Hallo zusammen,
anbei mal eine kleine Einführung in die Machtkämpfe bei RWE/Innogy zwischen 2012-2019, die einen guten Überblick über die verschiedenen Interessen gibt:
Machtkampf 2011/12 um den RWE-VorstandsvorsitzEnde 2011 entbrannte bei RWE ein heftiger interner Machtkampf um die Nachfolge des damaligen Vorstandschefs Jürgen Großmann. Zwei interne Kandidaten standen sich gegenüber: Peter Terium, ein Niederländer und bis dahin Chef der RWE-Tochter Essent, und Rolf Martin Schmitz, damals RWE-Vorstand für das operative Geschäft. Im Aufsichtsrat bildeten sich zwei Lager. Manfred Schneider, der Aufsichtsratsvorsitzende, und mehrere Vertreter der großen institutionellen Aktionäre (darunter Allianz-Vorstand Paul Achleitner) favorisierten Terium. Dagegen wollten die einflussreichen kommunalen Anteilseigner – Städte und Kommunen halten rund 20 % der RWE-Aktien – unbedingt den Deutschen Schmitz an der Spitze sehen. Auch die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat neigten eher zu Schmitz. Die Situation spitzte sich zu, als Schneider und Achleitner sogar mit Rücktritt drohten, falls ihr Wunschkandidat Terium nicht durchgesetzt würde (Quelle:
https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/streit-ueber-chefposten-rwe-aufsichtsraete-drohen-mit-ruecktritt-a-778963.html). Auf der anderen Seite versuchten die Kommunen, „einen deutschen Kandidaten zu erzwingen“ – sprich Schmitz (Quelle:
https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/streit-ueber-chefposten-rwe-aufsichtsraete-drohen-mit-ruecktritt-a-778963.html). Der Konflikt wurde nicht nur hinter den Kulissen ausgetragen, sondern fand auch in der Presse breite Beachtung. Schließlich kam es Anfang August 2011 zur Entscheidung: Trotz des erbitterten Widerstreits einigte man sich im Aufsichtsrat auf einen Kompromiss. Peter Terium wurde zum neuen Vorstandsvorsitzenden bestimmt – sein Amtsantritt sollte im Juli 2012 erfolgen – während Rolf Martin Schmitz weiterhin im Vorstand blieb und zum Stellvertreter ernannt wurde. Die offizielle Abstimmung im Aufsichtsrat fiel einstimmig aus, nachdem die Terium-Befürworter ihren Kurs durchgesetzt hatten (Quelle:
https://www.energie-chronik.de/110807.htm). Damit gewann Terium die Führung, doch Schmitz behielt als starke „Nummer 2“ Einfluss im Konzern.
Parallel dazu entschied der Aufsichtsrat am 28. Februar 2012, dass Günther – damals CFO der Handelstochter RWE Supply & Trading – zum 1. Juli 2012 in den RWE-Vorstand aufrückt und zum 1. Januar 2013 das Finanzressort von Rolf Pohlig übernimmt (Quelle:
https://www.iwr.de/re/iwr/12/02/2811.html).
Am 10.06.2012 wurde Günther 2012 Joggen von zwei Tätern attackiert; die Polizei ging von einem Zufallsdelikt aus (Quelle:
https://www.deccanherald.com/world/brutal-acid-attack-prompts-executive-to-hunt-down-his-assailants-3229965).[/quote]
Strategische Differenzen RWE vs. Innogy nach der Ausgliederung 2016Angesichts der Energiewende und massiven Umbrüche in der Branche entschied sich RWE 2016 zu einer radikalen Neustrukturierung: Die zukunftsträchtigen Sparten Netze, Erneuerbare Energien und Vertrieb wurden in eine neue Tochtergesellschaft namens Innogy SE ausgegliedert und im Oktober 2016 teilweise an die Börse gebracht. Peter Terium wechselte im Zuge des Carve-outs an die Spitze von Innogy, während Rolf Martin Schmitz im Herbst 2016 Vorstandschef der RWE AG wurde. Fortan verfolgten RWE und Innogy teilweise unterschiedliche Interessen und Strategien, was zu neuen Konflikten führte.
RWE unter Rolf Martin Schmitz konzentrierte sich auf das Kerngeschäft mit konventioneller Stromerzeugung (Kohle, Gas) und Energiehandel, das im Mutterkonzern verblieben war. Nach Jahren sinkender Gewinne lag Schmitz’ Fokus darauf, die finanzielle Stabilität von RWE zu sichern. Wichtig war dabei die Dividende, die Innogy an RWE abführte: Rund 70–80 % des Innogy-Gewinns sollten ausgeschüttet werden, um RWE die notwendigen Mittel zur eigenen Weiterentwicklung bereitzustellen (Quelle:
https://www.reuters.com/article/idUSKBN1ED2KI). RWE brauchte diese Geldzuflüsse dringend, um beispielsweise in neue Projekte zu investieren und Altlasten (etwa Rückbauverpflichtungen aus der Kernenergie) zu schultern.
