Entmenschlichung durch die Moderne

Vorweg, das ist kein "Sinnlosigkeit des Seins" Thread, sondern ein "Sinnlosigkeit unseres derzeitigen Systems" Thread, außerdem geht es nicht um Lösungen, die finden wir hier eh nicht, sondern um Gegenmeinungen.

Durch Praktika im Bereich Wirtschaft und der dementsprechenden schulischen Theorie frage ich mich, wieso wir die von uns selbst erstellte und aufrecht haltende Systeme (Kapitalgesellschaft, Arbeitergesellschaft, Wettbewerbsmentalität, Leistungsprovokation) bis ins letzte Detail und bis zum Tod so verdammt ernst nehmen und ausschöpfen? Klar muss unser jetziges Gefüge durch einzelne ernst genommene Berufe aufrecht erhalten werden, dennoch wird dies wie von Natur gegeben angepriesen, Pragmatik wird bis zur Entmenschlichung ausgeweitet, Logik wird entfremdet, Menschenkontakt wird zur puren Wissenschaft gemacht, Natur ist Nebensache, Lösungen (jene, die der Umwelt und der gesamten Menschheit helfen könnten -> Medizin, Ernährung) werden zuerst nach ihrer Wirtschaftlichkeit geprüft, Banken haben die höchste Priorität, Leiharbeit moderne Sklaverei, Mehrklassengesellschaft. Klar war es früher schlimmer, früher war man aber auch dümmer, mittlerweile haben wir genug wissenschaftliche Erkenntnisse und Intelligenz, um Änderungen anzugehen und nicht nur in Internetforen zu besprechen, allerdings kann man als Einzelner selbst nicht viel machen? Quatsch, wenn man der selben oder ähnlichen Meinung wie ich ist, dann muss man es nur oft genug aussprechen, aber irgendwie ist nicht jeder dieser Meinung. Und darum geht es mir: Nicht um Lösungen oder Aufschrei zur Aktivität, sondern um Gegenmeinungen.

Ich will wissen, wieso ihr dieses System toll findet. Ich möchte nachvollziehbare Argumente, die sich nicht auf einzelne Subjekte sondern auf das Kollektiv beziehen. Es geht um Kapitalgesellschaft und Wettbewerb / Leistungsdruck. Ebenso um die dadurch entstehende Entmenschlichung + Naturausschöpfung. Gegenmeinung wie "Ich kann mir dadurch meine Brötchen kaufen" passen nicht, da andere Systeme das selbe bewirken können. Ebenso nicht, dass dies die Natur des Menschen ist, was nicht zu 100% stimmen kann, siehe Internet, Youtube, dein Bekanntenkreis usw.

Mir passt das System auch nicht so recht, auch wegen dem von dir angesprochenen Leistungsdruck. Das macht viele Menschen krank, und hat mit meiner Auffassung eines sinnvollen Lebens nichts zu tun. Arbeiten sollte nur Broterwerb sein, nicht die Füllung eines leeren Herzens.
Aber wie sich das ändern ließe, weiss ich nicht. Gebe es eine Bewegung in diese Richtung, mit der ich guten Gewissens einverstanden sein kann, bin ich sofort dabei. Ich denke, das System muss erst in sich zusammenbrechen, bevor was neues entstehen kann. Vorher passiert da nicht. Das hat so eine gewaltige Gruppendynamik, da 99,9% mit drin hängen und für dieses System arbeiten. Was gescheites schreib ich heute nicht mehr, ich muss morgen noch früh raus :D

Guter Thread, warum wird der hier so staubig fallen gelassen?

@Asznee
Das hat sich die sog. 'Frankfurter Schule' sich bereits in ihrem US-amerikanischen Asyl in den 30ern und 40ern gefragt. Wenn du dich für die Analysen der 'instrumentellen Vernunft' und der Verdinglichung von menschlichen Beziehungen interessierst, dann solltest du da mal reinlesen.

@Asznee
Solange Menschen an die Doktrin ewigen und unendlichen Wachstums glauben...in einem endlichen Raum...wird kein Wandel stattfinden

@NovaFusion
Eventuell, weil ich hervorgehoben habe, dass es mir ausschließlich um Gegenmeinungen geht, die aber anscheinend selten sind.
Dann kann man natürlich auch gerne über mögliche Lösungen diskutieren, kann ja nicht schaden und ist auch ok.

