Youtube: Das Vermächtnis - Aphila & Methos Kap 1 Teil 2 von 3
Das Vermächtnis - Aphila & Methos Kap 1 Teil 2 von 3
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Der Winter zeigte sich von seiner kalten Seite und immer öfter saß die Familie gemeinsam am prasselnden Ofenfeuer. Auch an diesem Abend. Jedoch war der Vater unpässlich, seine Arbeit verlangte nach ihm. So betrachteten Philipp und seine Mutter alleine das loderne Feuer. Die Blicke des Jungen schweiften unablässig zum Rumpf seiner Mutter. Wie sehr seine Abscheu gegenüber dem Kind und der Schwangeren selbst inzwischen gewachsen war... Unverständlich erschien es ihm. Er hatte oft genug gesagt, er wollte keine Geschwister. Die bloße Erwägung ließ ihn an der Liebe zu ihm zweifeln. Warum wollten sie noch Nachwuchs? War ihr Sohn ihnen nicht gut genug geworden?
Fragen in seinem Kopf, sie wurden immer mehr – und mit jeder Weiteren, gedeihte die Saat des Hasses besser in ihm.

"Hm", machte seine Mutter: "Der Ofen hat an Kraft verloren, wir sollten ein paar Holzscheitel nachlegen. Philipp, du kannst mir dabei helfen – bist ja schon ein großer Junge." Philipp dachte sich zunächst nichts dabei und ging paralell zu seiner Mutter – die sich schwerfällig vom Sessel hochstemmen musste – zum Korb mit den Scheiteln. Als er eines der Holzstücke in die Hand nahm, öffnete die Mutter die Ofenklappe. Hitze schlug den beiden entgegen und die Schwangere musste aufpassen, ihre Haare nicht an der Glut zu versenken. Das weckte Erinnerungen in ihrem Jungen, an das Märchen von Hänsel und Gretel und wie sie über das Böse siegten, indem... Sein Griff um den Holzscheit wurde fester, entschlossener. So leid es ihm auch tat, aber wenn er schon das Baby alleine nicht aufhalten mochte, dann war das nächstgelegene Ziel die eigene Mutter. Er beobachtete, wie sie mit einer Zange die bereits erkaltete Kohle zur Seite schob, um Platz für das frische Brennmaterial zu schaffen. Anschließend warf sie selbst das erste Stück hinein: "Das muss weiter hinten rein, du darfst es gleich hier vorne hineinlegen." Sie sagte es ohne einmal zu ihm herüber zu sehen. Vielleicht – nur vielleicht, wäre sein Gedankengang in seinem Gesicht ablesbar gewesen.
Er würde sie schlagen, ohnmächtig machen und dann durfte das Feuer den Rest erledigen.

Die Muskeln der kleinen Arme spannten sich an – und Holz traf auf eine Schädeldecke. Es gab einen Aufschrei, der Schlag hatte des Mutters Kopf kurz in den brennenden Ofeninhalt gedrückt. Haare glüten auf, sie zog sich ruckartig vom Ofen zurück. Zu Philipps stillem Entsetzen, hatte sein Schlag nicht zur Ohnmacht gereicht. Stattdessen erstickten hektische Klatschbewegungen mit den Händen das aufblühende Feuer auf der Haarpracht. Kaum waren ihre Haare wieder sicher – der Geruch des Verbrannten penetrierte ihre Nasen – sah sie ihren Sohn verstört an: "WAS um Himmels Willen ist bloß los mit dir?!" Stumm und erkalteten Blickes, hielt er noch immer den Scheitel, mit dem er zu geschlagen hatte. Sie entriss ihm diesen und warf ihn energisch und sichtlich verärgert in den Ofen, dessen Klappe sie danach zu warf. "AB auf dein ZIMMER!!", brach es aus ihr heraus. Untermalt wurde dieser Wutausbruch durch einen drohend die Richtung seines Zimmers andeutenden, ausgestreckten Zeigefingers.
Wortlos, gab er nach. Innerlich regte er sich über sich selber auf – zu glauben der Schlag von einem Stück Holz, ausgeführt von einem Kind, könnte das Böse in einen Ofen verbannen. Märchen blieben Märchen.


So schleppte sich das enttäuschte Kind die Treppe herauf und zu seinem einsamen, dunklem Zimmer. Vollgestopft mit Spielsachen für den jungen Spross, der des jungen Paares bis dahin größtes Geschenk war. Philipp ignorierte den Lichtschalter und warf sich trotzig direkt auf sein Bett. Plötzlich überkam ihn eine Woge der verzweifelten Wut, Trauer, Verlustangst. Die kleinen Fäustchen prügelten sich ins weiche, wehrlose Kissen hinein. Aus Zittern wurde Schluchzen, Tränen kullerten dem Jungen über die Wangen. Sie liefen vom Auge über die Wange, hinunter zum Kinn und perlten schließlich auf das Kissen nieder, in das sie einzogen und nur eine Pfütze im Stoff hinterließen. Philipp kauerte sich zusammen, wie ein Fötus im sicheren, warmen Bauch der Mutter. Er stellte sich vor, wie es für ihn war, die Geborgenheit der Mutter überall um ihn herum zu spüren. Die Liebe und Fürsorge, die ihn auch später über die ersten tapsigen Schritte und auch bei lallenden Versuchen die Sprache zu erlangen immer für ihn da waren, begeistert die Welt an seiner Seite neu entdeckten.