Innogy unter Peter Terium (CEO) und Bernhard Günther (CFO) verfolgte hingegen einen wachstumsorientierten Kurs. Terium wollte die neue Tochter als führendes „grünes“ Energieunternehmen etablieren. Das Management plante hohe Investitionen in Zukunftsfelder wie erneuerbare Energien, E-Mobilität, schnelles Internet (Breitbandanschlüsse) und moderne Netztechnik. Für 2017/2018 stellte Innogy eine erhebliche Steigerung der Investitionsausgaben (CAPEX) in Aussicht – teils um über 25 % – selbst wenn dies kurzfristig die Gewinne schmälerte (Quelle:
https://www.reuters.com/article/idUSKBN1ED2KI). Teriums Überzeugung war, dass sich dieses „Investieren heute für Gewinne morgen“ lohnen würde. So sollte etwa die britische Vertriebstochter npower mit einem Konkurrenten fusioniert werden, um den schwierigen UK-Markt zu konsolidieren, während parallel verstärkt in erneuerbare Projekte und neue Geschäftsmodelle investiert wurde.
Diese strategischen Differenzen führten ab 2016 zu Spannungen zwischen Essen (RWE-Zentrale) und dem neu geschaffenen Innogy-Board. RWE als Mehrheitsaktionär pochte darauf, dass Innogy profitabel bleibt und die Kosten im Griff behält – zu hohe Ausgaben hätten RWE’s eigene Sanierung gefährdet. Innogy hingegen wollte in die Zukunft investieren und Marktanteile gewinnen. Die Lage eskalierte Ende 2017: Innogy musste im Dezember 2017 eine Gewinnwarnung herausgeben, insbesondere wegen Problemen im britischen Vertriebsgeschäft (npower) und geringerer Ergebnisse im Ökostromsegment. Zugleich präsentierte Terium der Öffentlichkeit eine neue Strategie, die zwar Wachstum durch Investitionen versprach, aber für 2018 zunächst rückläufige Gewinne prognostizierte. Die Börse reagierte panisch – der Innogy-Aktienkurs brach innerhalb weniger Tage um fast 18 % ein. Damit war für den RWE-dominierten Aufsichtsrat die Grenze des Zumutbaren erreicht: Das Kontrollgremium stellte sich zwar nicht grundsätzlich gegen Innogy’s Kurs, verlangte nun aber drastische Kostendisziplin und einen deutlich fokussierteren Wachstumspfad (Quelle:
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/unternehmen-innogy-chef-peter-terium-muss-gehen-1.3799325). RWE unterstützte diese Forderungen ausdrücklich, da man das finanzielle Gleichgewicht der Gruppe gefährdet sah. Im Klartext bedeutete dies: weniger Experimente und Ausgaben, mehr Augenmerk auf das Kerngeschäft und stabile Gewinne.
Die Konsequenz folgte umgehend: Am 20. Dezember 2017 trat Peter Terium als Innogy-Chef zurück – offiziell „im freundlichen Einvernehmen“ mit dem Aufsichtsrat, faktisch aber auf Druck des Hauptaktionärs RWE (Quelle:
https://www.reuters.com/article/idUSKBN1ED2KI). Terium war es nicht gelungen, Aufsichtsrat und Investoren von seinem langfristigen Investitionsplan zu überzeugen, nachdem kurzfristig die Zahlen enttäuschten. Sein Abgang kam abrupt und überraschend; selbst enge Mitarbeiter sollen bis zuletzt nichts geahnt haben, dass der Aufsichtsrat ihn zum sofortigen Rücktritt drängen würde (Quelle:
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/unternehmen-innogy-chef-peter-terium-muss-gehen-1.3799325). Der Innogy-Personalvorstand Uwe Tigges (ebenfalls ein ehemaliger RWE-Manager) übernahm interimsweise den Vorstandsvorsitz. Teriums Ausscheiden offenbarte den internen Machtkonflikt deutlich: Die Vision Innogys als wachstumsstarker „Energiewende-Champion“ prallte auf die finanzpolitischen Zwänge der Mutter RWE.