@satansschuh
Das beobachte ich immer wieder, dass die Meisten, eigentlich alle außer Arbeitgeber, sofort auf ein "saubereres" System umsteigen würden, wenn möglich. Das Problem bei dieser Mentalität ist, dass darauf gesetzt wird, dass ein neues System entweder von oben, der Regierung oder aus dem Nichts erscheint, weshalb diese Leute oft das jetzige System schluckend hinnehmen. Es besteht bei vielen, zumindest bei vielen aus meinem Bekanntenkreis, die hier angesprochene Mentalität aber zugleich auch diese "faule" Haltung, dass so ein System selbst kommen soll. Das ist auch hinderlich.

@paranomal
Geil, beschreibende Begriffe für dieses System, das speichere ich mir, danke.

@Warhead
Viele glauben nicht daran, sondern wissen eher, dass es eine Grenze gibt bzw. unser jetziges System schlecht in vielen Aspekten ist (die oben genannten usw), nur sind auch viele in einer "faulen" Haltung und geben sich halt zufrieden bzw. schlucken es, da sie durch das jetzige System eben abhängig sind. Klar, man will nicht von der Arbeit fliegen und so, kann ich schon nachvollziehen. Wenn dann würde man erst handeln, wenn alle anderen handeln würden, denn dann wäre quasi jeder "arbeitslos", was eben zwingend eine Änderung mit sich bringt.

@Asznee
So dachte ich übrigens auch mal, als ich noch um einiges jünger war. Ich war ein Idealist, ein Öko, ein Greenpeace ein linksversiffter Raver. :D
Und je mehr ich mich mit dem Leben beschäftigte, und die Dinge zu hinterfragen begann, desto klarer wurde, wie abgründig die menschliche Psyche eigentlich ist, und wie sich letztlich alles auf eine allgegenwärtige Trägheit herunter reduzieren lässt. Das fängt bei der Masseträgheit an, und hört nicht zuletzt bei der altersbedingten "Langsamkeit" des Menschen auf. Das System ist so wie es ist, weil die Menschen tatsächlich in der Mehrheit gar nicht anders lebensfähig wären, fürchte ich.
Wenn man wirklich tiefe Veränderungen wünscht, muss man wohl eher in Generationen und in Katastrophen rechnen. Die Kinder sind noch sehr lern- und gut anpassungsfähig. Sehr agil im Geiste und Körperlich natürlich auch. Sie stecken so gut wie alles ganz gut weg, aber so ab mitte Dreißig wirs meistens echt für viele müssig z.B. einen neuen Beruf zu lernen, einen neuen Wohnort zu akzeptieren oder gar eine neue Sprache/Kultur/neuen Lifestyle seine eigenen zu nennen. Das ist das "Problem", und daran können wirklich nur lebensbedrohliche Notwendigkeiten was ändern, meine ich.

@Asznee
Ähh nö wieso??
Was spricht dagegen das die Arbeiter und Angestellten den Laden in dem sie werken und schaffen,übernehmen,der Kontrolle der renditeabschöpfenden Kapitalisten entreissen??
Das Recht auf Eigentum und Ausbeutung??Lächerlich!!

Asznee schrieb:Ich will wissen, wieso ihr dieses System toll findet.

Erklär mal, was du unter dem "System" verstehst? Mir ist nicht klar ob du deine Eindrücke jetzt nur auf Deutschland/Europa beziehst oder es global siehst - bei letzterem hättest du allerdings vollkommen Recht, bei ersterem teilweise.

Allerdings wird sich nichts ändern, weil wir solche Dinge gewohnt sind. Mal ehrlich: Wer würde einen über 40 Stunden Job aufgeben, der zwar furchtbar mühselig ist, aber ein einigermaßen gutes Gehalt verspricht, um sich eine Alternative zu suchen, bei der wirklich nichts sicher ist. Kurzfristig gedacht ist dies sogar verständlich, leider denkt der Mensch nicht an die Zukunft, außer es betrifft seine Altersvorsorge.

Je weniger Mensch, desto besser der Mensch. :P

@Asznee
Nun, ich kenne kein anderes System das so vielen Menschen so viel Wohlstand gebracht hat. Sicherlich ist nicht alles perfekt und es gibt viele Probleme die gelöst werden wollen.

Was ist denn Menschlichkeit überhaupt?

@fark

fark schrieb:Was ist denn Menschlichkeit überhaupt?

Gute Frage! ;-)

Jedenfalls ist "Menschlichkeit" aka "Humanität" ein schöner Wieselbegriff, mit dem man prima arbeiten kann, wenn man die Faktenebene scheut.

