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Die 85-jährige österreichische Jugend- und Kinderbuchautorin Renate Welsh hat soeben eine Erzählung über die Zeit nach ihrem Schlaganfall, der sie 2020 in Norditalien ereilt hat, voröffentlicht. Es ist ein beeindruckender, aber auch bedrückender Text, wie sie ihre Erinnerungen zurückholt, als sie zehn Tage in einer italienischen Klinik gelähmt und sich ihrer Lage gar nicht bewusst doch an Vieles und vor allem ihre Gefühle erinnern kann. An die Liebenswürdigkeit der Pfleger:innen und Ärzt:innen wie auch dass sie ihrer Bettnachbarin den Tod an den Hals gewünscht hat, da sie laut und unausstehlich war.

Nach zehn Tagen wurde sie nach Wien überstellt und bereits im Krankenhaus wurde sie gebeten, im kleinen Kreis eine Lesung zu halten, was Teil der Therapie war. Sie beschreibt den schweren Weg zurück zur Eigenständigkeit, wie sie sich immer mehr die Stadt wieder erschlossen hat, alleine mit Straßenbahn und U-Bahn gefahren ist, obwohl ihre Beine noch immer nicht so funktioniert haben, wie sie wollte. Auch ihre Wut auf sich selbst, wenn etwas nicht gelingen wollte: Wörter nicht einfielen, keine sinnvollen Sätze geschrieben wurden, der Körper ihren Befehlen nicht gehorcht hat, sie an Schwindel und massiver Höhenangst leidet. Mehrfach schlägt sie sich auf den Kopf vor Verzweiflung, andererseits ist sie von Jähzornausbrüchen nicht gefeit, wie sie anhand eines Beispiels aus der Rehaklinik schildert.

Dazu gibt es detaillierte Aufzeichnungen,welche Gedanken und Erinnerungen sie zu dieser Zeit begleitet haben. Viel dreht sich um ihre Familie, ihre Kindheit, aber auch Aktuelles ist nicht ausgespart. Die Beobachtung von erhöhter Aggressivität im öffentlichen Raum, vor allem zur Coronazeit. Hochmut und Arroganz zeigt sich für sie an Menschen in der U-Bahn, die zwei Sitze für sich beanspruchen oder lautstark verkünden, dass ihnen das Maskentragen am Allerwertesten vorbei ginge. Junge Männer, die schamlos ein Mädchen niederstarren. In der Weltpolitik der Überfall Russlands auf die Ukraine. Diese Beobachtungen sind aber auch Teil dessen, dass sie wieder in die Welt zurückfindet.

Aber auch während der Rekonvaleszenz ist sie immer wieder mit Grenzerfahrungen konfrontiert, die sie schwer belasten: Ihr Mann wird (erfolgreich) an der Aorta operiert, dabei musste wegen der Coronasituation die Operation immer wieder verschoben werden, was zur Angst führte, dass die Aorta vielleicht vor der Operation reißt. Während eines Konzertbesuchs wird in ihren Zweitwohnsitz in einem winzigen Dorf eingebrochen und der Familienschmuck gestohlen, der mehr ideellen als materiellen Wert hat. Ganz stark ist sie dabei von dem Gefühl geprägt, dass ihr Privatraum nicht mehr unversehrt ist. Ihre in den Niederlanden lebende Schwester wird mit Leukämie und Metastasen im Gehirn diagnostiziert, die Chemotherapie schlägt jedoch an. Der realtiv junge Sohn eines Bekannten (oder Verwandten?) erleidet in Berlin einen massiven Schlaganfall und kommt gerade noch so mit dem Leben davon. Auch Corona bleibt ihr nach vier Impfungen nicht erspart.

So spielt auch der Tod eine immer wiederkehrende Rolle in ihren Reflexionen, mit zum Teil auch beschönigenden Vorstellungen (oder Hoffnungen?) eines sanften Entschlafens nach einem erfüllten Leben.

Zu sich selbst wie auch zum Schreiben habe sie gefunden, als sie nicht mehr mit sich selbst konkurriert habe. Sie sei seit Kindheit immer eine gewesen, welche sich mit anderen verglichen habe, besser sein wollte. Und so wollte sie wieder diejenige vor dem Schlaganfall sein oder gar besser. Mit der Krankheit und ihren Folgen habe sie erst dann umgehen können, als sie akzeptiert hat, dass sie nun anders sei. Auch hat sie wieder begonnen, ihre Lesungen an Grundschulen weiterzuführen.

Am Ende der Erzählung bedankt sie sich bei allen, die ihr in dieser schweren Zeit geholfen haben, mit einem Gedicht.

Im österreichischen Standard gibt sie ein Interview zur Entstehung dieses Buches und spricht dabei auch über ihre Zeit nach dem Schlaganfall.