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Heribert Illig - Das erfundene Mittelalter

3 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Mittelalter, Konterfaktische Geschichte ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
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Heribert Illig - Das erfundene Mittelalter

16.05.2025 um 21:58
Illig-Mittelalter

Jetzt habe ich mal ein Buch aus 1996 ausgegraben. Heribert Illigs These ist, dass die Zeit von September 614 bis August 911 reine Fiktion sind, wobei er sich an Karl den Großen festbeißt. Illig hat über Egon Friedell promoviert (ist also kein Barkeeper wie Däniken) und weiß schon, wie an Quellen gearbeitet wird, was dieses Buch zu einer durchaus lohnenden Lektüre gestaltet: Er kennt sich mit den Textquellen und den Architekturquellen aus.

Das Problem ist, dass er ausgewählte Belege in seine These presst. Dass es eine große Diskrepanz zwischen den Erzählungen über Karl den Großen und den archäologischen Befunden gibt, ist nachvollziehbar. Die permanenten Kriege mit einem jährlich ausgehobenen Heer ist auch ohne Zeitlöschung in einer auch durch archäologische (Nicht-)Funde bestätigten komplett verarmten Gesellschaft schwer vorstellbar. Wikingerüberfälle, Sachsenkriege sind archäologisch nicht belegbar. Und den Versuch einer Geschichtskorrektur kennen wir auch aus England, nur hat es König Artus nie in die Realität geschafft. Dass an den Karolingerüberlieferungen einiges "fishy" ist, dem schließe ich mich an. Und dass die Aachener Pfalzkapelle, die Illig akribigst nach ihren architektonischen Elementen analysiert, auch in der Salierzeit ihre heutige Form erhalten haben könnte, ist eine für mich Laien nachvollziehbare These.

Nur: Es bleibt die Zeitlöschung. Am Ende des Buches nennt er die Krux seiner These: Er hat noch nicht mit außereuropäischen Zeitrechnungen kalibriert. Für mich ist definitiv offen: In seine Zeitlöschung fällt die arabische Expansion und im islamischen Kalender müssten auch fast 300 Jahre fehlen. Ob Illig das Problem in späteren Büchern angegangen ist, habe ich nun nicht nachrecherchiert.

Fazit: Amüsante, zum Teil aber auch schwierige (Architekturanalysen) Lektüre, aber von der Herangehensweise ein wissenschaftliches No-Go (Beispiele werden ausgewählt präsentiert, um eine These zu belegen, der nicht passende Kontext wird ausgeklammert).


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Heribert Illig - Das erfundene Mittelalter

14.06.2025 um 14:36
Das ist ein hochinteressantes Thema, mit dem ich mich gern ausführlich befassen würde, wenn ich die Zeit hätte. Durch einige Interviews mit Illig auf Youtube, z. B. mit Alexander Kluge, kann man aber einen ersten Eindruck gewinnen. Zwei Punkte sind mir besonders im Gedächtnis geblieben.

1. Die Expansion des Islam: Illig verweist auf die zahlreichen Kriege zwischen Persien und dem Oströmischen Reich. Im letzten Krieg ab 603 erzielten die Perser große Erfolge und eroberten weite Teile des römischen Orients (wie später die Araber). Dann seien sie aber über Ägypten nach Nordafrika und schließlich nach Spanien weitergezogen (wie die Araber); auf dem Weg dorthin hätten sie in Arabien den Koran "gefunden" und den schon länger existierenden Islam angenommen. Dass der Islam sich in Persien selbst erst im 10. Jahrhundert durchgesetzt habe, sei kein Wunder, da die 300 dazwischenliegenden Jahre eben nicht stattgefunden hätten.

Dass die arabische Expansion also in Wahrheit eine persische Expansion gewesen sein soll, finde ich eine erstaunliche These. Illig sagt dazu noch, die Architektur im islamischen Spanien habe viele persische Elemente gehabt. Nun gut, aber wie sieht es mit der Sprache aus? Wieso spricht man im sogenannten Nahen Osten und in Nordafrika heute überwiegend Arabisch und nicht Persisch? Weil es die Sprache des Korans ist? Laut Illig soll es ja gerade die fremde arabische Sprache des Korans gewesen sein, die die Perser fasziniert und zum Übertritt motiviert haben soll. Insgesamt nicht sehr überzeugend.

