Bernhard-Kaelte

Ein praktisch ohne Absatz geschriebener Monolog über Thomas Bernhards vermutlich schwierigstes Jahr, als er als 18-Jähriger wegen eines Schattens auf der Lunge in die Lungenheilstätte Grafenhof im Salzburger Land eingeliefert wird. Sehr akribisch beschreibt er die trostlose Situation der dem Tod Geweihten, die unzulängliche medizinische Versorgung der nicht privaten Patienten, die Aggressivität der Patienten und die distanzierte Kälte des medizinischen Personals.
Jeder Patient erhielt von der Kostbarkeit nur eine geringe Menge, die, wie ich später erfahren habe, nutz- und sinnlos gewesen war. Mehr Streptomyzin bekam nur der gespritzt, der es sich selbst aus der Schweiz oder aus Amerika kommen lassen konnte oder der eine gehörige Protektion bei den Ärzten, naturgemäß in erster Linie beim Direktor, dem allgewaltigen Primarius, hatte.
Zu Beginn wünscht sich Bernhard fast positiv zu sein, da er nicht dazugehört, aber immer mehr beginnt er zu beobachten und zu bewerten. Sein Schluss ist der Situation entsprechend, "daß es sich hier tatsächlich um Ausgestoßene, Ausgeschiedene handelte, Entrechtete, Entmündigte."

Nach neun Monaten wird er entlassen, da nie Tuberkolose bei ihm festgestellt werden konnte, jedoch bei der ersten Kontrolle in Salzburg wird eine offene Lungentuberkolose diagnostiziert. Und damit beginnt die Tortur. Ihm wird ein Pneumothorax gelegt (Luft zwischen Zwerchfell und Lunge eingebracht), doch bei einer Neufüllung (immer ohne Narkose), passiert ein Fehler, und nun muss ihm regelmäßig Luft in den Bauchraum eingebracht werden (das Bauchfell wird wieder ohne Narkose durchstochen). Auch wird ihm ein das Zwerchfell steuernder Nerv unterhalb des Schulterblatts lahmgelegt (auch ohne Narkose). Wild ist, als er beschreibt, wie ein junger Arzt in Grafenhof, wohin er wieder eingeliefert wurde, zum ersten Mal Luft in den Bauchraum pumpen muss und sich nicht traut, das Bauchfell in einem Zug zu durchstechen, was zu fürchterlichen Qualen führt.

Letztlich findet Bernhard wieder zu seiner geliebten Musik zurück und singt (illegalerweise) sogar im Kirchenchor des angrenzenden Ortes. Auch zur Literatur findet er wieder. Grafenhof verlässt er auf eigenen Entschluss (er dürfte wohl nicht mehr ansteckend gewesen sein) und geht zurück nach Salzburg, wo mittlerweile seine Mutter 46-jährig an Gebärmutterkrebs (anscheinend ein Jahr zu spät entdeckt) gestorben ist. Auch erfährt er, dass sein Großvater aufgrund einer Fehldiagnose verstorben ist (eine volle Blase wegen einer Blasenverstopfung wurde als Tumor diagnostiziert und dies hatte Nierenversagen mit Blutvergiftung zur Folge).

Als Kaufmannsgehilfe kann er aufgrund seiner Krankheitsgeschichte nicht mehr arbeiten, eine Sängerkarriere wird auch schwer in Angriff zu nehmen sein, auch fühlt er sich nicht mehr in der Lage, überhaupt ein abhängige Arbeitsstelle anzunehmen.
Von jeder Arbeit, von jeder Beschäftigung war ich zutiefst abgestoßen, es ekelte mich vor dem Stumpfsinn der Arbeitenden, der Beschäftigten, die ganze Widerwärtigkeit der Beschäftigten und Arbeitenden sah ich, ihre absolute Sinn- und Zwecklosigkeit.
Nur müsste er dann von der Fürsorgerente leben, aber diese ist extrem niedrig.

Noch immer muss regelmäßig sein Pneumoperitoneum (Luft im Bauchraum) gefüllt werden und einen Termin zögert er so lange raus, dass er während des Eingriffs eine Embolie erleidet und nur Dank der Reaktionsschnelle des Lungenarztes überlebt. Damit endet der Monolog.

Streckenweise ein ziemlich starker Tobak und eigentlich unvorstellbar, was dieser 18-Jährige zu erleiden hatte.