Kowalczuk-Ulbricht1

Der Berliner Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk arbeitet seit 2018 an einer Biographie Walter Ulbrichts und hat in diesem Jahr den ersten Teil mit gut 1000 Seiten vorgelegt, der bis zur Ankunft der Gruppe Ulbricht in Deutschland 1945 handelt. Es ist keine psychologische, sondern eine auf vielen Dokumenten, die noch in Archiven ruhen, basierende politische Biographie. Kowalczuks Text gliedert sich in viele, relativ kurze Kapitel und ist durchaus spannend lesbar (nicht so üblich für so eine trockene Herangehensweise), da es die Positionen wie auch die Organisation der KPD in der Weimarer Republik wie im Exil (Prag, Paris, Moskau) spiegelt.

Bei Ulbricht (Tischlergeselle von Ausbildung) sticht ins Auge, dass er bereits vor dem Ersten Weltkrieg, als er sich in Leipzig der SPD anschloss und eine Parteischulung durchlief, sich in seiner Parteiprüfungsarbeit sehr stark an Phrasen von Karl Marx klammerte und diese oft ohne Nennung wörtlich übernahm. Eine Herangehensweise, die Ulbricht nach Übertritt zur KPD beibehielt. Sein Grundzug ist, dass er den sogenannten demokratischen Zentralismus verinnerlichte und immer, ohne Ausnahme, den tagesaktuellen Standpunkt der Partei vertreten hat, egal welchen. Somit war ihm auch nie vorzuwerfen, gegen die Parteilinie abweichende oder gar fraktionierende Standpunkte zu vertreten. Dies sicherte ihm nicht nur sein Überleben im Moskauer Exil, sondern auch gepaart mit seinem Arbeitsfleiß, der zu konstatieren ist, den Weg an die Parteispitze, den er letztlich ohne Seilschaft sich erarbeitete.

Die Parteilinie zu vertreten bedeutete in der KPD ab 1919, den Beschlüssen der Kommunistischen Internationale in Moskau zu folgen. Ulbricht zählte zu denen, welche die Vorgaben der KI rigoros umsetzten, egal in welcher Stellung (Leipzig, Thüringen, Berlin, Prag und Berlin oder zuletzt in Moskau). Die vorgegebene Linie bedeutete aber auch, dass die Sozialdemokratie von 1924 bis 1935 als Teil des Faschismus gesehen und damit eine politische Koalition abgelehnt wird. Die "Sozialfaschisten" werden lange Zeit als gefährlicher angesehen als die "Nationalfaschisten". Die von Kowalczuk präsentierten Quellen zu den letzten Jahren der Weimarer Republik belegen für mich, dass es die KPD mit ihren Richtlinien war, die es verunmöglichte, dass die Parlamentsmehrheit von SPD und KPD (bis 1932!) die autoritären Präsidialregierungen kippte. Die KPD war nicht bereit, mit der SPD zu koalieren und strebte in Ablehnung des Parlamentarismus ein Sowjetdeutschland unter ihrer Führung an. Auch wenn Ulbricht in seiner Agitation durchaus brauchbare soziale Konzepte vermittelte, Ziel war immer der Sturz der kapitalistischen Gesellschaft und die Errichtung einer Diktatur des Proletariats unter Führung der politischen Avantgarde, der KPD (Lenin'sches Konzept).

Die Zuständigkeiten von Ulbricht waren konstant Agitation, Propaganda und vor allem Organisatorisches. Egal ob in Leipzig, in der Bezirksführung Thüringen, im Zentralkomitee, im Politbüro oder im Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale. Agitation überrascht wegen seiner bekannten Stimme (Kehlkopfkrankheit), aber im vormedialen Zeitalter scheint das kein Manko gewesen zu sein. Er war ein Vielschreiber und so manche seiner überlieferten Texte zeugen von einem durchaus hohen Niveau (zum Beispiel seine "Legende vom deutschen Sozialismus" aus 1944, das die Deutsche Nationalbibliothek online gestellt hat).

Bei der Organisation ist er ein Kontrollfreak. Durchgehend setzt er sich dafür ein, dass die Umsetzung der Parteibeschlüsse von den zuständigen Gremien kontrolliert werden muss. Dies galt auch für seine Arbeit. So hat er nie eigenmächtig seine Texte veröffentlicht, sondern immer vor Veröffentlichung dem entsprechenden Gremium vorgelegt. Dies war ihm sicher während der Zeit des Moskauer Terrors von Vorteil. Er forcierte offensiv, dass auch er von Partei und Geheimdienst geprüft werde, ob Fehler und Abweichungen in seiner Arbeit gegeben seien. Der Clou: Da alle seine Aktivitäten zum gegebenen Zeitpunkt freigegeben waren und der Parteirichtlinie entsprachen, hätten sich alle seine Mitstreiter selbst angeklagt, falls sie Ulbricht ans Bein gepinkelt hätten. Ob Ulbricht selbst aktiv Genoss:innen an den Pranger gestellt hat, geht aus den bekannten Akten nicht hervor. Es ist nur belegt, dass er die Verfolgungen für gerechtfertigt hielt (wie immer: er vertrat den aktuellen Standpunkt der Partei). Die Ausschaltung des Militärischen Apparats der KPD (einer Art Innennachrichtendienst sowie Ordner- und Schutzdienst, eng mit dem GPU in der Sowjetunion verbunden) unter Hans Kippenberger bleibt unklar. Kippenberger, ein erklärter Gegner Ulbrichts, wurde 1937 von Stalins Schergen ermordet und der Militärische Apparat aufgelöst.

