Ein Arschloch weniger auf dem Planeten

violetluna schrieb:Die meisten Menschen machen sich dann Vorwürfe und fragen sich, ob sie da etwas übersehen haben, das sie eigentlich sehen hätten müssen.

Und genau dagegen helfen billige Plüschteddies und Blumensträusse von der Tanke?

Schubiack schrieb:Warum denn in die Angehörigen? Wie gesagt, mit Empathie tue ich mich etwas schwer, aber ich habe Rotz und Wasser geheult, als ich diese Telefonmitschnitte am zwanzigsten Jahrestag gehört habe. Aber nicht wegen der Angehörigen, die saßen ja warm und trocken, sondern wegen der Opfer, die wussten, dass sie gleich sterben werden und die nichts mehr für ihre Angehörigen tun konnten, außer anzurufen und ihnen zu sagen, dass sie sie liebten.

Die Opfer sind bereits tot, sie haben nichts mehr von Mitgefühl. Die Angehörigen leben aber noch und müssen sich mit der Tatsache, wie ihre Leben umgekommen sind, für den Rest ihres Lebens auseinandergesetzen. Da ist Mitgefühl eher angebracht.

Doors schrieb:Und genau dagegen helfen billige Plüschteddies und Blumensträusse von der Tanke?

Ja, so absurd das klingt. Es geht nicht um den materiellen Weg der Gegenstände, sondern dass man sein Schuldgefühl so los wird. So ähnlich, wie wenn man eine verstorbene Person mittels Brief um Verzeihung bittet, weil man die Gelegenheit, das zu deren Lebzeiten zu tun, verpasst hat. Es ist eine symbolische Geste.

violetluna schrieb:dass man sein Schuldgefühl so los wird.

Wegen wem oder was haben Menschen eigentlich Schuldgefühle?
Diese Emo-Show, dieses exhibitionistische Trauern, finde ich zum Kotzen.

Wenn man sich den damaligen Diana-Hype anschaust - da war dieses Volk ja schon derartig emotional, dass es einen zur Auswanderung drängen mochte. Hast Du auf der Strasse Englisch gesprochen, wurde Dir schon gleich das Beileid ausgeradebrecht. So meiner Frau in Hamburg geschehen. Die Kondolierende hätte nach Eileens Angaben höchst irritiert drein geschaut, als sie als Antwort "Fuck those British bastards" nebst anderen Verbalattacken gegen das britische Königshaus zu hören bekam.

Bei jedem Deppen, der mit seinem GTI auf dem Heimweg von der Disse besoffen gegen einen Baum gebrettert ist, steht Tags drauf ein Haufen Blumen am Wegesrand, dösige Teens hocken trauernd auf der Strasse und wenige Tage später ersteht ein gigantisches Kreuz - bis es nach einem Jahr vom Strassenrand entfernt wird, weil das Strassenbauamt beschliesst: "Nu' is' genug getrauert".

Stirbt irgendwo ein Kind durch Vernachlässigung und/oder Gewalt in diesem Lande, wirft das Volk mit Stofftieren und Blümchen um sich, dass es nur so eine Unart hat - bis die Müllabfuhr kommt.

Für die Kinder, die ausser Sichtweite verhungern oder die wir im Mittelmeer ersaufen lassen, spendiert niemand auch nur ein Gänseblümchen. Für die Kinder, die Opfer von Kriegen oder vermeidbaren Krankheiten werden oder die schlichtweg nur für das Coltan in unserem Smartphone krepieren, gibt's kein Plüschvieh. Vermutlich, weil sie die falsche Hautfarbe haben.

Doors schrieb:Wegen wem oder was haben Menschen eigentlich Schuldgefühle?

Das habe ich doch schon beantwortet im Fall des fiktiven Nachbarskindes. Siehe Beitrag weiter oben.

