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staatliche Kontrolle über das Wissen und Denken

64 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Wissen, Denken, Staat ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
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staatliche Kontrolle über das Wissen und Denken

03.05.2005 um 22:45
Wie sich ein Staat selbst um die Ecke bringt

Aus: "Rousseau: Der Gesellschaftsvertrag oder Die Grundsätze des Staatsrechts"

Von den Abgeordneten oder Vertretern des Volkes

Sobald der Staatsdienst aufhört, die Hauptangelegenheit der Bürger zu sein, und sie ihm lieber mit ihrem Gelde als mit ihrer Person dienen, ist der Staat schon seinem Untergange nahe. Zum Kampfe schicken sie Miettruppen und bleiben zu Hause, zur Beratung ernennen sie Abgeordnete und bleiben wieder zu Hause. Infolge ihrer Trägheit und ihres Geldes unterjochen ihre Soldaten endlich das Vaterland und verkaufen es die Vertreter.

Das rastlose Treiben des Handels und der Künste, die nie zu befriedigende Gewinnlust, die Weichlichkeit und Bequemlichkeitsliebe bringen es dahin, dass jeder persönliche Dienst durch Geld ersetzt wird. Man tritt einen Teil seines Verdienstes ab, um desto ungestörter dem Mammon nachjagen zu können. Aber gebet nur Geld her und man wird euch bald mit Ketten lohnen. Das Wort Finanzen ist ein Sklavenwort und in einem wirklichen Gemeinwesen unbekannt. In einem wahrhaft freien Lande tun die Bürger alles mit ihren Armen und nichts mit dem Gelde; weit entfernt, sich von ihren Pflichten freizumachen, würden sie noch dafür bezahlen, sie persönlich zu erfüllen. Ich stimme der gewöhnlichen Ansicht durchaus nicht bei; ich bin überzeugt, dass Frondienste mit der Freiheit weniger im Widerspruch stehen als Abgaben.

Je vollendeter die Staatsverfassung ist, desto mehr überwiegen die öffentlichen Angelegenheiten in den Augen des Staatsbürgers die privaten. Es gibt dann sogar weit weniger Privatangelegenheiten, weil von der Summe der allgemeinen Wohlfahrt ein weit beträchtlicherer Teil auf die des einzelnen übergeht, und derselbe deshalb durch eigene Sorge weit weniger zu erringen braucht. In einem gut verwalteten Gemeinwesen eilt jeder zu den Versammlungen; unter einer schlechten Regierung hat niemand Lust, auch nur einen Schritt darum zu tun, weil an dem, was dort vorgeht, niemand Anteil nimmt. Es lässt sich voraussehen, dass der allgemeine Wille dort nicht zur Herrschaft gelangen wird, und die häuslichen Sorgen keine anderen Interessen zulassen. Aus den guten Gesetzen gehen noch bessere hervor, aus den schlechten noch schlechtere. Sobald man bei Staatsangelegenheiten die Worte hören kann: »Was geht das mich an?«, kann man darauf rechnen, dass der Staat verloren ist.

Die Erkaltung der Vaterlandsliebe, die Regsamkeit des Privatinteresses, die übertriebene Größe der Staaten, die Eroberungen, der Missbrauch der Regierung haben den Gedanken erweckt, die Volksversammlungen nur durch Abgeordnete oder Vertreter abhalten zu lassen. In gewissen Ländern erdreistet man sich, solche Abgeordnete den dritten Stand zu nennen. In dieser Form nimmt das Privatinteresse zweier Klassen die erste und zweite Stelle ein, während dem Staatsinteresse die dritte überlassen bleibt.

Die Oberherrlichkeit oder Staatshoheit kann aus demselben Grunde, die ihre Veräußerung unstatthaft macht, auch nicht vertreten werden; sie besteht wesentlich im allgemeinen Willen, und der Wille lässt nicht vertreten; er bleibt derselbe oder er ist ein anderer; ein mittleres kann nicht stattfinden. Die Abgeordneten des Volkes sind also nicht seine Vertreter und können es gar nicht sein; sie sind nur seine Bevollmächtigten und dürfen nichts entscheidend beschließen. Jedes Gesetz, das das Volk nicht persönlich bestätigt hat, ist null und nichtig; es ist kein Gesetz. Das englische Volk wähnt frei zu sein; es täuscht sich außerordentlich; nur während der Wahlen der Parlamentsmitglieder ist es frei; haben diese stattgefunden, dann lebt es wieder in Knechtschaft, ist es nichts. Die Anwendung, die es in den kurzen Augenblicken seiner Freiheit von ihr macht, verdient auch wahrlich, dass es sie wieder verliert.

Der Gedanke der Stellvertretung gehört der neueren Zeit an. Die Vertretung ist der Ausfluss jener unbilligen und sinnlosen Regierungsform der Feudalzeit, in der die menschliche Gattung herabgewürdigt und der Name Mensch geschändet wird. In den alten Republiken, ja sogar in den Monarchien hatte das Volk nie Vertreter; man hatte in der Sprache nicht einmal ein Wort dafür. Es ist höchst auffallend, dass man sich in Rom, wo die Tribunen so heilige Personen waren, nie einfallen ließ, sie könnten sich die oberherrlichen Rechte des Volkes anmaßen, und dass sie sich inmitten einer so großen Volksmasse nie versucht fühlten, aus eigener Machtvollkommenheit ein Plebiszit ergehen zu lassen. Von der Unordnung, die die große Volksschar bisweilen herbeiführte, kann man sich jedoch nach dem ein Urteil bilden, was sich zur Zeit der Gracchen ereignete, wo viele Bürger ihre Stimmen von den Dächern herab abgaben.

Wo Recht und Freiheit das höchste Gut ist, sind solche Übelstände bedeutungslos. Bei jenem weisen Volke hatte alles das rechte Maß. Seine Liktoren durften sich herausnehmen, was seine Tribunen nie zu tun gewagt hätten; es brauchte nicht zu befürchten, dass seine Liktoren die Absicht hatten, es zu vertreten.

Um sich indessen zu erklären, wie es die Tribunen bisweilen doch vertraten, genügt die Kenntnis, wie die Regierung des Staatsoberhaupt vertritt. Da das Gesetz nur die Darlegung des allgemeinen Willens ist, so liegt es auf der Hand, dass das Volk in seiner gesetzgebenden Gewalt nicht vertreten werden kann, während es in der vollziehenden Gewalt, die nur die nach dem Gesetze angewandte Kraft ist, vertreten werden kann und sogar muss. Dies zeigt deutlich, dass man bei gründlicher Prüfung der Verhältnisse sehr wenige Völker finden würde, die Gesetze im eigentlichen Sinne haben. Wie dem auch sein möge, so ist doch so viel gewiss, dass die Tribunen, da sie an der vollziehenden Gewalt keinen Anteil hatten, nie berechtigt waren, das römische Volk von Amts wegen zu vertreten, sondern es nur durch Usurpation der Rechte des Senats tun konnten.

Alles, was bei den Griechen das Volk zu tun hatte, tat es selbst: es war fortwährend auf den öffentlichen Plätzen versammelt. Ein mildes Klima war seine Heimat, und Habgier war ihm fremd; Sklaven verrichteten seine Arbeiten, alles drehte sich bei ihm nur um die Freiheit. Da kein Volk mehr die gleichen Vorteile besitzt, wie könnte es da noch dieselben Rechte behaupten? Durch unser raueres Klima sind weit mehr Bedürfnisse hervorgerufen: sechs Monate im Jahre kann man es auf den öffentlichen Plätzen nicht aushalten, unsere klanglosen Sprachen bleiben in freier Luft fast unverständlich, wir sehen mehr auf Gewinn als auf Freiheit und haben weit geringere Scheu vor der Sklaverei als vor der Armut.

Wie! Die Freiheit lässt sich nur mit Hilfe der Knechtschaft behaupten? Vielleicht. Die Extreme berühren sich. Alles, was nicht durch die Natur bedingt ist, hat seine Übelstände, und die bürgerliche Gesellschaft mehr als alles andere. Es gibt leider solche unglückselige Lagen, dass man seine eigene Freiheit nur auf Kosten der Freiheit anderer behaupten, und der Bürger nur dadurch vollkommen frei sein kann, dass der Sklave in der allertiefsten Sklaverei schmachtet. Der Art war die Lage Spartas. Ihr Völker heutiger Zeit habt zwar keine Sklaven, aber dafür seid ihr es selbst; ihr bezahlt ihre Freiheit mit der eurigen. Ihr rühmt euch dieses Vorzugs vergeblich, ich finde darin mehr Feigheit als Menschlichkeit.

Mit dem allen will ich keineswegs behaupten, dass man sich Sklaven halten müsse, oder dass das Recht der Sklaverei gesetzmäßig sei; ich habe ja gerade das Gegenteil bewiesen. Ich gebe lediglich die Gründe an, weshalb die neueren Völker, die sich für frei halten, Vertreter haben, und weshalb die alten Völker keine hatten. Wie dem auch sei, sobald ein Volk Vertreter ernennt, ist es nicht mehr frei, existiert es nicht mehr.

Alles wohl erwogen begreife ich es nicht, wie es dem Staatsoberhaupte in Zukunft möglich ist, sich unter uns die Übung seiner Rechte zu bewahren, wenn nicht das Gemeinwesen sehr klein ist. Aber wird es in diesem Falle nicht unterjocht werden? Nein. Ich werde später zeigen, wie man die äußere Macht eines großen Volkes mit der ungezwungenen Verwaltung und der guten Ordnung eines kleinen Staates vereinen kann. ---


Gruß





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staatliche Kontrolle über das Wissen und Denken

03.05.2005 um 22:58
Diktatur, die Rettung des Staates?


Aus: "Rousseau: Der Gesellschaftsvertrag oder Die Grundsätze des Staatsrechts"

Die Diktatur

Die Unbeugsamkeit der Gesetze, die es ihnen unmöglich macht, sich den Ereignissen anzubequemen, kann sie in gewissen Fällen verderblich machen, und durch sie bei einem Wendepunkte den Untergang des Staates verursachen. Die Ordnung und Langsamkeit der Formen verlangen einen Zeitraum, den die Umstände bisweilen verweigern. Es können sich tausenderlei Fälle darbieten, für die der Gesetzgeber nicht Fürsorge getroffen hat, und gerade das Bewusstsein, dass man nicht alles vorhersehen kann, ist die allernötigste Voraussicht.

Man darf deshalb nicht die Absicht hegen, die Staatseinrichtungen derart zu befestigen, dass man sich die Macht raubt, ihre Wirkung aufzuheben. Selbst Sparta setzte seine Gesetze zeitweise außer Kraft.

Allein nur die größten Gefahren können der einer öffentlichen Ruhestörung gleichkommen, und man darf deshalb die heilige Macht der Gesetze nie aufhalten, als wenn das Wohl des Vaterlandes es erfordert. In solchen seltenen und handgreiflichen Fällen sorgt man nun für die öffentliche Sicherheit durch einen besonderen Beschluss, der ihre Erhaltung dem Würdigsten überträgt. Dieser Auftrag kann je nach der Art der Gefahr auf zweierlei Weise erteilt werden.

