,,Deutschland spricht" - Beginn einer neuen Diskussionskultur?

Fakenews, Trolle, Filterblase, Hassreden, emotionale Wutausbrüche - die Diskussionskultur ist krank. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Ländern der Welt. Bedauerlicherweise auch (oder gerade?) in solchen Ländern, die eigentlich eine demokratische, aufklärerisch und humanistisch orientierte Geschichte und Kultur besitzen und das Recht auf freie Meinungsäußerung zu ihren Grundfesten zählen.

Ob in Foren, über Twitter oder Facebook, ob in der ,,realen Welt" oder den Kommentarbereichen von Nachrichtenmedien: vor allem wenn jemand eine andere Meinung vertritt, wird immer weniger miteinander geredet und diskutiert. Stattdessen redet man ÜBEReinander, aneinander vorbei oder belässt es gleich bei, häufig emotional gefärbten und dramatisierten, Meinungsäußerungen, Angriffen und Boykottaufrufen.
Das digitale Gegenstück des wutentbrannten Herumschreiens hat Konjunktur.

Am gestrigen Sonntag nun fand die Aktion ,,Deutschland spricht" statt:

http://www.spiegel.de/thema/deutschland_spricht/

Eine größere Anzahl von Menschen mit ganz unterschiedlichen Positionen und Ansichten wurde gepaart und traf sich zum gemeinsamen Gespräch.
Was sie einte: die Überzeugung, dass es besser sei, MITEINANDER zu reden, als nur übereinander oder aneinander vorbei oder einfach Ansichten in die Welt hinauszuschreien.

Was haltet ihr von dieser Aktion? Hat sie Zukunft und könnte aus ihr sogar die Rettung/Wiederbelebung der Diskussionskultur entstehen?
Habt ihr eigene Ideen, wie wir eine Verbesserung der Diskussionskultur in der Gesellschaft erreichen können?

Kc schrieb:Habt ihr eigene Ideen, wie wir eine Verbesserung der Diskussionskultur in der Gesellschaft erreichen können?

Ganz wichtig wäre wieder Face to Face zu diskutieren und nicht über Smartphones.
Wie sollen unsere Kinder lernen zu diskutieren, wenn sie es oft nicht einmal von den Eltern vorgelebt bekommen.
Im allgemeinen wird zu wenig miteinander gesprochen. Kaum eine Familie sitzt noch gemeinsam am Esstisch und spricht über das Erlebte.
So fehlt schon ein wichtiger Baustein aus der produktive Diskussionen entstehen können.
Auch Regeln und Grenzen werden gefühlt immer weniger vermittelt und das ist für einen Diskussion nun einmal essenziell.

Die allermeisten Menschen zielen nicht darauf ab, ihre Sichtweise möglichst nah an die Realität anzugleichen. Sie zielen darauf ab, bestätigt zu werden, egal, welche Qualität die Meinung hat. Bedingungslose Liebe gone wrong. Solange das so bleibt, behalten Diskussionen ihren Faustkampfcharakter. Deshalb heißt der Wahlkampf auch Wahlkampf. Weil es nicht interessiert, wer den konstruktivsten Ansatz hat, sondern, wer den Kampf gewinnt.

Dazu gibt es eine ganz gemeine Übung: A muß die Sichtweise von B so wiedergeben, daß B zufrieden ist und B muß danach die Sichtweise von A so wiedergeben, daß A zufrieden ist. Das bietet die Chance für etwas gegenseitiges Verständnis.

Ich finde das Projekt auf jeden Fall gut und sehr produktiv! Dasselbe haben wir auch in Österreich, startet aber im Oktober. Bisher sind bei uns 9.000 Menschen angemeldet. Wir brauchen solche Sachen für einen gesunden Diskurs. Ich habe einen Grund mehr "Die Zeit" und "derStandard(.at)" zu mögen! Qualitativ hochwertige Medien, alleine schon wegen diesen Projekten wie eben "Deutschland/Österreich spricht"

Kc schrieb:Rettung/Wiederbelebung der Diskussionskultur entstehen?

Ich sehe ehrlich gesagt keine Unterschiede zu früher.
Wann war denn die Diskussionskultur besser?

Thaddeus schrieb:Dazu gibt es eine ganz gemeine Übung: A muß die Sichtweise von B so wiedergeben, daß B zufrieden ist und B muß danach die Sichtweise von A so wiedergeben, daß A zufrieden ist. Das bietet die Chance für etwas gegenseitiges Verständnis.

Dies ist m.M. genau der richtge Ansatz. Nachdem Deutschland in links und rechts spaltet wird man nur so wieder zusammenkommen, bzw. einander verstehen und gemeinsame Lösungen finden. Dies wurde meiner Empfindung nach auch aus politischer Sicht in den vergangenen Jahren vernachlässigt, als die etablierten Pateien nicht mit der AfD reden wollten und sie nur übergangen haben. Auch wenn ich kein AfD-Fan bin, dies ist der falsche Weg. Nur der Diskurs bringt Lösungen. Da muss man sich auch mit unbequemen Meinungen auseinandersetzen. Nur verstandene Probleme können gelöst werden.