Doors schrieb:Für die Kinder, die ausser Sichtweite verhungern oder die wir im Mittelmeer ersaufen lassen, spendiert niemand auch nur ein Gänseblümchen. Für die Kinder, die Opfer von Kriegen oder vermeidbaren Krankheiten werden oder die schlichtweg nur für das Coltan in unserem Smartphone krepieren, gibt's kein Plüschvieh. Vermutlich, weil sie die falsche Hautfarbe haben

Klar stehen einem Menschen im eigenen Land näher als die in einem fremden.

violetluna schrieb:Klar stehen einem Menschen im eigenen Land näher als die in einem fremden.

Warum?
Das habe ich mich schon früher beispielsweise bei Berichterstattungen über Flugzeug-Abstürze gefragt, wenn es drei Deutsche erwischt hat - aber die anderen 150 Toten nicht in der Schlagzeile aufschienen.


Ich textete damals mal spasseshalber für ein Satire-Magazin, das den Namen eines abgesoffenen Schiffes trägt:

Flugzeug abgestürzt - 100 Menschen und ein Deutscher tot.

Haben sie leider nicht veröffentlicht.

@Doors

Was wäre, wenn da keine Anteilnahme stattfindet? Fände ich auch nicht gut.

Bei Diana - geschenkt, man muss den Briten nur ganz langsam mal mit der Glaskugel vorhersagen, dass ihre Queen stirbt.

Dann dreht das Land durch.


Aber wenn ein Kindermord oder ähnliches passiert, geht das den Leuten nahe. Jeder ist betroffen und die allermeisten können sagen, zum Glück waren es nicht wir. Wenn es in unserem Umfeld stattfindet, kommt es näher als sonst.
Ich halte das Mitgefühl für echt und ich weiß, dass es den Angehörigen hilft. Nicht immer und grundsätzlich, aber oft.

Ich fände es beschämend, wenn gar nichts stattfinden würde.

Klar kann man über Teddywerfer Häme ausgießen. Weggucker und Teddywerfer sind allerdings nicht zwingend die gleiche Gruppe Menschen.

@Bundeskanzleri

Ich mache für mich persönlich schon einen Unterschied, ob ich die ggf. gewaltsam verstorbene, Person kenne oder nicht. Damit meine ich ein "Kennen" das über ein "Kenn' ich aus'm Fernseh'n" hinaus geht.

Ja, natürlich ist es schrecklich für Eltern, wenn ihr Kind ermordet wird. Aber ist es schrecklicher für das Kind und seien Eltern, wenn es hier ermordet wird - oder irgendwo im Ausland?

Da mehr Kinder von ihren eigenen Eltern ermordet werden als vom "Schwarzen Mann hinter'm Busch", stellt sich die Frage, ob die öffentliche Trauer-Reaktion von Menschen da gleich ausfällt. Den Eindruck habe ich nicht.

Aber ich fürchte, wie entfernen uns von der eigentlichen Thematik.

Doors schrieb:Aber ist es schrecklicher für das Kind und seien Eltern, wenn es hier ermordet wird - oder irgendwo im Ausland?

Das würde sicher keiner behaupten. Aber es ist doch menschlich nachvollziehbar, dass mich das Naheliegende zunächst mehr betrifft.
Und ich reise sicher nicht irgendwohin um Teddies zu verteilen.
Allerdings gibt es das alles ja längst per Internet.

Doors schrieb:Warum?
Das habe ich mich schon früher beispielsweise bei Berichterstattungen über Flugzeug-Abstürze gefragt, wenn es drei Deutsche erwischt hat - aber die anderen 150 Toten nicht in der Schlagzeile aufschienen.

Weil das eben so ist. So funktioniert die menschliche Psyche. Man würde auch bei einem Unglück die eigenen Angehörigen zuerst retten, bevor man sich um andere kümmert.

Man identifiziert sich mit Landsleuten eher als mit Menschen aus anderen Ländern. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass man über das, was in anderen Ländern passiert, keine Kontrolle hat. Man kann eh nichts ändern, also beschäftigt man sich nicht damit. Im eigenen Land kann man zumindest wählen oder protestieren, sofern man nicht in einer Diktatur lebt.

