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In dubio pro reo! Der (Un)Gerechtigkeitsthread.

43 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Urteil, Straftat, Verteidigung ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

In dubio pro reo! Der (Un)Gerechtigkeitsthread.

09.09.2014 um 19:48
Man kann die Fehlerquote nicht errechnen, weil diese Fehler individuell und nicht nach Schema F begangen werden oder einem Muster folgen.

Interessanter wäre es sich damit zu beschäftigen, wie Fehlurteile bei Tötungsdelikten vermieden werden können. Denn bei Tötungsdelikten kommt es häufiger zu Indizienprozessen.

Bei Beziehungstaten gibt es DNA von Tatverdächtigen am Tatort, die nicht tatrelevant sind, aber einen Verdacht erhärten können und eine mögliche Fehlverurteilung wahrscheinlicher machen.

Ich lese hier eigentlich nur im Thread über den Doppelmord zu Weihnachten in Gütersloh. In dem Prozess ist noch nichts wirklich sicher.

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09.09.2014 um 19:52
Hier mal ein Auszug aus einem Bericht von Solveig Bach:
Bleibt noch der immer wieder beschworene Rechtsgrundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten. Wenn die Wahrheit nicht zu finden ist und nicht mit letzter Sicherheit festzustellen ist, dass der Angeklagte die ihm vorgeworfene Tat begangen hat, muss er freigesprochen werden. "Das gilt auch dann, wenn möglicherweise eine Straftat begangen worden ist", sagt Schünemann.

Doch in der Praxis kommen zweifelnde Richter praktisch nicht vor. Ist die Hauptverhandlung erst einmal eröffnet, gibt es in nur 2,9 Prozent der Fälle einen Freispruch. Strafverteidiger Sommer glaubt, dass der Zweifel in unserer Gesellschaft einfach nicht mehr besonders geschätzt wird. "Zupacken, durchziehen, handeln, das ist anerkannt." Wenn es aber, wie im Fall Peggy, keine Leiche, dafür aber jede Menge Möglichkeiten gibt, wie das Kind verschwunden sein könnte, hätte man allen denkbaren Zweifeln nachgehen müssen. Denn die Möglichkeiten, ein einmal gefälltes Urteil wieder aufzuheben, sind extrem begrenzt. Und manchmal dauert es zehn Jahre, bis ein Fehlurteil aufgehoben wird.
http://www.n-tv.de/panorama/Warum-Richter-irren-article12813191.html


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09.09.2014 um 19:56
@stop_crime
Also mich schon,so viele Zufälle gibt es einfach nicht wirklich,genau wie im Fall Schemmer.
Aber als Laie merkt man auch ungerechte Urteile wie im Fall Peggy.Hoffe,da wird mal bald der Richtige verknackt!


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09.09.2014 um 20:12
@talker
Zitat von talkertalker schrieb:Man kann die Fehlerquote nicht errechnen, weil diese Fehler individuell und nicht nach Schema F begangen werden oder einem Muster folgen.
Individuell begangen durch wen... durch den Richter? Aber was hat das mit der statistischen Errechnung der Fehlerquote zu tun? Da musst Du mich bitte aufklären. Sorry.
Zitat von talkertalker schrieb:Interessanter wäre es sich damit zu beschäftigen, wie Fehlurteile bei Tötungsdelikten vermieden werden können. Denn bei Tötungsdelikten kommt es häufiger zu Indizienprozessen.
Auch interessant, da hast Du recht. Lückenlose Videodokumentation der Verhöre, digitale Aufzeichnungen der Verhandlungen, Prüfinstanzen usw. werden schon seit Jahren gefordert. Offensichtlich liegt der Justiz nicht sonderlich viel daran. Da stellt sich dann die Frage nach dem Warum. Geht es um teuere "Humanressourcen", sprich Richterämter, Staatsanwälte und Ermittler? Um bauliche Kapazitäten, wie von Dr. h.c. Gerhard Strate angesprochen? Also zusammengefasst ums liebe Geld?


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09.09.2014 um 20:31
@stop_crime

Man kann keine Zahl von Fehlurteilen ausrechnen, wenn man nur mit einer geschätzten Fehlerquote rechnet, die aus der Luft gegriffen ist.

