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Algerien im Spiegel oder Die netten MörderInnen von nebenan

14 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Folter, Massaker, Journalismus ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
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Algerien im Spiegel oder Die netten MörderInnen von nebenan

15.10.2023 um 00:23
ACHTUNG: TRIGGERWARNUNG!

Der folgende Beitrag enthält Darstellungen von (sexualisierter) Gewalt, Folter und Mord. Wer das nicht lesen möchte, muss das auch nicht tun. Es gibt nettere Geschichten.

Erster Akt: Hamburg

Wir schreiben das Jahr 1979. Das Telefon klingelt. Ich melde mich.

"Hallo Anders, hier ist Karsten (Nachname lassen wir mal weg, falls er noch lebt) vom Spiegel. Sag mal, hast Du Lust auf ein paar Tage Urlaub? Von uns bezahlt, natürlich."

"Wenn Du mir Urlaub anbietest, hat die Sache doch einen Haken. Was soll ich tun?"

"Mittelmeer. Und eine schöne Story. Was weisst Du über Algerien? Über den Unabhängigkeitskrieg?"

"Öh..., ja, eigentlich nicht so sehr viel. Die FLN kämpfte viele Jahre gegen die französische Kolonialmacht, bis zur Unabhängigkeit, Ende der Fünfziger, Anfang der Sechziger. Ziemlich brutal, viele zivile Opfer. Mehr erst mal eigentlich nicht."

"Willste hinfliegen? Leute interviewen. So von beiden Seiten. Versöhnung über Gräbern. Was Nettes, so mit human touch. Nicht polarisieren. Halt beide Seiten sehen. Zwei Seiten. Fotos nehmen wir aus dem Archiv. Wie lange brauchst Du?"

"Na, 'ne Woche Vorbereitung, keine Ahnung, was da vorher an Papierkram anfällt, dann 'ne Woche da, und wenn ich dann vielleicht noch Leute in Frankreich fragen soll, dann da vielleicht auch noch 'ne Woche. Eine Woche Auswertung... Gib mir einen Monat. Geht das?"

"Einen Monat? Spinnst Du? Na, gut, vier Wochen. Das muss ich aber noch mal mit dem Chef klären."

"Honorar? Reisekosten? Spesen? Flüge Erster Klasse, Fünf-Sterne-Hotel, Mietwagen nicht unter Mercedes."

(Lachen) "Zeilenhonorar, wie üblich, nach Abdruck. Economy, maximal Drei Sterne, Kleinwagen. Den ganzen Papierkram machen wir, die Buchungen auch. Du musst Dir nur irgendwie Kontakte da unten besorgen. Das kriegst Du doch hin. Du kennst doch genügend Araber (eigentlich verwendete er einen rassistisch-abwertenden Begriff, den ich nicht wiedergebe)."

"Geht klar, Karsten. Mach' mal alles fertig. Ich kurbel schon mal Kontakte an."

"Sag Bescheid, wann Du fliegen willst, wir machen dann alles fertig. Man sieht sich!"

So, nun aber mal fix die Liebste angespitzt: Kennst Du irgendwelche Leute aus Algerien? Telefonnummern? Meine liebste Salwa kennt natürlich alle möglichen irgendwie "linken" arabischsprachigen Leute in Hamburg. Anderntags habe ich eine Telefonnummer von jemandem in Algier, der sogar Deutsch spricht. Den rufe ich an. Der Telefonzähler rappelt. Alles aufschreiben. Zahlt alles der Augstein. Mein Kontakt heisst Moussa, hat in der DDR Maschinenbau studiert und spricht hervorragend Deutsch mit sächsischem Akzent. Wir vereinbaren Ankunftszeit, Erkennungszeichen und grobe Vorgehensweise. Er scheint sehr interessiert und fühlt sich nach eigenen Worten "hoch geehrt, dem Genossen aus der BRD zu helfen".