Doors schrieb:Damit meine ich ein "Kennen" das über ein "Kenn' ich aus'm Fernseh'n" hinaus geht.

Das empfindet wohl nicht jeder gleich. Siehe Gabby Petito, sie war Influencerin und viele Menschen auf der ganzen Welt hatten das Gefühl, sie zu kennen.

violetluna schrieb:Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass man über das, was in anderen Ländern passiert, keine Kontrolle hat.

Auch in diesem Land sind meine Möglichkeiten der Kontrolle ziemlich beschränkt, so habe ich beispielsweise keinen Einfluss darauf, ob sich in Bayern jemand im Suff an den Baum karrt.

Doors schrieb:Auch in diesem Land sind meine Möglichkeiten der Kontrolle ziemlich beschränkt, so habe ich beispielsweise keinen Einfluss darauf, ob sich in Bayern jemand im Suff an den Baum karrt.

Das nicht. Aber du kannst durch die kluge Ausübung deines Wahlrechts verhindern, dass in Deutschland ein Krieg ausbricht und Menschen übers Meer in andere Länder flüchten müssen und dann dabei ertrinken.

Du kannst dich auch aktiv dafür einsetzen, dass die Todesopfer aus anderen Ländern wieder bewusst wahrgenommen und nicht verdrängt werden. Du könntest auch an den Stellen, an denen bei der Flucht Ertrunkene gefunden wurden, selbst Gedenkstätten einrichten, damit Menschen dort Blumen, Kerzen und Teddybären ablegen können.

Wenn einem etwas wirklich wichtig ist, findet man Möglichkeiten.

violetluna schrieb:Du könntest auch an den Stellen, an denen bei der Flucht Ertrunkene gefunden wurden, selbst Gedenkstätten einrichten, damit Menschen dort Blumen, Kerzen und Teddybären ablegen können.

Ich fianziere lieber Rettungsorganisationen, die dem Ertrinken Einhalt gebieten.

Ob ich jetzt durch meine Wahlentscheidung vom September verhinderte, dass die BRD sich am nächsten Krieg Russland vs. Ukraine beteiligt, dass wird die Zeit zeigen. Ich bin mir da nicht so sicher.

Doors schrieb:Ich fianziere lieber Rettungsorganisationen, die dem Ertrinken Einhalt gebieten.

Das finde ich auch sinnvoller, aber dann darfst du dich auch nicht beschweren, dass es für diese Menschen keine Teddybären und Blumen gibt. Die Toten haben so oder so nichts davon.

Doors schrieb:Ob ich jetzt durch meine Wahlentscheidung vom September verhinderte, dass die BRD sich am nächsten Krieg Russland vs. Ukraine beteiligt, dass wird die Zeit zeigen. Ich bin mir da nicht so sicher.

Ja, das wird die Zeit zeigen. Sich an einem Krieg im Ausland zu beteiligen, ist aber nochmal was anderes als ein Krieg im eigenen Land. Deutschland ist nunmal Mitglied der Nato und wenn man nicht möchte, dass sich Deutschland an Kriegen in anderen Ländern beteiligt, sollte man sich für den Austritt Deutschlands aus der Nato einsetzen.

violetluna schrieb:Sich an einem Krieg im Ausland zu beteiligen, ist aber nochmal was anderes als ein Krieg im eigenen Land.

Das ist mir schon klar, aber mit der Möglichkeit nuklearer Kriegsführung spielt die Unterscheidung von In- und Ausland, von Front und Heimat, keine Rolle mehr.

violetluna schrieb:dass es für diese Menschen keine Teddybären und Blumen gibt. Die Toten haben so oder so nichts davon.

Eben daher bin ich ja auch gegen öffentliches Herumgetrauere - davon hat niemand etwas. Was mich ankotzt, ist diese Unterscheidung zwischen den bedauerten und betrauerten Opfern und denen, die eben jenen Trauerexhibitionisten egal sind.

Doors schrieb:die eben jenen Trauerexhibitionisten egal sind.

Woher willst du das wissen?

Ich gehe davon aus, dass das völlig verschiedene Menschen sind, von denen du redest.