Genügt zur Abhilfe eine Vermehrung der Regierungstätigkeit, so pflegt man sie in einem oder zwei Gliedern der Regierung zu vereinen, auf diese Weise schädigt man nicht das Ansehen der Gesetze, sondern ändert nur die Form ihrer Verwaltung. Ist dagegen die Gefahr derart, dass die Gesetzmaschine ein Hindernis sein würde, sich vor ihr zu schützen, dann ernennt man ein höchstes Oberhaupt, das allen Gesetzen Schweigen gebietet und für einen Augenblick die oberherrliche Gewalt aufhebt. In solchem Falle ist der allgemeine Wille nicht zweifelhaft, und die Hauptabsicht des Volkes geht offenbar darauf aus, dass der Staat nicht zugrunde geht. Die vorübergehende Aufhebung der gesetzgebenden Gewalt ist also keineswegs mit ihrer Abschaffung gleichbedeutend; die Obrigkeit, die ihr Schweigen gebietet, kann ihr nicht Sprache verleihen; sie beherrscht sie, ohne sie vertreten zu können; sie vermag alles, nur keine Gesetze zu geben.

Das erste Verfahren wandte der römische Senat an, wenn er den Konsuln unter einer feierlichen Formel den Auftrag gab, für das Heil der Republik zu sorgen. Das zweite fand statt, wenn einer der beiden Konsuln einen Diktator ernannte, ein Gebrauch, zu dem Alba den Römern das Beispiel gegeben hatte.

Im Anfang der Republik nahm man sehr häufig zur Diktatur seine Zuflucht, weil der Staat noch nicht eine so feste Grundlage besaß, dass er sich durch die bloße Kraft seiner Verfassung hätte erhalten können.

Da die Sitten zu damaliger Zeit viele Vorsichtsmaßregeln, bis zu einer anderen sehr notwendig gewesen wären, überflüssig machten, so fürchtete man weder, dass ein Diktator seine Gewalt nicht brauchen würde, noch dass er sich versucht fühlen könnte, sie über die Zeit hinaus zu behalten. Im Gegenteil schien eine so große Macht dem damit Bekleideten zur Last zu fallen, so schnell suchte er sich ihrer wieder zu entledigen; es hatte den Anschein, als wäre es für ihn ein zu mühseliges und gefährliches Amt gewesen, die Stelle der Gesetze einzunehmen.

Auch tadle ich den allzu häufigen Gebrauch dieser höchsten obrigkeitlichen Würde in den ersten Zeiten nicht sowohl wegen der Gefahr ihres Missbrauchs, als wegen der Gefahr ihrer dadurch hervorgerufenen Erniedrigung. Denn wenn man sie zur Abhaltung von Wahlen, Einweihungen und zu allerlei bloßen Förmlichkeiten fortwährend verschwendete, so war zu befürchten, dass sie im Falle wirklicher Not weniger Scheu erwecken würde und man sich daran gewöhnen möchte, ein Amt, das man nur zu leeren Feierlichkeiten verwandte, auch nur als einen leeren Titel zu betrachten.

Gegen das Ende der Republik gingen die jetzt vorsichtiger gewordenen Römer mit der Diktatur ebenso sparsam um wie vorher verschwenderisch. Es ließ sich leicht einsehen, dass ihre Befürchtung unbegründet war, dass gerade die Schwäche der Hauptstadt ihre Sicherheit gegen die in ihr weilenden Obrigkeiten ausmachte, dass ein Diktator in gewissen Fällen die öffentliche Freiheit verteidigen, aber nie antasten konnte, und dass die Ketten Roms nicht in Rom selbst, sondern in seinen Heeren geschmiedet wurden. Der geringe Widerstand, den Marius dem Sulla und Pompejus dem Cäsar leistete, bewies klar, was man von der rechtmäßigen Macht im Innern gegen Gewalt von außen erwarten konnte.

Dieser Irrtum war die Quelle großer Fehler. So war es zum Beispiel ein Missgriff, dass bei der katilinarischen Verschwörung kein Diktator ernannt wurde; denn da nur das Innere der Stadt und höchstens eine oder die andere Provinz dabei im Spiele war, so hätte ein Diktator durch die schrankenlose Gewalt, die die Gesetze ihm einräumten, die Verschwörung leicht beseitigt, während sie ohne die Ernennung eines solchen nur durch ein Zusammentreffen glücklicher Zufälle, auf die menschliche Klugheit nie hätte rechnen können, erstickt wurde. Statt dessen begnügte sich der Senat, den Konsuln seine ganze Gewalt zu übertragen, woher es kam, dass Cicero, um mit Erfolg zu handeln, gezwungen war, diese Gewalt in einem Hauptpunkte zu überschreiten, und dass man ihn, wenn man seine Handlungsweise auch unter den ersten Aufwallungen der Freude billigte, in der Folge wegen des gegen die Gesetze vergossenen Bürgerblutes mit Recht zur Rechenschaft zog, ein Vorwurf, den man gegen einen Diktator nicht hätte erheben können. Aber die Beredsamkeit des Konsuls riss alles mit fort, und da er selbst, obgleich ein Römer, seinen eigenen Ruhm mehr liebte als sein Vaterland, so suchte er zur Rettung des Staates, nicht sowohl das gerechteste und sicherste Mittel, als vielmehr ein solches, das ihm die meiste Aussicht zu gewähren schien, allen Ruhm in dieser Sache allein davonzutragen. Auch wurde er mit gutem Grunde als Befreier Roms geehrt und mit ebenso gutem Grunde als Übertreter der Gesetze bestraft. So glänzend seine Zurückberufung auch war, so kann sie eigentlich doch nur als eine Begnadigung betrachtet werden.

Auf welche Weise dieses Amt übrigens verliehen werden möge, so kommt stets viel darauf an, seine Dauer auf einen sehr kurzen Zeitraum zu beschränken, der nie verlängert werden darf. Die entscheidenden Wendepunkte, die seine Einführung erforderlich machen, enden binnen kurzem mit dem Untergange oder der Rettung des Staates, und über das dringende Bedürfnis hinaus wird die Diktatur tyrannisch oder unnütz. Obgleich die Diktatoren in Rom nur auf sechs Monate ernannt wurden, legten die meisten ihr Amt schon vorher nieder. Wäre der Zeitraum länger gewesen, so wären sie vielleicht in Versuchung geraten, ihn noch weiter auszudehnen, wie es die Dezemvirn mit ihrer einjährigen Amtsdauer machten. Der Diktator hatte nur Zeit, die ihm gestellte Aufgabe zu erfüllen; es fehlte ihm aber die Zeit, an andere Entwürfe zu denken. ---


Gruß






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03.05.2005 um 23:30
Leben wir im besten aller möglichen Staaten?


Hierzu mal ein paar Gedanken von Schiller:


Die beste Staatsverfassung

Diese nur kann ich dafür erkennen, die jedem erleichtert,
Gut zu denken, doch nie, daß er so denke, bedarf.


An die Gesetzgeber

Setzet immer voraus, daß der Mensch im ganzen das Rechte
Will, im einzelnen nur rechnet mir niemals darauf.


Würde des Menschen

Nichts mehr davon, ich bitt euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen,
Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst.


Der beste Staat

»Woran erkenn ich den besten Staat?« Woran du die beste
Frau kennst! daran, mein Freund, daß man von beiden nicht spricht.


Gruß :)



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04.05.2005 um 03:27
Deinen Rousseau kannst Du Dir an den Hut stecken.
Deinen Schiller jedoch kannst Du noch mal wiederholen.


Hier ein älterer französischer Vertreter der Freiheit.

Étienne de La Boëtie
Von der freiwilligen Knechtschaft des Menschen
http://gutenberg.spiegel.de/boetie/knechtsc/knechtsc.htm

Vorbemerkung des Übersetzers

Étienne de La Boëtie hat von 1530 bis 1563 gelebt; die vorliegende Schrift ist vor dem Jahr 1550 von ihm verfaßt worden, vor mehr als 360 Jahren also. Sie kursierte schon bei Lebzeiten des jungen Verfassers, der in seiner Verborgenheit blieb, in Abschriften; eine solche Abschrift kam in die Hände Michel Montaignes, der darum seine Bekanntschaft suchte und sein Freund wurde. Den revolutionären Republikanern, die in den nächsten Jahrzehnten in England, den Niederlanden und Frankreich gegen den Absolutismus kämpften und die man die Monarchomachen nennt, muß die Schrift wohl bekannt gewesen sein. Aus dem Kreise dieser französischen Revolutionäre des 16. Jahrhunderts heraus ist sie auch zuerst gedruckt worden - gegen Montaignes Willen, dessen widerspruchsvolle Äußerungen auf seine behutsame Vorsicht zurückzuführen sind. Diese Herausgeber gaben der Schrift den treffenden Namen "Le Contr'un", der sich nicht ins Deutsche übersetzen läßt; den Sinn würde wiedergeben die Fremdwörterübersetzung: Der Anti-Monos, wobei unter Monos eben der Eine, der Monarch zu verstehen wäre, als dessen grundsätzlicher Gegner der Verfasser auftritt. Später ist die Abhandlung dann doch von den Herausgebern von Montaignes Essais anhangsweise dem Essai über die Freundschaft, der zu großem Teil Etienne de la Boëtie gewidmet ist, beigegeben, aber immer nur als eine Art literarisches Kuriosum betrachtet worden, bis in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts Lameunais die politische Bedeutsamkeit der grundlegenden Schrift erkannte. Näheres über den Zusammenhang, in den diese einzige Erscheinung gehört, habe ich in meinem Buche "Die Revolution" gesagt.

Gustav Landauer, als Kommissar der Münchner Räterepublik 1919 ermordet

Feigheit

"Mehrern Herren untertan sein, dieses find' ich schlimm gar sehr, Nur ein einziger sei Herrscher, einer König und nicht mehr", so sagt Ulysses bei Homer vor versammeltem Volke. Hätte er nur gesagt: "Mehreren Herren untertan sein, dieses find' ich schlimm gar sehr", so wäre das eine überaus treffliche Rede gewesen; aber anstatt daß er, wenn er mit Vernunft reden wollte, gesagt hätte, die Herrschaft von mehreren könnte nichts taugen, weil schon die Gewalt eines einzigen, sowie er sich als Herr gebärdet, hart und unvernünftig ist, fuhr er gerade umgekehrt fort:

"Nur ein einziger sei Herrscher, einer König und nicht mehr."