Die Ermittlungsbehörden wollen vieles, aber bestimmt nicht sich selbst überwachen.


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09.09.2014 um 20:39
Zitat von obskurobskur schrieb:Ich bezog mich da wirklich nur auf die Fälle, wo eben doch Zweifel bleiben.
@obskur
Ja da hast du recht damit!
Und es bleibt bei solchen Fällen immer ein fahler Beigeschmack.
Und ich glaube auch, dass solche Fälle, auch wenn die Kriminalistik noch so gut wird, NIEMALS ganz zu verhindern sind.

Mir persönlich ist immer ein Schuldiger der im Zweifelsfall freikommt lieber, als würde ein Unschuldiger für was büßen müssen, was er nie getan hat.

Lieben Gruß,
Doverex


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09.09.2014 um 20:43
@talker
Zitat von talkertalker schrieb:Man kann keine Zahl von Fehlurteilen ausrechnen, wenn man nur mit einer geschätzten Fehlerquote rechnet, die aus der Luft gegriffen ist.
Das habe ich jetzt verstanden. Danke! ;) Ich gebe Dir bedingt recht: es geht um Schätzungen.
Das die allerdings aus der Luft gegriffen sind, wage ich zu bezweifeln. Solche Zahlen geben Richter von sich. Auch bekannte wie z.B. Heinrich Gehrke. Übrigends ist das auch einer jener Richter, die Videos und Aufzeichnungen als absurd und undurchführbar halten.


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09.09.2014 um 21:16
Hi, dies ist wirklich mal eine Diskussion mit Sinn. Danke @stop_crime . Ja ich bin auch der Auffassung: "Lieber 5 Täter frei als einen unschuldigen hinter Gittern"

Ja, auch wenn es um meine Tochter ginge wie hier schon einmal angesprochen.

Ich habe in den letzten paar Jahren zu viel über Fälle gelesen, in welchen (definitiv) unschuldige verurteit wurden.
Nur wenn es Unterstützung von außen gibt, haben unschuldig verurteilte eine Chance.

Auch wenn wir eines der besten Rechtsysteme unserer Zeit haben, ist dieses Reformbedüftig. Ich kann nur empfehlen, regelmäßig hier vorbei zu schauen https://epetitionen.bundestag.de/ und Petitionen welche unser Rechtssystem reformieren könnten mit zu zeichnen.


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09.09.2014 um 21:25
Zum Beispiel so etwas:
Petition 22311
Strafprozessordnung - Pflicht zur wörtlichen Protokollierung vom 25.01.2012
Text der Petition

Der Deutsche Bundestag möge eine Änderung der Strafprozessordnung beschließen, damit Zeugenaussagen während der Verhandlung auf Antrag wörtlich ins Protokoll aufgenommen werden.

Begründung
Diese Petition basiert auf einem Rechtsmangel, welcher leicht zu Fehlurteilen, besonders aufgrund von Voreingenommenheit und Vorverurteilung führt und es den Richtern leicht macht, un- oder kaum beweisbar Rechtsbeugung zu begehen.
Die in der Begründung angegebenen Mängel habe ich selbst mehrfach erfahren, was mir zeigt hat, dass hier ein echter Schwachpunkt in der Fairness in Strafverfahren vorliegt. Ich sehe hier einen der Hauptgründe, warum es immer wieder schwere Fehlurteile gibt.

Eine Tat muss einen in Deutschland nämlich nicht -wie oft angenommen- bewiesen werden, sondern es gilt "Der Richter muss zur Überzeugung kommen, dass die Tat begangen wurde".
Und warum er zur Überzeugung gekommen ist, dass darf er frei aber nach bestimmten Regeln begründen. Und zu diesen Regeln gehört nicht, dass er anhand von Protokollen usw. auch belegen muss, dass bestimmte Zeugenaussagen tatsächlich gefällt wurden und auch nicht, dass über bestimmte Teile im Verfahren überhaupt verhandelt wurde, was dem Richter letzen Endes einen großen Spielraum gibt, sein Urteil im Nachhinein revisionsfest zu machen.

