Juni 2014
"Die oppositionelle Nationale Syrische Koalition (NSC) hat die ihr unterstellte syrische Interimsregierung abgesetzt. Die Kämpfe in Damaskus dauern derweil an, und die Situation der Flüchtlinge verschlimmert sich immer weiter. Allein in der Türkei haben bislang eine Million Menschen Zuflucht gesucht.
Die Generalversammlung der oppositionellen Nationalen Syrischen Koalition (NSC) hat dem Kabinett von Interimsregierungschef Ahmed Tome das Vertrauen entzogen. Das teilte die Koalition am Dienstag in Istanbul mit. Hintergrund sind Streitigkeiten zwischen dem von Saudi-Arabien und dem von Katar unterstützen Flügel innerhalb des Bündnisses. Die Nationale Syrische Koalition ist einer der größten Zusammenschlüsse syrischer Oppositioneller. Sie sitzt in Istanbul und wird vom Westen anerkannt. Der neue NSC-Vorsitzende Hadi al-Bahra und auch sein Vorgänger Ahmed al-Dscharba gelten als Gefolgsleute Saudi- Arabiens, während Tome dem von Katar unterstützten Flügel zugerechnet wird.
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http://www.deutschlandfunk.de/syrien-opposition-setzt-uebergangsregierung-ab.1818.de.html?dram:article_id=292488"Aus demselben Grund ruft das syrische Oppositionsbündnis, die Nationale Koalition, so eindringlich die Amerikaner auf, nicht nur den IS, sondern auch das Asad-Regime anzugreifen."
http://www.nzz.ch/international/ueberraschende-allianzen-in-syrien-1.18389550Den völlig zerstrittenen Marionetten der "syrischen" politischen Exylopposition scheint es egal zu sein, dass Syrienkrieg verschlimmert und verlängert wird durch ihre beschiessene Taktik der Bewaffnung "Oppositioneller" und Sturz Assad um jeden Preis..
X-güsi die Länge aber Artikel ist wirklich gut!
;)"Wer sind die brutalen Kämpfer der Bewegung? Was sind die Ziele und wer steckt hinter IS? Der Journalist und ehemalige Deutschlandbüro-Chef des arabischen Fernsehsenders Al-Djazeera, Aktham Suliman, über die Einzelheiten.
Herr Suliman, wie würden Sie die Lage beschreiben? Wer sind die ISIS-Kämpfer und was streben sie an?
ISIS-Kämpfer sind radikal-islamistische Kämpfer, die sich in den letzten Jahren im Irak formiert haben. Man kann sie als Ableger von Al-Qaida bezeichnen. Das heißt, die Ideologie unterscheidet sich kaum von der Ideologie Al-Qaidas, das ist dieser dschihadistische Islam, das ist diese anti-westliche Haltung und das ist eine Haltung, die gegenüber Minderheiten sehr feindselig ist. Die sind allerdings für mich das Produkt des Krieges von 2003 und auch das Produkt der Vorkriegsentwicklung zwischen 1991 und 2003. Schon damals hat man gesagt: wohin führt und das Ganze? Anstatt auf die Folgen zu achten, hat man im Westen seine Tagespolitik durchgesetzt und Entwicklungen zugelassen, die so in dieser Form nie hätten passieren dürfen.
Was heißt das, wenn ich einen Staat zerschlage? Was heißt es, wenn ein Staat nicht mehr existiert, was heißt das für die Menschen? Wer gewinnt dann die Oberhand, wer hat die Waffen auf der Straße? Welche Ideologien setzten sich durch und wer hat Einfluss darauf? Das alles wurde ignoriert. Es hieß „die Befreiung von Irak“ 2003 und dann wurden die Leute mit Demokratie und Wahlen geködert, und jetzt erlebt man die Ergebnisse jahrzehntelanger falscher Politik im Irak. Die ISIS-Kämpfer sind brutal, die sind brutal wie noch nie eine Gruppe im Nahen Osten war. Ein Beispiel: man kann einen Gefangenen erschießen, was an sich schon schlimm ist, aber nein, sie schlachten diesen Gefangenen ab, sie schneiden im die Kehle durch.
