Brecht-Sezuan

Dieses Stück schrieb Bertolt Brecht zwischen 1938 und 1940. Die Kernfrage ist, ob der Einzelne in der Lage ist, das Leid der Armen zu lindern. Beantwortet wird sie mit einem klaren Nein ("Das Unglück besteht darin, daß die Not in dieser Stadt zu groß ist, als daß ein einzelner Mensch ihr steuern könnte."), andererseits wird eine Lösungsmöglichkeit offen gelassen. "Den Vorhang zu und alle Fragen offen", heißt es im Epilog.

Strukturell zeigt Brecht die Unmöglichkeit an der Verdoppelung der Figur Shen Te/Shui Ta. Shen Te ist Prostituierte und die einzige, die den in die Stadt auf Inspektion kommenden drei alten Göttern Unterkunft anbietet. Als Dank erhält sie 1000 Silberdollar, für die sie ein Tabakgeschäft kauft, das aber aufgrund der armen Klientel (Fabrikarbeiterinnen und -arbeiter) so wenig abwirft, dass sie die horrende Miete für den Laden und den Tischler für die Regale nicht bezahlen kann. Auch quartiert sich die alte Besitzerin mit ihrer Großfamilie ein, die verlangen, durchgefüttert zu werden. Shen Te hilft nicht nur ihnen, sondern stellt auch noch jeden Tag Reisschüsseln für weitere Arme vor die Tür. Ihre eigenen Verbindlichkeiten schuldet sie um. Auch in der Liebe hat sie kein Glück. Der junge Flieger, den sie liebt, ist ein Hochstapler und Halodri, der es auf ihr Geld abgesehen hat und sie schwängert, und ihr zweiter Verehrer ist der reiche alte Bäcker, bei dem sie verschuldet ist.

Enter Shui Ta. Er gibt sich als Vetter von Shen Te aus, wirft die Bettelnden raus, errichtet in den Baracken des Bäckers eine illegale Tabakmanufaktur, in der Arme und Obdachlose für einen Hungerlohn und eine enge, feuchte Unterkunft malochen. Mit dem Rayonspolizisten stellt er sich gut. Vor Gericht kommt er, da er verdächtigt wird, Shen Te gefangenzuhalten oder gar ermordet zu haben.

Vor Gericht, das die drei Götter bilden, gibt Shui Ta unter Ausschluss der Öffentlichkeit seine wahre Persönlichkeit preis (was das Publikum eh schon weiß): Er ist die verkleidete Shen Te. Es sei unmöglich gut zu sein und dennoch zu leben. "Gute Taten, das bedeutet Ruin!", sagt sie einmal als Shui Ta. Daher ihr Doppelspiel, dem auch die Hochzeit mit dem Flieger zum Opfer fiel: Da Shui Ta bei der Hochzeitsfeier war, konnte die Braut Shen Te nicht kommen.

Strukturell zieht Brecht in diesem Stück alle Register seiner Theorie vom epischen Theater. Was aber auch zur Folge hat, dass es nach beinahe 80 Jahren manchmal staubtrocken wirkt. Die Figuren scheinen nicht aus Fleisch und Blut zu sein, sie wirken wie Sprechpuppen, auch wenn das Dargestellte nichts an Brisanz verloren hat.