Richter lehnen die wörtliche Protokollierung regulär ab, weil es nur auf den Inhalt der Aussage ankäme. Anträge, wenigstens einzelne Aussagen in das Protokoll aufzunehmen, werden aus gleichem Grunde abgelehnt. Es kann so nicht nachvollzogen werden, ob eine Aussage tatsächlich stattfand und ob diese evtl. falsch verstanden wurde.

Aussagen, welche die Richter für erheblich halten, auch dann, wenn sie diese falsch verstanden haben, werden in deren persönlichen Notizen oft in einer Weise festgehalten, welche im Nachhinein gerade an Stellen, wo ein gewisses Fachwissen erforderlich ist, zu einer sachlich nicht korrekten oder gar völlig falschen Wiedergabe führt.
Die Parteien haben deswegen keinerlei Möglichkeit, Irrtümer durch ergänzende oder korrigierende Äußerungen zu beseitigen. Das widerspricht dem Grundsatz eines fairen Verfahrens, weil auf diese Weise die Richter wissentlich und auch irrtümlich falsche Urteilsgrundlagen festschreiben können, ohne dass eine Partei ein Korektur-Notwendigkeit ersehen kann.

Der gerichtlich unerfahrene Angeklagte hat hier keine Möglichkeit mehr, ggf. durch weitere Belege seine Aussagen zu untermauern, von denen er dachte, dass er sie genügend belegt habe und deshalb davon auch ausgeht, dass der Richter sie als wahr angenommen habe, welche der Richter tatsächlich aber möglicherweise aufgrund falscher Notizen oder falschen Verständnisses als falsch angenommen hat, ohne den Angeklagten davon zu informieren.
Und was der Richter hinterher im Urteil behauptet, das war dann so - unabhängig davon, ob es je eine solche Aussage gab und davon, ob ein Punkt überhaupt verhandelt wurde.
Die verherrende Folge ist, das Richter freie Gestaltungsmöglichkeiten haben, ihr Urteil revisionsfest zu machen, was besonders für einem an einem LG Angeklagten einen gravierenden Nachteil darstellt, weil dieser dann keinerlei Chance auf eine Neuverhandlung hat.



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09.09.2014 um 22:01
Hier noch ein interessanter Link zu diesem Thema von einem Professor der Rechtswissenschaften:

http://www.strafverteidigerbuero.de/Antrittsvorlesung.php

Als Aufhänger für diese Vorlesung dient der Fall Rupp, wo es ein widerrufenes Geständnis gab, aber die Story von vornherein vollkommen unglaubwürdig war und Blutspuren, welche diese hätten da sein müsse, eben fehlten.

Auch wieder so ein Fall, wo das Urteil in keiner Weise etwas mit Logik zu tun hatte. Hier war in keiner Weise das Gericht seiner Aufgabe nachgekommen, auch Geständnisse auf deren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, zumal es widerrufen wurde.


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10.09.2014 um 03:28
In dem ntv Artikel steht, dass in der Praxis 2,9 % der Fälle die zur Anklage reichen auch zur Verurteilung führen. Das Gefühl habe ich auch, wenn ich mir nur die Prozesse von hier aus der jüngsten Vergangenheit nehme. Ich kann mich an keinen Fall erinnern, wo der Richter auf Freispruch ging, auch wenn man es das ein oder andere mal erwartet hat. Viele Diskussionen hier im Forum zeigen es ja auch, dass oft Zweifel bestehen, sonst gäbe es ja keine Diskussion.

Übrigens tolles Thema, finde ich auch, da gibt es viel diskussionsbedarf, wie ich meine.


