts, hauptsächlich über die Theater- und Filmwelt (Reinhardt, Hans Moser, Schauspielerinnen, Sternheim - nichts über Fritz Lang interessanterweise). Einmal bricht die Preisgestaltung durch, als ein Arbeitsloser sich beklagt, dass ein Viertel Wein 1,40 Schilling kostet. Ich habe recherchiert: zu diesem Zeitpunkt, 1930, lag ein durchschnittlicher Arbeiterlohn bei 200-300 Schilling. Das ist wirklich teuer. Einen Text widmet er der Polizeigewalt in Wien gegenüber Frauen. Wen er nicht leiden kann: den Adel. Über ihn mokiert er sich durchgehend, auch wenn ihn die Republik in Österreich auch nicht überzeugt, da sie für ihn keine richtige Republik ist und im verkleinerten Österreich sich die Staatsbeamten immer noch aufführen, als ob sie absolute Herrscher wären.

Neu erscheint mir, dass er mehr über Literatur schreibt: Einige Rezensionen und einen Huldigungsartikel über Hamsun (70. Geburtstag).

Insgesamt: Manche seiner Texte habe ich mit großem Interesse gelesen, aber einen Gutteil auch überflogen, da ich entweder die Leute nicht kenne oder das Thema mich nicht angesprochen hat.