Zweiter Akt: Algerien

Überspringen wir den Papierkram mit der Redaktion und den Flug. Ich erkenne Moussa daran, dass er eine alte Spiegel-Ausgabe hochhält, als ich in Algier aus dem Gate komme. Meine Güte, neben diesem Anzugträger komme ich mir vor wie der letzte verlauste Hippie. Wir klären das mit dem Mietwagen. Ha, was für eine Karre! Fiat 850. Da braucht man einen Schuhlöffel zum Einsteigen. Das von Hamburg aus gebuchte Hotelzimmer mag zwar drei Sterne haben, aber vermutlich eher am Himmelszelt. Klein, muffig und mit allerlei mehrbeinigen Mitbewohnern bestückt.

Aber Moussa kennt Leute und hat einen Plan. Interessanterweise sind es alles Leute, mit denen er (angeblich) verwandt ist. Na, soll mir egal sein, solange die was Interessantes zu erzählen haben. Zunächst fahren wir durch das Strassengewirr von Algier zu einer Tante. Ich lasse Moussa fahren. Das Chaos auf den Strassen ist mir dann doch zu viel. Nicht, dass sie beim Autovermieter die Beulen gezählt haben.

Moussa stellt mir seine Tante Hasna vor. Die ist vielleicht so um die Fünfzig, sieht aber in ihrer fülligen Erscheinung älter aus. Sie teilt sich ihre kleine Wohnung mit einigen Katzen. Sie serviert uns Minztee und Gebäck und fragt mich über Moussa, ob sie mit mir auch Französisch sprechen könne. Da ich zugeben muss, dem auch nicht besonders mächtig zu sein, verweise ich auf Moussas Dolmetschertalent Arabisch-Deutsch. Zunächst tauschen wir Belanglosigkeiten aus, dann frage ich sie, was sie im Befreiungskrieg erlebt hat. Die Katzen rekeln sich im gedämpften Licht, das die Jalousien durchlassen. Gemütlich hier.

"Ich bin in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Im Krieg kamen die Paras (französische Fallschirmjäger), haben das Dorf umstellt und alle aus den Häusern geholt. Dann haben sie uns "sortiert". Männer auf die eine Seite vom Dorfplatz, Frauen auf die andere gegenüber. So ab 12 Jahren galten Kinder als Männer oder Frauen. Die kleineren Kinder haben sie in ein Haus gesperrt. Dann haben sie die Männer gefesselt, an Händen und Füssen und auf den Boden gelegt. Den Frauen haben sie die Kleider vom Leib gerissen. Wir haben alle geschrien und geweint. Dann haben sie uns vergewaltigt. Vor den Augen der Männer. Aber nicht mit ihrem (sie zögert), nicht mit dem Penis. Mit den Gewehrläufen. Die Männer mussten zusehen. Die konnten nichts machen. Ein, zwei, die sich bewegten, haben sie gleich in die Köpfe geschossen. Dann haben Offiziere, vielleicht vom Geheimdienst, die Männer befragt, nach Kontakten zur FLN, nach Stützpunkten, Truppenbewegungen. Wenn sie mit den Antworten nicht zufrieden waren, haben sie einfach auf die Frauen geschossen. In die Frauen! Es war schrecklich (Hasna fängt an zu weinen). So ging das lange. Wohl über Stunden. Sie haben noch ein paar Menschen erschossen. Dann kamen Lastwagen, auf die sie die Männer geworfen haben. Wir haben sie nie wieder gesehen."

Wir brechen ab. Alle drei Menschen im Raum können nicht mehr weiter erzählen, übersetzen, zuhören.

Moussa macht einen weiteren Termin ab mit einer Frau, die nach der Befreiung Algeriens eine Auszeichnung als Kämpferin bekommen hat. Auch hier wieder ein anheimelndes Ambiente im kaum erträglichen Kontrast zum Erzählten.

