Allmy Kurzgeschichten Wettbewerb 2.0
12.12.2011 um 16:15
"Ich hatte mir den Tag freigenommen, da das Wetter zu einem Spaziergang einlud und ich auch meinem Geist, der durch den Umstand, dass es in den letzten Tagen ungewöhnlich viel im Bureau zu arbeiten gab, geschwächt war, ein wenig Ausgang gestatten wollte. Ich saß nun also in der Straßenbahn und pfiff beschwingt und frohgemut vor mich hin. Ich hatte beschlossen erst ein wenig durch die Geschäftsgegend zu schlendern und es mir daraufhin mit einem leichten, luftigen Buch im Park bequem zu machen. Die untergehende Sonne sollte mir dann Signal sein eine Kneipe aufzusuchen und dort mit den Trinkern ein wenig zu scherzen und ein wenig Schauspiel zu betreiben, indem ich mich anders geben wollte, als ich tatsächlich war. Während ich mir das ausmalte und im Kopf schon Rollen durchging, die ich abends einnehmen könnte, sah ich durch das Fenster ein vertrautes Gesicht in der rasch vorbeifließenden Umgebung. Ein alter Freund, den ich lange nicht mehr gesprochen, ja den ich fast vergessen hatte. Die Vorstellung eines Gesprächs reizte mich, daher stand ich auf und verließ die Straßenbahn, die gerade eine Haltestation angefahren hatte. Ich blickte mich rasch um und schon sah ich meinen alten Freund. Er hatte sich kaum bewegt seit ich an ihm vorübergefahren war. Trotzdem rannte ich auf hin zu. Ein wenig zu hastig vielleicht, denn er sah ein wenig erschrocken aus und als ich ihn erreichte und, überwältigt vor Freude, das altbekannte Gesicht, das ich noch aus meiner Jugend kannte, wiederzusehen, seine Schultern ergriff entfuhr meinem lieben Freund sogar ein leiser Schrei.
Ich lachte verständnisvoll, erklärte mich und als ich meinen Namen nannte, glaubte ich ein kleines, heimliches Lächeln und ein fröhliches, verstecktes Glitzern in seinen Augen zu erkennen. Ich erzählte ihm rasch von den Plänen, die ich für diesen Tag hatte, die ich nun aber alle beiseite schieben würde, um den Tag mit ihm zu verbringen. Dies täte ich um der alten Zeiten willen und auch in der Hoffnung der alten Freundschaft, die wir beide schändlich vernachlässigt hätten, neues Leben einzuhauchen. Ich blickte ihn nach diesen ergreifenden Worten an und sah, dass er noch immer lächelte. Das gute Lächeln meines Freundes. Ich klopfte ihm herzlich auf den Rücken und erzählte wie es mir seit unserem letzten Treffen, das einige Jahre zurücklag, ergangen war. Ich fragte nach seinem Befinden und sah ihm dabei voller Freundschaft in seine mir gut bekannten, klaren Augen. Er lächelte immer noch. Doch es schien mir ein wenig spöttisch.
Was war geschehen? Ich wusste mir nicht zu helfen und redete daher laut und polternd von meinen Geschäften, während ich ihn am Arm ergriff um dadurch ein wenig Verbundenheit herzustellen, auf dass der Spott von seinem Gesicht verschwände. Ich erzählte laut und lachend von meiner Schwester, die er ebenfalls kannte und mit der wir in früheren Zeiten öfter einmal gemeinsam unterwegs gewesen waren. Ich versuchte die Vergangenheit festzuhalten und ihm vor Augen zu führen, wie eine Art Beweis unserer Freundschaft.
Doch mit einem Mal, in einer einzigen Bewegung, wie geübt, löste er seinen Arm aus meiner Umklammerung, die, wie ich erst dann bemerkte, ziemlich heftig gewesen war und wandte sich zum Gehen. Ich staunte erst still, protestierte dann, erinnerte erneut an alte Zeiten und schrie schließlich regelrecht. Die Vorbeigehenden blickten sich schon nach mir um. Mein Bekannter entfernte sich nun langsamen Schrittes von mir. Lautlos. Wie ein Gespenst aus den Tiefen meiner Erinnerung verfloss er mit der Menge und meine Augen verloren ihn. Er war nun ein Fremder unter Fremden. Wie war mir nur? Mir schien als hätte ich nie einen Freund gehabt."