Reni schaute zum sternklaren Himmel. Sie fühlte sich wohl. Der heutige Abend, zusammen mit ihrer Freundin Elke, war wirklich lustig und sie hatten herzhaft gelacht.
„Wir müssen uns beeilen, deine Bahn fährt gleich“, sagte Reni und wandte sich ihrer Freundin zu. Neben ihr war aber niemand mehr und so schaute sie zurück. Was sie sah versetzte ihr einen Schock. Ein paar Meter hinter ihr standen ihr Mann und ihre beste Freundin eng umschlungen und küssten sich. Reni drehte sich sofort wieder um. Nein, sie sollten nicht bemerken, dass sie alles gesehen hatte. Ihr Herz raste. Ich muß ruhig werden und überlegen. Wie soll ich mich jetzt verhalten? In Reni brodelte es. Kaum ein halbes Jahr verheiratet und dann sowas. Wir haben heute Abend alle getrunken, vielleicht liegt es nur daran? Sie versuchte sich selbst zu beruhigen. Auch auf dem Heimweg sprach sie ihren Mann Gero nicht darauf an.
Vierzehn Tage schwieg sie und dann sprach Reni mit ihrer Freundin Elke, die sie seitdem gemieden hatte. Elke war alles sehr peinlich und sie beteuerte mehrmals, dass sie ihr auf keinen Fall den Mann wegnehmen wolle, aber Gero ließe sie nicht in Ruhe. Er klingelte täglich bei ihr und brachte Blumen und Geschenke.
Am nächsten Tag erhielt Reni die Geschenke mit der Bemerkung: „Und sag ihm, er soll mich in Ruhe lassen“!
Als Gero von der Arbeit nach Hause kam, sah er den Berg Geschenke auf dem Tisch. Wortlos ging er aus dem Raum. Reni lief natürlich voller Wut hinterher und es gab einen handfesten Streit. Er schlug sie fast bis zur Bewußtlosigkeit. Und wie immer wenn sie sich stritten, schleppte sich Reni weinend ins Bad und schloß sich ein. Sie wollte allein sein, weit weg von ihm. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Was kann ich nur tun, bin ich selbst schuld?
Jung, viel zu jung war sie damals, als sie sich kennen lernten und kurze Zeit später wurde geheiratet. Naiv, dumm und ohne jeglich Lebenserfahrung war sie in die Ehe gestolpert. Sie wußte nicht was Liebe ist und würde es nie erfahren.
Später gestand ihr Gero, dass er unsterblich in Elke verliebt wäre und nie von ihr lassen würde. Und wieder gab es Streit. Doch diesesmal trat er die Badezimmertür ein und zerrte sie durch die Wohnung. Drei Tage war sie arbeitsunfähig.

Ein halbes Jahr später, als sie früher von der Arbeit nach Hause kam, erwischte sie Gero mit ihrer Nachbarin. Beide taten, als wäre es das normalste der Welt.
Reni holte sich die Scheidungspapiere. Leider machte sie den Fehler, ihrem Mann davon zu erzählen, denn er bemerkte wie ernst es ihr war. Er fiel vor ihr auf die Knie, umschlang ihre Beine und weinte und jammerte. Bitte verlass mich nicht, ich will mich ändern, du wirst sehen. Ich liebe doch nur dich. Er streichelte und liebkoste Reni und ließ nicht von ihr ab. Über Stunden beteuerte er ihr seine große unendliche Liebe.
Doch bald war alles wieder wie vorher. Die Streitereien gingen weiter und Gero schlug jetzt öfter zu. Reni dachte ans Ausziehen. Aber wo sollte sie hin, wie sollte sie allein zurecht kommen. Außerdem hatte ihr Gero angedroht, dass er sie umbringen würde, falls sie auszieht oder sich scheiden lässt. Sie blieb.
Und sie blieb noch lange lange Jahre. Sie ertrug die Schläge, die unendlichen Beschimpfungen, sein arrogantes Machogehabe, seine Drohungen, seine Lieblosigkeit und seine Affären.
Reni war todunglücklich und dachte an Selbstmord, aber nicht einmal dazu war sie imstande. Sie hasste Gero und sie hasste sich selbst. Sie war überzeugt, dass sie es nie schaffen würde, sich aus diesem Teufelskreis zu lösen. Immer und immer wieder schrie sie und weinte und hoffte auf Hilfe.

Eines Tages las sie zufällig einen Spruch auf einer alten Geburtstagskarte, welcher ihr nicht mehr aus dem Kopf ging. „Jeder ist seines Glückes Schmied“!
Reni dachte lange darüber nach. Endlich begriff sie, dass sie Verantwortung übernehmen musste und sie selbst an ihrem elendem Leben schuld war. Aber es dauerte noch längere Zeit, bis sie einen endgültigen Entschluss fasste. Sie tat was sie tun musste.

Auf ihren Grabstein hatte ihr lieber Mann Gero nur ein einziges Wort eingravieren lassen: „Warum“?