Egal welchen Glaubens er ist?
Wenn er von den anderen Islam-Ausrichtungen kommt, also zum Beispiel Schiit oder Alavit ist.
Also sind die ISIS-Gruppierungen Sunniten?
Ja, sie sind Sunniten, aber ich würde davor warnen zu sagen, sie vertreten die Sunniten in irgendeiner Form. Sie vereinnahmen die Sunniten.
Es ist eine sunnitische Strömung?
Genau, also innerhalb des sunnitischen Islam, innerhalb der salafistischen Ausrichtung im Islam und innerhalb der dschihadistischen Ausrichtung des salafistischen Islam entwickelten sich Al-Qaida und weitere Gruppen wie jetzt ISIS oder die Al-Nusra Front in Syrien. Ein ganz kleiner Teil, der aber sehr lautstark und sehr aggressiv ist und sehr gute Verbindungen hat.
Verbindungen zu wem?
Zumindest zu „Kaufleuten“ am Golf. Staaten unterstützen diese Gruppen offiziell nicht. Saudi-Arabien, Katar, Kuweit, die Vereinigten Arabischen Emirate und so weiter. Das läuft nicht über staatliche Kanäle, sondern über „Kaufleute“ und reiche Menschen, die dann spenden. Mittlerweile kann sich diese Gruppe fast alleine finanzieren, weil sie jetzt beispielsweise Ölfelder kontrolliert. Die Verbindungen sind ein interessantes Thema, weil jeder sich zu Recht fragt, wie kann so eine Gruppe, egal wie sie bewaffnet ist, so stark werden, ohne dass da eine Unterstützung ist?
Aber Sie sagen, dass diese Gruppierungen durch Saudi-Arabien und Katar unterstützt werden?
Ja natürlich, finanziell. Man kann von saudi-arabischen Geschäftsleuten Spenden bekommen. Aber wie schafft man das nach Syrien oder Irak? Als in Syrien vor einigen Monaten im Norden an der Grenze zur Türkei 5.000 Kämpfer dieser und ähnlicher Gruppen einfielen – wie kamen sie dahin? Wann haben sie sich formiert? Eine Gruppe von 5.000 Kämpfern wird nicht wie eine kleine Touristengruppe irgendwo untergehen, die ist sichtbar. Wie kann das in einem Nato-Land wie der Türkei sein? Und dann haben sie mit Unterstützung der türkischen Artillerie Syrien angegriffen. Wer spielt da welches Spiel? Warum werden sie unterstützt? In Syrien hat man zwei Jahre lange geschwiegen und gesagt: nein nein, alles in Syrien ist nur ein Kampf zwischen der Regierung und Opposition. Jetzt erst wird das Ausmaß der Katastrophe im Nahen Osten sichtbar: das sind Syrien, Irak, Libyen, Jemen, zum Teil Tunesien, auch in Algerien – überall haben wir diese Gruppen, die entweder Al-Qaida zuzuordnen sind oder...
Also dieser arabische Gürtel?
Man kann sagen, dass über die Hälfte der arabischen Länder davon betroffen sind. Mal mehr, wie Syrien und Irak momentan, wo ein richtiger Krieg herrscht. Mal weniger, wie in Tunesien und Jemen, wo diese Gruppen nur kleinere Gebiete kontrollieren und kleinere Angriffe starten.
Wer diese Kämpfer in den Gruppierungen sind, ist eigentlich leicht zu vermuten. Das sind Menschen, die sozusagen mit dem Krieg groß geworden sind, die nichts außer Krieg kennen und können. Aber von wem werden sie gesteuert? Solche Aktionen müssen ja von jemandem geplant werden.
