Es gibt viele Möglichkeiten, wie man mit einem Menschen verbunden sein kann. Man kann sie irgendwann einmal gesehen haben und sie nie wieder vergessen haben. Man kann sie zufällig treffen. Man kann sie ein Leben lang suchen und niemals finden.
Es gibt Menschen, mit denen fühlt man sich unsichtbar verbunden, wie durch eine goldene Schnur die niemals zerreißen wird. Man spürt sie ohne sie zu sehen. Da braucht man überhaupt keine Worte zu machen, man versteht sich ohne jede Kommunikation. Und es gibt Menschen, die man schon sein Leben lang kennt und die einen selbst auf eine Weise kennen, wie kein anderer Mensch, weil sie mitbekommen haben, wie man sich verändert und die Veränderung zugelassen haben. Wir verändern uns dauernd, jeden Tag. Wir werden älter. Wir werden reifer. Wir werden erwachsen, ohne es zu bemerken. Alte Angewohnheiten werden abgelegt, neue Erfahrungen werden zur Gewohnheit. Wir vergessen Dinge, die uns wichtig waren und finden neue Dinge, die uns wichtig werden.

Ich liebte damals diesen Jungen. Ich kannte ihn gar nicht, Er war nur ein Fremder, der mir aus der Masse heraus auffiel. Ich sah ihn jeden Morgen, immer an der gleichen Stelle. Manchmal sah er traurig aus. Manchmal müde. Manchmal sehr schwach – aber er hatte immer die gleiche Wirkung auf mich. Geheimnisvoll, wunderschön – und unerreichbar. Damals trugen die Jungs noch Jeans, in denen man ihre Konturen erkennen konnte. Sie achteten noch auf ihr Äußeres. Sie trugen noch nicht diese übergroßen Shirts. Er trug immer Jeans. Mal helle, mal dunkel. Aber immer sehr gut geschnitten und immer sauber. Und diese schwarze Lederjacke. Darunter immer Band-Shirts. Metallica, ACDC, Die toten Hosen, Die Ärzte, und so weiter. Manchmal grinste er mich an. Manchmal sah er nur traurig herüber. Zwischen uns war ein unsichtbares Band – das wusste ich damals noch nicht, doch ein Jahr später, als wir zufällig in der Bibliothek nach dem gleichen Buch griffen. Ich war wie erstarrt, daran erinnere ich mich noch, auch wenn es mehr als 10 Jahre her ist. Da fingen wir an uns zu unterhalten – ganz leise, in der Leseecke der Bibliothek, weil man dort nicht reden durfte. Wir stellten fest, dass wir die gleichen Dinge mochten, dass wir die gleichen Bücher lasen, dass wir die gleichen orte besucht hatten – wir mochten sogar die gleiche Eissorte.
Von da an lächelten wir uns zu, jeden Morgen, wenn wir uns sahen.

Bis er eines Tages nicht mehr da stand.