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10.09.2014 um 04:42
@JosefK1914
Habe mir den durchaus interessanten Artikel hinter Deinem Link durchgelesen. Nebst den Fallbeispielen sind mir folgende Feststellungen im Ohr geblieben:
Die Möglichkeit des Justizirrtums quält unsere Gesellschaft. Die bevorzugte Verarbeitungsform des Problems ist die Verdrängung. Die Wissenschaft macht gerne einen großen Bogen um die Aufarbeitung dieser Mechanismen, zitiert allenfalls pflichtbewusst Peters Fehlerquellen des Strafprozesses – bald ein halbes Jahrhundert alt – oder das klassische Werk von Sello – mehr als hundert Jahre alt –, als handele es sich um ein historisches überwundenes Phänomen. Wir Verteidiger wissen, die heutigen Gerichtssäle sind voll von richterlichen Irrtümern, Fehlern, Vorurteilen und Fehlentscheidungen, vielleicht sogar mehr denn je.
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Ob Richter es wollen oder nicht: Auch sie erliegen dem Mechanismus der Emotionen, ihre Beweiswürdigung ist maßgeblich eine intuitive, die von ihnen nicht kontrollierbare Fehleranfälligkeit der Entscheidungsfindung ist komplexer, als die allermeisten auch nur erahnen. Das Ziel ihrer Vermeidung im Prozess erscheint unerreichbar.
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Man stelle sich vor, dass allein die Schilderung des Angeklagten im Strafprozess Grundlage für das Strafgericht wäre, dessen Verhalten strafrechtlich zu überprüfen. Angesichts allzu menschlicher Beschönigungs- und Rechtfertigungstendenzen würde man dies kaum als taugliche Bewertungsgrundlage ansehen.

Dieser Mechanismus wird aber gerade bei Revisionsüberprüfungen angewandt. Das zur Überprüfung dem Revisionsgericht unterbreitete Material stellt allein der zu Überprüfende zur Verfügung. Alles das, was in der zur Überprüfung anstehenden Hauptverhandlung passierte, wird dem Revisionsgericht ausschließlich durch den subjektiven Filter desjenigen Richters berichtet, dessen Entscheidung überprüft werden soll. Alternativen wären unschwer denkbar. Statt der notwendigerweise gefärbten Darstellung des Tatrichters über das, was der Angeklagte oder ein Zeuge in der Hauptverhandlung gesagt haben soll, lässt sich angesichts moderner Technik ohne großen Kostenaufwand die objektivierende Möglichkeit technischer Aufzeichnungen entgegenstellen. Anwälte fordern dies seit Jahrzehnten. Richter wehren sich gegen die Schaffung einer solchen Transparenz.
Und speziell zum Fall des Bauern Rupp:
Man erinnerte sich dort offensichtlich an die jedem Juristen im ersten Semester geläufige Denkfigur der unerheblichen Abweichung vom Kausalverlauf und hielt trotz des Fundes in der Donau das ursprüngliche Urteil für im Wesentlichen richtig. Denn: Tot ist tot, Geständnis ist Geständnis. Ob nun der Tod mit einem Zimmermannshammer oder irgendwie durch Ertrinken erfolgt ist, sei letztlich unerheblich.

Es ist alltägliche Erfahrung von Verteidigern, dass selbst ans Absurde grenzende Argumentationsstrukturen zu Papier gebracht werden, um einen einmal gefällten Richterspruch in Beton zu gießen. Zur Beschränkung richterlicher Macht durch Kontrolle kann dieses System nicht beitragen, auch wenn im geschilderten Fall zur Vollständigkeit darauf hingewiesen werden muss, dass selbst dem ansonsten eher konservativ gesinnten Oberlandesgericht München die zitierte Entscheidung des Landgerichts Landshut derart weit ging, dass dessen Entscheidung ausnahmsweise aufgehoben wurde. Die Wiederaufnahme und der letztendliche Freispruch der Angeklagten hatte ein persönliches Happyend für die Beteiligten zur Folge.



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10.09.2014 um 05:33
Edit:
Anzumerken wäre noch, dass der von @JosefK1914 empfohlene Artikel des Herrn Prof. Dr. Ulrich Sommer (Anwalt und Strafverteidiger) und die von mir geposteten Auszüge daraus unter der Überschrift Von der Entbehrlichkeit der Strafverteidigung verfasst wurden.
Ich unterstelle dem Autor keine Existenzangst, sondern verknüpfe den Inhalt lieber mit den Beiträgen von @Alice_im_Wl und @obskur.
Wenn Strafverteidigung in den Augen mancher oder vieler(?) Richter tatsächlich nur ein „notwendiges Übel“ oder „ein nicht behebbares Verfahrenshindernis“ darstellen, weil die Verteidigung von Angeklagten nun mal in der StPO verankert und somit geltendes Recht ist, dann braucht sich keiner mehr über aussichtslose Petitionen wie z.B. die zur Beseitigung eines Rechtsmangels wundern. Und, wenn es nach diesen Herren mit dem Hammer der Gerechtigkeit in der Hand ginge, wären subjektive Meinungen wie
Zitat von obskurobskur schrieb:Das Gefühl habe ich auch, wenn ich mir nur die Prozesse von hier aus der jüngsten Vergangenheit nehme. Ich kann mich an keinen Fall erinnern, wo der Richter auf Freispruch ging, auch wenn man es das ein oder andere mal erwartet hat.
schon längst Fakt und die 2,9% würden gegen Null purzeln.


