In einer Höhle tief unter der Erde kam der Engel langsam wieder zu Bewusstsein. Kopfschmerzen versicherten ihm, dass er noch lebte. Verschwommen erinnerte er sich daran, mit seinem Engelsbruder in die Treibsandfalle einer mutierten Dämonin getappt zu sein. Noch unsicher, wo er hier gelandet war, rappelte er sich auf und betrachtete seine Umgebung. Sah aus wie wenn er buchstäblich die Radieschen von unten sah. Der von Fackeln spärlich beleuchtete Raum sah wie das überdimensionale Versteck eines Raubtieres aus. Der Boden war übersät mit Leichenüberresten und der Boden sowie die Wände waren von großen wie kleinen Wurzeln durchzogen. Möglicherweise das Versteck eines Dämons, bei dem Gedanken griff er reflexartig zu seinem Schwert – und griff ins Leere. Kurz stutzte er, hatte er es im Kampf verloren? Beim Sturz losgelassen, oder wurde es ihm gar abgenommen? Was immer damit passiert war, es gefiel ihm nicht. Vorsichtig machte er einige Schritte in der Höhle und machte sich einen genaueren Eindruck seiner Lage. Es gab keinen direkten Ausgang, alles was er sehen konnte, waren große Löcher an der Decke. Als er das sah, versuchte er seine Flügel auszustrecken um hochzufliegen – und kassierte einen stechenden Schmerz an seinem linken Flügel. Als er nachtastete, stellte er voller Schrecken fest, wie unnatürlich verbogen der Flügel auf seinem Rücken lag. Damit war fliegen ausgeschlossen. Sein Glück wollte kein Ende nehmen. Er fragte sich, ob sein Bruder hier irgendwo auch herumlag und begann nach ihm zu suchen. Der Raum war eine einzige, runde Grube. Kein Rein, kein Raus – außer über die unerreichbaren Deckenlöcher.

Nach einiger Zeit musste der Engel eingestehen, dass er alleine und gefangen war. Einzige Hoffnung blieb, dass diese Höhle einer Wesenheit gehörte, mit dem sich reden ließ oder zumindest eine Möglichkeit zu entkommen bot. So setzte er sich im Schneidersitz mitten in den Raum und wartete mit verschränkten Armen und geschlossenen Augen ab. Er wusste nicht, wie lange er so da saß. Sein Zeitgefühl war schnell nichts mehr wert. Allmählich wurde er müde. Wie lange hatte er wohl schon bewusstlos hier herumgelegen? Ob seine Brüder ihn schon vermissten? Suchten sie schon nach ihm? Wo war sein Bruder abgeblieben? Er kam bei keiner Frage zu einer besonders angenehmen Antwort.

Ein Rascheln ließ ihn hochfahren. Da tat sich etwas an der Decke. Staubwolken lösten sich und seltsame Tippelgeräusche waren zu hören. Er schaute konzentriert zum Loch, von dem die Geräusche kamen, Das Getrippel wurde lauter und lauter. Die Atemzüge des Engels wurden immer schneller, Aufregung stieg in ihm auf. Er zwang alle seine Sinne sich auf diese eine Sache auszurichten. Dann sah er schließlich wie ein insektenartiges Bein zum Vorschein kam und ihm wurde sofort schlecht. Wenn das kein Dämon war, was da an gekrabbelt kam, wusste er auch nicht weiter. Als das Wesen, das wirklich wie ein riesiges Insekt wirkte komplett zu sehen war, ließ es keinen Zweifel mehr über – es war ein Dämon!

