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Diese frühe vierteilige Erzählung von Stifter aus dem Jahr 1840 (Stifter war selbst schon 35) besitzt ein interessantes Kernstück, eine Ballonfahrt an die Grenze zum Weltraum, die damals tiefer angesetzt war, etwa bei 4000 Metern. Gerahmt ist es mit einer unerfüllbaren Liebesgeschichte zwischen einem Künstler, Gustav, und einer jungen Frau aus der oberen Gesellschaftsschicht namens Cornelia, vermutlich eine Adellige.

Gebrochen wird die Geschichte durch einen außenstehenden Beobachter, der jedoch sehr viel weiß und im ersten Teil aus dem Tagebuch des armen Malers zitiert, der von seinem Fenster aus in den frühen Morgenstunden mit einem Fernrohr einen am Himmel entschwindenden Ballon mit drei Fahrgästen beobachtet.

Cornelia ist neben dem englischen Piloten und dessen wissenschaftlichen Begleiter eine der drei. Doch als der Ballon an die Grenze zum Weltall stößt - der Himmel wird schwarz, die Sonne ist eine kalte gleißende Scheibe - und das Gefühl vermittelt, dass die Erde nicht mehr das Vertraute ist, eine Heimat nicht mehr zu erkennen ist, wird sie ohnmächtig und beginnt aus der Nase zu bluten. Mit der Bemerkung des alten Wissenschafters "Das Weib erträgt den Himmel nicht" wird bereits über den Regionen des Mittelmeers der Sinkflug eingeleitet.

Nach Cornelias Genesung besucht Gustav sie, beide lieben sich, auch wenn sie viel reifer ist als der gleichaltrige junge Mann (beide sind Anfang 20), dennoch stoppt niemand von den zwei Gustavs Ansinnen, die Welt zu bereisen, um künstlerisch und menschlich zu reifen.

Der letzte Teil spielt Jahre später in Paris, Cornelia ist eine bewunderte Schönheit der High Society. Bei einer Ausstellung begegnen sich der ausschließlich beobachtende Erzähler und Cornelia bei zwei Bildern eines Gustav R. aus Deutschland, welche Erde und Mond aus zwei Perspektiven zeigen, aus der Höhe und vom Boden aus. Immer auf dem Bild eine Katze, Gustavs Katze. Beide erfahren aus Gesprächen, dass der Maler nun die Cordilleren durchstreifen solle, immer noch auf der Suche nach Selbsterfüllung. Cornelia verlässt am Abend ihre Wohnung nicht, diesen verbringt sie weinend.

Es ist nun die Frage, ob Stifter mit dem Scheitern der explizit erwähnten Befreiung, der Emanzipation der Frau bzw. mit dem Scheitern einer Liebesbeziehung über Standesgrenzen hinweg diese Bestrebungen kritisieren möchte oder ob er sie nicht doch bedauert. Eigenes Scheitern fließt wohl mit großer Wahrscheinlichkeit in diesen Text ein. Vermutlich auch nostalgisches Bedauern.

Diese durchaus interessante Erzählung ist auch online zu lesen, so zum Beispiel im Projekt Gutenberg