Allmy Psychiatrie
26.09.2017 um 23:38
"Da bist Du ja, Kumpel." Bob Caldwell rieb sich die Hände, mit denen er die dunkle Gestalt packen und mal ordentlich durchschütteln wollte. Er achtete sorgsam darauf, von niemandem gesehen zu werden, also hatte er sich bei einem der großen Fenster unter einen Mauervorsprung gestellt. Kein Lichtschein fiel von innen auf ihn, er war so gut wie unsichtbar. Er allerdings hatte alles sehen können. Die ganzen Verrückten da drinnen. Und - mitten drin und voll dabei - die schwarze Gestalt, die ihm so einen Schrecken eingejagt hatte.
"Ich werd Deinen blöden Vogel rupfen und..." Bob unterbrach sich. Ungute Erinnerungen schoben sich in seine Gedanken. Erinnerungen, die er besser verdrängen wollte. Aber er wollte auch dieser Sache auf den Grund gehen. Gerüchte gab es ja genug über Doggsmith Castle und das darin befindliche Sanatorium. Normalerweise gab er einen Dreck auf sowas. Aber jetzt war seine Neugierde geweckt. Diesen Kerl wollte er sich holen. Einfach so die Autotüre öffnen. Und was, wenn er losgefahren wäre? Genau in dem Moment? Scherereien, nichts als Scherereien hätte er gehabt. 16 Jahre unfallfrei, das sollte auch so bleiben. Der Job als Fahrer eines Lieferwagens war nicht schlecht. Jedenfalls besser als auf der Baustelle. Oder als Torfausstecher. Das waren harte Jobs, aber ein paar Tabletten von A nach B fahren, da kann man was Schlechteres treffen.
Er begann eine Stelle zu suchen, an der er möglichst unbemerkt in das Sanatorium eindringen konnte. Von außerhalb würde er das Rätsel nicht lösen können. Anfangs war ihm noch mulmig zumute gewesen, aber mittlerweile hatte die nagende Neugierde die Angst fast zur Gänze verdrängt. Während er mit leisen Schritten über die weiche, feuchte Wiese stapfte, die rund um das Gebäude gepflanzt war, versuchte er sich einen Plan zurecht zu legen, wie er vorgehen solle, wenn er erst mal drinnen war. Alle Gänge sind beleuchtet, da musste man schon aufpassen.
Er kam an einem Kellerfenster vorbei, vergittert, wie alle Fenster des Sanatoriums. Was war das? Da war doch eben ein Geräusch gewesen? Oder war es Einbildung? Es klang wie das leise Wimmern eines Kindes. Bob hielt den Atem an, versuchte, keinen Mucks zu machen. Nichts. Er hatte sich getäuscht. Waren wohl die Nerven. Vorsichtig ging er weiter.
"Hah." An dieser Dachrinne entlang konnte er bis zum ersten Stock klettern. Dort war ein Fenster, hinter dem kein Licht brannte. Mit etwas Glück konnte er es öffnen, ohne die Scheibe einschlagen zu müssen. Er hatte da so ein paar Tricks auf Lager. Ja, das könnte klappen.
"Oh, Mister Caldwell, studieren sie Architektur?" Der Schreck fuhr ihm in die Glieder. "Nein, Gnädichste, ich hab was verloren, das suche ich." Die Anstaltsleiterin grinste ihn an. "Ja, vielleicht ist es ja die Regenrinne rauf gewachsen. Könnte schon sein. Haben sie es vorher gedüngt?"
Verdammte Vettel, die hat ihm gerade noch gefehlt. Verrückt wie der ganze Haufen, auf den sie eigentlich aufpassen sollte!
"Ich dünge meine Kontaktlinsen immer mit Salzwasser und Vaseline, das hält sie geschmeidig und ist eine erhebliche geschmackliche Verbesserung, finde ich." plapperte die Leiterin des Sanatoriums munter weiter. "Kommen sie rein, ich zeige Ihnen mal das Haus, das sie so sehr interessiert."
Das allerdings hörte Bob gerne. Irgendwie würde er die Chefin schon loswerden, und dann war er ganz offiziell drinnen. "Aber gerne, Gnädichste, über den Vorraum bin ich ja nie hinweg gekommen. Jo, interessiert mich!" polterte er vergnügt. Wenigstens konnte er sich die Kletterei ersparen. Er war ja auch nicht mehr der Jüngste.
Na, dann folgen sie mir mal. Besuchszeit ist zwar schon um, aber heute habe ich den Tag der Ausnahmen." Sie blieb abrupt stehen und wandte sich ihm zu. "Und da sind sie voll mit drinnen!" zwitscherte sie fröhlich.
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Eigentlich gar nicht so übel, die Kleine. Wenn ich ein paar Jahre jünger wär und sie nicht gerade hier arbeiten würde...
Bob Caldwell neigte immer schon dazu, Situationen falsch einzuschätzen...