Ich glaube, gesteuert ist nicht das richtige Wort, ich glaube allerdings schon, dass sie missbraucht und instrumentalisiert werden. Es gibt einen arabischen Theoretiker, der von postmodernen Kriegen spricht. Was braucht man für einen Krieg? Man braucht die Finanzierung, man braucht Waffen und man braucht Kämpfer. Aber muss das die eigene Armee sein? Nicht unbedingt. Muss das aus dem Staatsbudget kommen? Nicht unbedingt. Da, wo man eine bewaffnete Gruppe hat, die man finanzieren kann und die man mit Waffen beliefern kann, da kann man Kriege führen. Das sind die postmodernen Kriege. Das hat schon in den achtziger Jahren angefangen, in der Sowjetunion und Afghanistan, da waren viele arabische Kämpfer, die nach Afghanistan kamen, um in den Dschihad zu ziehen. Später dann im Irak. Das eine internationale Gruppe, da sind Menschen aus Libyen, aus Marokko, zum Teil aus Europa und Amerika.
Die leben vom Krieg?
Das sind Leute mit Ideologien, die den Krieg gegen die Ungläubigen verherrlichen. Natürlich ist der Ungläubige wie im Falle von Irak der Besatzer – der Besatzer ist nun aber weg, der Krieg geht jedoch weiter, gegen die schiitische Regierung.
Würden Sie sagen, dass der Akt, der jetzt im Nordirak stattfindet, eine Möglichkeit für die Amerikaner ist, das eigene Militärkontingent im Irak weiter zu behalten?
Ich glaube nicht, dass die Amerikaner daran interessiert sind, denn sie kontrollieren den Irak, ohne dass sie militärisch allzu präsent sein müssten. Die Amerikaner waren bis 2011 im Irak und sie hätten da weiter bleiben können. Der Punkt ist aber, ob nicht diese Dschihadisten auch ein Interesse daran haben, die Reibung mit den US-Streitkräften zu haben. Neulich hat auch einer dieser Gruppe in einem YouTube-Film gesagt: wir werden es nicht bis nach Amerika schaffen, aber wir holen die Amerikaner hierher, indem wir Kuweit besetzen. In Anlehnung an den Kuweit-Krieg 1990/1991, wo der Irak Kuweit besetzt hat und die Amerikaner dann zusammen mit den Alliierten kamen und die Iraker aus Kuweit vertrieben haben. Dann wurde Irak zerbombt und lebte seitdem bis 2003 unter Uno-Strafmaßnahmen, beziehungsweise Embargos und so weiter. Ich glaube nicht, dass die Amerikaner an sich unbedingt da rein wollen, und man merkt auch an den Äußerungen von Obama, dass er nicht allzu begeistert ist. Er wird die Luftwaffe dort einsetzen, wo es notwendig ist.
Krieg ist immer Geld, ist immer Gewinn...
Sagen wir mal so, die Karten im Nahen Osten wurden so vermischt, dass das für die Amerikaner und für den Westen im Allgemeinen nicht unbedingt verlustbringend ist. Das heißt, die Leute bekriegen sich selbst und haben mit Amerika und dem Westen an sich nichts zu tun. Der arabisch-israelische Konflikt ist in den Hintergrund geraten, es geht um Schiiten und Sunniten, und das schwächt sowohl sunnitische Kräfte wie Saudi-Arabien, als auch schiitische Kräfte wie den Iran. Man meint die Gefahr sei weit von einem selbst entfernt, solange die Kämpfer aus dem Westen in Syrien und Irak kämpfen. Das sind inzwischen Tausende in Syrien und im Irak, die aus Amerika, aus Deutschland, aus Frankreich, aus Belgien kommen. Solange sie da kämpfen, können sie keine Terroranschläge hier planen. Zumindest bis jetzt. Wenn sie da fertig sind, weiß man nicht, was dann kommt.
Sie haben sozusagen eine Beschäftigung?
Ja, und man wird sie los. Ganz nach dem Motto: wenn sie da töten, ist es ja egal, und wenn sie dabei getötet werden, ist es umso besser, sollen sich andere damit beschäftigen. Man merkt das auch an den komischen Äußerungen westlicher Politiker. Wenn ein Politiker in Deutschland, Frankreich, Belgien oder Großbritannien sagt, diese islamistischen Kämpfer würden zu einem Problem werden, wenn sie zurückkommen. Da sagte mal ein syrischer Freund zu mir: Moment mal, sind sie momentan kein Problem? Ja, dann sind sie ein Problem für Syrien oder für Irak, damit kann man ja leben, bis jetzt. Ich behaupte allerdings, dass das eine falsche Kalkulation ist. Man kann mit den Folgen nicht einfach so leben, diese Kämpfer werden nicht alle da sterben. Diese Kämpfer kommen auf ihren Ursprung zurück. Außerdem hat das, was sie da alles bewirken, schon Flüchtlingswellen ausgelöst, die Europa jeden Tag über das Mittelmeer erreichen. Wir haben Tausende Syrer, die seit 2012 über das Mittelmeer nach Europa gekommen sind, und jetzt sind die Iraker dran. Das sind Vernichtungskriege, deren Wirkung nicht an der Landesgrenze halt macht.
