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Didi Drobna - Ostblockherz
22.11.2025 um 11:16
Didi Drobna ist Wienerin, als kleines Kind ist sie mit ihren Eltern aus der Slowakei nach Österreich migriert. In diesem unlängst erschienen Roman ist ihr Vater der Reibebaum. Diese Autofiktion ist so nahe am realen Leben, dass es eigentlich etwas sehr verfrühte Memoiren sind.
Drobna teilt ihre Kapitel in "Heute" und "Damals". Die Heute-Kapitel begleiten den todkranken Vater (Entzündung der Bauchspeicheldrüse), der nach Jahrzehnten immer noch kaum Deutsch spricht, zu Ärzten und in Krankenhäuser, die nicht den Eindruck eines reichen Landes, sondern eines desolaten failed state vermitteln. "wie bei den Hottentotten" lässt sie die Mutter sagen. Schließlich wird der Vater operiert. So nebenbei wird ventiliert, dass dies alles während der Corona-Lockdowns stattfindet, welche nicht nur in Österreich die Gesundheitssysteme an ihre Grenzen gebracht haben.
Lange Zeit überlegt man beim Lesen, warum die Eltern überhaupt aufgebrochen sind. Der Vater ist Flugzeugingenieur und in Österreich bekommt er nicht mal einen Job als Paketausträger, da er kein Wort versteht. Die Mutter arbeitet an der Wirtschaftsuniversität in Bratislava und ist die Pionierin. Sie geht als Erste nach Wien, da es "mehr Freiheit" gebe und arbeitet als Kellnerin in einem Café, "arbeitete zwölf Stunden und bekam als Lohn 20 Schilling" (das sind heute 3,50 Euro). Weiter im O-Ton der Mutter:
Der Besitzer war gut zu mir, der war schon in Ordnung. Neben dem Lohn lernte ich, wie man die Wiener Kaffee-Spezialitäten macht: großer und kleiner Brauner, ein Verlängerter, Melange und Einspänner. DAS war meine Bezahlung. Das Handwerk der Wiener Kaffeehauskultur.Aus dem Mund einer Wirtschaftswissenschafterin? Irgendwas ist fishy. Also weiter:
aber ich verdiente mit dem Trinkgeld mehr, als Vater und ich zu Hause in einem Monat zusammen verdientenKeine Ahnung, wieviel Trinkgeld in einem kleinen Café nicht im Zentrum drinnen ist. Aber selbst wenn es 20 Euro am Tag wären (und sie bekommt 3,50 für 12 Stunden, als 30 Cent in der Stunde? in Wien?). Auch weiß ich nicht, was Universitäten in der Tschechoslowakei Anfang der 90er Jahre bezahlten. Ich weiß es nur für Ungarn Anfang der 90er Jahre. Das waren netto etwa 300 Euro (4000 Schilling). Käme ich auf 600 für die beiden, seien es 500. Mit 30 Cent die Stunde kommt sie nie und nimmer dorthin. Ich glaube auch nicht, dass ein Vorortecafé damals so wenig bezahlt hat. Aber wer weiß das schon, wie das mit vermutlich schwarz Angestellten damals gelaufen ist. Und die Mutter hatte keine Arbeitserlaubnis und hauste in einer "Gastarbeiter-Unterkunft", "einer der heruntergekommenen Buden".
Auch in der folgenden Passage stellt sich die Frage, warum die Eltern nach Wien gegangen sind.
Egal, wie es uns in Wien ging, wie prekär unser Leben in Österreich sich gestaltete, in der Slowakei war Vater zu jemandem geworden, indem er gegangen war. Niemand fragte nach seiner Einsamkeit. Niemand fragte nach den Details. Als Auswanderer hatte es einem gut zu gehen, finanziell wie emotional. Ein Bild, das von beiden Seiten aufrechterhalten wurde. Niemand fragte, niemand berichtete. Was sollte man auch erzählen, es war doch überall schwierig.Der Grund wird vermutlich am Ende des Buches gegeben: Sie taten es wegen der Kinder, damit sie als Österreicher:innen aufwachsen.
Was niemand bedachte, war die zehrende Isolation im Ausland. Wir waren fern der Heimat und fern der Familie. Heimat ist Verbundenheit – mit den Menschen, dem Land, der Kultur. Unser Leben in Österreich blieb einsam. Wir waren Geister, die durch den Westen huschten.
Und wie war das mit dem Reibebaum Vater? In den "Damals"-Kapiteln wird er als herrschsüchtig und jähzornig beschrieben, auch in Österreich, als er gänzlich von seiner Frau abhängig ist, da er nur selten Arbeit hat - in einer Lagerhalle oder bei einer Putzkolonne. In Kontext wird dies mit dem "Osten" gesetzt:
Der Osten war ein kaltes, hartes Pflaster. Was dir nicht die kriegs- und armutsgebeutelten Eltern rausprügelten, quetschte das Regime hinter dem Eisernen Vorhang aus dir raus.Am Ende findet sich die Familie wieder. Didi lädt mit ihrem Mann Vater und Mutter zu einer Schottlandreise ein.
Und ideologisch? Folgende Passagen scheinen dem Zeitgeist geschuldet oder einer kognitiven Dissonanz.
Vater blieb unbeirrt und brachte mir früh bei, kritisch zu denken und nationalistische oder ideologisch gefärbte Tendenzen aufmerksam zu beobachten.
Bereits mit vier, fünf Jahren tastete ich mich an das Wertesystem heran, das die Grundlage für Alltagsrassismus und Sexismus bildete.Denn wie sonst lassen sich immer wiederkehrende Sätze erklären, für die mir kein anderer Begriff als völkisches Denken einfällt?
Auf der einen Seite standen die französischen Diplomatentöchter mit ihren geflochtenen Zöpfen, die einen derart dicken Akzent hatten, dass sie kaum zu verstehen waren – und dennoch schlugen die Kindergartenpädagoginnen entzückt die Hände über ihnen zusammen.
Das andere Ende des Spektrums bildeten türkische oder ägyptische Jungs mit dunkler Hautfarbe und ihrer als grob wahrgenommenen Aussprache, die oft in der Ecke stehen mussten. Ich lernte: Kulturen und Sprachen werden unterschiedlich bewertet. Es gab wertvolle Kinder und weniger wertvolle; eine unausgesprochene, aber allen Erwachsenen bekannte Skala zwischen West-Ost und Nord-Süd.
So ist es mit uns Slawen: Die Art und Weise zählt weniger als das Überhaupt.
Er musste doch irgendwo in mir sein: der eiserne Wille meines Vaters und meines Volkes, der zähe Kampf um den Aufstieg.
Gerade im Angesicht von Widrigkeiten ließ sich der Slawe am wenigsten beeindrucken
Wir Slawen ließen höchstens unsere Literatur und unsere Lieder sprechen, vom tiefen Schmerz, von der Zerrissenheit, von der Sehnsucht ...Ganz einleuchtend ist mir nicht, warum der renommierte Piper-Verlag dieses Buch herausbrachte. Es schmeckt nach Selbstverlag.