Seine Augen schlossen sich. Da war das Bild der nun schwangeren Mutter vor seinem geistigen Auge. Ein zuversichtliches Lächeln strahlte ihm entgegen. Sie freute sich über das zweite Kind, welches nun mehr und mehr ihre Aufmerksamkeit vom Erstgeborenen fort zog. Philipp kam es so vor, als entferne sich seine Mutter selbst noch in seinen Gedanken von ihm, je näher die Geburt rückte. Es war, als blicke sie vom Himmel der Glücklichen auf ihn herab, der auf dem Pfad der Zurückgewiesenen gerückt wurde. Wenn er ihr sagte, dass er Angst um ihre Liebe zu ihm hatte – ob sie ihm dann verzeihen würde? Bestimmt doch, immerhin war er noch immer ihr geliebtes Kind...oder?

Eine Bewegung brachte die Mutter am Himmel zu einem Ausdruck des Schmerzes im Gesicht. Philipps Augen wurden groß, als er verstand, dass sie Schmerzen erlitt. Das Ungeborene trat gegen die Bauchwände. Das taten Babys so, wie er wusste – auch er hatte das getan, so erzählte man ihm. Doch etwas stimmte dennoch nicht. Die Wölbung an ihrem Bauch wurde eindringlicher, ein kleiner Hügel bildete sich, spannte den ohnehin dicken Bauch weiter an. Die mütterlichen Gesichtszüge wurden schmerzvoller, sie biss die Zähne zusammen. Etwas brach vom obersten Punkt der Rundung durch die oberflächliche Hautschicht hindurch. Ein roter, für ein Baby viel zu großer Fingernagel bohrte sich hervor!

Als er zu einem guten Stück draußen war, fuhr er hinunter. Wie einen fleischigen Reißverschluss, schnitt der rote, spitze Fingernagel den Mutterbauch der Länge nach auf. Lautlose Schreie der Mutter begleiteten diesen grausigen Akt. Der Fingernagel schaffte sich noch mehr Platz und erst folgte der dazugehörige Finger, dann die Hand, die sich die Freiheit suchend, seitlich an das Becken krallte. Das Ding, welchem die Hand gehörte, zog sich selbst hervor. Babygeschrei ertönte – doch das was da kam, war kein Baby. Ein großes Gesicht kam zum Vorschein und nahm den gesamten Platz des Mutterbauches ein. Teufelshörner, wo Ohren sein sollten, scharfe Spitzzähne, wo ein zahnloser Babymund sein sollte – und diese monströse Fratze... Philipp war sich sicher, davon bekam er Albträume!

Das Monster schrie, wie ein Neugeborenes. Was sollte der Junge bloß tun? Unerwartet aber, unterdrückte seine Mutter die Schmerzen und ihre Lippen formten eine ihm wohlbekannte Melodie. Erinnerungen kamen auf, wie sie früher in unruhigen Nächten an seinem Bett saß und dieses Lied die unheimlichen Schatten an der Wand vergessen ließ. Ihre Stimme war durchsetzt gewesen von aufmunternden Klängen, die sein Gemüt zum Trotzen gegen die dunkle Nacht aufriefen, ihn zum zukünftigen, lichten Ritter ernannten. Er war ihr Held.
Jetzt sang sie es diesem Monstrum vor – Philipp wurde übel.

Es half. Das Geschrei verstummte und ein zufriedenes Schmatzen war zu vernehmen. Die Mutter sprach: "So ist es fein, mein geliebtes Kind. Willkommen in unserer Familie." Philipp protestierte: "Mama! Du kannst dieses Ding doch nicht zu meinem Geschwisterchen machen! Bitte, Mama, liebst du mich denn gar nicht mehr?" Ihre Miene verfinsterte sich, bei seinen Worten. Missbilligend senkte sich ihr Kopf zu ihm: "Du? Wer willst du schon sein? Du bist nicht mein Kind, mein Kind würde niemals seiner Mutter weh tun wollen!" Angst stieg in Philipp auf. Er hatte sich die Anerkennung des Menschen, der ihm am wichtigsten war verspielt. Die Liebe verloren, vor dessen Verlust er so gebangt hatte, dass er überhaupt erst auf die Idee kam, dem Ungeborenem die Schuld dafür zu geben. Wie aber war sie fähig, dieses Ding aus ihrem Bauch herausschauend als ihr Kind zu akzeptieren?

