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2010 wurde dieser Bericht veröffentlicht und es ist immer noch beklemmend zu lesen, wie ein maßloser Sadist eine 10-Jährige am Schulweg in Wien entführt hat und über acht Jahre in ein selbstgebautes fensterloses Hochsicherheitskellerloch von fünf Quadratmetern sperrt und Dauerfolter aussetzt (Lichtentzug, Isolierhaft, Lärmfolter durch surrenden Ventilator, permanente Überwachung durch Sprechanlage, Essensentzug, Sklavenarbeiten, brutalste Schläge).

Sehr nachvollziehbar schreibt Kampusch, wie sie als Kind und später aus Überlebenswillen immer wieder versucht, einen Draht zu der Person zufinden, der sie komplett ausgeliefert war und ab der Pubertät beinahe in den Hungertod getrieben hat (mit 15 Jahren hatte sie 38 Kilo, einen BMI von unter 15). Auch durfte Wolfgang Priklopil nichts zustoßen, da eine Kontaktaufnahme mit der Außenwelt aus dem Verlies nicht möglich war und eine Flucht durch eine schwere Stahlbetontür schlichtweg unterbunden war.

Wie sehr sie gefoltert wurde (vergewaltigt wurde sie nach ihren Aussagen nie), ist anhand ihrer Aufzeichnungen aus dem Kellerloch deutlich beschrieben:
Fausthiebe und Tritte, würgen, kratzen, Handgelenk prellen, abquetschen desselbigen, gegen Türrahmen gestoßen. Mit Hammer und mit Fäusten in Magengegend (schwerer Hammer) geschlagen. Ich habe Blutergüsse auf und am: rechten Hüftknochen, rechten Ober- (5 mal 1 cm) und Unterarm (ca. 3,5 cm Durchmesser), am linken und am rechten Oberschenkel außen (links ca. 9 - 10 cm lang und tiefschwärzlich bis violett gefärbt, ca. 4 cm breit) sowie an beiden Schultern. Schürfungen und Kratzschnittwunden an den Oberschenkeln, der linken Wade.
Auch dass sie bei einigen "Ausflügen" in die Außenwelt nicht geflohen ist, schildert sie nachvollziehbar. Sie war ausgehungert und geprügelt, die Körperfunktionen waren auf Sparflamme, außerdem glaubte sie, dass Priklopil bewaffnet ist und - wie angedroht - bei einem Fluchtversuch mögliche Helfer erschießen werde. Dazu kam die Angst, dass ihr niemand mehr glauben würde.

Die geistige Wende kam zu ihrem 18. Geburtstag, zu ihrer Volljährigkeit, für die sie schon als Kind geplant hatte, unabhängig leben zu wollen. Sie fand ihr Selbstbewusstsein, ihre Identität wieder und während eines Disputs soll sie zu Priklopil gesagt haben: "Wenn du dich umbringst, wären die ganzen Probleme auf einmal weg."

Sie fand die Kraft, in einem Moment der Unachtsamkeit Priklopils aus dessen Garten, in dem sie halb nackt (sie durfte nie Unterhosen tragen, wenn sie in seinem Haus Sklavendienste verrichtete), zu arbeiten gezwungen war, zu fliehen. Und beinahe verlief es so wie befürchtet. Die Frau, an die sie sich wendete, glaubte nichts, rief aber (vielleicht aus Angst vor Kampusch) die Polizei. Priklopil warf sich noch am selben Abend vor einen Zug.

Kampusch geht auch auf Kritik ein, der sie nach ihrer Selbstbefreiung ausgesetzt war. Dass ihre Versuche, einen menschlichen Zugang zu Priklopil zu finden, auf das sogenannte Stockholm-Syndrom zurückzuführen seien, lehnt sie ab. Es sei um das Überleben bei einem Menschen gegangen, der sie in totale Abhängigkeit gezwungen hatte. Andererseits war sie ihrer Aussage zufolge schon so weit gebrochen, dass sie begann, die Perspektive des Täters zu internalisieren. Weiters wäre ihr nie aufgefallen, dass noch weitere Personen beteiligt gewesen wären, es also einen Verbrecherring gegeben hätte.

Kein gutes Haar lässt Kampusch an der schleißigen Ermittlung durch die Polizei, die aufgrund eines Hinweises sogar einmal das Haus und den weißen Kastenwagen sowie Priklopil überprüfte und später einen Hinweis durch einen Hundeführer aus Strasshof ignorierte.