Groucho schrieb:Ich sehe ehrlich gesagt keine Unterschiede zu früher.

Ich auch nicht.

Groucho schrieb:Wann war denn die Diskussionskultur besser?

Das will ich auch gerne wissen.

Aber "Deutschland spricht" - ist das eine weitere Initiative der Merkel-Loyalen? Ein Haufen politisch korrekte Leute "reden" miteinander, und die Zensur hört mit!

borchert schrieb:Aber "Deutschland spricht" - ist das eine weitere Initiative der Merkel-Loyalen? Ein Haufen politisch korrekte Leute "reden" miteinander, und die Zensur hört mit!

Oh nein, der nächste rechtspopulistischversiffte Verschwörungstheoretiker packt aus!

Einen Unterschied gibt es. Früher haben Menschen Schläge riskiert, wenn sie sich wie die Axt im Walde benommen haben. Heutzutage sind Frechheiten Online überwiegend auf der sicheren Seite.

borchert schrieb:Aber "Deutschland spricht" - ist das eine weitere Initiative der Merkel-Loyalen? Ein Haufen politisch korrekte Leute "reden" miteinander, und die Zensur hört mit!

Schreib weiter. Du machst mich neugierig. Scheinst ja mehr Ahnung zu haben, als wir.

Thaddeus schrieb:Die allermeisten Menschen zielen nicht darauf ab, ihre Sichtweise möglichst nah an die Realität anzugleichen. Sie zielen darauf ab, bestätigt zu werden, egal, welche Qualität die Meinung hat.

Der Satz kommt mir ein wenig komisch. Wessen Realität soll derjenige denn seine Sichtweise angleichen?
Jeder Mensch erlebt, erfährt, empfindet oder fühlt etwas anderes. Nur weil ich andere Erfahrungen gesammelt habe (oder auf einem Papier eine Statistik etwas anderes aussagt), heißt das nicht, dass ich mehr "Realität" für mich gepachtet habe, als derjenige, dessen Meinung ich in dem Moment nicht nachvollziehen kann.

Also ich rede jetzt nicht von Leute, die bewusst die Wahrheit verdrehen, sondern von Menschen, die das, was sie erzählen, wirklich so empfinden oder wahrnehmen.

Ich habe manchmal das Gefühl das Konversationen nicht mehr wirklich gewünscht werden. In Zeiten von Facebook, Instagram etc geht es doch nur noch ums Präsentieren. Ein "Like" scheint als Bestätigung schon zu reichen.

Ich hab ein paar davon gelesen, fand ich gut.
Auch, dass man sich da meist doch irgendwo getroffen hat, und wenns beim Unverständnis ist. :D
Aber im RL diskutiert man generell etwas anders als im Internet, im Geschriebenen kann man manchmal etwas nicht so einordnen wie die vielleicht gemeint ist, das ist im RL einfacher, weil man den Tonfall usw mit rein nehmen kann.
Da hat mans halt einfacher, das kann man nicht so vergleichen mit dem Neuland.

Im RL fand ich diskutieren schon immer deutlich produktiver.

@Yooo
In Reallife ist es tatsächlich deutlich besser. Ich werde mich morgen wohl auch anmelden für dieses Projekt, allerdings die österreichische Variante :D "Österreich spricht" ;) Anmeldung endet am 26.9. bzw. übermorgen und das Projekt startet am 13. Oktober ^^

@Rasenmayer

Realität ist in meinem Sprachgebrauch das, was ist. Vollkommen unabhängig von irgendwelchen Meinungen. Und da kann jemand mit seiner Sichtweise entweder nah dran sein oder aber daneben liegen.

Wenn 8 Apfelsinen in der Kiste liegen, dann sind es acht, egal ob jemand meint, die Kiste sei leer oder voll, nur, weil er nicht nachsieht. Wem die Realität am Herzen liegt, der zählt sie zeitnah durch.

Und dieses Prinzip zieht sich durch alles, was man so tun kann. Häuser bauen, Programme schreiben, Kindererziehung. Wenn jemand weiß, was er tut, dann bleibt das Haus stehen, das Programm funktioniert und das Kind denkt bei Noten nicht an Selbstmord, vereinfacht gesagt.

Und jetzt gibt es nun Menschen, deren Hauptmotiv ist es, möglichst viel über die Realität herauszufinden, damit sie wissen. Und es gibt Menschen, deren Meinung ganz schnell gebildet ist und dann bestätigt werden soll, obwohl sie mit der erfahrbaren Realität nicht übereinstimmt. Den Wissern geht es um die Sache, den Meinern geht es um sich selbst.

