Narrenschiffer
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Louis Sachar - Löcher
gestern um 23:40
Louis Sachars Roman aus 1998 ist ein Klassiker der Kinderliteratur. Oder ist es Jugendliteratur? Die Hauptfigur, Stanley Yelnats, ist 14 Jahre alt und angeblicher Turnschuhdieb (von Turnschuhen eines berühmten Baseballstars mit Schweißfüßen). Angeprangert wird in satirischer Weise das private Bootcamp-System (Alternative zu Gefängnisstrafen) der USA, und dass es sich dabei um gewinnorientierte Projekte handelt, wird mit der Bootcamp-Leiterin auf die Spitze getrieben. Sie lässt die Jugendlichen jeden Tag ein Loch in den harten Boden eines ausgetrockneten Sees graben, um den vermeintlichen Schatz der Banditin Kate Barlow, die vor über 100 Jahren Reisende in Texas in Angst und Schrecken versetzt und auch den Urgroßvater Stanleys ausgeraubt hat, zu heben.
Meisterhaft sind absurd-skurrile, erfundene wie echte Kausalketten ineinandergeflochten. Der Fluch, der wegen Stanleys lettischen Ururgroßvaters auf der Familie liege, ist grandios witzig. Die Geschichte Kate Barlows ist beklemmend. Sie war Lehrerin am Green Lake, als er noch ein See und Pfirsichparadies war, doch ihr Liebling, ein afroamerikanischer Zwiebelverkäufer, wird erschossen, weil die beiden sich in der Öffentlichkeit geküsst haben. Kate zieht auf einen Rachefeldzug, der See trocknet aus.
Der Fluch wird gebrochen, als Stanley den fliehenden Afroamerikaner (dem er im Camp das Lesen beigebracht hat) auf einen Berg schleppt (er heißt Zeroni wie die Frau, die seinen Ururgroßvater verflucht habe, weil er sie nicht wie gefordert auf einen Berg getragen habe). Beide überleben, indem sie eine Woche Zwiebel essen, gehen zurück zum Camp, um den Schatz selbst zu suchen und finden den Koffer seines Urgroßvaters in dem Loch, in dem Stanley bereits eine Lippenstifthülse von Kate Barlow ausgegraben hat.
Cop-Out: Der Staatsanwalt und die Anwältin von Stanleys Eltern, die misstrauisch geworden sind, kommen rechtzeitig und bringen ein richterliches Dokument, dass Stanley die Sportschuhe, die ihm in einer Unterführung auf den Kopf gefallen sind, nicht gestohlen haben kann. Er ist frei. Das Camp wird geschlossen.
Nur das Ende ist etwas "amerikanisch" mit Super-Happyend. Im Koffer des Urgroßvaters finden sich Schmuckstücke und vor allem Wertpapiere, die nun so richtig Wert haben. Stanley ist Millionär, sein Vater erfindet ein Mittel gegen Schweißfußgeruch in Schuhen, das vom Baseballstar beworben wird, sein Freund Zeroni findet seine verschollene Mutter wieder. Er muss kein Straßenkind mehr sein. Und: Aus dem gemobbten dicklichen Stanley ist im Camp ein athletischer junger Mann geworden. Also doch ein Plädoyer fürs Löchergraben?
Leseempfehlung. Definitiv. Der Text ist bis ins kleinste Detail ausgefeilt und die deutsche Übersetzung gelungen.