Ich frage mich, wann dieser Dämon in mich gefahren ist.
Kein christlicher Dämon, mit Hörnern und ledrigen Flügeln, wie man ihn von den ehrfurchtauslösenden Gemälden in Museen und Kathedralen sehen kann, sondern einer ohne Gesicht und ohne ein bestimmtes Äußeres.
Ein Dämon dennoch, denn er lässt sich sehr gut mit den Höllenkreaturen vereinbaren, die einem seit Kindestagen beschrieben werden. Etwas, das aus bloßem Hass geboren wird - eine völlig böse Kreatur.
Wir verwenden das Wort "böse" allerdings viel zu häufig, als dass wir uns noch wirklich an die grauenhafte Definition erinnern. Es ist eher ein Alltagswort, gebräuchlich bei allem, was nach unserem Gefühl schlecht, abstoßend wirkt. Dabei ist das Böse existent und frei von jedem Versuch, es einfach zu definieren. Es ist nicht der Vater, der sein Kind prügelt, weil er selbst in seiner Kindheit nicht einen Hauch Liebe oder Zusammenhalt erfahren hat. Er ist auch nicht der Fahrerflüchtige, der gerade eine ältere Dame auf die Haube genommen hat, denn er ist ängstlich um seine eigene Schuld.
Es ist etwas, das rein und vollkommen ist. Wenn kein psychologisches Motiv wie Selbstschutz oder fehlende Erfahrung vorhanden ist.
Wenn man etwas anormales tut, das keinen Grund hat, etwas, das einfach schadet zur Freude am Schaden.
Nicht einmal ein Psychopath ist böse - Schlicht gesagt, fehlen ihm einfach die notwendigen Rezeptoren, die ihm den Impuls zur Moral verleihen. Unmoralisch sein ist nicht böse sein.

Dieser Dämon ist böse, ganz grundlos und vorallem ohne jegliche Reue. Er sitzt tief in mir, in meinem Kopf, manchmal leise, manchmal zu laut.
Ich kann ihn sehen, wenn er versucht hinauszukommen.
Er lässt Muskeln zucken, die Hände ballen. Er presst meine Kiefer aufeinander. Er knirscht mit meinen Zähnen.
Und ich kann es nicht kontrollieren.

Der Regen prasselt tröstlich an die dreckigen Fensterscheiben. Ich habe es noch immer nicht geschafft, sie endlich zu putzen - Dabei habe ich doch so viel Zeit? Mehr als genug um die ganze Wohnung einmal grundzureinigen, also wieso tue ich es nicht?
Manchmal spüre ich einen Anflug von Motivation und will ihr nachkommen. Will ihr danken, dafür, dass sie da ist. Denke an die Menschen, die ich glücklich machen würde, wenn ich es täte. Wenn ich überhaupt mehr täte. Sie anriefe. Ihnen ein Treffen anbiete.
Aber dann knirschen meine Zähne und meine Hände ballen sich zu Fäusten. Und ich lege mich wieder hin.

In ruhigen, tristen Zeiten spricht er. Sagt mir, wie ich viel erfolgreicher wäre, wenn ich nicht so faul wäre. Wie viel attraktiver ich sein könnte, wenn ich nicht so hässlich wäre. Wie schön die Welt ohne mich wäre.
Aber so simpel diese Worte auch verneint werden könnten - Er sitzt in meinem Kopf, dem Schaltzentrum meines Denkens. Und an diese, vielleicht für einige belanglosen, Worte hängt er Erinnerungen, aus denen ich Bilanz ziehen soll. So viel Vertrauen bringt er mir entgegen, dass ich intelligent genug bin, eins und eins zusammenzuzählen.
Er ist wirklich gut im Weben, verwebt einzelne, aus ihrem Kontext gerissene Erinnerung, eine schlimmer und schmerzhafter als die andere, formt einen wunderschönen Stoff daraus und legt ihm über mich. Und dieser Stoff ist so weich, dass es sich anfühlt wie Realität, wie etwas, das ich gerade wieder empfinden und verdrängen kann.

Ich wünschte, ich könnte das Himmel und Hölle-Prinzip einfach annehmen und glauben - glauben, glauben, glauben, bis ich für meinen Glauben endlich in den Himmel komme, aber ich kann nicht. Ich bin analytisch, glaube nicht an Märchen. Würde ich diese Naivität an den Tag legen, dann würde der Dämon mich leichter besiegen, als es nötig ist. Glauben macht verwundbar, wenn er sich als falsch entpuppt. Wissen ist Macht. Weltlich. Real.
Er muss gekommen sein, als ich das noch nicht wusste. Als mein kleines Hirn noch besser durchblutet und fantasiereicher war.

Die Uhr tickt leise im Hintergrund. Gestern kam er kurz an die Oberfläche und hat jemanden verletzt, der mir sehr lieb ist. Ich habe danach lange geweint, traute mich aber nicht zu sagen, dass das nicht ich war, dass ich das nicht meinte. Dass ich nie sagen würde, dass...
Aber es war zu spät, die Muskeln zitterten und es war passiert, ohne jeglichen Grund oder Streit. Ohne ein schlechtes Wort zuvor, es war eine ganz normale Situation. Und dann weinte ich.

Er stellt Forderungen an die Menschen in meinem Umfeld, die ich nie verlangen würde. Er frisst sich satt an meiner Angst und davon ist reichlich zu finden, verhungern wird er nie. Er ist ein dämonisches Perpetuum Mobilé, frisst Angst, lädt an dieser Angst und verbreitet Angst. Mehr und mehr und mehr und es dreht sich weiter, bis ans Ende aller Tage. Ich denke, er war schon immer da und aß sich satt an dem, was die Welt mir zuschmiss. Als ich Medikation bekam, saß er bereit in meinen Träumen. Wenn es regnet, schreit er besonders laut.

Es ist noch zu hart um gänzlich einzugestehen, dass er zu mir gehört, wie mein Herz oder meine Nieren. Dass er ich ist. Dass ich er bin. Und dass, aus welchem Grund auch immer, in mir etwas Böses sitzt, ein schwarzer Fleck in einem weißem Laken.