Ulbricht war nicht nur ein Vielschreiber, sondern er reiste auch viel, um zu agitieren oder die Organisation zusammenzuhalten. Bereits in den 20er Jahren war er mehrfach in Moskau bei Sitzungen, ab 1933 pendelte er zwischen Prag, Paris und Moskau, ehe er Ende der 1930er in Moskau blieb, als die Verbindung zu Kommunisten in Deutschland immer mehr abbrach. Dieses Abbrechen ist versucht worden, Ulbricht als Verantwortlichen anzulasten, was die Führung der KI aber auch der sowjetischen KP nicht beeindruckt hat. Wohl zurecht. Die Unterdrückungs- und Terrormaßnahmen der NSDAP wurden von vielen in der Exil-KPD (auch von Ulbricht) unterschätzt. Das Ziel, als "trojanisches Pferd" in der Deutschen Arbeitsfront oder in Kraft durch Freude illegale Gewerkschaftsorganisationen, Protest und Streiks zu initiieren, war schlichtweg realitätsfremd. Diese Realitätsfremdheit war mit ein Grund der Distanzierung der in Deutschland verbliebenen und überlebenden Kommunisten gegenüber den Exil-Kommunist:innen nach Ende des Krieges.

Besonders absurd waren die propagandistischen Pirouetten zur Zeit des Hitler-Stalin-Pakts, als England als der große imperialistische Feind wieder ausgepackt wurde, auch gegen die Sozialdemokraten wird wieder gehetzt (ihnen wird mehr oder weniger wieder unterstellt, sie seien Wegbereiter des Faschismus - und Faschismus wird de facto mit jeglichem kapitalistischen System gleichgesetzt). Andererseits seien vor allem die deutschen Nationalsozialisten aus dem Proletariat eigentlich Sozialisten, die mit Propaganda Kommunisten werden könnten. Am 22. Juni 1941 war damit wieder vorbei.

Während des Krieges arbeitete Ulbricht hauptsächlich an Agitation und Propaganda. Berühmt ist das Foto mit dem Dichter Erich Weinert an der Front in Stalingrad, wo sie Botschaften per Lautsprecher an die deutschen Soldaten sandten. Wichtiger als die Frontarbeit war seine Arbeit in den Kriegsgefangenenlagern, in denen er für die kommunistische Sache zugängliche Offiziere wie Frontsoldaten ausfiltrierte und Schulungen zuführte. So mancher von ihnen machte in der DDR schließlich Karriere und innerhalb der KPD wurde gemunkelt, Ulbricht wolle einen neuen, ihm treu ergebenen Kader ausbilden.

Gleichzeitig propagierte er die jeweils von Stalin ausgegebenen Konzepte für ein Nachkriegsdeutschland, die allesamt - auch wenn nun eine parlamentarische Republik mit freien Wahlen und Bürgerrechten als Zwischenstufe vorgesehen war - dazu führen sollen, dass der Grundstein für eine Volksrepublik und schließlich für eine Diktatur des Proletariats unter Führung der Kommunisten gelegt werden soll. Erste Maßnahmen waren die Verstaatlichung der Großkonzerne und Banken, die Vergenossenschaftlichung von Handwerksbetrieben und eine Bodenreform zugungsten der besitzlosen Bauern.

Mit der Konferenz von Jalta Anfang Februar 1945 und der Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen kam das Konzept durcheinander, die KPD sah die Unmöglichkeit, in ganz Deutschland bestimmenden Einfluss auszuüben. Doch die Planung war sowieso nicht in den Händen der KPD, sondern in denen Stalins. So wurde Ulbricht bestimmt, Offiziere der Roten Armee über Deutschland zu schulen und im sowjetischen Besatzungsteil Strukturen aufzubauen. Schließlich wurde die "Gruppe Ulbricht" noch vor Kriegsende hinter der Front nach Deutschland geschickt.

Damit endet dieser Teil, ein zweiter Teil ist für 2024 angekündigt.

Wie oben geschrieben, Privates ist wenig in dieser Biographie. Zu den drei Frauen, zu denen er in seinem Leben Beziehungen hatte, wie zu seinen Kindern scheint er ein sehr umgänglicher Mensch gewesen zu sein, der auch nach Beziehungsbrüchen freundschaftliche Beziehungen aufrechterhalten hat. Hervorgehoben wird seine Sportbegeisterung, so wird von einem Skiurlaub in der Schweiz 1935 berichtet, aber auch im Kaukasus war er während des Kriegs auf Skiurlaub. Etwas süffisant wird angemerkt, dass der Tennisspieler Ulbricht sich während der Zeit des Hitler-Stalin-Pakts und der Hoch-Zeit der antienglischen Propaganda sich "beste Tennisbälle" aus England hat schicken lassen. Auch wird hervorgehoben, dass er Nichtraucher war und kaum Alkohol getrunken hat. Zu Beginn erfahren wir (typisch für eine Biographie) auch noch etwas über das Leipziger Elternhaus.