"Ich habe französische Soldaten getötet. Mit dem Messer. Wie? Nun, wir jungen Frauen in der FLN haben den Franzosen schöne Augen gemacht. Ihnen Sex versprochen. Die waren ja total heiss darauf. Junge Männer, weit weg von zu Hause. Dann haben wir sie mit in eine dunkle Gasse genommen und ihnen gesagt, dass wir es ihnen mit dem Mund machen. Wir haben ihnen die Hose runtergezogen. Das war wichtig, wegen dem Metallkoppel am Gürtel. Dann haben wir uns vor sie hingehockt und ihr Ding in den Mund genommen. Und dann... Ich zeige es Dir."

Sie nimmt einen Kugelschreiber, hockt sich vor mich, zieht rasch den Kuli hinterm Rücken hervor und rammt ihn mir unvermittelt eine Hand breit unter dem Nabel in den Bauch.

"Das ist das Messer! Weisst Du, Männer machen die Augen zu, wenn sie kommen. Da vergessen sie alles. Du musst es genau abpassen. Du drückst ganz tief rein, dann ziehst Du mit der Schneide nach oben das Messer hoch. Bis zum Brustbein. Mit beiden Händen."

Sie zieht den Kuli an mir hoch. Mir wird schwindelig.

"Manchmal versuchen sie noch zu schreien. Aber meist sind sie viel zu überrascht. Du bist natürlich voller Blut und Scheisse. Aber immer ist eine Tür in der Nachbarschaft offen, wo Du Dich waschen und umziehen kannst. Du musst dem Franzosen schnell noch die Pistole und den Ausweis weg nehmen. Die Ausweise brauchten die Genossen, um in Militäreinrichtungen zu kommen. Das habe ich vielleicht ein Dutzend Mal gemacht. Beim ersten Mal musst Du Dich überwinden. Aber Du schaffst das und gewöhnst Dich dran."

Da sitzt eine freundlich lächelnde Frau und erzählt mir das, als würde meine Mutter beschreiben, wie sie in der Fabrik Fische ausgenommen hat. Wäre ich dazu fähig? Was bringt Menschen dazu, so zu handeln? Was macht das mit ihnen?

Mit Moussa fahre ich in dem klapprigen Fiat über zweifelhafte Schotterpisten zun einem entlegenen Dorf im Gebirge. Es ist heiss, es ist staubig und eigentlich habe ich gar keine Lust mehr auf diesen Job. Aber bitte: Hamburg zahlt, Hamburg will Artikel.

Unsere Gesprächspartnerin ist eine jüngere Frau, so um die Dreissig. Sie trägt Hörgeräte. Das Zimmer ist eng und es ist stickig. Wieder gibt es Tee, Gebäck, Obst und Nüsse. Es könnte ein netter Smalltalk sein, wenn nicht...

"Die Franzosen haben unser Dorf gestürmt. Dabei gab es bei uns keine Kämpfer. Nur Bauern, Hirten, Handwerker, viele Kinder und alte Leute. Die Jungen waren alle weg. In den Bergen, bei der FLN. Das wussten die Franzosen. Einige Tage zuvor hatte es einen Angriff der Befreiungskämpfer auf einen Konvoy gegeben. Es wurden viele Soldaten getötet, LKW und Panzerwagen zerstört. Dann kamen Flugzeuge, haben mit Maschinengewehren auf unsere Tiere geschossen - und auf die Kinder, die das Vieh hüteten. Aber das reichte ihnen noch nicht. So kamen sie zu uns. Mit Lastwagen. Mit Panzern. Mit viel Geschrei haben sie uns aus den Häusern geholt. Ich war ja noch ein Kind. Mich haben sie mit den anderen Kindern in einen Schuppen gesperrt. Dann haben sie den Männern und Frauen so kleine Dynamitstangen (Sprengpatronen?) in die... in die Körperöffnungen gesteckt und sie einfach, ja einfach gesprengt. Jedes Mal wenn es geknallt hat, konnten wir sie lachen hören. In dem Schuppen gab es einen Keller. Einige von uns haben sich darin versteckt. Er war nicht gross. Wir waren zu fünft. Die anderen Kleinen trauten sich nicht. Dann haben die Soldaten Handgranaten in den Schuppen geworfen. Uns im Keller ist nichts passiert. Nur von dem Knall lief uns das Blut aus den Ohren. Als wir die Franzosen wegfahren hörten, haben wir noch gewartet, bis die Nacht kam. Dann sind wir aus unserem Loch gekrochen. Alle unsere Freunde und Geschwister waren tot. Zerfetzt von den Handgranaten. Draussen auf dem Dorfplatz lagen unsere Eltern, Väter, Müter, Grosseltern, Oma, Opa - alle tot. Alle zerfetzt. Alle. Nur wir fünf Kinder haben überlebt. In unserem Dorf wohnten ungefähr fünfzig Leute. Sie haben alle ermordet. Nur wir fünf sind übrig geblieben. Wir sind dann auch in die Berge. Es gab ja nichts und niemand mehr, zu denen wir hätten zurück gehen können. Sie waren alle tot."

