Vidal-Ewiger Krieg

Gore Vidal war linksliberaler (?) freier Journalist und Schriftsteller mit Hang zu Verschwörungsthesen und lässt gerne heraushängen, dass sein Großvater Oklahoma 1937 in die Union geführt hat sowie dessen erster Senator war und dass er mit John F. Kennedy bekannt war. Der Verdacht bleibt nicht aus, dass er dadurch seinen Ideen mehr Gewicht verleihen wollte. Seine politischen Ambitionen blieben glücklos.

Dieser Band präsentiert Artikel, die hauptsächlich für Vanity Fair geschrieben wurden, und gehen der Frage nach, warum Terroristen wie Timothy McVeigh, der Oklahoma-Attentäter, mit dem Vidal während dessen Gefangenschaft bis zur Hinrichtung in Kontakt war, und Osama bin Laden die USA attackieren woll(t)en.

Vidals Antwort folgt dem Schema Actio-Reactio. Die Terroranschläge von McVeigh und bin Laden waren Reaktionen auf die US-Politik. McVeighs Kontext ist die Verarmung bäuerlicher Familienbetriebe mittels Enteignung durch politisch geförderte Konglomerate, und Vidal ergänzt noch den ans Totalitäre grenzenden Abbau der Bill of Rights wie der US-Verfassung. Bin Ladens Kontext ist die Anwesenheit von US-Einheiten in Saudi Arabien sowie der Antiarabismus in US-amerikanischer Politik wie in den Medien. Und manchmal schießt Vidal meiner Ansicht nach übers Ziel:
Wenn man sich einmal klarmacht, dass die Vereinigten Staaten die übrige Welt unablässig mit Gewalt überziehen und hierzu Vorwände benutzen, die so durch und durch fadenscheinig sind, dass wohl selbst Hitler gezögert hätte, sie zur Rechtfertigung seiner dreistesten Lügen zu verwenden, begreift man allmählich, weshalb uns Osama Bin Laden aus der Ferne und im Namen von einer Milliarde Muslimen angegriffen hat.
Die meisten Artikel handeln von McVeigh. Vidal lässt definitv durchblicken, dass er nicht an eine Alleintäterschaft McVeighs glaubt, sondern dass er Mittäter gedeckt, aber auch einen schlechten Verteidiger gehabt hat. Dessen Tat sieht er in einem "übersteigerten Gerechtigkeitssinn", und mehrfach weist er auf den behördlichen, extrem mörderischen Überfall auf die friedlichen Branch Davidians in Waco hin. Selbst dass FBI und das Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives (ATF) am Oklahoma-Anschlag beteiligt waren, schließt Vidal nicht aus. Für ihn ist ein Indiz, dass es im ATF-Büro des Murrah Federal Building keine Opfer gegeben habe.

Vidal veröffentlicht auch aus Kommunikationen mit McVeigh, so dessen 10 Ergänzungspunkte zur US-Verfassung: Tim's Bill of Rights, in denen er eine radikale Föderalisierung der USA fordert. Beispiele: Keine direkte Bundesbesteuerung, keine Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen durch Bundesbehörden, Straftaten werden vor örtlichen Gerichten verhandelt. Ferner fordert er, dass sich jeder Bürger auf die gleiche Art und Weise bewaffnen darf wie Bundesbehörden, dass Geld jederzeit in einen international anerkannten Wert wie Silber eingetauscht werden kann und dass Angehörige der Legislative nicht mehr als das Doppelte der Armutsgrenze verdienen dürfen. Ob Letzteres wirklich ein geeignetes Mittel ist, Korruption von Gesetzgebern einzudämmen, bleibt dahingestellt.

Der letzte Beitrag ist ein offener Brief an den designierten Präsidenten George W. Bush vom 11. Januar 2001. Bush hat für ihn die Wahlen nicht gewonnen, sondern ist durch einen Trick, Auszählungen stoppen zu lassen, an die Macht gekommen. Er wünscht sich von ihm, dass er zum Pentagon auf Distanz geht und die Militärausgaben für Bildungsausgaben (was ja auch Bush' Ziel sei) und ein staatliches Krankenkassensystem umwidmet. Von 1949 bis 1999 habe der Staat 7,1 Billionen USD für Militär ausgegeben, der aktuelle Schuldenstand betrage 5,6 Billionen. Ohne Militärausgaben wären die USA schuldenfrei. Auch fordert Vidal höhere Unternehmenssteuern. Diese seien von 25 % im Jahr 1950 auf 10,1 % im Jahr 1999 gesunken.

Insgesamt eine interessante Zeitreise mit wichtigen Problematiken, die angeschnitten sind. Der süffisante, lakonische und nicht nur einmal selbstgerechte Stil mit Hang zu Verschwörungsthesen erhöht für mich das Lesevergnügen eher nicht.