Herrndorf-Bilder

In dem posthum 2014 erschienen Roman greift Herrndorf mit Isa Schmidt eine 14-Jährige auf, die in Tschick vorkommt.

Isa haut von einer Nervenheilanstalt (sie sieht sich als "Verrückte") ab und beginnt einen Fußmarsch durch Deutschland, den sie in Episoden erzählt, wobei weder auf Kontinuität noch auf Realität geachtet werden muss, da es ja ihre Reflexionen sind. Sie fährt auf einem Binnenfrachtschiff wie bei einem LKW mit (der Schiffer ist nett, der LKW-Fahrer eigentlich auch, auch wenn er Schweine fährt und sich am Straßenrand einen runterholt, als er Isa beim Schweinetränken beobachtet). Es gibt eine Begegnung mit einem Schriftsteller, bei dem sie im Garten für ein paar Euro den Rasen mäht, mit einem aggressiven Alkoholiker in einem Park und - wohl unvermeidlich - mit den beiden Lada-Typen aus Tschick. Die meisten, denen sie begegnet, denken zwar daran, dieses entlaufene Kind der Polizei zu melden, unterlassen es jedoch.

Beeindruckend ist die Schilderung, wie sie in einer Gesellschaft, deren physische Erhaltung über den Markt organisiert ist, überleben muss. Sie hungert, stiehlt, bettelt, übernimmt Arbeiten, sucht auf einer Müllhalde nach Essbarem. Auch die Wege sind schwierig. In einer längeren Episode schildert sie den Versuch, einen Fluss zu überqueren, bei dem es keine Brücke gibt. In einem Wald stößt sie auf einen toten Jäger, der auf einem erschossenen Reh verwest. Sie vermutet, ihn habe der Schlag getroffen, und nimmt seine Pistole.

Reales und Nicht-Reales mischt sich beispielsweise in einer Episode, als sie mit einem taubstummen Jungen spricht, der bei ihr bleiben will und ihr Treue gelobt: "Meine Ehre heißt Treue." Auf diesen SS-Leitspruch antwortet Isa mit der Bibel: "noch ehe der Hahn zum dritten Mal kräht, wirst du mich verlassen".

Isa ist überhaupt sehr belesen, ihr Lieblingsautor sei Karl Philipp Moritz, dessen Roman Anton Reiser für Herrndorf durchaus eine Inspiration zu diesem Werk gewesen sein könnte.

Literarisch ist dieser kurze Roman definitiv höherwertig als Herrndorfs erfolgreicher Roman Tschick, der für mich letztlich doch nur Klamauk ist.