Narrenschiffer
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Benjamin von Stuckrad-Barre - Soloalbum
gestern um 12:12
Dieser 1998 erschienene Roman zählt ja irgendwie zu den Ikonen der 90er Jahre. Noch definieren sich junge Leute über Musik, die sie auf CD oder Vinyl besitzen, und die schnellste schriftliche Kommunikationsmöglichkeit ist das Fax. Auf diesem Weg trennt sich die etwa 19-jährige Katharina von ihrem Freund, dem Ich-Erzähler, der dann seine Befindlichkeiten in Kapiteln mit Titeln oder Zitaten seiner Lieblingsband Oasis in inneren Monologen zum Besten gibt.
Der Ich-Erzähler arbeitet bei einem Musik-Label in Hamburg und nach Übersiedlung nach München bei einer nicht näher beschriebenen Agentur. Er ist immer knapp bei Kasse, verwahrlost seine Wohnungen, aber in der Öffentlichkeit trägt er Anzüge. Neben seiner Weinerlichkeit nach dem Laufpass sind vor allem Musiktitel Hauptthema der Reflexionen wie Beschreibungen seiner Wohnsituation, seiner Saufereien und seinem Sexleben inklusive Onanie - und sein überhebliches Ego bezüglich Kunst- und Kleidungsgeschmack - Thema. Und: Stalkingversuche bei Katharina, die aber eh ganz nett sind. Der Roman endet mit einem Oasis-Konzertbesuch in Berlin, der in Suff ausartet.
Hier so ein Überheblichkeitsbeispiel:
Ums Abitur herum fuhren meine triebgeplagten Freunde immer mit dem just ergaunerten Auto in den Osten, da sollte alles anders sein, es sollte, es mußte doch! Die Autos waren Erbschaften zu Lebzeiten, um die Steuer zu umwandern, die Omas wollten ja noch sehen, was sie sich da vom faltigen Munde abgeknapst hatten, von ihrer Trümmerfrauengage, jahrzehntelang gelebt wie Mittellose, Arbeitslose, Landlose, Rubbellose - und dann fährt der schnöselige Enkel die Tausender in den Osten, um dort - und genauso war es - "Prollweiber zu ficken". Nächtelang standen sie in ehemaligen Scheunen und versuchten die Mauerauf-Tanten in ihren unsäglichen Jeans, mit den widerlichen eingeflochtenen Zöpfen und den Daunenjacken "flachzulegen".Hier Überheblichkeit gepaart mit Misogynie (er selbst beklagt übrigens permanent sein Übergewicht):
Sie ist sehr uninteressant. In, je nach Sichtweise, sehr starken oder sehr schwachen Momenten möchte ich sie sofort loswerden. Dann denke ich ans Ficken. Das Ficken mit ihr macht nicht sonderlich viel Spaß, aber der wenige Spaß ist angesichts der monatelangen Totalflaute natürlich immer noch kosmisch. Sie hat kleine Titten, ist dann aber mittig sehr fett, das ist also schon mal genau verkehrt herum. Sie wird vor allem immer fetter, mittig. Redet beim Einkaufen von Diätschokolade und Margarine und ißt dann lauter Dreck. Jetzt ist sie zu Besuch, keine Ahnung, wie lange sie bleiben will, der Größe der Tasche nach schätze ich mal: ziemlich lange. Sie liegt ganze lage bei mir auf dem Bett rum - ich gehe arbeiten, sie liegt auf dem Bett und tut nichts, guckt bloß immer Fernsehen, und nur die dümmsten Programme: zwischen VIVA, RTL2 und Pro 7 hin und her. Dabei ißt sie Chips, und abends, wenn ich wiederkomme, lacht sie und sagt, ihr wäre fast gar nicht langweilig gewesen, nur einmal kurz, aber da sei sie dann schnell zu H&M gegangen. Dann cremt sie sich ein und zieht sich unglaublich abtörnende Schlaf-Sweatshirts an. Ich denke wirklich oft und gerne an Sex, und da liegt nun diese Tante in meinem Bett, und da sie da schon mal liegt und einfach auch völlig überfordert ist von der vielen Zeit, die ihr zur freien Verfügung steht, was läge da näher? Beziehungsweise: Ficken wäre kein Problem, so gesehen. Aber es treibt mich überhaupt nichts ...Hier ein Beispiel, wie Schein (Anzüge, Überheblichkeit) und Sein (Prollhaftigkeit) auseinanderklaffen. Ort ist eine archäologische Ausgrabungsstelle in München:
Ich habe gestern nacht gegen den Ausstellungscontainer gepißt. Das machen die Hunde auch. Heute nacht pisse ich in die Grube. Da kommen die Hunde nicht hin wegen all der Gitter. Ich kann weiter pissen als die Hunde. Vielleicht ist meine Pisse ja morgen als gelbes, gefrorenes Naturspektakel auf den weißen Plastikplanen zu bestaunen.Ein gelungenes Bonmot möchte ich aber doch präsentieren (Replik auf eine Dankesrede für einen Preis bei einer Fernsehgala):
"Ich danke den Juroren, vor allem aber meinem Publikum, das mir den Luxus erlaubt hat, mein Hobby zum Beruf gemacht zu haben."
Den letzten Satz würde ich ja gerne mal von einer Prostituierten hören.