Bestehen die jetzigen ISIS-Gruppen nicht zum Teil aus Mitgliedern der freien syrische Armee?
Zurück zum Nahost-Basar - es gibt dort die Kämpfer, und heute heißen sie freie syrische Armee, dann kommt Al-Nusra und sagt, statt hundert Dollar im Monat zahle ich dreihundert, dann gehen sie da hin. Dann kommt ISIS und zahlt mehr oder ist ideologisch passender. Das ist ein Chaos im Nahen Osten, und da helfen irgendwelche komischen Formulierungen wie „wir unterstützen die Gemäßigten hier oder da“ nicht weiter. Denn im Vergleich zu ISIS ist schon Al-Qaida gemäßigt. Dann kann man gleich Al-Qaida unterstützen, soweit sind wir schon gekommen. Al-Qaida empfindet es als erbarmungslos, was ISIS und Al-Nusra machen. Diese Gruppen haben übrigens auch Kämpfe untereinander. Es ist nicht so, dass dort ein islamistischer Block gegen die Laizisten oder Liberalen kämpft. Nein, die sind untereinander im Krieg um Beute und Vorherrschaft.
Der einen ist dem anderen nicht wild genug, oder dann heißt es, sie halten sich nicht an die Vorschriften des Dschihad, also das sind ganz viele interne Dinge. Die Rede von der freien syrischen Armee als oppositioneller Gruppe oder der bewaffneten Opposition in Syrien und Irak ist totaler Quatsch. Die Opposition kann nur politisch sein, alles andere sind entweder Separatisten, Islamisten, Dschihadisten oder sonst was, aber das ist keine Opposition, die eine politische Ideologie trägt wie „liberaler Kämpfer“ oder „linker Kämpfer“. Das haben übrigens die Islamisten in Syrien auch nicht verleugnet, die haben bei vielen Interviews, die man hier nicht hören wollte, gesagt: mit uns kämpfen keine Linken oder Republikaner oder Liberalen, das ist ein dschihadistischer Kampf.
Die Demonstranten sind eine andere Geschichte, die liberalen Kräfte, die Parteien sind eine andere Geschichte. Man vertuscht mit der einen die andere – wir haben im Nahen Osten momentan eine große Bedrohung für die Staatlichkeit. Und diese Bedrohung ist eine für die jeweilige Regierung im Irak, Syrien, Libyen und Libanon, aber auch für die Opposition in dem jeweiligen Land. Diese Bedrohung betrifft uns alle, und das ist es, was die Amerikaner jetzt langsam begreifen, dass die Jungs sich nicht mehr instrumentalisieren lassen. Sie zu nutzen, um das Feld zu säubern wie in Libyen. Da haben die Islamisten gekämpft, nicht die Demonstranten übrigens. Dass die Islamisten das Feld erstmal fegen und dann kommen irgendwelche Leute, dem Westen nahestehende Gruppierungen, die dann das Land regieren – das Spiel ist zünde. Die Islamisten, die kämpfen, sagen inzwischen, wir haben gekämpft, wir wollen auch regieren. Deswegen haben wir auch den Krieg in Libyen.
Das heißt wir sprechen über eine politische Opposition, das heißt, dass die Amerikaner und der Westen sich vor dem Eingreifen nicht im Klaren darüber waren, dass es da keinen politischen Diskurs in den Ländern gab, dass es da keine politische Opposition gegeben hat?