Erneut setzte das monströse Babygeschrei ein. Seine Mutter meinte besorgt: "Oh, es hat Hunger! Schnell, gib ihm etwas zu fressen!" Verständnislos sah er zu ihr hoch. Empört verschränkte sie die Arme: "Zu nichts bist du zu gebrauchen. Also gut, es muss reichen, was da ist!" Mit diesen Worten, erstarb das Geplänkel. Das Monstergesicht bleckte seine Zähne und schaute gierig zu dem Jungen herunter. Philipp begriff nicht sofort. Erst als die eklige Hand nach unten zu ihm herunterschnellte, setzte sein Sprint ein. Panik beseelte seine Füße zu überraschender Schnelligkeit. Allerdings war ihm, als laufe er auf der Stelle. Die Hand kam näher und näher... und schloss sich um seine Taille.
Er brüllte, biss zu, hämmerte auf sie ein. Vergebens. Das bezahnte Maul rückte ihm nah. Die Mutter frohlockte: "Ja, mein Baby, mein einzig wahres Kind, friss! Friss!"

Ein seltsam vertrauter Geruch drang in Philipps Nase. Das Maul umfasste ihn, aber es fühlte sich warm und gemütlich an. Seine trägen Augen öffneten sich und alles was er sah, war seine Mutter, über ihn gebeugt, wie sie ihn gerade zudeckte.
Verschlafen fragte er: "Mama?" Sie antwortete: "Habe ich dich aufgeweckt Schatz? Das wollte ich nicht! Du warst hier so friedlich eingekuschelt, da wollte ich dir noch die Decke geben – entschuldige die Störung." Philipp schüttelte noch benommen den Kopf. Er konnte nicht mehr an sich halten und stürzte ihr erneut schluchzend in die Arme: "Mama, ich hab dich lieb – es tut mir so leid!" Völlig verdutzt nahm sie ihn tröstend in die Arme. Sie bemerkte seine noch nassen Wangen: "Hast du etwa geweint? Aber warum denn?" Philipp kämpfte um Fassung: "Ich – Ich wollte dir nichts Böses eben. Es ist nur – nur, wenn das Baby kommt, hast du mich dann denn noch lieb?" Verstehen setzte bei ihr ein und lächelnd erklärte sie ihm: "Aber natürlich, Philipp! Das Kind heißt ja nicht, dass wir dich weniger lieb haben! Ganz im Gegenteil. Mit dir und deinem Geschwisterchen werden wir noch viel mehr Spaß zusammen haben! Stell dir doch mal vor, du brauchst nie wieder alleine zu spielen!" Das überzeugte Philipp eigentlich nicht so recht, er spielte gerne alleine für sich. Dies schob er aber beiseite und versuchte die Sicht seiner Mutter zu verstehen. "Das heißt, du bist mir nicht böse, weil ich dir mit dem Holz weh tat?", harkte er nach. Sie schwieg. Nachdenklich setzte sie an: "Zuerst war ich natürlich sauer auf dich. Man haut keine Menschen einfach mit etwas – schon gar nicht, wenn diese mit heißem Feuer herumhantiert. Du bist aber noch ein Kind und jetzt wo ich das so höre – haben Papa und ich wohl in unserer Freude etwas verpasst, dir weiterhin zu zeigen, dass wir auch dich noch gerne haben. Das tut mir leid und ich verspreche dir, dass ich darauf jetzt wieder mehr Rücksicht nehme." Philipp hörte ihre Worte, aber gedanklich schweifte er zurück zu seinem Traum ab. Selbst mit seiner Mutter auf seiner Seite, wuchs etwas Unberechenbares in ihr heran. Der Schreck saß ihm noch in den Knochen, sowas durfte einfach keinen Einlass in seine Familie erfahren!

Er biss sich auf die Lippe. Ihm blieb nur möglich, etwas zu sagen: "Versprich mir,...", er suchte nach den richtigen Worten, seine Mutter beobachtete ihn erwartend. "Versprich mir, dass das in deinem Bauch ein normales Kind wird und kein Monster!", forderte er. Seine Mutter unterdrückte ein Kichern, über diese herrliche Naivität und nickte: "Versprochen!" Er erwiderte: "Gut!" Sie erhob sich von seinem Bett und auch er stand auf. Sie fragte: "Willst du noch etwas vor den Ofen kommen?" Mit einem Nicken bestätigte er. Beide gingen zur Treppe. Als sie die ersten Stufen ging, stand er hinter ihr. Kurz durchzuckte ihn die Ahnung, dass wenn er sie jetzt schubste, sie defintiv durch ihr Übergewicht am Bauch nach vorne den Halt verlor und stürzte. Rasend schnell durchliefen ihn die Gefühle. Das mütterliche Versprechen, die Fratze, die sie aufschnitt, das Maul, dass ihn fraß – erneut das Versprechen...
Seine Hand blieb am Geländer. Am Ende der Treppe drehte sie sich zu ihm um. Er hatte sie bis dahin beobachtet und war oben stehen geblieben. "Kommst du?", lockte sie ihn fröhlich. Seine Füße kamen Schritt für Schritt, Stufe für Stufe hinab – und mit der letzten Stufe, überkam ihn Reue, es nicht getan zu haben.