2. Die Frage der absoluten Datierung: Illig sagt, die Radiokarbonmethode und das Zählen von Jahresringen seien auf die etablierte Chronologie abgestimmt. Das bedeutet wohl: Kann ich sicher ermitteln, dass ein Gegenstand 1500 Jahre alt ist, und gehe ich davon aus, mich im Jahr 2025 zu befinden, muss der Gegenstand aus dem Jahr 525 stammen. Nehme ich dagegen an, wir schrieben erst 1725, stammt er von 225. Dies erscheint mir doch ein logischer Gedanke zu sein: Auch nach ihrem absoluten Alter datierbare Funde muss ich auf einem Zeitstrahl relativ zueinander einordnen, und das ist entweder der etablierte Zeitstrahl oder der von Illig. Welchen man nimmt, kann man wiederum nicht mit dem absoluten Alter der Funde begründen; das wäre ein Zirkelschluss.

Zumindest auf diese Weise lässt sich Illig also nicht widerlegen, oder habe ich etwas übersehen?


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Heribert Illig - Das erfundene Mittelalter

15.06.2025 um 10:09
Zitat von TitorelliTitorelli schrieb:Dass der Islam sich in Persien selbst erst im 10. Jahrhundert durchgesetzt habe, sei kein Wunder, da die 300 dazwischenliegenden Jahre eben nicht stattgefunden hätten.
Ist wohl dasselbe Argument wie bei der Christianisierung des nicht-römischen deutschen Sprachgebiets, die so langsam ging.
Zitat von TitorelliTitorelli schrieb:Dass die arabische Expansion also in Wahrheit eine persische Expansion gewesen sein soll, finde ich eine erstaunliche These. Illig sagt dazu noch, die Architektur im islamischen Spanien habe viele persische Elemente gehabt. Nun gut, aber wie sieht es mit der Sprache aus? Wieso spricht man im sogenannten Nahen Osten und in Nordafrika heute überwiegend Arabisch und nicht Persisch?
Überzeugende Frage.

Was mir weiterhin in den Sinn kommt: Der islamische Kalender beginnt mit der Flucht von Mohammed von Mekka nach Medina 622 (Jahr Null). Die Jahre werden mit AH abgekürzt (Anno Hegirae). Dass die Jahre gezählt werden, wurde AH 17, also 638 entschieden. Vorher hatten sie nur Namen.

https://shs.hal.science/halshs-02308264/file/Tillier-Vanthieghem-Recording%20debts-DEF.pdf

Die erste Überlieferung, die eine Jahreszahl des islamischen Kalender nennt, stammt aus Ägypten und ist eine Steuerquittung. Das genannte Jahr: 22 (also 643). Der Text:
بسم الله الرحمن الرحيم هذا ما اخذ عبد اله [In the name of Allah, the Compassionate, the Merciful. This is what ʿAbdilah,]
ابن جبر واصحبه من الجزر من اهنس [Son of Jabir, and his companions-in-arms, have taken as of slaughter sheep at Heracleopolis (Ihnas)]
من خليفة تدراق ابن ابو قير الاصغر ومن خليفة اصطفر ابن ابو قير الاكبر خمسين شاة [from a representative of Theodorakios (Tidraq), second son of Apa Kyros (Abu Qir), and from a substitute of Christophoros (Istufur), eldest son of Apa Kyros (Abu Qir), fifty sheep]
من الجزر وخمس عشرة شاة اخرى اجزرها اصحاب سفنه وكتئبه وثقلاءه في [as of slaughter and fifteen other sheep. He gave them for slaughter for the crew of his vessels, as well as his cavalry and his breastplated infantry in]
شهر جمدى الاولى من سنة اثنين وعشرين وكتبه ابن حديدو [the month of Jumada al-Ula in the year twenty-two. Written by Ibn Hadidu.]
Quelle: Wikipedia: PERF 558

Ich gehe davon aus, dass arabischen Steuerbeamten eine Jahreserfindung des päpstlichen Gebiets mehr als egal war. Der islamische Kalender zählt auf 1447 hoch (ist unser 2025).

Natürlich könnte eingewendet werden, dass das islamische Jahr 22 nicht das gregorianische 643, sondern das Jahr 346 war. Nur: Ägypten war damals (gesichert!) römisch unter Constantinus II. und nach dessem Tod 361 unter Flavius Claudius Iulianus. Eine arabische Steuerquittung wäre also meiner Ansicht nach anachronistisch wie ein Smartphone im Grab von Goethe.

Erfundene Geschichtchen über Karl den Großen und aus dieser Zeit ist durchaus eine Möglichkeit (in England wurde ja auch versucht, einen König Artus in die Geschichtsschreibung einzubauen), aber die Streichung von 297 Jahren wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet.


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