Was macht das, neben den rein körperlichen Folgen, mit einem Kind? Wie kann es so etwas jemals vergessen? Wie kann es damit weiter leben? Und die Täter? Was mag sie dazu gebracht haben, so zu handeln? Ich höre Karstens Stimme am Telefon "Was Nettes. Mit human touch." Wie müsste ich jetzt mein Hirn verdrehen, um so etwas zu schreiben. Versöhnung über den Gräbern? Könnte ich das? Könnte es angesichts solcher Erlebnisse überhaupt irgendjemand?

Im Laufe meines Aufenthalts in Algerien führte ich noch einige solche Gespräche. Jeden Tag eines, manchmal zwei. Die Inhalte waren immer am Rande des Erträglichen, oft auch weit darüber hinaus. Auch mein Verhältnis zu Moussa wurde zusehends angespannter. Die Interviews hinterliessen Spuren bei mir. Ich war gereizt, wurde schnell zornig. Dann gab es noch eine unschöne Szene zwischen ihm und mir, als er mir eine minderjährige Prostituierte "zum Stressabbau" zuführen wollte. Ich zahlte Moussa aus und verliess das Land in Richtung Frankreich.

"Halt beide Seiten sehen" (Karsten vom Spiegel)

Ich wollte auch den Mördern in die Augen sehen, mit ihnen reden. Was sind das für Menschen? Sind es Menschen? Aus Hamburg hatte ich die Adresse eines Veteranenverbandes bekommen, die mir einen ehemaligen Fallschirmjäger mit früherem Einsatz in Algerien vermittelten. Inzwischen war er Winzer in Südfrankreich. Kurzer Flug über das Mittelmeer. Willkommen im sonnigen Frankreich. Mit Mördern reden.

Dritter Akt: Frankreich

Schön und malerisch, diese Gegend. Sanfte Hügel, kleine Häuser, Lavendelfelder. Aber ich bin nicht hier, um Urlaub zu machen. Neben mir im geliehenen Renault sitzt Beatrice, meine Dolmetscherin. Mein Französisch ist ausgesprochen mangelhaft und mit Englisch komme ich hier wohl auch nicht weiter. Ich denke an den alten Witz von dem Amerikaner, der an einem Schalter der SNCF zwei Fahrkarten zweiter Klasse nach Toulouse erstehen will: "Two twos to Toulouse!", woraufhin die Frau hinterm Schalter antwortet: "Täterätäta!".