Es gibt zwei Erklärungen. Die eine entlastet die Amerikaner und die Westländer, nach dem Motto, sie waren nur „uninformiert“. Sie wollten etwas Gutes machen, aber irgendwie haben die Völker im Nahen Osten das nicht verdient. Kaum macht man Saddam Hussein weg, kommen bürgerkriegsähnliche Situationen anstatt Demokratie. Kaum hat man in Libyen Gaddafi weggebombt, kommt ein Bürgerkrieg. Das kann man so sagen, aber das fällt mir schwer, da bin ich eher Anhänger der zweiten These: sie wussten ganz genau, was sie machen. Ich glaube nicht, dass die CIA, dass die Geheimdienste nicht genau das Weiße Haus oder andere Machthaber im Westen informieren können. Moment mal, man braucht nicht viel Erfahrung, wenn man das anschaut, schon das Bild zeigt, was das für ein Kämpfer ist, wir wissen, was es für Parteien gibt – aktiv sind die Geheimdienste alle in der Region, nur, wie gesagt, der Trick war, das behaupte ich mal, wir lassen die Islamisten die schmutzige Arbeit machen, und danach kommen wir und klären das mit der Region so, dass es uns passt. Aber das Spiel sprengt jetzt die Grenzen, die ihm gesetzt wurden.
Würden Sie sagen, es handelt sich um eine Politik des gesteuerten Chaos?
Das haben die Amerikaner selber gesagt von diesem gesteuerten oder konstruktiven Chaos. Wenn man jetzt von Menschenleben absieht, von Werten absieht, wenn man vom unbeschreiblichen Leid der Menschen im Nahen Osten absieht, dann ist das vom Plan her einwandfrei. Super. Dann bekriegen sie sich, da werden sie sich untereinander noch die nächsten 50 Jahre beschäftigen, wenn es so weiter geht mit den Sunniten, Schiiten und Christen. Das sind ja Identitäten, die man nicht ablegen kann. Auch wenn die eine Gruppe die andere besiegt, die Identitäten bleiben. Hauptsache die drei Punkte, die in dieser Region wichtig sind für die internationale Westpolitik, werden nicht berührt. Das sind die Ölquellen, Israels Sicherheit und der Terrorismus, der hierher überschwappt. Wenn diese drei Punkte unter Kontrolle sind, kann der Rest machen, was er will.
In diesem Punkt sind die USA sicher, und mir stellt sich die Frage, die ich an Sie weiterleiten möchte: hat die rücksichtslose Politik der USA damit zu tun, dass die Amerikaner grundsätzlich keinen Kriegsdiskurs kennen? Auf dem eigenen Boden hatten sie ja keinen Krieg gehabt.
Das stimmt, sie haben auf dem eigenen Boden nur Bürgerkrieg gehabt, aber ich glaube, die Zeichen im Nahen Osten waren sehr sichtbar. Es ist wirklich einfach zu berechnen.
Sie meinen jetzt, dass sich das Verhältnis zum Menschenleben, zum menschlichen Dasein bei den Amerikanern von den europäischen Ländern unterscheidet?
Darauf würde ich nicht zurückgreifen. Die Europäer unterscheiden sich rhetorisch von den Amerikaner sehr, aber die Europäer sind in Sachen Syrien zum Beispiel nicht sehr weit weg. Also vielleicht in der Frage der Ukraine waren die Europäer vorsichtig, das ist ja vor ihrer Haustür, aber in Sachen Syrien, da waren die Franzosen sogar Vorreiter vor den Amerikanern.
Auch in der libyschen Geschichte?
Auch in der libyschen Geschichte, stimmt. Also, insofern würde ich das nicht auf die Geschichte der Amerikaner oder ihre Mentalität zurückführen, vielmehr ist das mit Interessen, konkreten Interessen zu erklären. Und diese Interessen in der Weltpolitik kennen leider, normalerweise, abgesehen von der Rhetorik, keine Menschenleben und Leiden. Ein Beispiel aus dem Nahen Osten: man würde theoretisch denken, der Westen würde stramm stehen vor lauter Ungerechtigkeit gegenüber den Christen. In Syrien und Irak, wo diese Terrorgruppen die Christen regelrecht vertreiben, umbringen, dazu zwingen das Land zu verlassen – der Nahe Osten wird leer sein von Christen, wenn das so weitergeht. Sie sind sowieso eine Minderheit. Aber man merkt, dass das die Politik im Westen nicht wirklich bewegt. Höchstens in Visa-Fragen, und wie kommt man hierher?