Schubiack schrieb:Warum muss man überhaupt urteilen, wenn man nicht dazu gezwungen wird? Um sich zu positionieren, zu profilieren? Um zu zeigen, dass man auf "der richtigen" Seite steht? Dass man "besser" ist?

Um vor sich selbst bestehen zu können?

Warum loben Menschen, warum wird kritisiert ? Ist das nicht auch ein urteilen ? Es werden Musiker für ihre Stücke gelobt oder zerrissen, Schauspieler ebenso, Künstler, Sportler usw. Auch hier im Forum wird in jedem Thread geurteilt. Ob es jetzt im Politikbereich ist oder in Krimi. Menschen urteilen, teilen ihre Empfindungen mit und bewerten andere Menschen nach dem, was sie tun.

Muß man einen Menschen erst privat kennen, um sich ein Urteil über ihn erlauben zu können ? Den Kindsmörder, den Diktator ? MAn nicht. Es werden Taten bewertet. Sollte in das Urteil der Menschen über Hitler einfließen, daß er Blondi angeblich sehr liebte ? Macht ihn das "menschlicher" ?

Ist ein Anders Behring Breivik ein Arschloch ? Ich sehe das wie @Alienp.

Alienp. schrieb:"Arschloch" ist für solche leute eine zu milde benennung, m.E.

Ich bewerte die Taten und fälle danach mein Urteil. Wenn mich zB Massenmorde völlig kalt lassen würden, ich keine Meinung zum Täter hätte, würde das nicht viel mehr über mich aussagen als urteilen über selbiges ?

Doch ich rede auch über Verstorbene schlecht, so wie ich es auch zu ihren Lebzeiten gemacht hätte.
Natürlich nicht vor trauernden Angehöriger, soviel Respekt muss sein, aber ansonsten sehe ich keinen Grund es nicht zutun, wenn es doch der Wahrheit entspricht.
Es hätte sich derjenige eben im Leben besser benehmen müssen.
Die gesellschaftliche Norm ist mir dabei egal, manche Normen schützen die Falschen.
Alles andere finde ich geheuchelt.

Photographer73 schrieb:Sollte in das Urteil der Menschen über Hitler einfließen, daß er Blondi angeblich sehr liebte ? Macht ihn das "menschlicher" ?

Es macht ihn auf jeden Fall menschlicher. Er war trotzdem ein Massenmörder und zwar ein größenwahnsinniger. Dass er seinen Hund und wohl auch Eva Braun liebte, wiegt diese Tatsache nicht auf. Auch Psychopathen sind nicht immer nur böse, sondern haben durchaus auch sympathische, menschliche Züge. Darum ist es ja auch nicht so einfach, sie zu erkennen.

Hitler war Abstinenzler, Nichtraucher und Vegetarier. Das nur mal so nebenbei, um das positive Bild des Mannes etwas abzurunden.
Wie wenig das über einen Menschen aussagt, zeigt der Umkehrschluss: Wer Frauen und Hunde liebt, nicht trinkt, nicht raucht und kein Fleisch isst, ist potenzieller Kriegstreiber und Massenmörder.

Doors schrieb:Hitler war Abstinenzler, Nichtraucher und Vegetarier. Das nur mal so nebenbei, um das positive Bild des Mannes etwas abzurunden.

Sind diese Eigenschaften für dich positiv? 😉Ich finde das nicht, jedenfalls nicht notwendigerweise. Ein militanter Abstinenzler, Nichtraucher oder Vegetarier, der ständig andere missionieren möchte, ist auf jeden Fall nicht sehr sympathisch.

Doors schrieb:Wie wenig das über einen Menschen aussagt, zeigt der Umkehrschluss: Wer Frauen und Hunde liebt, nicht trinkt, nicht raucht und kein Fleisch isst, ist potenzieller Kriegstreiber und Massenmörder.

Richtig. Es ist ja bekannt: Korrelation ist nicht gleich Kausalität. Das hier wäre ein gutes Beispiel dafür.