So ein Zwischending zwischen "gefühlter Wahrheit" und knallhartem Propagandabegriff. Wie "Chancengleichheit", "Gleichstellung", "System", Rassismus", "Populismus" etc. auch.

Solche Begriffe leben nicht (mehr) von einer konkreten Bedeutung, sondern von den jeweils transportierten Assoziationen.

Also ich finde "Menschlichkeit" jedenfalls schön. Hört sich so kuschelig an. Man kann ja gefühlt 50% dessen, was auch als "Menschlichkeit" bezeichnet werden könnte, einfach ausblenden.

@Philipp
Bitte nicht jede Kritik mit "Grün" "Öko" und so assoziieren, auch wenn du das wahrscheinlich differenzieren kannst. Dieses Schubladendenken ist hierbei auch hinderlich, wenn man gegen Konzerne feuert, ist man automatisch Hippie.

Deine angesprochene Trägheit lässt sich wahrscheinlich prinzipiell mit meiner oben angesprochenen "Faulheit" zusammensetzen, ebenso kann

Dass ein komplexes und weltweit permanent laufendes System nicht in kurzer Zeit ersetzt oder entwickelt werden kann, ist richtig. Dass dabei am Besten bei den formbaren Kindern angefangen werden sollte und nicht bei routinierten und abhängigen Erwachsenen oder scheuen Alten, ist ebenso vorteilhafter. Dass es eine Katastrophe benötigt, sehe ich unbedingt nicht so, jenes würde aber zum Systemwechsel zwingen.

@Warhead
Politik des Kapitalismus.

@planetzero
Wenn du aufmerksam gelesen hättest, würdest du merken, dass diese Begriffe keine leeren Worthülsen sind. Natürlich werden sie oft und naiv verwendet, dennoch haben sie bei mir in diesem Kontext eine Bedeutung. Wenn du sie nicht erkennen kannst, kann ich sie dir gerne erklären, vielleicht habe ich es nicht deutlich gemacht.
KONTEXT:
+ @Pallas System:

Asznee schrieb:wieso wir die von uns selbst erstellte und aufrecht haltende Systeme (Kapitalgesellschaft, Arbeitergesellschaft, Wettbewerbsmentalität, Leistungsprovokation)

-Kapitalgesellschaft: Wie beschrieben, alles ist auf Kapital, Wachstum und Gewinn aus, wichtige Sachen wie Energiegewinnung wird auf Wirtschaftlichkeit geprüft, bevor gehandelt wird, was absurd ist, außer im System natürlich.
-Arbeitergesellschaft, Leistungsprovokation:
Arbeit hat Vorrang vor so gut wie alles, es wird Leistung erfordert, die zu psychischen Erkrankungen führen können und dies auch oft tun. Die Grundlage des Seins ist Arbeit, Schule für Ausbildung, Ausbildung für Arbeit, Arbeit für Leben. Natürlich geht Existenz ohne Arbeit nicht, Ärzte braucht man auch usw, damit alles läuft, allerdings wird alles ausgequetscht und nur wenige sacken sich dadurch den dicken Wohlstand ein. Vor allem Länder wie China sind extrem auf Leistung aufgebaut, ebenso arbeiten die Menschen dort tatsächlich über 10 Stunden am Tag für ihre paar Brötchen und ihrem Existenzminimum (auch erklären?)
-Wettbewerbsmentalität
Die Natur des Menschen ist eben das ständige Vergleichen zwischen Mitmenschen, klar, dennoch muss deshalb nicht das gesamte Schulsystem diesen Beigeschmack haben und jenes zusätzlich Bestärken. In der Wirtschaft muss man auch ständig besser sein, jeden Tag, das ist eine Öde Mentalität, kann man aber so sehen, wie man will, hat eben nicht nur Nachteile.
+ @fark Menschlichkeit-Entmenschlichung:

Asznee schrieb:Pragmatik wird bis zur Entmenschlichung ausgeweitet, Logik wird entfremdet, Menschenkontakt wird zur puren Wissenschaft gemacht, Natur ist Nebensache, Lösungen (jene, die der Umwelt und der gesamten Menschheit helfen könnten -> Medizin, Ernährung) werden zuerst nach ihrer Wirtschaftlichkeit geprüft