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10.09.2014 um 08:04
@stop_crime
Selbstverständlich!
Meine Einstellung war schon immer, dass man lieber einen Schuldigen laufen lässt, dem man eine Tat nicht eindeutig nachweisen kann, als einen Unschuldigen einsperrt, für dessen Schuld nicht ALLES (und damit meine ich nachweisbar, nicht allein auf Indizien stützend) spricht.


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10.09.2014 um 19:42
@kf1801
Diese Meinung vertrete ich auch. Obwohl es machmal wirklich schwerfällt. Bei manchen Fällen hat man das Gefühl: DER/DIE wars! Aber das sind eben nur Gefühle und die haben nichts mit Gerechtigkeit zu tun.


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11.09.2014 um 09:29
@stop_crime
Ja, zwischen Rechtmäßigkeit und Vernunft klafft bei den meisten eine große Lücke.

Es mag am (fragwürdigen) Gerechtigkeitsempfinden der menschlichen Spezies liegen, die angesichts eines, eines Verbrechens angeklagten, Menschen, sofort "Sperrt ihn ein, hängt ihn höher" schreit. Dabei wird allzuoft und nur zu gerne darüber hinweggesehen, dass Irrtum und Vorurteil ebenso in der menschlichen Natur liegen.

Seien wir froh, dass es Gerichte gibt, die die Letztentscheidung über das Schicksal eines Angeklagten treffen und nicht der geifernde Mob. Und seien wir auch froh, dass Lynchjustiz verboten ist, und dass Hexenjagd und Inqusition schreckliche Relikte einer längst versunkenen Zeit sind.

Mich erstaunt, dass immer wieder völlig Wildfremde, die mit einem Verbrechen gar nichts zu tun haben, die härtesten Strafen fordern und dabei, wie selbstverständlich davon ausgehen, dass dies ihr gutes Recht sei, weil sie selbst "so etwas ja niemals tun würden". Braucht man sich nur die verschiedensten Kommentare zu den diversen Kriminalfällen im Forum durchlesen, da wird mir regelmäßig schlecht.

Einigermaßen einsehen würde ich es noch, wenn es sich um die nächsten Angehörigen der Opfer handelt. Die sind meistens aber noch am vernünftigsten und sachlicher. Besonders berührt hat mich vor einiger Zeit das Statement einer Mutter, deren 21 jährige Tochter vergewaltigt und ermordet wurde: Der Täter wurde eruiert und verurteilt und sie sagte hinterher, dass sie mit dessen Verurteilung für sich mit der Sache abgeschlossen habe, und dass sie dem Mann nichts nachträgt. Sie meinte, dass sie dankbar ist, dass sie ihre Tochter 21 Jahre lang lieben durfte. Wäre sie wieder an dem Punkt, wo sie sich für die Schwangerschaft mit ihrer Tochter entscheiden könne, obwohl sie wüßte, dass das Kind mit 21 Jahren ermordet wird, sie würde sich dafür entscheiden.

Das hat mir sehr imponiert.


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26.09.2014 um 13:30
Mal meine Meinung dazu und vielleicht lässt es den Thread nicht einschlafen ;)

Leute, die Täter gerne gelyncht sehen wollen, haben nichts mit Gerechtigkeitsempfinden zu tun. Diese Leute lassen sich von ihren Emotionen leiten, das führt zu Rachegedanken oder -gelüsten, Emotionen beeinflussen Gedanken und Handeln und lassen irrational denken/handeln. Da die meisten Leute so sind, bringt es in solchen Fällen eben das von euch genannte negative Phänomen. Also zwar nachvollziehbar, aber nicht gut zu heißen. Die wenigsten können wirklich objektiv bleiben, diese würden so etwas nie schreien, da sie rational denken, einen klaren Kopf behalten und alle Seiten betrachten, sie sind zwar nicht empathielos, aber können es soweit in den Hintergrund stellen, sich davon nicht beeinflussen und leiten zu lassen.