Angst machte sich im Engel breit, ohne Schwert oder sonstige Waffen war er ein gefundenes Fressen. Das durfte noch nicht das Ende sein! Seine Mission war noch lange nicht erfüllt! Verzweifelt ließ er den Dämon im Blick. Da sprach dieser plötzlich mit unerwartet weiblicher Stimme: „Oh du verschrecktes Engelchen, sieh dich nur an! Über und über von Erde verdreckt, ohne Waffe und körperlich geschunden stehst du da und wartest auf deinen unvermeidlichen Tod.“ Es lag etwas Seltsames in der Stimme der Dämonin, fast hätte man es für Mitleid halten können – doch dazu waren Dämonen nicht in der Lage, so dachte der Engel. Schmunzelnd setzte die Dämonin fort: „Heute ist dein Glückstag, mein Freund. Ich mache dir ein Angebot, dass du nicht abschlagen kannst. Wie du sicher erfahren hast, verändert sich meine Rasse durch den Verzehr deiner Geschwister und dir. Die meisten von uns finden das toll, gieren nach der Macht dahinter.“ Sie machte eine kurze Sprechpause und kroch in der Zeit ein kleines Stück die Decke in seine Richtung herunter. Dann erklärte sie weiter: „Ich aber, sehe das anders. Es liegt nicht in meinem Interesse mein Aussehen dem der Kinder eines heuchlerischen Lügners anzupassen, egal wie viel Macht das einbringt. Seien wir mal ehrlich – uh, ja das kommt von einer Dämonin – euer Vater spielt doch bloß mit uns allen. Oder wie erklärst du dir, dass er euch nichtsahnend auf Erden schickte im Glauben meine Rasse im Nu auslöschen zu können? Alles ist in seinem großen Plan schon vorgesehen, das heißt aber auch der Tod jedes einzelnen Engels ist von ihm eingefädelt worden – etwa nicht?“ Sie blinzelte fragend zu ihm herüber. Nachdenklich wog er die Wahrheit hinter diesen Worten ab. Sie sprach da wahre Worte. Sein Bruder Nekro war sinnlos im Kampf gefallen und hatte sogar einem Dämon durch seinen Leib zu mehr Macht verholfen. War dies wirklich beabsichtigt von ihrem Vater gewesen?

Erste Zweifel machten sich im Engel breit. Worauf wollte sie hinaus? „Selbst wenn dies sein sollte, was ginge dich das an?“, fragte er nach. Ein Lächeln machte sich auf ihrer Fratze breit: „Das will ich dir sagen. Was immer Gott vorhat, es sieht so aus als bevorzuge er dieses Mal uns Dämonen. Allerdings muss man für den Bonus seine Gunst zu erlangen wie gesagt offenbar das Fleisch seiner himmlischen Diener in sich aufnehmen. Da ist der Harken für mich. Ich sagte schon, ich habe kein Interesse daran meine Gestalt zu ändern. Dennoch bin ich natürlich nicht dumm, ich muss mich anpassen um im Rennen zu bleiben – da kommst du ins Spiel, Schätzchen.“ Wieder kam sie ein Stück weiter herunter. „Was ich dir anzubieten habe, ist Folgendes. Weder dein Flügel, noch dein fehlender Arm lassen dich noch groß was als Kämpfer wert sein. Gut, der Flügel mag noch frisch verletzt sein – doch dein Arm wundert mich. Ihr Engel seid doch wohl dazu fähig einen lausigen Arm nachwachsen zu lassen? Da er dir aber dennoch fehlt, gehe ich von einer Art Strafe aus. Liege ich da richtig?“, fragte sie, die Antwort ohnehin schon erraten. Der Engel nickte gekränkt den Kopf. Das Lächeln der Dämonin wurde immer größer: „Nun, du kannst mein Angebot im Grunde schon erahnen. Ich gebe dir deinen Arm zurück, verpasse dir einen neuen Flügel und bring dich auch sonst wieder in Topform. Als Gegenleistung wirst du zu meinem rechten Arm – welch Ironie – und kämpfst für mich an meiner Seite gegen deine Geschwister. Bedenke deine Antwort gut.“

Das unmoralische Angebot ließ ihn zusammenzucken. Er sollte gegen seine eigenen Geschwister kämpfen? Sie im Namen einer Dämonin töten? Er schüttelte energisch den Kopf, das war ausgeschlossen! Die Dämonin aber gab nicht auf: „Sag mir, beruht diese ehrenhafte Treue zu deinen Geschwistern auf Gegenseitigkeit? Was denkst du? Kommt es dir nicht komisch vor, dass du im Moment, als du sie – als du Gott - am dringendsten gebraucht hast, du ungehört bliebst? Ich sage dir, sie würden nicht nur anders handeln – sie haben es bereits getan! Dieses Gespräch, jetzt hier in diesem Moment ist der deutliche Beweis dafür, dass sich die anderen Engel einen Scheiß um dich kümmern!“ Ein Zögern war in den Engelsaugen zu erkennen, schnell setzte sie noch einen nach: „Sieh dir auch bloß an, was sie aus dir gemacht haben! Einen Arm haben sie dir aus purer Boshaftigkeit gelassen! Der Grund für den Verlust deines Armes war sicher bewundernswert! Und sie würdigten es dich, indem sie ihn dir vorenthielten… Ich dagegen, werde ihn dir mit Freuden geben.“ Die letzten Worte flüsterte sie nur noch verführerisch. Dem Engel wurde es zu viel - sie hatte Recht!