Hat also nichts mit Rechthaberei zu tun. Jeder kann nah an der Realität sein, wenn er sich die entsprechende Mühe macht.

find ich gut.

hoffentlich kommen da auch kinder zu wort.

und es wird über die themen gesprochen, welche uns wirklich bewegen: aliens!


Michael Müller macht es vor:

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (53) glaubt an Außerirdische. "Dass es irgendwo anderes Leben gibt, wie auch immer das aussieht, und dass wir nicht die einzigen Lebewesen im Universum sind, davon bin ich überzeugt", sagte der SPD-Politiker in einem von Kindern geführten Interview der "B.Z.".

https://www.zdf.de/nachrichten/heute/berlins-buergermeister-mueller-glaubt-an-ausserirdische-100.html (Archiv-Version vom 05.09.2018)

"Dass es irgendwo anderes Leben gibt, wie auch immer das aussieht, und dass wir nicht die einzigen Lebewesen im Universum sind, davon bin ich überzeugt", führte der Berliner Regierungschef aus, der gleichzeitig auch Stadtoberhaupt ist.

Allerdings glaube er nicht an "irgendwelche kriegerischen Außerirdischen", die die Erde angreifen wollten. "Das halte ich für Quatsch."

https://www.dw.com/de/berlins-regierender-b%C3%BCrgermeister-glaubt-an-au%C3%9Ferirdische/a-45331044 (Archiv-Version vom 05.09.2018)


endlich mal wieder ein spd-demokrat mit visionen!

Kc schrieb:Was haltet ihr von dieser Aktion? Hat sie Zukunft und könnte aus ihr sogar die Rettung/Wiederbelebung der Diskussionskultur entstehen?
Habt ihr eigene Ideen, wie wir eine Verbesserung der Diskussionskultur in der Gesellschaft erreichen können?

Ich halte von solchen Aktionen ziemlich wenig, unter anderem weil sie zu schwach sind um in der Breite und Tiefe der Gesellschaft wirken zu können.

Die Crux des ganzen sind doch Technologie im allgemeinen und soziale Netze bzw. Kommentarfunktionen in den Medien im besonderen.

Alleine wenn man sich mal die YouTube Kommentare zu völlig normalen Videos ansieht zeigt sich das Problem: völlig belanglose Nachrichten im Stakkatostil und ohne Sinn und Zweck werden dort für alle sichtbar veröffentlicht. Meistens wird sich auch gestritten, ebenfalls um völlig belanglose Dinge. Und was das Posten von solchen sinnlosen Kommentaren betrifft: es macht etwas mit dem Gehirn. Somit verändert sich wohl auch die Wahrnehmung der Leute, die Posten.

Solange also die sozialen Netze ein überwiegend negatives, oberflächliches und unmenschliches Kommunikationsverhslten fördern und unterstützen bringen derartige Aktionen leider nichts. Die Leute lieben es doch, sich hinter ihren Smartphones zu verstecken!

Das zeigt sich im übrigen auch hier, in so einigen Threads.

Thaddeus schrieb:Wenn 8 Apfelsinen in der Kiste liegen, dann sind es acht, egal ob jemand meint, die Kiste sei leer oder voll, nur, weil er nicht nachsieht. Wem die Realität am Herzen liegt, der zählt sie zeitnah durch.

Das Beispiel würde dann passen, wenn es nur eine einzige Kiste Apfelsinen auf der Welt gäbe. Also nur eine definierte Wahrheit.
Von daher kann es passieren, dass du an die Kiste denkst, die in einem Laden deiner Heimatstadt steht und die tatsächlich auch genau 8 Apfelsinen enthält. Dein Gegenüber spricht auch von einer Kiste Apfelsinen, aber nicht von deiner, sondern von einer, die in einem Landen seiner Heimatstadt steht und die enthält nun mal eine abweichende Zahl an Apfelsinen. Beides ist das, was tatsächlich ist. Für euch beide ist das, wovon ihr sprecht, Realität.

Die Apfelsinenkiste steht bei mir nicht für irgendein abstraktes Thema sondern für eine ganz konkrete Kiste. Da gibt's keine zwei. So, wie's nicht wirklich zwei Freiheitsstatuen und nicht zwei 300m große Pariser Eiffeltürme gibt.

Ich bin kein Philosoph.

Thaddeus schrieb:Die Apfelsinenkiste steht bei mir nicht für irgendein abstraktes Thema sondern für eine ganz konkrete Kiste

Ja, aber du vergisst, dass es nicht nur darum geht, zu schauen, wie viele Orangen in der Kiste sind. In der Politik geht es dann darum sie zu verteilen und schon geht es los: Wer bekommt wie viele Orangen?

Wo ist da deine Realität?