Problem ist auch, dass die Justiz und die meisten Fälle nicht transparent sind. Das fängt schon bei Ermittlungen an, über die man auch im Nachhinein nur grob und wenig erfährt. Der "Durchschnittsbürger" glaubt - und ist quasi durch diese Nicht Transparenz gezwungen - zu glauben, was in der Presse steht. Er ist naiv und hinterfragt nicht. Er glaubt auch, dass Forensik sicher ist, wenn man ihm erzählt, dass DNA des mutmaßlichen Täters am Opfer war, muss er der Täter sein, denn DNA lügt nicht. Abgesehen davon, dass auch in der Forensik Menschen Technik bedienen und Fehler machen können, müssen selbst DNA- und andere forensische Spurenergebnisse immer vom Menschen erst interpretiert werden. Von wann stammt die DNA, hat die DNA überhaupt etwas mit der Tat zu tun. Auch hier können Interpretationsfehler entstehen. DNA allein reicht nicht. Dem "Durchschnittsbürger" ist das nicht klar. Er informiert sich nicht und hinterfragt nicht.

Selbst wenn man eine grobe Einschätzung von Fehlurteilen machen kann, die Dunkelziffer wird doch immer weitaus höher bleiben.

Dazu kommt, dass jemand unschuldig im Gefängnis sitzt, man dieses Leben für immer zerstört hat, denn auch für jeden Unschuldigen, der im Knast sitzt, ist/sind ein oder mehrere Täter auf freiem Fuß, das ist auch vielen nicht bewusst und diese haben genauso die Möglichkeit weitere Menschen zu töten und solche Fälle sind auch bekannt. Also das Argument einen vermeintlichen Kinderschänder im Zweifel freizulassen wiegt hier nicht schwerer, als dass genug Täter frei sind, weil Unschuldige im Knast sitzen. Man kann das nicht nur aus einer Sicht betrachten, man muss immer alle Seiten betrachten. Natürlich ist jedes Menschleben mehr, dass man riskiert, eine individuelle Tragödie, aber dann lässt man sich wieder von Emotionen lenken und betrachtet das Ganze nicht objektiv. So funktioniert ein Rechtsstaat nunmal nicht. Kann er nicht, denn emotionale Gerechtigkeit kann es nie geben.

Lg


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26.09.2014 um 20:48
Also ich sehe das ganz ähnlich und schließe mich "im Zweifel für den Ageklagten" an..

Ein Hauptargument in diesem Thread war ja die Gefahr für andere, wenn der vermeintliche Täter eben auch der wirkliche Täter ist und nun weitermorden könnte.

Das ist ja grundsätzlich nicht auszuschließen und ist sicher auch schon passiert. Aber ist nicht der umgekehrte Fall viel schlimmer? Ich finde Ja!

Denn dann haben wir einen Unschuldigen im Gefängnis + einen Mörder in Freiheit. Also nicht nur gehen wir in diesem Fall als Gesellschaft das eben gleiche Risiko ein, dass wir jemand weitermorden lassen. Zusätzlich zerstören wir auch noch das Leben eines Unschuldigen.
Für mich ist das schon rein ökonomisch, die schlechtere Entscheidung. Zumal die Perspektive noch schlechter wird, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Fall und die Akte damit abgeschlossen ist. Bei Mordermittlungen in zukünftigen Fällen wird es also viel schwerer eine Verbindung herzustellen, da natürlich in erster Linie mit ungelösten Fällen verglichen wird. Das heisst der Mörder ist eigentlich in einer besseren Situation als zuvor. Da seine vergangenen Fälle ja bereits geschlossen sind, kann er ganz neu ohne Fahndungsdruck anfangen. Er muss weniger befürchten, dass ihn nun frühere Fehler aufdecken. Besser noch könnte er diese Zäsur sogar nutzen um sein Muster zu verändern, was vielleicht selbst im Falle des Erwischt werdens dazu führen könnte, dass er nie für die früheren Morde belangt wird, da ein Vergleich nie stattfindet.