Immerhin jedoch kann Ulysses entschuldigt werden; etwa mußte er diese Sprache führen und sie klüglich benutzen, um die Empörung des Kriegsvolks zu sänftigen; mich dünkt, er hat seine Rede mehr den Umständen als der Wahrheit angepaßt. Um aber in guter Wahrheit zu reden, so ist es ein gewaltiges Unglück, einem Herrn untertan zu sein, von dem man nie sicher sein kann, ob er gut ist, weil es immer in seiner Gewalt steht, schlecht zu sein, wenn ihn das Gelüste anwandelt; und gar mehrere Herren zu haben, ist gerade so, als ob man mehrfachen Grund hätte, gewaltig unglücklich zu sein. Gewißlich will ich zur Stunde nicht die Frage erörtern, die schon mehr als genug abgedroschen ist; ob nämlich die andern Arten der Republiken besser seien als die Monarchey. Wenn ich darauf kommen wollte, dann müsste ich, ehe ich ausforschte, welchen Rang die Monarchey unter den Republiken haben soll, erst ausmachen, ob sie überall einen haben darf, denn es ist schwerlich zu glauben, daß es in dieser Form der Regierung, wo alles Einem gehört, irgendwas von gemeinem Wesen gebe. Aber diese Frage bleibe einer andern Zeit überlassen und müßte wohl in einer sonderlichen Abhandlung geprüft werden wobei ich freilich fürchte, daß die politischen Streitigkeiten alle miteinander aufs Tapet kämen.


Für dieses Mal will ich nur untersuchen, ob es möglich sei und wie es sein könne, daß so viele Menschen, so viele Dörfer, so viele Städte, so viele Nationen sich manches Mal einen einzigen Tyrannen gefallen lassen, der weiter keine Gewalt hat, als die, welche man ihm gibt; der nur soviel Macht hat, ihnen zu schaden, wie sie aushalten wollen; der ihnen gar kein Übel antun könnte, wenn sie es nicht lieber dulden als sich ihm widersetzen möchten. Es ist sicher wunderbar und doch wieder so gewöhnlich, daß es einem mehr zum Leid als zum Staunen sein muß, wenn man Millionen über Millionen von Menschen als elende Knechte und mit dem Nacken unterm Joch gewahren muß, als welche dabei aber nicht durch eine größere Stärke bezwungen, sondern (scheint es) lediglich bezaubert und verhext sind von dem bloßen Namen des EINEN, dessen Gewalt sie nicht zu fürchten brauchen, da er ja eben allein ist, und dessen Eigenschaften sie nicht zu lieben brauchen, da er ja in ihrem Fall unmenschlich und grausam ist. Das ist die Schwäche bei uns Menschen: wir müssen oft der Stärke botmäßig sein; kommt Zeit, kommt Rat; man kann nicht immer der Stärkere sein. Wenn demnach eine Nation durch kriegerische Gewalt gezwungen ist, Einem zu dienen, wie die Stadt Athen den dreißig Tyrannen, dann darf man nicht darüber staunen, daß sie dient, sondern darf nur das Mißgeschick beklagen: oder man soll vielmehr nicht staunen und nicht klagen, sondern das Übel geduldig tragen und ein besseres Glück in der Zukunft erwarten.

Unsre Natur ist also beschaffen, daß die allgemeinen Pflichten der Freundschaft ein gut Teil unsres Lebens in Anspruch nehmen; das Gute, das man von Einem empfangen hat, dankbarlich zu erkennen und oft auf ein Teil seiner Bequemlichkeit zu verzichten, um die Ehre und den Gewinn dessen, den man liebt und der es verdient, zu erhöhen. Wenn demnach die Einwohner eines Landes eine große Persönlichkeit gefunden haben, einen Mann, der die Probe einer großen Voraussicht, um sie zu behüten, einer großen Kühnheit, um sie zu verteidigen, einer großen Sorgfalt, um sie zu leiten, bestanden hat; wenn sie um dessentwillen sich entschließen, ihm zu gehorsamen und ihm dergestalt zu vertrauen, daß sie ihm etliche Vorteile über sich einräumen, so weiß ich nicht, ob das klug wäre, insofern man ihn von da wegnimmt, wo er gut tat, und ihn an eine Stelle befördert, wo er schlimm tun kann: aber gewiß ist es der menschlichen Güte zu Gute zu halten, daß sie von einem solchen nichts Schlimmes fürchten mag, der ihr nur Gutes getan hat.


Aber mein Gott! was kann das sein? wie sagen wir, daß das heißt? was für ein Unglück ist das? oder was für ein Laster? oder vielmehr was für ein Unglückslaster? Daß man nämlich eine unendliche Zahl Menschen nicht gehorsam, sondern leibeigen sieht; nicht geleitet, sondern unterjocht; Menschen, die nicht Güter noch Eltern, noch Kinder, noch ihr eigenes Leben haben, das ihnen selber gehört! Daß sie die Räubereien, die Schindereien, die Grausamkeiten nicht einer Armee, nicht einer Barbarenhorde, gegen die man sein Blut und sein Leben kehrt, dulden, sondern eines einzigen Menschleins, das oft gar der feigste und weibischste Wicht in der ganzen Nation ist; eines Menschen, der nicht an den Pulverrauch der Schlachten, sondern kaum an den Sand der Turnierspiele gewöhnt ist; nicht eines solchen, der gewaltiglich Männer befehligen kann, sondern eines solchen, der ein jämmerlicher Knecht eines armseligen Weibchens ist! Werden wir das Feigheit nennen? Werden wir sagen, daß diese Knechte Tröpfe und Hasen sind? Wenn zwei, wenn drei, wenn vier sich eines Einzigen nicht erwehren, dann ist das seltsam, aber immerhin möglich; dann kann man schon und mit gutem Recht sagen, es fehle ihnen an Herzhaftigkeit; wenn jedoch hundert, wenn tausend unter einem Einzigen leiden, dann sagt man doch wohl, daß sie sich nicht selbst gehören wollen, nein, daß sie es nicht wagen; und das nennt man nicht mehr Feigheit, sondern Schmach und Schande. Wenn man aber sieht, wie nicht hundert, nicht tausend Menschen, sondern hundert Landschaften, tausend Städte, eine Million Menschen sich eines Einzigen nicht erwehren, der alle miteinander so behandelt, daß sie Leibeigene und Sklaven sind, wie könnten wir das nennen? Ist das Feigheit?

Von der Freiheit und Trägheit eines Volkes

Alle Laster haben ihre natürlichen Grenze, die sie nicht überschreiten können: zwei Menschen, vielleicht auch noch zehn, können Einen fürchten; aber wenn tausend, wenn eine Million, wenn tausend Städte mit Einem nicht fertig werden, dann ist das keines Weges Feigheit; soweit geht sie nicht; ebenso wenig wie sich die Tapferkeit so weit erstreckt, daß ein Einziger eine Festung stürmt, eine Armee angreift, ein Königreich erobert. Welches Ungeheuer von Laster ist das also, das nicht einmal den Namen Feigheit verdient? das keinen Namen findet, weil die Natur keinen so scheußlichen gemacht hat, weil die Zunge sich weigert, ihn auszusprechen?

Man stelle fünfzigtausend bewaffnete Männer auf eine Seite und ebenso viele auf die andere; man ordne sie zur Schlacht; sie sollen handgemein werden: die einen sollen freie Männer sein, die für ihre Freiheit kämpfen, die andern sollen ausziehen, um sie ihnen zu rauben: welchen von beiden wird vermutungsweise der Sieg in Aussicht zu stellen sein? Welche, meint man, werden tapferer in den Kampf gehen? Diejenigen, die zum Lohne für Ihre Mühen die Aufrechterhaltung ihrer Freiheit erhoffen, oder diejenigen, die für die Streiche, die sie versetzen oder empfangen, keinen andern Preis erwarten können, als die Knechtschaft der andern? Die einen haben immer das Glück ihres bisherigen Lebens, die Erwartung ähnlichen Wohlstands in der Zukunft vor Augen; es kommt ihnen nicht so sehr zu Sinn, was sie in der kurzen Spanne einer Schlacht durchzumachen, wie was sie, ihre Kinder und all ihre Nachkommenschaft für immer zu ertragen haben. Die andern haben zu ihrer Erkühnung nur ein kleines Quentchen Begehrlichkeit, das sich gegen die Gefahr verblendet, das aber nicht so gar glühend sein kann, vielmehr mit dem kleinsten Blutstropfen, der aus ihren Wunden fließt, erlöschen muß. Gedenke man nur an die hochberühmten Schlachten des Miltiades, Leonidas, Themistokles, die vor zweitausend Jahren geschlagen worden sind und noch heute so frisch im Gedächtnis der Bücher und Menschen leben, als hätten sie ehegestern in Griechenland zum Heil des griechischen Volkes und der ganzen Welt Exempel sich zugetragen; was, glaubt man wohl, gab einer so kleinen Schar wie den Griechen nicht die Gewalt, sondern den Mut, dem Ansturm so vieler Schiffe, daß das Angesicht des Meeres von ihnen verändert wurde, standzuhalten; so viele Nationen zu überwinden, die in so gewaltigen Massen angerückt waren, daß das Häuflein Griechen den feindlichen Armeen noch nicht einmal die Hauptleute hätte stellen können? Was anders, als daß es uns dünkt, in jenen glorreichen Tagen sei gar nicht die Schlacht der Griechen gegen die Perser geschlagen worden, sondern der Sieg der Selbständigkeit über die Tyrannei und der Freiheit über die Willkür!

Seltsam genug, von der Tapferkeit zu vernehmen, welche die Freiheit ins Herz derjenigen trägt, die zu ihrem Schutze erstehen; aber was alle Tage in allen Ländern von allen Menschen getan wird, daß ein einziger Kerl hunderttausend Städte notzüchtigt und ihnen die Freiheit raubt, - wer möchte es glauben, wenn er nur davon reden hörte und es nicht vor Augen sähe? Und wenn es nur bei fremden Völkern und in entfernten Ländern zu sehen wäre und man davon erzählte, wer möchte nicht sagen, eine so unwahrscheinliche Geschichte müßte erdichtet und erfunden sein? Noch dazu steht es so, daß man diesen einzigen Tyrannen nicht zu bekämpfen braucht; man braucht sich nicht gegen ihn zur Wehr zu setzen; er schlägt sich selbst. Das Volk darf nur nicht in die Knechtschaft willigen; man braucht ihm nichts zu nehmen, man darf ihm nur nichts geben; es tut nicht not, daß das Volk sich damit quäle, etwas für sich zu tun; es darf sich nur nicht damit quälen, etwas gegen sich zu tun. Die Völker lassen sich also selber hunzen und schuriegeln, oder vielmehr, sie lassen es nicht, sie tun es, denn wenn sie aufhörten, Knechtsdienste zu leisten, wären sie frei und ledig; das Volk gibt sich selbst in den Dienst und schneidet sich selber die Gurgel ab; es hat die Wahl, untertan oder frei zu sein und läßt seine Freiheit und nimmt das Joch; es fügt sich in sein Elend und jagt ihm gar nach. Wenn es das Volk etwas kostete, seine Freiheit wieder zu erlangen, würde es sich nicht beeilen, obwohl es nichts Köstlicheres geben kann, als sich wieder in den Stand seines natürlichen Rechtes zu setzen und sozusagen aus einem Tier wieder ein Mensch zu werden; aber ich gebe nicht einmal zu, daß es die Sicherheit des Lebens und die Bequemlichkeit ist, die es der Freiheit vorzieht. Wie! Wenn man, um die Freiheit zu haben, sie nur wünschen muß; wenn weiter nichts dazu not tut, als einfach der Wille, sollte sich wirklich eine Nation auf der Welt finden, der sie zu teuer ist, wenn man sie mit dem bloßen Wunsche erlangen kann? Eine Nation, der es leid täte, zu wollen, was um den Preis des Blutes nicht zu teuer erkauft wäre? Nach dessen Verlust alle Menschen, die auf Ehre halten, das Leben widerwärtig und den Tod eine Erlösung nennen müssten? Gewisslich, ganz ebenso, wie das Feuer eines Fünkleins groß wird und immer mehr zunimmt und, je mehr es Holz findet, um so gieriger entbrennt; und wie es, ohne daß man Wasser herzuträgt, um es zu löschen, wenn man bloß kein Holz mehr daran legt und es nichts mehr zu lecken hat, sich in sich selbst verzehrt und formlos wird und kein Feuer mehr ist: also werden die Tyrannen, je mehr sie rauben, je mehr sie heischen, je mehr sie wüsten und wildern, je mehr man ihnen gibt, je mehr man ihnen dient, um so stärker und kecker zum Vernichten und alles Verderben; und wenn man ihnen nichts mehr gibt, wenn man ihnen nicht mehr gehorcht, stehen sie ohne Kampf und ohne Schlag nackt und entblößt da und sind nichts mehr; wie eine Wurzel, die keine Feuchtigkeit und Nahrung mehr findet, ein dürres und totes Stück Holz wird.