Das heißt Interessen, nicht Zugehörigkeitsgefühle oder sonst was, die Interessen bewegen das. Und wenn die Interessen sich treffen mit Islamisten, dann ist es okay. Auch auf Kosten von Christen. Seit drei Jahren schreibe ich jedes Mal zu Weihnachten für eine deutsche Zeitung zur Lage der Christen. Unglaublich, was da alles passiert. Das kann man nicht erklären mit dem Kampf um Demokratie, und die Christen hätten sich in Syrien auf die Seite der Regierung gestellt und deswegen, werden sie angegriffen – das ist reiner "Rassismus“, religiös motivierter Rassismus. Die Christen werden im Irak angegriffen ohne Grund. Die Christen werden in Syrien von Islamisten angegriffen ohne Grund. Und jetzt trifft es die Jesiden. Das ist eine islamische Minderheit, sie unterscheiden sich von anderen Muslimen, und da ist ISIS jetzt auf dem Vormarsch, und jetzt hocken über 100.000 Menschen auf einem Berg und warten auf den Tod, weil die anderen keine Gnade kennen, und da schicken die Amerikaner, um sie zu retten, Flugzeuge, die sie mit Lebensmitteln beliefern, als wenn sie mit dem Rest nichts zu tun hätten.
Sie brauchen keine Lebensmittel und Wasser, das können sie alleine in ihren Häusern schaffen. Man sollte dafür sorgen, dass niemand im Nahen Osten aus seinem Haus vertrieben wird, weil er als eine Religion oder Konfession oder Ethnie vertrieben wird. Ist das nicht die Grundlage von Demokratie, anstatt von Wahlen zu quatschen. Wahlen helfen da nicht. Es gibt viel Wichtigeres als Wahlen in der Demokratie, das sind die Werte dahinter. Vor allem die Menschenrechte.
Aber die müssen ja wachsen mit der Zeit, das geht nicht von heute auf morgen, oder?
Natürlich braucht man Zeit, aber wenn jetzt eine Übermacht wie die USA im Irak einmarschiert und sagt, sie wollen Demokratie aufbauen, dann frage ich mich, haben sie die Werte nebenbei vergessen? Das ist das Komische. Das Land war ja unter der Kontrolle der USA, jetzt wo die Menschen abgeschlachtet werden…
Sie kämpfen sozusagen gegen sich selbst: einmal unterstützen sie mit Katar und Saudi-Arabien die Rebellen in Syrien, dann werden diese zu ISIS-Kämpfern, und dann kämpfen die Amerikaner wieder gegen die, die sie selber finanziert haben?
Wenn man die Atmosphäre im Nahen Osten beenden will, dann reicht ein einziger Anruf, da braucht Obama keine Flugzeuge mit Nahrungsmitteln senden, ein einziger Anruf bei Saudi-Arabien, Katar, Kuweit, bei den vereinigten Arabischen Emiraten, diesen Ländern, mit einem ganz einfachen Inhalt: kommt ein einziger Cent zu einer einzigen Terrorgruppe im Nahen Osten, werden wir Sie nicht mehr beschützen. Es gibt diese Regierungen in diesen Ländern nur, weil die Amerikaner sie beschützen. Es gibt keine Wahlen, keine Parlamente, keine Legitimation, das sind Herrscherfamilien. Wenn die USA das machen würden und sagen würden, wir beschützen Sie nicht mehr, dann würde der Terror im Nahen Osten mindestens um 70 Prozent zurückgehen. Natürlich bleibt der eine oder andere Idiot und die eine oder andere Waffe, aber dieses große Phänomen würde die Finanzierung verlieren und würde automatisch dann auch viele Waffen verlieren.
Weiterlesen:
http://german.ruvr.ru/2014_09_19/Akhtam-Suliman-Der-Westen-ware-durchaus-in-der-Lage-ISIS-zu-stoppen-1334/