Dann zweitens ging es hier ja oftmals um Indizien, klassische Beweise und DNA.

Da möchte ich meinem Vorredner zustimmen. Alleine das Auffinden einer DNA am Tatort oder am Opfer sagt ja noch nichts über das Geschehen aus. Der Verdächtige steht nun allenfalls unter Erklärungsnot, wenn er vorher bestritten hätte mit dem Opfer oder dem Tatort Kontakt gehabt zu haben. DNA alleine genügt meines Erachtens als Beweisführung nicht. Sie kann höchstens eine Teil in einer Beweiskette bilden.


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27.09.2014 um 00:18
@Jaschek
Noch besser ausgedrückt und argumentiert als ich. Sehr schön, danke.


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30.10.2014 um 19:08
@Jaschek
Zitat von JaschekJaschek schrieb am 26.09.2014:Bei Mordermittlungen in zukünftigen Fällen wird es also viel schwerer eine Verbindung herzustellen, da natürlich in erster Linie mit ungelösten Fällen verglichen wird. Das heisst der Mörder ist eigentlich in einer besseren Situation als zuvor. Da seine vergangenen Fälle ja bereits geschlossen sind, kann er ganz neu ohne Fahndungsdruck anfangen. Er muss weniger befürchten, dass ihn nun frühere Fehler aufdecken. Besser noch könnte er diese Zäsur sogar nutzen um sein Muster zu verändern, was vielleicht selbst im Falle des Erwischt werdens dazu führen könnte, dass er nie für die früheren Morde belangt wird, da ein Vergleich nie stattfindet.
Das ist nicht mehr so einfach wie vor 20 Jahren oder so.
Von jedem Verbrecher werden durch eine DNA-Analyse ermittelte genetische Fingerabdrücke in einer DNA-Analysedatei gespeichert und zwar auf Ebene der untereinander vernetzten Landeskriminalämter.
Diese sogenannten "Personendatensätze" wiederum werden seit dem 17. April 1998 in einer zentralen Datenbank des Bundeskriminalamtes zusammengefasst, die ihrerseits Länderübergreifend vernetzt ist.

Wenn man sich nun die rechtlichen Grundlagen zur Datenspeicherung anschaut sieht man, dass diese Personendaten selbst nach Ablauf der Löschfristen durchaus gespeichert und zur Aufklärung alter, aktueller und zukünftiger Fälle herangezogen werden dürfen und das bedeutet wiederum, dass Dank der stets besserwerdenden Analysetechniken Täter überführt oder unschuldig Verurteilte entlastet werden können. Und das im Prinzip auf Knopfdruck.


Rechtsgrundlage
Die gesetzlichen Grundlagen zur Speicherung sind in §81g StPO niedergelegt. Danach dürfen die DNA-Daten von Personen ohne Richtervorbehalt gespeichert werden bei bereits verurteilten Personen, bloß beschuldigten Personen und solchen, die nach Belehrung der Abgabe einer DNA-Probe freiwillig zugestimmt haben.

Nach Ausschöpfung des Rechtsweges ist gegen einen DNA-Beschluss die Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht zulässig, denn die Anordnung der Entnahme und molekulargenetischen Untersuchung von Körperzellen zur Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren stellt einen staatlichen Eingriff in das durch Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG verbürgte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar.

Nach den im BKA-Gesetz (§ 32 BKAG) vorgeschriebenen Löschfristen von zehn Jahren bei Erwachsenen und fünf Jahren bei Jugendlichen wird geprüft, ob die Daten zu berichtigen oder zu löschen sind. Spuren werden ebenfalls nach zehn Jahren vom BKA intern überprüft. In der Entschließung der 53. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 17./18. April 1997 haben die Datenschutzbeauftragten Richtlinien formuliert für den Umgang mit genetischen Informationen in Datenbanken der Polizei für erkennungsdienstliche Zwecke. Der dort geforderte und zunächst gesetzlich vorgesehene Richtervorbehalt vor staatlicher Speicherung von Erbgutinformationen ist mittlerweile aufgehoben worden.
Wikipedia: DNA-Analysedatei


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