Nur wenige Wochen später zeichnete sich die finale Eskalation ab. Im März 2018 – kaum ein Jahr nach Teriums Strategieoffensive – überraschte RWE die Öffentlichkeit mit einem dramatischen Schritt: Gemeinsam mit dem Konkurrenten E.ON wurde die Zerschlagung von Innogy vereinbart. Am 11. März 2018 gaben RWE und E.ON bekannt, Innogy aufzuteilen: E.ON würde das Netz- und Vertriebsgeschäft von Innogy übernehmen, während RWE die erneuerbaren Erzeugungsanlagen von sowohl Innogy als auch E.ON erhalten würde. Dieser Asset-Swap bedeutete das Ende von Innogy als eigenständigem Unternehmen nur zwei Jahre nach dem Börsengang (Quelle:
https://www.reuters.com/article/world/rwe-eon-reshape-german-power-sector-in-innogy-asset-swap-deal-idUSKCN1GN0RQ). Branchenbeobachter sprachen vom größten Umbau des deutschen Energiesektors seit dem Atomausstieg. Die Entscheidung markierte auch den Schlusspunkt des Machtgerangels: RWE-CEO Schmitz zog damit die Konsequenz aus den vorherigen Streitigkeiten, indem er Innogy’s Geschäfte teilweise in fremde Hände (E.ON) gab und sich im Gegenzug die für RWE strategisch wichtigen Ökostrom-Assets zurückholte. Bis 2019 wurde diese Transaktion regulatorisch genehmigt und umgesetzt. Innogy wurde von der Börse genommen, die Belegschaften und Vermögenswerte auf die neuen Eigentümer verteilt. Damit wurde der Konflikt zwischen RWE und Innogy letztlich durch die Auflösung der innogy SE beigelegt.
Rolle von Bernhard Günther (CFO RWE/Innogy)Eine Schlüsselperson in diesen Entwicklungen war Dr. Bernhard Günther, der die ungewöhnliche Position innehatte, beide Seiten des Konflikts zu kennen: Er war von von Juli 2012-2016 Vorstand bzw. von 2013 bis 2016 Finanzvorstand der RWE AG und ab April 2016 bis 2019 Finanzvorstand der Innogy SE. Günther galt konzernintern als enger Vertrauter Teriums und als Architekt der finanziellen Neuaufstellung. Beim Carve-out 2016 spielte er eine zentrale Rolle: Als RWE-CFO verantwortete Günther das Projekt der Konzernaufspaltung maßgeblich und trieb parallel den erfolgreichen Börsengang von Innogy voran (Quelle:
https://www.finance-magazin.de/cfo/cfo-wechsel/innogy-cfo-bernhard-guenther-verabschiedet-sich-42723/). Er hatte bereits seit den 2000er Jahren diverse leitende Finanzpositionen im RWE-Konzern inne und kannte das Geflecht aus kommunalen Anteilseignern und Kapitalmarkt sehr genau. Zusammen mit Peter Terium entwickelte Günther die Vision, die „neue RWE-Tochter“ Innogy zu einem Wachstumsunternehmen der Energiewende aufzubauen. Er arbeitete entscheidend an der Entstehung Innogys mit und wechselte 2016 in das Management der neuen Firma, um dort als CFO die finanzielle Steuerung zu übernehmen (Quelle:
https://www.businessinsider.com/r-acid-attack-manager-rushed-back-to-work-to-deal-with-innogy-break-up-2018-7).
In der Wachstumsstrategie Innogys war Günther eine treibende Kraft im Hintergrund. Einerseits musste er gegenüber Investoren und dem eigenen Aufsichtsrat solide Finanzkennzahlen liefern – etwa eine weiterhin hohe Ausschüttungsquote an RWE – andererseits unterstützte er Teriums Kurs, verstärkt in zukunftsträchtige Bereiche zu investieren. Diese Gratwanderung prägte seine Amtszeit als Innogy-Finanzchef. Als 2017 die Ertragsprobleme zunahmen, stand Günther zwischen den Stühlen: Er wusste um RWE’s Erwartungen und kannte zugleich die Erfordernisse, die Innogy für langfristigen Erfolg investieren musste. Nach Teriums erzwungenem Abgang Ende 2017 blieb Günther zunächst im Innogy-Vorstand und sicherte die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft in einer schwierigen Phase.
Nur eine Woche vor der öffentlichen Ankündigung des RWE/E.ON-Deals in 2019 wurde Günther Opfer eines heimtückischen Säureattentats, bei dem er schwer verletzt wurde. Nur wenige Wochen nach dem Anschlag kehrte er schon wieder in die Firma zurück (Quelle:
https://www.businessinsider.com/r-acid-attack-manager-rushed-back-to-work-to-deal-with-innogy-break-up-2018-7). Tatsächlich blieb Günther als einziger Innogy-Vorstand auch nach der Übernahme durch E.ON noch im Amt, um die Integration von Innogy in den E.ON-Konzern zu begleiten. Während seine Vorstandskollegen das Unternehmen verließen, verzichtete Günther auf eine mögliche Abfindung und arbeitete bis 2020 eng mit E.ON-Chef Johannes Teyssen und dessen Team zusammen, um die Zusammenführung der Geschäfte erfolgreich umzusetzen (Quelle:
https://www.finance-magazin.de/cfo/cfo-wechsel/innogy-cfo-bernhard-guenther-verabschiedet-sich-42723/). E.ON würdigte später seinen Beitrag als entscheidend für das Gelingen dieser komplexen Transaktion.