Wenn die Kühnen das Gut erlangen wollen, nach dem ihnen der Sinn steht, fürchten sie keine Gefahr; die Vorsichtigen scheuen die Mühe nicht; die Feigen und Trägen können weder dem Übel standhalten noch das Gute erobern; sie begnügen sich damit, es zu wünschen; die Tugend aber, die Hand danach zu recken, enthält ihre Feigheit ihnen vor; nur der Wunsch, es zu haben, wohnt in ihnen von Natur. Dieser Wunsch, dieser Wille, ist den Weisen und den Toren, den Mutigen wie den Feigen gemein; sie wünschen alle Dinge, in deren Besitz sie glücklich und zufrieden sein möchten; ein einziges ist zu nennen, von dem ich nicht weiß, wie die Natur den Menschen den Wunsch darnach versagt haben kann: das ist die Freiheit, die doch ein so großes und köstliches Gut ist, daß, wenn sie verloren ist, alle Übel angerückt kommen und selbst die guten Dinge, die noch geblieben sind, ihren Duft und ihre Würze verlieren, weil die Knechtschaft sie verderbt hat: die Freiheit allein begehren die Menschen nicht, aus keinem andern Grunde, dünkt mich, als weil sie, wenn sie ihrer begehrten, die Freiheit hätten; wie wenn sie nur darum verschmähten, diese schöne Beute zu machen, weil sie zu leicht ist.

Über die Natur des Menschen

O ihr armen, elenden Menschen, ihr unsinnigen Völker, ihr Nationen, die auf euer Unglück versessen und für euer Heil mit Blindheit geschlagen seid, ihr laßt euch das schönste Stück eures Einkommens wegholen, eure Felder plündern, eure Häuser berauben und den ehrwürdigen Hausrat eurer Väter stehlen! Ihr lebet dergestalt, daß ihr getrost sagen könnt, es gehöre euch nichts; ein großes Glück bedünkt es euch jetzt, wenn ihr eure Güter, eure Familie, euer Leben zur Hälfte euer Eigen nennt; und all dieser Schaden, dieser Jammer, diese Verwüstung geschieht euch nicht von den Feinden, sondern wahrlich von dem Feinde und demselbigen, den ihr so groß machet, wie er ist, für den ihr so tapfer in den Krieg ziehet, für dessen Größe ihr euch nicht weigert, eure Leiber dem Tod hinzuhalten. Der Mensch, welcher euch bändigt und überwältiget, hat nur zwei Augen, hat nur zwei Hände, hat nur einen Leib und hat nichts anderes an sich als der geringste Mann aus der ungezählten Masse eurer Städte; alles, was er vor euch allen voraus hat, ist der Vorteil, den ihr ihm gönnet, damit er euch verderbe. Woher nimmt er so viele Augen, euch zu bewachen, wenn ihr sie ihm nicht leiht? Wieso hat er so viele Hände, euch zu schlagen, wenn er sie nicht von euch bekommt? Die Füße, mit denen er eure Städte niedertritt, woher hat er sie, wenn es nicht eure sind? Wie hat er irgend Gewalt über euch, wenn nicht durch euch selber? Wie möchte er sich unterstehen, euch zu placken, wenn er nicht mit euch im Bunde stünde? Was könnte er euch tun, wenn ihr nicht die Hehler des Spitzbuben wäret, der euch ausraubt, die Spießgesellen des Mörders, der euch tötet, und Verräter an euch selbst? Ihr säet eure Früchte, auf daß er sie verwüste; ihr stattet eure Häuser aus und füllet die Scheunen, damit er etliches zu stehlen finde; ihr zieht eure Töchter groß, damit er der Wollust fröhnen könne; ihr nähret eure Kinder, damit er sie, so viel er nur kann, in den Krieg führe, auf die Schlachtbank führe; damit er sie zu Gesellen seiner Begehrlichkeit, zu Vollstreckern seiner Rachbegierden mache; ihr rackert euch zu Schanden, damit er sich in seinen Wonnen räkeln und in seinen gemeinen und schmutzigen Genüssen wälzen könne; ihr schwächet euch, um ihn stärker und straff zu machen, daß er euch kurz im Zügel halte: und von so viel Schmach, daß sogar das Vieh sie entweder nicht spürte, oder aber nicht ertrüge, könnt ihr euch frei machen, wenn ihr es wagt, nicht euch zu befreien, sondern nur es zu wollen. Seid entschlossen, keine Knechte mehr zu sein, und ihr seid frei. Ich will nicht, daß ihr ihn verjaget oder vom Throne werfet; aber stützt ihn nur nicht; und ihr sollt sehen, daß er, wie ein riesiger Koloß, dem man die Unterlage nimmt, in seiner eigenen Schwere zusammenbricht und in Stücke geht.

Aber freilich, die Ärzte raten gut, wenn sie warnen, man solle die Hand nicht in unheilbare Wunden legen; und es ist nicht weise von mir, das Volk in diesem Stück tadeln zu wollen, das schon seit langem nichts mehr von der Freiheit weiß und dessen Krankheit sich gerade dadurch als tödlich erweist, daß es sein Übel nicht mehr spürt. Suchen wir also, wenn es irgend zu ermachen ist, herauszubekommen, wie sich dieser hartnäckige Wille zur Botmäßigkeit so eingewurzelt hat, daß es jetzt scheint, als ob sogar die Freiheitsliebe nicht so natürlich wäre.

Zum ersten steht es, dünkt mich, außer Zweifel, daß wir, wenn wir nach den Rechten, welche die Natur uns verliehen hat, und nach ihren Lehren lebten, in natürlicher Art gehorsam den Eltern, untertan der Vernunft und niemand zu eigen wären. Des Gehorsams, den jedweder, ohne weitern Zuruf als seiner Natur, zu Vater und Mutter in sich findet, sind alle Menschen sich inne, jeder in sich und für sich. Ob die Vernunft uns eingeboren ist oder nicht, worüber die Akademiker geteilter Meinung sind und was jede philosophische Schule für sich entscheiden muß, davon, meine ich, genügt es zur Stunde, soviel zu sagen: es gibt in unserer Seele irgendwie eine natürliche Ansaat von Vernunft, die, wenn sie durch guten Rat und Sitte gehegt wird, zur Tugend erblüht, gegenteils aber, wenn sie sich oft gegen die aufschießenden Laster nicht halten kann, erstickt, verkümmert und eingeht. Aber gewißlich, wenn irgend etwas klar und natürlich einleuchtend ist, und wogegen niemand blind sein darf, ist das: die Natur, die Gehülfin Gottes und die Lenkerin der Menschen, hat uns alle in derselben Form und sozusagen nach dem nämlichen Modell gemacht, damit wir uns einander als Genossen oder vielmehr als Brüder erkennen sollten; und wenn sie bei der Austeilung der Geschenke, die sie uns gespendet hat, die einen am Körper oder am Geist mehr bevorzugt hat wie die andern, so war es doch nicht ihre Meinung, uns in diese Welt wie in ein Kriegslager zu setzen und sie hat nicht die Stärkeren und Gewitzteren auf die Erde geschickt, damit sie wie bewaffnete Räuber im Wald, über die Schwächeren herfallen sollten; vielmehr muß man glauben, daß sie, wenn sie dergestalt den einen die größern und den andern die kleinen Gaben schenkte, der brüderlichen Liebe Raum schaffen wollte, damit sie habe, wo sie sich betätigen könne: die einen haben die Macht, Hilfe zu leisten, und die andern die Not, sie zu empfangen.

Da nun also diese gute Mutter uns alle aus dem nämlichen Teige geknetet hat, damit jeglicher Mensch sich in dem andern spiegeln und einer im andern sich gleichsam selber erkennen kann; wenn sie uns allen zur gemeinsamen Gabe die Stimme und die Sprache gegeben hat, um uns noch traulicher zueinander zu bringen und zu verbrüdern und durch den Umgang und den gegenseitigen Austausch der Gedanken eine Gemeinschaft unseres Willens zu schaffen; und wenn sie mit allen Mitteln versucht hat, den Knoten unseres Bundes und unserer Gesellschaft zu Stücken gezeigt hat, daß sie uns alle nicht sowohl vereinigt als ganz eins hat machen wollen: dann gibt es keinen Zweifel, daß wir alle Genossen sind und es darf keinem zu Sinn steigen, die Natur habe irgend einen in Knechtschaft gegeben.
Drei Arten von Tyrannen

In Wahrheit ist es ganz nichtig, darüber zu streiten, ob die Freiheit natürlich ist, da man keinen in Knechtschaft halten kann, ohne ihm Unrecht zu tun, und da nichts in der Welt der Natur (die völlig vernünftig ist) so entgegen ist wie die Unbill. So bleibt zu sagen, daß die Freiheit natürlich ist, und in derselben Art, nach meiner Meinung, daß wir nicht nur im Besitz unserer Freiheit, sondern auch mit dem Trieb, sie zu verteidigen, geboren werden. Wenn wir nun daran zweifeln können und wenn wir so entartet sind, daß wir unsere Eigenschaften und unsere ursprünglichen Triebe nicht zu erkennen scheinen, dann tut es not, daß ich euch die Ehre erweise, die euch zukommt, und die wilden Tiere sozusagen aufs Katheder stelle, damit sie euch eure Natur und Verfassung lehren. Denn bei Gott, wenn die Menschen nicht gar zu taub sind, rufen ihnen die Tiere zu: Es lebe die Freiheit! Etliche unter ihnen sterben, wenn sie in Gefangenschaft geraten: wie der Fisch, der das Leben aufgibt, wenn er aus dem Wasser kommt so schwinden sie dahin und wollen ihre natürliche Freiheit nicht überleben. Ich meine, wenn es bei den Tieren Rangstufen und Vorrechte gäbe, dann wäre die Freiheit ihr Adel. Die andern, von den größten bis zu den kleinsten, setzen ihrer Gefangennahme mit Krallen, Hörnern, Füßen und Schnäbeln so heftigen Widerstand entgegen, daß darin genugsam zum Ausdruck kommt, wie wert ihnen das ist, was sie verlieren; wenn sie dann gefangen sind, geben sie uns so lebhafte Zeichen von ihrer Kenntnis ihres Unglücks, daß sie von Stund an mehr hinschmachten als leben, und daß sie ihr Dasein mehr fortsetzen, um ihr verlorenes Glück zu beklagen, als nun sich in der Knechtschaft wohlzufühlen.