Die Adresse von Pierre, einem ehemaligen Fallschirmjäger, der in Algerien gekämpft hat, bekam ich von einer Veteranenvereinigung, Beatrice bekam ich von einem in Paris ansässigen Spiegel-Korrespondenten vermittelt. Ich fahre und sie liest die Karte. (Damals gab es noch keine Navigationssysteme). Wir, bzw. Beatrice, müssen uns den Rest des Weges erfragen. Dann treffen wir Pierre, den Weinbauern, wie vereinbart zu Hause an. Der kräftige Mann mit dem grauen Kurzhaarschnitt zeigt uns seine Weinberge und seinen Hof. Abends nach einem üppigen Abendessen sitzen wir mit ihm zusammen auf der Terrasse, geniessen den Sonnenuntergang, den Lavendelduft und den Wein. (Damals trank ich noch Alkohol). Es könnte so ein schöner Abend sein, wenn ich nicht die Idylle durch meine Fragen stören würde. Beatrice und ich haben gelost, wer uns zurück in unser kleines Hotel fährt. Sie zog das kürzere Streichholz. Also kann ich versuchen, mit dem Alkoholkonsum von Pierre mitzuhalten. Ich frage ihn irgendwann sehr direkt, ob er sich an gewalttätige Übergriffe auf Zivilpersonen in Algerien erinnern kann.

"Natürlich kam es dazu. Wir waren ja nicht zum Vergnügen da. Wir haben den (die rassistischen Bezeichnungen der Einheimischen ersetze ich mal durch "...") schon gezeigt, wo es lang geht. Wenn wir ein Dorf besuchten (ja, tatsächlich sagte er "besuchten"), dessen EinwohnerInnen im Verdacht standen, mit der FLN zu kooperieren, dann kam zuerst die Luftwaffe. Die haben mit Bordkanonen, MG und Raketen angegriffen. Manchmal wurde auch Octogel abgeworfen (Französische Weiterentwicklung des Brandstoffes Napalm). Aber wir wollten ja nicht alle töten. Noch nicht. Wir wollten Informationen, und die haben wir uns geholt. Wir sind dann rein, nachdem die Flugzeuge weg waren. Meist hatten wir auch noch ein paar leichte Panzer dabei, falls aus irgendwelchen Häusern auf uns geschossen wurde. Wenn wir auf keinen Widerstand trafen, was meistens der Fall war, dann haben wir die ... aus ihren Häusern geholt und zusammen getrieben. Dann haben wir sortiert. Männer dahin, Frauen da rüber. Offiziere und Männer vom Geheimdienst fingen dann mit den Befragungen an. Das ging so: Die ... in einer Reihe aufstellen, dann kam unser Kranwagen. Dann haben wir uns einfach den ersten Kerl in der Reihe geschnappt. Hose runter. Einen dünnen, aber festen Draht um seine Genitalien (Pierre benutzte vulgärere Bezeichnungen) gewickelt, ihn auf den Rücken gelegt und das Ende des Drahts am Kranhaken befestigt. Dann haben wir den ... gefragt, was er zu erzählen hätte über die FLN-Präsenz in der Region. Wen er nicht antwortete oder nur geheult und gebrüllt hat, dann zog der Kran an und er wurde an seinen Genitalien hoch gezogen. Erst ein kleines Stück nur. Dann fragten die Offiziere die anderen Männer. Wenn sie nicht redeten, was anfangs fast immer der Fall war, dann zog der Kran weiter an. Irgendwann führte das Körpergewicht des ... dazu, dass ihm sein Ding abriss. Kannst Du Dir das Gebrüll vorstellen? Dann haben wir ihn erschossen. Manchmal aber auch nicht. Dann liessen wir ihn einfach verbluten. Dann kam der nächste dran. Nach zwei, drei abgerissenen ... haben die anderen dann geredet. Die haben dann jede Frage beantwortet. Ob nun richtig oder falsch. Die hatten einfach nur noch Angst. Wenn wir alles aus ihnen rausgequetscht hatten, haben wir sie alle umgelegt. Manchmal haben sich noch ein paar Kameraden den Spass gemacht, noch ein paar ... mit dem Kran fertig zu machen. Ob wir die Frauen und Kinder auch umgelegt haben? Ja, oft. Vorher haben wir uns aber noch mit ihren Weibern vergnügt. Manchmal auch mit den Kindern. (Er lacht tatsächlich). Aber wo wir waren, lebte nachher niemand mehr. Auch das Vieh haben wir abgeknallt. Und die Häuser gesprengt. Die ... sollten wissen, wie es ist, wenn die Paras kommen. Das spricht sich rum und die Leute haben Angst, dass sie die nächsten sein könnten. Hat natürlich auch dazu geführt, dass viele ... dann zur FLN gegangen sind. Kann man ja irgendwie auch verstehen. Vielleicht hätten wir sie alle umbringen sollen."