„Ja, ja ist gut! Ich gehe den Deal ein!“, stieß er hervor. Ein verzücktes Quieken kam von der Dämonin: „Schön, schön! Dann komm ich mal zu dir.“ Sie kletterte jetzt schon viel schnelleren Fußes zu ihm herunter. Sie standen sich gegenüber und für eine Sekunde trafen sich ihre Blicke – und beide waren insgeheim erstaunt, wie ähnlich der Ausdruck in ihren Augen jeweils war. Endlich berührte sie ihn mit ihrer Magie. Ein Gefühl als jage sie ihm tausende Messerspitzen vom Armstumpf aus in den gesamten Körper zwang ihn in die Knie. Er ächzte schwer, während sie ihre Arbeit verrichtete. Nach einigen, quälenden Minuten – ihm kam es eher wie Stunden vor – erstrahlte er in neuem Look. Sein rechter Arm war zurück. Er sah zwar nun deutlich anders aus, nämlich schwärzlich mit einer Art Schuppenpanzer darüber, aber es ging auch eine unnormal starke Energie von ihm aus. Sein Flügel war auch wieder komplett gerichtet, auch dieser hatte sich schwarz verfärbt. So stand er nun da, ein Racheengel mit der Magie einer Dämonin verstärkt. Verzückt kicherte die Dämonin auf, als sie ihr Werk betrachtete. „Da habe ich gute Arbeit geleistet, oder?“, lobte sie sich selbst. Er konnte ihr da nur zustimmen, er fühlte sich mächtiger denn je. So oder so ähnlich stellte er sich das Gefühl ein Erzengel zu sein, vor. Plötzlich aber veränderte sich die Miene der Dämonin und sie offenbarte ihm: „So, ich habe meinen Teil der Abmachung eingehalten. Jetzt bist du an der Reihe.“ Er verstand erst nicht, wie sie das meinte. Dann aber machte sie eine Bewegung mit einem ihrer Arme und es tat sich eine Lücke in der Wand vor ihnen auf. Zum Vorschein kam der Bruder mit dem der Engel mit hinuntergerissen worden war. Dieser hing quasi in der Wand fest, Arme von sich ausgestreckt und bis zum Bauch freigelegt, seine langen Haare hingen ihm zerzaust im Gesicht. Der Rest war nach wie vor in der Wand versunken. Überrascht und entsetzt über diesen Anblick sah er die Dämonin fragend an: „Du kannst von mir gar nichts verlangen, ich habe doch kein Schwert?“ Diese lächelte müde und nickte wieder in Richtung Engel. Dort wiederum gab die Erde der Wand seinen Bruder noch weiter frei und gleich zwei Schwerter an seiner Taille kamen zum Vorschein. „Was sagst du dazu? Er hat sich während du bewusstlos warst dein Schwert geschnappt und dich liegen lassen! So habe ich ihn gefangen genommen, mit beiden Schwertern in seinem Besitz. Einen tollen Bruder hast du da, nicht wahr?“, erklärte sie. Wut stieg in ihm auf, sie hatte recht, so recht. Verdrossen trat er an seinen Bruder heran, der prompt in diesem Moment schwer keuchend wieder zu sich kam und schwach blinzelnd zu seinem Bruder sah. Gerade als dieser die beiden Schwerter an sich nahm und nun mit zwei blitzenden, perfekt geschärften Schwertern vor ihm stand gab er schwer atmend etwas von sich: „Vaith, Vaith bist du das? Was, wo sind wir, wie siehst du aus? Was…was passiert hier?“ Trotz der Schwäche seiner Worte wurde die aufsteigende Panik in seiner Stimme merkbar. Der Engel Vaith jedoch blickte seinen ehemaligen Bruder nun nur noch mit einem verächtlichen Ausdruck im Gesicht an. Mordlust stieg in ihm auf. „Erst nahmt ihr mir meinen Bruder, dann meinen Arm und jetzt mein Schwert. Wie armselig ihr doch alle seid. Freue dich, oh Bruder, denn du wirst jetzt von deinen Leiden erlöst“, fauchte Vaith und stach beide Schwerter erbarmungslos in Herz und die Lunge seines früheren Bruders Klerod.