Da also alles, was Empfindung hat, unter der Unterjochung leidet und der Freiheit nachgeht; da die Tiere, wenn sie schon vom Menschen vergiftet und an die Knechtschaft gewöhnt sein könnten, sich doch noch dagegen auflehnen und ihren Widerwillen kundgeben: was für ein Unglück hat den Menschen so unnatürlich machen können, daß er, der wahrhaftig nur zur Freiheit geboren ist, die Erinnerung an sein erstes Wesen und das Verlangen, wieder zu ihm zu kommen, verloren hat?

Es gibt drei Arten Tyrannen (ich meine die schlechten Fürsten): die einen haben die königliche Gewalt kraft der Wahl des Volkes; die andern durch die Gewalt ihrer Waffen; die dritten auf Grund der Erbfolge ihres Geschlechtes. Diejenigen, so das Königtum vermöge des Kriegsrechts erworben haben, führen sich derart darin auf, daß man wohl merkt, daß sie, wie man sagt, in erobertem Lande hausen. Die, so als Könige zur Welt kommen, sind gemeiniglich nicht viel besser; sie sind mit dem Blut der Tyrannei geboren und aufgewachsen, sie saugen mit der Muttermilch die Tyrannenart ein und springen mit den Völkern, die unter ihnen stehen, wie mit ihren vererbten Leibeigenen um; und je nach ihrem Charakter, ob sie nun habgierig oder verschwenderisch sind, tun sie mit dem Königreich wie mit ihrem Erbe. Derjenige, dem das Volk das Königreich anvertraut hat, sollte, dünkt mich, erträglicher sein; und er wäre es auch, glaube ich, wenn nicht von dem Augenblick an, wo er sich über die andern so hoch erhoben weiß, die Eitelkeit über ihn käme, daß er so groß dasteht; und nun beschließt er von dem Orte nicht mehr zu wanken; die Macht, die das Volk ihm geliehen hat, will er nun seinen Kindern vererben. Sowie die Tyrannen dieser Sorte nun so weit gekommen sind, ist es erstaunlich, wie sie in Lastern aller Art, selbst in der Grausamkeit über die andern hinausgehen; sie sehen kein anderes Mittel, um die neue Tyrannei zu sichern, als die Knechtschaft zu verstärken und die Untertanen der Freiheit, wenn auch die Erinnerung an sie noch frisch ist, so sehr zu entfremden, daß sie ihnen selbige rauben können. Um also die Wahrheit zu sagen, so gibt es zwischen ihnen allerdings einen gewissen Unterschied, aber Vorzug kann ich keinen erkennen, und so verschieden die Mittel sind, durch die sie zur Herrschaft kommen, so ist doch die Manier der Herrschaft immer recht ähnlich: die Erwählten regieren, wie wenn sie Stiere gefangen hätten und sie zähmen wollten; die Eroberer verfahren mit den Untertanen wie mit Ihrer Beute; und die Erbfürsten wie mit ihren natürlichen Sklaven.

Aber gesetzt den Fall, es kämen heute etliche Völker ganz neu zur Welt, die nicht an die Untertänigkeit gewöhnt und auch nicht auf Freiheit erpicht wären, und sie sollten von der einen wie der andern nichts wissen und kaum die Namen gehört haben: wenn man denen die Wahl ließe, entweder untertan oder frei zu sein, wofür würden sie sich entscheiden? jeder sieht ein, daß sie lieber der Vernunft gehorchen als einem Menschen dienstbar sein wollten; es müßten denn nur die Völker Israels sein, die sich ohne Zwang und ohne irgend eine Not einen Tyrannen gemacht haben: die Geschichte welchen Volkes ich nie lesen kann, ohne so großen Abscheu zu haben, daß ich bis zur Unmenschlichkeit gehe und mich über die vielen Leiden freue, die ihnen daraus zugestoßen sind. Aber sonst muß es für alle Menschen gewiß, wenn sie nur einigermaßen Menschen sind, ehe sie sich unterjochen lassen, eines von zweien geben: entweder sie werden gezwungen oder betrogen. Gezwungen von fremder Waffengewalt, wie Sparta und Athen durch die Streitkräfte Alexanders, oder von den Parteien, so wie die Landesherrlichkeit von Athen ehbevor in die Hände des Pisistratus gekommen war. Durch Betrug verlieren sie oft die Freiheit, und dabei werden sie nicht so oft von andern überlistet wie von sich selber getäuscht: so wie das Volk von Syrakus, der Hauptstadt von Sizilien, die heute Saragossa heißt, als es im Kriege bedrängt war, nur an die Gefahr dachte und Dionys zu seinem Obersten machte und ihm die Führung des Heeres übertrug; es achtete nicht darauf, daß es ihn so groß gemacht hatte, daß dieser Verschmitzte, als er als Sieger heimkehrte, sich, wie wenn er nicht die Feinde, sondern seine Mitbürger besiegt hätte, aus dem Kriegshauptmann zum König und aus dem König zum Tyrannen machte.

Es ist nicht zu glauben, wie das Volk, sowie es unterworfen ist, sofort in eine solche und so tiefe Vergessenheit der Freiheit verfällt, daß es ihm nicht möglich ist, sich zu erheben, um sie wieder zu bekommen. Es ist so frisch und so freudig im Dienste, daß man, wenn man es sieht, meinen könnte, es hätte nicht seine Freiheit, sondern sein Joch verloren. Im Anfang steht man freilich unter dem Zwang und ist von Gewalt besiegt; aber die, welche später kommen und die Freiheit nie gesehen haben und sie nicht kennen, dienen ohne Bedauern und tun gern, was ihre Vorgänger gezwungen getan hatten. Das ist es, daß die Menschen unter dem Joche geboren werden; sie wachsen in der Knechtschaft auf, sie sehen nichts anderes vor sich, begnügen sich, so weiter zu leben, wie sie zur Welt gekommen sind und lassen es sich nicht in den Sinn kommen, sie könnten ein anderes Recht oder ein anderes Gut haben, als das sie vorgefunden haben; so halten sie den Zustand ihrer Geburt für den der Natur. Und doch gibt es keinen so verschwenderischen und nachlässigen Erben, daß er nicht manchmal in sein Inventarverzeichnis blickte, um sich zu überzeugen, ob er alle Rechte seines Erbes genieße oder ob man ihm oder einem Vorgänger etwas entzogen habe. Aber gewiß hat die Gewohnheit, die in allen Dingen große Macht über uns hat, nirgends solche Gewalt wie darin, daß sie uns lehrt, Knechte zu sein und (wie man sich erzählt, daß Mithridates sich daran gewöhnte, Gift zu trinken) uns beibringt, das Gift der Sklaverei zu schlucken und nicht mehr bitter zu finden.

Über die Ursachen freiwilliger Knechtschaft

Wie dem Menschen alle Dinge natürlich sind, von denen er sich nährt und an die er sich gewöhnt, während ihm nur das eingeboren ist, wozu seine einfache und noch nicht veränderte Natur ihn beruft, so ist die erste Ursache der freiwilligen Knechtschaft die Gewohnheit. Sie sagen, sie seien immer untertan gewesen, ihre Väter hätten geradeso gelebt; sie meinen, sie seien verpflichtet, sich den Zaum anlegen zu lassen, und gründen selbst den Besitz derer, die ihre Tyrannen sind, auf die Länge der Zeit, die verstrichen ist; aber in Wahrheit geben die Jahre nie ein Recht, Übel zu tun, sondern sie vergrößern das Unrecht. Es bleiben immer ein paar, die von Natur aus besser Geborene sind: die spüren den Druck des Joches und müssen den Versuch machen, es abzuschütteln. Die gewöhnen sich nie an die Unterdrückung; wie Ulysses, der auf langen Reisen zu Wasser und zu Land sich nach der Heimat und seinem Herde sehnte, vergessen sie nie ihre natürlichen Rechte und gedenken immer der Vorfahren und ihres ursprünglichen Wesens: das sind freilich die, die einen guten Verstand und einen hellen Geist haben und sich nicht wie die große Masse mit dem Anblick dessen begnügen, was ihnen zu Füßen liegt; die nach vorwärts und rückwärts schauen, die Dinge der Vergangenheit herbeiholen, um die kommenden zu beurteilen und die gegenwärtigen an ihnen zu messen; das sind die, welche von Haus aus einen wohlgeschaffenen Kopf haben und ihn noch durch Studium und Wissenschaft verbessert haben; diese würden die Freiheit, wenn sie völlig verloren und ganz aus der Welt wäre, in ihrer Phantasie wieder schaffen und sie im Geiste empfinden und ihren Duft schlürfen; die Knechtschaft schmeckt ihnen nie, so fein man sie auch servieren mag.

Der Sultan hat das wohl gemerkt, daß die Bücher und die Ausbildung den Menschen mehr als sonst irgend etwas den Sinn geben, zum Bewußtsein zu kommen und die Knechtschaft zu hassen, und darum gibt es in seinem Lande nicht mehr Gelehrte, als er zuläßt. Nun bleibt gewöhnlich der Eifer und die Begeisterung derer, die der Zeit zum Trotz die Hingebung an die Freiheit bewahrt haben, so groß auch ihre Zahl sein mag, ohne Wirkung, weil sie sich untereinander nicht kennen: die Freiheit zu handeln und zu reden, ja sogar zu denken, ist ihnen unter dem Tyrannen ganz geraubt; sie bleiben in ihren Phantasien ganz vereinzelt: und Momus hatte nicht Unrecht, als er an dem Menschen, den Vulkan gemacht hatte, das zu tadeln fand, daß er ihm nicht ein Fensterchen vor dem Herzen angebracht hatte, damit man seine Gedanken sehen konnte.