Praktisches Handeln wird für die Wirtschaft instrumentalisiert, jede kreative Kleinigkeit wird zum Geschäft gemacht, Kunst ist z.B. überwiegend auch nur noch auf Marketing und Gewinne aus (außer bei non profit usw), bei vielen bekannten Wohltätigkeitszwecken erhalten die Veranstalter viel zu viel Geld von den Spenden.... Jeder FIXIERT sich quasi auf GELD, ein bisschen ist nicht genug, ausreichend ist nicht genug, diese Mentalität ist nicht mehr natürlich sondern krankhaft und zwanghaft. Früher hat man ganz bestimmt nicht ausgerechnet, wie viel essen man genau sammeln muss, um über den Monat zu kommen, man hat einfach gejagt und gefressen, vielleicht einen Vorrat für zwei Tage gehabt, aber ganz bestimmt nicht krankhaft hundert Tiere mit Leistungsdruck gesucht und z.B. das schlecht aussehende Fleisch weggeworfen.... Wenn du eine genauere Beschreibung dieser Analogie willst, sag mir bitte Bescheid.
Ebenso wird Menschenkontakt, freundlicher Umgang usw in der Wirtschaft zur reinen Wissenschaft gemacht, Marketing und andere Täuschungen... Das ist auch nicht natürlich oder menschlich, sondern gestellt, gelogen... Ich sage nicht, dass alles künstliche schlecht ist!

Wie gesagt, ich habe oft solcher Worthülsen gehört, jeder schon, aber im Kontext betrachtet haben meine eben Bedeutung und diese sind eben an die ursprünglichen Bedeutungen aufgebaut.

@McMurdo
Es hat auch enorme Vorteile, diese haben aber ausgedient! Mittlerweile wachsen wir hinüber aus, die eine Hälfte des Planeten hat Probleme mit hoher Anzahl von Übergewicht und besteht nur noch aus Konsumwahn und die andere Hälfte ernährt sich schon zwanghaft mit Steinen oder lassen sich für die andere Hälfte vor dem Fernseher filmen und bitten um Spenden, um dann nur kleine Beiträge zu erhalten...

Die Vorteile der Entwicklung in EU ist natürlich drastisch und gut, aber wie gesagt, mehr Entwicklung wird es durch Kapitalismus nicht mehr geben, ebenso bald keine Ressourcen mehr, deswegen soll ein anderes System her.

Wie das halt so ist mit den "anderen Systemen":

Im Kapitalismus wird der Mensch durch den Menschen ausgebeutet - im Sozialismus ist es genau umgekehrt.

Was außer Kapitalismus und Sozialismus gibt es denn noch? Was schlägst du vor, @Asznee

Asznee schrieb:Es hat auch enorme Vorteile, diese haben aber ausgedient!

Sehe ich z.B. gar nicht nicht so. Der Hunger auf der Welt geht z.B. weiter zurück, die Anzahl der Menschen die nicht lesen und schreiben können auch.

Asznee schrieb:aber wie gesagt, mehr Entwicklung wird es durch Kapitalismus nicht mehr geben, ebenso bald keine Ressourcen mehr, deswegen soll ein anderes System her.

Warum sollte es keine weitere Entwicklung mehr geben. Entwicklung wird es immer geben. Sicherlich bedarf es einiger Korrekturen aber im Großen und Ganzen sind wir auf einem guten Weg.

Und Ressourcen sind immer noch genug da. Und sie verschwinden auch nicht. Alles eine Frage des Recycling. Auch hier bleibt die Entwicklung nicht stehen. Mit Fusionsreaktoren die schon in Entwicklung sind wird die Energieversorgung bald schon gelöst sein z.B.

@McMurdo
Andererseits sucht man vergebens nach einem System das auf der anderen Seite verarmte Massen,Verwüstungen der Umwelt,Müll,Vergiftung,Landgrabbing,Plünderung und Vernichtung von Rohstoffen und Ressourcen sowie Unterdrückung produziert.
Da das wenigste davon nicht hier geschieht,sondern ganz weit weg,merkt man das so gut wie gar nicht.Erst wenn die Flüchtlingstrecks hier ankommen...und dann wird über die Flüchtlinge genörgelt,nicht etwa über die Bedingungen die sie produzieren

@McMurdo
Wen meinst du mit "uns"? Wir reden hier nicht nur von Europa, sondern von der Welt. Dazu gehört auch das jahrzehnte lang ausgebeutete Afrika und das Arbeitervolk China. Wo siehst du da gute Entwicklung? Und Ressourcen sind nicht genug da, ganz bestimmt nicht, es kommen Meldungen, dass sie immer knapper werden.
Fusionsreaktoren usw haben nichts mit Kapitalismus zu tun, wieso bringst du die damit in Verbindung? Nur weil ein anderes System herrschen würde, würden solche Wissenschaften nicht abrupt verschwinden.