Da sitzt also ein sympathisch aussehender Mann mittleren Alters Dir gegenüber, ihr raucht, er schenkt Wein ein und erzählt einem von bestialischer Folter und vom Mord an Männern, Frauen und Kindern so, wie jemand über seine Arbeit im Büro oder in der Fabrik spricht. Emotionslos, ruhig und gelassen. Ich merkte, wie Beatrice bei ihren Übersetzungen mehr und mehr ins Stocken geriet und sich ihre Stimme veränderte. Zwischendurch hängte sie an ihre Übersetzungen auch Bemerkungen an: "Hör auf. Hört auf damit. Ich ertrage das nicht!" Irgendwann fehlen auch mir die Worte. Ich kann keine Fragen mehr stellen. Ich habe zu viele Bilder im Kopf. Wir brechen auf.

Kaum ist der Hof ausser Sicht, fährt Beatrice rechts ran und weint hemmungslos. Ich versuche, sie zu trösten und sie keift mich an: "Wie kannst Du so was nur machen? So ruhig da sitzen und mit so einer Bestie Wein trinken. Bist Du kein Mensch? Bist Du ein Stein? Wie erträgst Du das?"

Ja, Beatrice, wie ertrage ich das? Wie erträgt man es, dass der nette Kerl von nebenan ein Folterknecht und Killer ist. Wie erträgt man es, dass er nicht wie ein Hollywood-Monster wirkt, dass er einem hätte sympathisch sein können, wenn man nicht gewusst hätte? Steckt in uns allen vielleicht eine blutgierige Bestie, die quälen und morden kann oder gar will, wenn nur die Gelegenheit dazu besteht, dies straflos und gar in höherem Auftrag zu tun? Was ist mit mir? Steckt auch in mir so eine Bestie? Ach, Beatrice, so viele Fragen, die mir durch den Kopf gehen. Was hätte ich tun sollen? Interview abbrechen? Ihn anpöbeln? Ihm die Weinflasche über den Kopf schlagen? Hätte das irgend etwas ungeschehen gemacht? Tote wieder lebendig? Es gibt Situationen, denen ich mich im Moment des Geschehens gewachsen fühle. Das Erschrecken kommt erst hinterher, wenn ich nachdenke. Dann ist es aber um so tiefer.


Vierter Akt: Deutschland

Walter, der Legionär und seine Geschichten aus Afrika

Die schreibe ich später. Jetzt mag ich nicht mehr. Ich habe diesen Text aus meinen Aufzeichnungen rekonstruiert und gekürzt. Die Original-Mitschnitte der Interviews habe ich längst überspielt und meine brave Grundig Stenorette hat schon vor Jahren das Zeitliche gesegnet. Die Transskripte staubten lange Zeit in einem Ordner auf dem Dachboden vor sich hin. Es strengt mich doch sehr an, das alles noch mal zu lesen und zu bearbeiten - und vor allem: Zu erinnern.

Übrigens: Der Artikel ist nie erschienen. Er war den Kollegen vom Spiegel dann doch wohl zu wenig versöhnlich. Karsten brachte Argumente vor wie: "Mensch, Anders, das können wir nicht machen. Die Franzosen sind doch unsere Freunde, Nato, EWG (heute EU) und Algerien ist ein wichtiger Export-Markt für unsere Wirtschaft. Das können wir nicht bringen. Stell Dir vor, wenn daneben eine Anzeige für Schiesser-Herrenunterwäsche ist, oder Triumph-Damenunterwäsche. Das geht nicht. Die Redaktion ist dagegen. Vergiss es!" Honorar gab's folglich nicht. Aber die Reisekosten und Spesen haben sie erstattet. Da waren die KollegInnen von der Brandstwiete dann doch freigiebig.