Und doch, wer Geschehnisse der Vergangenheit und die alten Geschichtsbücher durchgeht, wird finden, daß die, welche ihr Vaterland in schlechter Verfassung und in schlimmen Händen sahen und es unternahmen, es zu befreien, fast immer ans Ziel gelangt sind, und daß die Freiheit sich selbst zum Durchbruch verhilft: Harmodius, Aristogiton, Thrybul. Brutus der Ältere, Valerius und Dion waren in der Ausführung ebenso glücklich, wie ihr Denken das rechte war: in diesem Fall fehlt dem guten Willen fast nie das Glück. Brutus der jüngere und Cassius waren in der Befreiung vom Joch sehr glücklich; aber als sie eben die Freiheit zurückbrachten, starben sie, nicht kläglich, denn was für ein Tadel läge darin, wenn man sagte, wie man sagen muß, daß an diesen Männern weder im Tod noch im Leben etwas zu tadeln war? Aber sie starben zum großen Schaden und ewigen Unglück und völligen Untergang der Republik, die wirklich, dünkt mich, mit ihnen ins Grab gelegt worden ist. Die andern Unternehmungen gegen die späteren römischen Kaiser waren nur Verschwörungen von Ehrgeizigen, die wegen des Mißgeschicks, das sie traf, nicht zu beklagen sind: sie wollten den Tyrannen verjagen und es bei der Tyrannei lassen. Denen wünschte ich gar nicht, daß ihr Unternehmen geglückt wäre; es ist mir ganz recht, daß sie mit ihrem Beispiel gezeigt haben, daß der heilige Name der Freiheit nicht zu Unternehmungen der Bosheit mißbraucht werden darf.

Aber um auf meinen Faden zurückzukommen, den ich fast verloren hätte: der erste Grund, warum die Menschen freiwillig Knechte sind, ist der, daß sie als Knechte geboren werden und so aufwachsen. Aus diesem folgt ein zweiter: daß nämlich die Menschen unter den Tyrannen leicht feige und weibisch werden. Mit der Freiheit geht wie mit einem Mal die Tapferkeit verloren. Geknechtete haben im Kampf keine Frische und keine Schärfe: sie gehen wie Gefesselte und Starre und, als ob's nicht Ernst wäre, in die Gefahr; in ihren Adern kocht nicht die Glut der Freiheit, die die Gefahr verachten läßt und die Lust hervorbringt, durch einen schönen Tod inmitten der Genossen die Ehre des Ruhms zu erkaufen. Die Freien wetteifern untereinander, jeder kämpft fürs Gemeinwohl und jeder für sich, alle wissen, daß die Niederlage oder aber der Sieg ihre eigene Sache sein wird, während die Geknechteten außer dem kriegerischen Mut auch noch in allen andern Stücken die Lebendigkeit verlieren und ein niedriges und weichliches Herz haben und zu allen großen Dingen unfähig sind. Die Tyrannen wissen das wohl, und tun ihr Bestes, wenn die Völker erst einmal so weit gekommen sind, sie noch schlaffer zu machen.

Die Theater, die Spiele, die Volksbelustigungen und Aufführungen aller Art, die Gladiatoren, die exotischen Tiere, die Medaillen, Bilder und anderer Kram der Art, das waren für die antiken Völker der Köder der Knechtschaft, der Preis für ihre Freiheit, das Handwerkszeug der Tyrannei. Dieses Mittel, diese Praktik, diesen Köder hatten die antiken Tyrannen, um ihre antiken Untertanen unters Joch der Tyrannei zu schläfern. So gewöhnten sich die Völker in ihrer Torheit, an die sie selbst erst gewöhnt waren, an diesen Zeitvertreib, und vergnügten sich mit eitlem Spielzeug, das man ihnen vor die Augen hielt, damit sie ihre Knechtschaft nicht merkten. Die römischen Tyrannen verfielen noch auf etwas weiteres: sie sorgten für öffentliche Schmäuse, damit die Kanaille sich an die Gefräßigkeit gewöhnte: sie rechneten ganz richtig, daß von solcher Gesellschaft keiner seinen Suppentopf lassen würde, um die Freiheit der platonischen Republik wiederherzustellen. Die Tyrannen ließen Korn, Wein und Geld verteilen: und wie konnte man da »Es lebe der König!« zum Ekel schreien hören! Den Tölpeln fiel es nicht ein, daß sie nur einen Teil ihres Eigentums wiederbekamen und daß auch das, was sie wiederbekamen, der Tyrann ihnen nicht hätte geben können, wenn er es nicht vorher ihnen selber weggenommen hätte. Da hatte einer heute sich auf der Straße nach dem ausgeworfenen Geld gebückt, oder ein anderer hatte sich beim öffentlichen Mahle vollgefressen, und am Tag darauf wurde er gezwungen, sein Hab und Gut der Habgier, seine Kinder der Ausschweifung, sein Blut der Grausamkeit dieser prächtigen Kaiser auszuliefern: da war er stumm wie ein Stein und wagte kein Wort zu sagen und war reglos wie ein Klotz. So ist die Volksmasse immer gewesen: beim Vergnügen, das sie in Ehren nicht bekommen dürfte, ist sie ganz aufgelöst und hingegeben: und beim Unrecht und der Qual, die sie in Ehren nicht dulden dürfte, ist sie unempfindlich.

Wurzeln der Herrschaft

Ich komme nun zu einem andern Schwindel, den die antiken Völker für bare Münze nahmen. Sie glaubten steif und fest, daß der große Zeh an dem einen Fuße des Pyrrhus, Königs von Epirus, Wunder tun könnte und die Krankheiten der Milz heilte: sie schmückten sogar das Märchen noch weiter aus und erzählten, diese Zehe hätte sich, nachdem der ganze Leichnam verbrannt worden wäre, unversehrt in der Asche gefunden und hätte dem Feuer widerstanden. Immer hat sich so das Volk selbst die Lügen gemacht, die es später geglaubt hat. Als Vespasjan von Assyrien heimkehrte und auf dem Wege nach Rom durch Alexandrien kam, tat er Wunder (siehe Sueton, Das Leben Vespasians, Kapitel 7):

die Lahmen machte er gehend und die Blinden sehend und eine Menge andere schöne Dinge, bei denen der, der den Schwindel nicht merken konnte, blinder war, als die, die er heilte. Selbst die Tyrannen fanden es seltsam, daß die Menschen sich von Einem beherrschen ließen, der ihnen übles tat: sie wollten sich darum die Religion zur Leibgarde machen und borgten, wenn es irgendwie ging, eine Portion Göttlichkeit, um ihrem verruchten Leben eine Stütze zu geben.

Bei uns zu Lande wurden auch so ähnliche Sächelchen gesät: weiße Lilien und heilige Salbgefäße und göttliche Oriflammen und derlei Fähnchen. Wie dem aber auch sei, ich will durchaus keinen Unglauben daran verbreiten, denn wir und unsre Vorfahren haben keine Gelegenheit gehabt, nicht daran zu glauben: wir haben ja immer Könige gehabt, die im Frieden so gut und im Kriege so tapfer waren, daß es, wenn sie schon als Könige geboren wurden, doch scheint, daß sie nicht wie die andern von der Natur dazu gemacht worden sind, sondern schon vor ihrer Geburt vom allmächtigen Gott zur Regierung und zum Schutz dieses Reiches erkoren wurden! Aber auch wenn es nicht so wäre, möchte ich es doch unterlassen, hier mich in einen Streit über die Wahrheit unsrer Geschichten einzulassen ... Ich wäre wahrlich toll, wenn ich unsre Überlieferungen leugnen und mich so auf das Gebiet begeben wollte, das unsern Dichtern vorbehalten ist. Aber, um den Faden da wieder aufzunehmen, wo ich ihn, ich weiß nicht, wie's kam, fallen ließ: ist es nicht allezeit so gewesen, daß die Tyrannen, um sich zu sichern, versucht haben, das Volk nicht nur an Gehorsam und Knechtschaft, sondern geradezu an eine Art religiöse Anbetung ihrer Person zu gewöhnen?

Ich will jetzt von einem Punkt sprechen, der das Geheimnis und die Erklärung der Herrschaft, die Stütze und Grundlage der Tyrannei ist. Wer vermeint, die Hellebarden der Wachen oder die Büchsen der Posten beschütze die Tyrannen, der ist nach meinem Urteil sehr im Irrtum: sie bedienen sich ihrer, glaube ich, mehr zur Form und als Vogelscheuche, als daß sie Vertrauen in sie setzten. Diese Wachen hindern die Ungeschickten, die wehrlos sind, aber nicht Wohlbewaffnete, die zu einem Unternehmen gerüstet sind. Man erinnere sich nur der römischen Kaiser: deren gibt es nicht so viele, die durch die Hilfe ihrer Wachen einer Gefahr entronnen sind, wie solche, die von ihren Wachen umgebracht worden sind. Nicht die Reitertruppen, nicht die Kompagnien der Fußsoldaten, nicht die Waffen schützen den Tyrannen; sondern, man wird es nicht gleich glauben wollen, aber es ist doch wahr, viere oder fünfe sind es jeweilen, die den Tyrannen schützen; viere oder fünfe, die ihm das Land in Knechtschaft halten. Immer ist es so gewesen, daß fünfe oder sechse das Ohr des Tyrannen gehabt und sich ihm genähert haben oder von ihm berufen worden sind, um die Gesellen seiner Grausamkeiten, die Genossen seiner Vergnügungen, die Zuhälter seiner Lüste und die Teilhaber seiner Räubereien zu sein. Diese sechse richten ihren Hauptmann so fein her, daß er für die Gesellschaft nicht bloß den Urheber seiner eigenen Schändlichkeiten, sondern auch der ihrigen vorstellt. Diese sechse haben sechshundert, die unter ihnen schmarotzen, und diese sechshundert verhalten sich zu ihnen, wie diese sechs sich zum Tyrannen verhalten. Diese sechshundert halten sich sechstausend, denen sie einen Rang gegeben haben, die durch sie entweder die Verwaltung von Provinzen oder von Geldern erhalten, damit sie ihrer Habgier und Grausamkeit hilfreiche Hand leisten und sie zur geeigneten Zeit zur Ausführung bringen und überdies so viel Böses tun, daß sie nur unter ihrem Schutz sich halten und unter ihrem Beistand den Gesetzen und der Strafe entgehen können. Davon kommt viel her. Und wer sich das Vergnügen machen will, dem Sack auf den Grund zu gehen, der wird merken, daß sich an diesem Strick nicht die sechstausend, sondern die hunderttausend und Millionen dem Tyrannen zur Verfügung stellen, der sich dieses Seiles bedient wie Jupiter beim Homer, der sich rühmt, wenn er an der Kette zieht, alle Götter zu sich herziehen zu können. Kurz, man bringt es durch die Günstlingswirtschaft, durch die Gewinne und Beutezüge, die man mit dem Tyrannen teilt, dahin, daß es fast ebenso viel Leute gibt, denen die Tyrannei nützt, wie solche, denen die Freiheit eine Lust wäre. Sowie ein König sich als Tyrann festgesetzt hat, sammelt sich aller Unrat und aller Abschaum des Reiches um ihn: ich spreche nicht von kleinen Gaunern und Galgenstricken, die in einem Gemeinwesen nicht viel Gutes oder Böses anstellen können, sondern von denen, die von brennender Ehrsucht und starker Gier befallen sind: sie stützen den Tyrannen, um an der Beute Teil zu haben, und unter dem Haupttyrannen sich selber zu kleinen Tyrannen zu machen. So verfahren auch die großen Diebe und berüchtigten Seeräuber: die einen kundschaften die Gelegenheit aus, die andern überfallen die Reisenden; die einen liegen im Hinterhalt, die andern führen sie hinein; die einen morden und die andern plündern; und dazu gibt es unter ihnen noch Rangunterschiede, die einen sind nur Bediente, und die andern die Führer der Bande, obzwar am Ende alle an der Beute oder wenigstens an der Nachlese Teil haben wollen.

So unterjocht der Tyrann die Untertanen, die einen durch die andern, und wird von eben denjenigen gehütet, vor denen er, wenn sie Männer wären, auf seiner Hut sein müßte. Er schnitzt, wie das Sprichwort sagt, den Keil aus demselben Holze, das er spalten will: das sind seine Wachen, seine Trabanten, seine Jäger. Sie leiden freilich manchmal unter ihm: aber diese Verlorenen, diese von Gott und den Menschen Verlassenen, lassen sich das Unrecht gefallen, und geben es nicht dem zurück, der es ihnen antut, nein, sie geben es an die weiter, die darunter leiden wie sie und sich nicht helfen können.

Manchmal, wenn ich diese Leute betrachte, die untertänig vor der Tür des Tyrannen stehen, um die lieben Diener seiner Tyrannei und der Knechtung des Volkes zu sein, dann staune ich über ihre Schlechtigkeit und habe Mitleid mit ihrer großen Torheit. Denn wahrlich, was bringt ihnen ihre Nähe beim Tyrannen anderes ein, als daß sie sich noch weiter von ihrer Freiheit entfernen und die Sklaverei sozusagen mit beiden Händen packen und an sich reißen? Möchten sie doch ihren Ehrgeiz ein wenig ablegen und einen Augenblick lang von ihrer Gier lassen; möchten sie sich umsehen und sich erkennen: dann werden sie klar sehen, daß die Ackerknechte, die Bauern, die sie nach Kräften mit Füssen treten und schlimmer behandeln als Sträflinge oder Sklaven, trotzdem, so schlimm sie daran sind, im Vergleich zu ihnen glücklich und einigermassen frei zu nennen sind. Der Landmann und der Handwerker, so sehr sie auch geknechtet sind, haben doch nur zu tun, was man ihnen sagt und sind dann ledig; aber der Tyrann hat die, die um ihn sind und um seine Gunst betteln und scharwenzeln, immer vor Augen; sie müssen nicht nur tun, was er will, sie müssen denken, was er will, und müssen oft, um ihn zufrieden zu stellen, sogar seinen Gedanken zuvorkommen. Es genügt nicht, daß sie ihm gehorsam sind; sie müssen ihm gefällig sein; sie müssen sich in seinen Diensten zerreißen und plagen und kaputt machen; sie müssen in seinen Vergnügen vergnügt sein, immer ihren Geschmack für seinen aufgeben, müssen ihrem Temperament Zwang antun und ihre Natur verleugnen, sie müssen auf seine Worte, seine Stimme, seine Winke, seine Augen achten; Augen, Füße, Hände, alles muß auf der Lauer liegen, um seine Launen zu erforschen und seine Gedanken zu erraten. Heißt das glücklich leben? Heißt das leben? Gibt es auf der Welt etwas Unerträglicheres als das, ich sage nicht, für einen Menschen höherer Art, nur für einen mit gesundem Verstand, oder noch weniger, für einen, der Menschenantlitz trägt? Welche Lage ist kläglicher als diese; in nichts sich selbst zu gehören, von einem andern seine Wohlfahrt, seine Freiheit, Leib und Leben zu nehmen?

Aber sie wollen dienen, um Reichtum zu erwerben, wie wenn sie damit etwas erlangen könnten, was ihnen gehört, da sie freilich von sich selbst nicht sagen können, daß sie sich selbst gehören; und, wie wenn einer unter einem Tyrannen etwas Eigenes haben könnte, wollen sie erreichen, daß ihnen der Reichtum zu eigen sei, und sie denken nicht daran, daß sie es sind, die ihm die Macht geben, allen alles zu nehmen.

Der Tyrann wird nie geliebt und kann nie lieben. Freundschaft ist ein heiliger Name, ist eine heilige Sache; Freundschaft knüpft sich nur unter Guten, gründet sich nur auf gegenseitige Achtung; sie entsteht und erhält sich nicht durch eine Wohltat oder irgend eine rechte Tat, sondern durch das rechte Leben. Ein Freund ist des andern gewiß, weil er seine Reinheit kennt; die Bürgen, die er dafür hat, sind seine gute Natur, seine Zuverlässigkeit und seine Treue. Wo Grausamkeit ist, wo Unehrlichkeit ist, wo Ungerechtigkeit ist, da kann nicht Freundschaft sein. Wenn sich die Bösen versammeln, sind sie nicht Genossen, sondern Helfershelfer; sie sind nicht traulich beisammen, sondern ängstlich; sie sind nicht Freunde, sie sind Mitschuldige.

Sehen wir nun, was den Dienern des Tyrannen ihr elendes Leben für einen Lohn einbringt. Das Volk klagt für seine Leiden weniger den Tyrannen an, als die, die ihn lenken: die Völker, die Nationen, alle Welt, bis zu den Bauern und Tagelöhnern, alle kennen ihre Namen, alle wissen ihre Laster auswendig, häufen tausend Flüche auf sie; all ihre Gebete und Wünsche erheben sich gegen sie; jedes Unglück, jede Pest, jede Hungersnot wird ihnen zur Last gelegt; auch wenn sie ihnen manchmal äußerlich Ehren erweisen, verfluchen sie sie im Herzen und verabscheuen sie mehr als wilde Tiere. Sehet da den Ruhm, sehet die Ehre, die ihnen ihre Dienste einbringen; wenn ein jeglicher im Volke ein Stück aus ihren Leibern hätte, wären sie, glaube ich, noch nicht befriedigt und in ihrer Rache gesättigt; aber auch, wenn sie gestorben sind, gibt die Nachwelt ihnen noch keine Ruhe: der Name dieser Volksfresser wird von tausend Federn geschwärzt und ihr Ruhm in tausend Büchern zerrissen und bis auf die Knochen werden sie sozusagen von der Nachwelt gepeinigt, die sie auch nach dem Tode noch für ihr schlechtes Leben bestraft.

Lernen wir also, lernen wir, das Rechte zu tun: heben wir die Augen zum Himmel, um unserer Ehre willen oder aus Liebe zur ewig gleichen Tugend, blicken wir zu Gott dem Allmächtigen auf, dem immerwährenden Zeugen all unserer Taten und dem gerechten Richter unserer Verfehlungen. Ich meinerseits glaube und irre mich nicht, da unserem Gott, der immer sanft und mild ist, nichts so zuwider ist als die Tyrannei, daß er für die Tyrannen und ihre Mitschuldigen dorten noch eine besondere Strafe in Bereitschaft hält.




qui tacet consentire videtur


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staatliche Kontrolle über das Wissen und Denken

04.05.2005 um 07:49
moin

auf den scheiterhaufen mit ihnen

buddel


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04.05.2005 um 08:55
DDR-Verhältnisse weren zum Honiglecken gegen die N.W.O.

Im ALLEM kannst Du das NICHTS erkennen, und im NICHTS ALL - ES!


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staatliche Kontrolle über das Wissen und Denken

04.05.2005 um 12:34
moin, buddel: Das war unklar. Wen willst Du auf den Scheiterhaufen bringen?

Für eine Welt, die ohne Scheiterhaufen auskommt!
gruß cassiel




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staatliche Kontrolle über das Wissen und Denken

05.05.2005 um 02:15
Ist gut, Cassiel,

ich werde mir "meinen" Rousseau an meinen Hut stecken und gemeinsam mit ihm und meinem Schiller spazieren gehen. Solange der Staat, also die Un-Menschen, uns nicht belästigen, werden wir draussen an der Luft Lustwandeln und anregende Gespräche führen können. Sollte das unstaatliche Volk aber zudringlich werden ob meines Kopfschmucks, werde ich sie zu dir schicken. In welchen Topf du sie dann stecken wirst, soll mir einerlei sein. Man muss ja schliesslich nicht alles wissen, kann man doch hinterher in den Gazetten nachlesen, was aus dem Volk geworden ist, gell?! Staat und Volk schliessen sich ja nach deiner Meinung komplett aus - so werde ich wohl nicht viele Gegendarstellungen lesen müssen und weiterhin ungestört mit meinesgleichen plaudern dürfen. Das Sklaventum ist abgeschafft, da der Sklave nun selber Herr ist. In der Utopie liegt die Fantasie begraben. Mir ist nach Sonne...

Gruß

Die Reihenfolge ist:
Regnerisch kühl, Schaufensterbummel, Hundekot....Oo.NWIO-WBIN.oO



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staatliche Kontrolle über das Wissen und Denken

05.05.2005 um 03:12
gsb23,

und Du glaubst wirklich, der Staat werde Dich nicht belästigen, wenn Du draußen mit Schiller und Rousseau am Hut lustwandelst und anregende Gespräche führst?
Staat und Volk schließen sich aus, soll ich gesagt haben? Es ist leider anders. Der Staat hat das Wahlvolk ausgeschlossen von seinen Verhandlungen mit dem Geld. Nachher streut er ihm Sand in die Augen, und wenn es dann immer noch nicht glauben und folgen will, der große Lümmel, dann holt er den Knüppelausdemsack und lässt ihm den Garaus machen.
Das Sklaventum sei abgeschafft, sagst Du?
Es wird eben wieder eingeführt.
Ja, die Fantasie an die Macht! Mir ist auch nach Licht.

LG cassiel

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staatliche Kontrolle über das Wissen und Denken

05.05.2005 um 03:23
Cassiel,

NEIN! - das "Das Sklaventum sei abgeschafft, sagst Du?" habe ich nicht gesagt. Ich schrieb, "Das Sklaventum ist abgeschafft, da der Sklave nun selber Herr ist."

Was sagst du dazu?

Sicher wird der Staat mich zu belästigen versuchen - das Volk!! Denn, gib deiner Meinung freien Raum und das Volk entscheidet sich sofort gegen den Staat, gegen sich selbst! SO soll es verstanden werden, was ich schrieb.

"Der Staat hat das Wahlvolk ausgeschlossen von seinen Verhandlungen mit dem Geld" - eben dies versuche ich dir zu erklären - das Volk ist der Staat und es schliest sich selbst aus, indem es Vertreter zur Verhandlung führt, die ihm NICHT dienen! - >Rousseau!