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Algerien im Spiegel oder Die netten MörderInnen von nebenan

20.10.2023 um 18:13
Gab es am Ende einen Artikel im Spiegel?


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Algerien im Spiegel oder Die netten MörderInnen von nebenan

20.10.2023 um 18:26
Zitat von paxitopaxito schrieb:Gab es am Ende einen Artikel im Spiegel?
Siehe Text-Ende:
Zitat von DoorsDoors schrieb am 15.10.2023:Übrigens: Der Artikel ist nie erschienen. Er war den Kollegen vom Spiegel dann doch wohl zu wenig versöhnlich. Karsten brachte Argumente vor wie: "Mensch, Anders, das können wir nicht machen. Die Franzosen sind doch unsere Freunde, Nato, EWG (heute EU) und Algerien ist ein wichtiger Export-Markt für unsere Wirtschaft. Das können wir nicht bringen. Stell Dir vor, wenn daneben eine Anzeige für Schiesser-Herrenunterwäsche ist, oder Triumph-Damenunterwäsche. Das geht nicht. Die Redaktion ist dagegen. Vergiss es!" Honorar gab's folglich nicht. Aber die Reisekosten und Spesen haben sie erstattet. Da waren die KollegInnen von der Brandstwiete dann doch freigiebig.
Als Freier Journalist bist Du es irgendwann gewohnt, dass nicht alle Texte Gnade vor den Augen der nächsthöheren Instanz finden. Rückwirkend betrachtet habe ich wohl 10 - 15% meiner Texte für die Papiertonne geschrieben. Glücklicherweise gab es aber auch Medienhäuser, die nicht nur die Auslagen erstatteten, sondern auch eine Art Ausfallhonorar für nicht veröffentlichte Texte zahlten.
Der Spiegel zählte, wie auch der Stern, allerdings nicht dazu. Der Stern gab die Kohle lieber für "Hitler-Tagebücher" aus. So sind sie halt, die Jungs und Mädels von der Hamburger Medienmafia.


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20.10.2023 um 19:41
Zitat von DoorsDoors schrieb:Siehe Text-Ende:
Ich habe bis
Zitat von DoorsDoors schrieb am 15.10.2023:Die schreibe ich später.
gelesen. Tja, man sollte bis zum Schluss lesen. Aber Danke für deine Antwort. Du konntest das also Verschriftlichen? Mir würden da die Worte fehlen, ich könnte das nicht.


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20.10.2023 um 19:53
Zitat von paxitopaxito schrieb:Du konntest das also Verschriftlichen?
Ich musste damals wie heute mit dem Text kämpfen. Aber ich habe mir vorgenommen, vieles, was unveröffentlicht blieb, doch auf die eine oder andere Weise Menschen zugänglich zu machen. Ich komme allmählich in das Alter, wo man seinen Nachlass ordnet.


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20.10.2023 um 19:54
@Doors
Würdest du heute bei dem Franzosen anders reagieren?


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20.10.2023 um 20:03
@paxito

Ich glaube, ich würde solche Interviews heute nicht mehr führen wollen. Im Alter wird man in einigen Fällen zwar abgestumpfter, in anderen aber auch dünnhäutiger.


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01.12.2023 um 12:34
Das schlimme ist, dass sich in den neueren "Konflikten" weltweit ja auch nicht wirklich etwas geändert hat. Hass und Gegenhass stacheln sich immer weiter und immer wieder hoch. Ein kaum zu durchbrechender Teufelskreis. :(


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01.12.2023 um 12:37
@PrivateEye


Die Welt ist kein guter Ort und der Mensch dem Menschen ein Wolf. Mich hat immer wieder erschüttert, was sich hinter den netten Masken der Mitmenschen für grauenvolle Fratzen verstecken können.


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01.12.2023 um 12:46
@Doors
Besonders jene bringen es leider dabei zur Perfektion. Aber man sollte auch die nicht vergessen, die an solchen Sachen zerbrechen, besonders wenn sie versucht haben etwas zu ändern und alleine da standen.

Dein Artikel wurde nie gedruckt. Aber ich kenne noch das Interview des sogenannten "Kongo-Müller".

Besser geworden ist es seit dem wohl nicht wirklich.


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01.12.2023 um 12:51
Zitat von PrivateEyePrivateEye schrieb:Besser geworden ist es seit dem wohl nicht wirklich.
Nein, wirklich nicht. Wo Du gerade den „Kongo-Müller“ angesprochen hast. Ja, der von mir nicht mehr wiedergegebene Teil über den Fremdenlegionär hätte dem entsprochen, wäre wohl nur noch weitaus drastischer ausgefallen. Der Grund, warum ich mir und anderen das nicht zumuten wollte.

Gern schicke ich die Gespenster der Vergangenheit wieder zurück zwischen Aktenordner bzw. in die finstersten Verliese meines Gehirns.


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Algerien im Spiegel oder Die netten MörderInnen von nebenan

01.12.2023 um 13:23
Zitat von DoorsDoors schrieb:Gern schicke ich die Gespenster der Vergangenheit wieder zurück zwischen Aktenordner bzw. in die finstersten Verliese meines Gehirns.
Klar. Aber wirklich loswerden tust du sie nimmer. Schlimmer wäre nur noch, solch zugetragenes selbst erlebt zu haben.

Und auch wenn ich es durchaus als grundlegendes Menschenrecht ansehe, sich verteidigen zu dürfen bleibt doch immer noch die Frage nach dem schmalen Grat zwischen Selbstschutz und Aggression.

Was mir auch zu denken gab, ist die Aussage des Herrn Müller "der Westen würde in Afrika verteidigt werden". Im 21ten Jahrhundert wurde dann Deutschlands Freiheit am Hindukusch verteidigt. Und du hattest ja Parallelen zu anderen, ähnlichen Aussagen weit früher angedeutet. Also auch nicht wirklich ein Einzelfall. Wenn man mit Zeit und Geduld die Jahrhunderte der Militärhistorie durchforstet, findet sich gewiss noch ähnliches. Nur das früher die Feldherren ihre Truppen teils begleiteten und bisweilen sogar voraus ritten. Macht ja heute keiner mehr. Weder selber in den Dreck gehen noch Verantwortung davor zu übernehmen.


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12.02.2024 um 14:35
@Doors


Sehr gut geschriebener Artikel und ein echt krasser Hammer. Warum veröffentlichst du dein journalistisches Vermächtnis nicht in würdigerer Form als in einem Onlineforum, z.B. zusammen mit anderen Reportagen von dir in Buchform?

Dein Stil erinnert mich sehr an meinen Lieblinsautor Gert Prokop Thematisch hat er als Journalist in der DDR ähnliche Themen wie du bearbeitet u.a. war er in dem Team, das den Film über Kongo-Müller drehte. Diese Themen und das Spannungsfeld zwischen Wahrheitsfindung und dem Veröffentlichbaren, in dem sich Journalisten bewegen, hat er auch oft zum Inhalt seiner utopischen Erzählungen gemacht, sehr lesenswert, kann ich nur empfehlen. Oft stellt er seine Protagonisten vor die Herausforderung zwischen Selbstaufgabe und Humanismus oder Karriere / Selbstverwirklichung im Umfeld zynischer Brutalität zu wählen. Seine Bücher Kann ich nur empfehlen.


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Algerien im Spiegel oder Die netten MörderInnen von nebenan

23.02.2024 um 13:26
@Doors


Danke. !!! Muss ich meine blöde Neugier - spraChlos erst verdauen. O m g !!! Werwolf tötet nicht soooo grausam.

Guter wichtiger Artikel = Wahrheit muss ans Licht, sei SIE noch soooo bitter + unfassbar.


🙏🤜🤛🙏💚💚💚❤💚💚💚💥


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