Aber wie dem auch sei, wie ich schon anfragte, deine Vorschläge zu Veränderung wären mir mal ganz recht.

Beste Grüsse

Die Reihenfolge ist:
Regnerisch kühl, Schaufensterbummel, Hundekot....Oo.NWIO-WBIN.oO



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05.05.2005 um 03:41
gsb23,


nun nennst Du wieder Volk und Staat in einem Atemzug. Und eben da ist Rousseau unklar, wo er sagt, das Volk führe Vertreter zur Verhandlung mit dem Geld. Das Geld führt sich die vermeintlichen Volksvertreter ganz allein zu Gemüte und verspeist die Volonté Générale gleich mit.


Aber wie dem auch sei, Vorschläge zur Veränderung wären wirklich angebracht.


Liebe Grüße.



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05.05.2005 um 04:00
Cassiel,

ich kann Volk und Staat nicht trennen - falsch - ich könnte, aber ich will nicht! Das Volk, die Menschen, bilden den Staat! Dass sich darunter auch Schweinehunde befinden - ist klar! Und? Hat das Volk nicht die Hoheit, diesen Schweinehunden ihren Stall zu zeigen? Wenn nicht, so dann, her mit dem Schweinehirten...das kann auch das Volk selbst sein...Ein tyrannisches Volk... in eigener Vertretung, selbst...Ok, jetzt fange ich an zu spinnen...;) - Das Schlagmichtot-Argument Anarchie will ich aber nun nicht von dir lesen müssen...;)...übrigens, ich trage Hut!

Vorschläge zur Veränderung? - Gesetzesänderungen sind meiner Meinung nach nicht nötig - schön (?) - richtig wär's doch, würden erstmal die Gesetze angewandt, die wir haben, besonders auf die Schweinehunde bezogen...Kofferträger, Schwarz- und Graugeldkonten, etc..pp....

Gruß

Die Reihenfolge ist:
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05.05.2005 um 04:18
Jaja, gasb23,

her mit den Richtern.
Aber wo sind sie denn? Wo laufen sie denn?

Schön wär's ja. Träumen wird man noch dürfen, oder?!


LG cassiel




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05.05.2005 um 04:29
Oh Mann - Cassiel,

genau so gehts! Erstmal fragen, wo die Richter geblieben sind, gell? Die sind ja schon da - aber wer gibt ihnen das Recht in die Hände?...Ich fummel grad meine volkstümliche Rousseau-Blume wieder vom Hut...;)..Ist ja eh ne alte...Das will wohl niemand mehr wissen, dass alle Macht vom Volke ausgeht...Schiller hat auch aufgegeben...Wir sprechen nur noch über unverfängliche Themen; Religion, Politik, Fernsehprogramm...und was es zum Essen gibt...;)

Gruß

Die Reihenfolge ist:
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05.05.2005 um 04:49
Oh, Frau, gsb23,

ja, die Rousseau-Blume stand Dir eh nicht so gut. Nein, aufgegeben hat der Schiller ja nicht. Er nannte das freie Resignation. Und dann ist er ja auch schon früh hingeschieden, hat das Zeitliche gesegnet und uns hienieden mit dem Schlamassel allein gelassen.
Was gibt's denn zu essen? ;)

LG cassiel




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05.05.2005 um 05:04
Herr Cassiel,

nichts gegen die Blume - sie war einmal ganz schön angesagt...auf meinem Hut vielleicht schon zu welk...alles Benetzen hat nichts genützt. Ja, so leicht ist die politische Variante Vergangenheit...Ich bin leicht bestürzt über Schiller - er redet nur noch übers Fernsehprogramm...und dabei soll ich kochen. DAS ist nicht recht! Ich verdonner ihn zum Spargelschälen...da kann er mal zeigen, was aus seinen Händen sonst noch kommen kann..hat mich ja eh elendig im Stich gelassen bei unserer Diskussion und auch früher schon...Es gibt Spargel! Politikum hin oder her - Basta! Was gibts bei dir?

Gruß

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05.05.2005 um 05:28
Frau gsb23,

ja, der Schiller auf seiner Wolke. Hat sich verpieselt und schaut unsvon droben grinsend zu, wie wir hienieden suchen müssen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen und mit dem Schlamassel klar zu kommen. Recht so, krieg ihn ran. Spargelschälen. Das ist das Richtige.
Bei mir gibt's bloß popelige Kohlrabi. Sind schnell geschält und geschmort. Da hätt's der Herr Klassiker freilich leichter. Ist aber nicht eingeladen.
Na, wenn er Spargeln kriegt. Da ist das Leckermaul besser bedient.


Lieben Gruß, cassiel



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05.05.2005 um 05:37
Herr Cassiel,

Wolke? Nichts da Wolke!...Ganz leicht hat er sich verabschieden wollen, das Leckermaul! Aber nicht mit mir! - Wolkenkuckucksheim gabs schon früher nicht - warum nun damit anfangen? Nein, er soll sich mal ernsthafte Gedanken machen über das Hier und Jetzt! - Küchenarbeit ist die beste Gelegenheit. Wenn er zum Spargel ein saftiges Schnitzel haben will, dann muss er dafür arbeiten wie jeder anständige Mensch im Staat! Ausserdem hat er sich selbst eingeladen - ich bin nicht kleinlich.....sonst gäb's Kohlrabi!;)

Liebe Grüsse:)

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05.05.2005 um 06:31
moin

wenn ich´s jetz nochmal rufe ist es klar, cassiel

auf den scheiterhaufen mit ihnen

wurzeln und knollen

buddel


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07.05.2005 um 12:11
gsb23,

wenn ich's so recht bedenke,: So ganz allein gelassen hat uns der Schiller ja nicht, als er seinen Hut nahm und auf seine Wolke ging. Vorher hat er uns noch seine Kunst geschenkt, Du hast ja schon ein paar Kostproben von seinen schönen Distichen gegeben.
Am schönsten aber scheinen mir seine Briefe an die Leser zu sein, mit denen er glaubte, sein Vermächtnis und seinen letzten Willen an die Kunst weitergegeben zu haben, in der er die höchste richterliche Instanz sah, die dem Unrecht und der freiwilligen Knechtschaft entgegen steuern solle.



Hier ein Auszug aus seinen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen:
(aus dem Achten und Neunten Brief)


(Achter Brief, Ende; Seite 592)
(...)Nicht genug also, daß alle Aufklärung des Verstandes nur insoferne Achtung verdient, als sie auf den Charakter zurückfließt; sie geht auch gewissermaßen von dem Charakter aus, weil der Weg zu dem Kopf durch das Herz muß geöffnet werden. Ausbildung des Empfindungsvermögens ist also das dringendere Bedürfnis der Zeit, nicht bloß weil sie ein Mittel wird, die verbesserte Einsicht für das Leben wirksam zu machen, sondern selbst darum, weil sie zu Verbesserung der Einsicht erweckt.

Neunter Brief
Aber ist hier nicht vielleicht ein Zirkel? Die theoretische Kultur soll die praktische herbeiführen und die praktische doch die Bedingung der theoretischen sein? Alle Verbesserung im Politischen soll von Veredlung des Charakters ausgehen - aber wie kann sich unter den Einflüssen einer barba-rischen Staatsverfassung der Charakter veredeln? Man müßte also zu diesem Zwecke ein Werkzeug aufsuchen,

(Seite 593)
welches der Staat nicht hergibt, und Quellen dazu eröffnen, die sich bei aller politischen Verderbnis rein und lauter erhalten.
Jetzt bin ich an dem Punkt angelangt, zu welchem alle meine bisherigen Betrachtungen hingestrebt haben. Dieses Werkzeug ist die schöne Kunst, diese Quellen öffnen sich in ihren unsterblichen Mustern.
Von allem, was positiv ist und was menschliche Konventionen einführten, ist die Kunst wie die Wissenschaft losgesprochen, und beide erfreuen sich einer absoluten Immunität von der Willkür der Menschen. Der politische Gesetzgeber kann ihr Gebiet sperren, aber darin herrschen kann er nicht. Er kann den Wahrheitsfreund ächten, aber die Wahrheit besteht; er kann den Künstler erniedrigen, aber die Kunst kann er nicht verfälschen. Zwar ist nichts gewöhnlicher, als daß beide, Wissenschaft und Kunst, dem Geist des Zeitalters huldigen und der hervorbringende Geschmack von dem beurteilenden das Gesetz empfängt. Wo der Charakter straff wird und sich verhärtet, da sehen wir die Wissenschaft streng ihre Grenzen bewachen und die Kunst in den schweren Fesseln der Regel gehn; wo der Charakter erschlafft und sich auflöst, da wird die Wissenschaft zu gefallen und die Kunst zu vergnügen streben. Ganze Jahrhunderte lang zeigen sich die Philosophen wie die Künstler geschäftig, Wahrheit und Schönheit in die Tiefen gemeiner Menschheit hinabzutauchen; jene gehen darin unter, aber mit eigner unzerstörbarer Lebenskraft ringen sich diese siegend empor.
Der Künstler ist zwar der Sohn seiner Zeit, aber schlimm für ihn, wenn er zugleich ihr Zögling oder gar noch ihr Günstling ist. Eine wohltätige Gottheit reiße den Säugling beizeiten von seiner Mutter Brust, nähre ihn mit der Milch eines bessern Alters und lasse ihn unter fernem griechischen Himmel zur Mündigkeit reifen. Wenn er dann Mann geworden ist, so kehre er, eine fremde Gestalt, in sein Jahrhundert zurück; aber nicht, um es mit seiner Erscheinung zu erfreuen, sondern furchtbar wie Agamemnons Sohn, um es zu reinigen. Den Stoff zwar wird er von der Gegenwart nehmen, aber die Form von einer edleren Zeit, ja jenseits aller Zeit, von der absoluten unwandelbaren Einheit seines Wesens entlehnen. Hier aus dem reinen Äther seiner dämonischen Natur rinnt die Quelle der Schönheit herab, unangesteckt von der Verderbnis der Geschlechter und Zeiten, welche rief unter ihr in trüben Strudeln sich wälzen. Seinen Stoff kann die Laune

THEORETISCHE SCHRIFTEN / PHILOSOPHIE UND ÄSTHETIK 594
entehren, wie sie ihn geadelt hat, aber die keusche Form ist ihrem Wechsel entzogen. Der Römer des ersten Jahrhunderts hatte längst schon die Knie vor seinen Kaisern gebeugt, als die Bildsäulen noch aufrecht standen, die Tempel blieben dem Auge heilig, als die Götter längst zum Gelächter dienten, und die Schandtaten eines Nero und Commodus beschämte der edle Stil des Gebäudes, das seine Hülle dazu gab. Die Menschheit hat ihre Würde verloren, aber die Kunst hat sie gerettet und aufbewahrt in bedeutenden Steinen; die Wahrheit lebt in der Täuschung fort, und aus dem Nachbilde wird das Urbild wiederhergestellt werden. So wie die edle Kunst die edle Natur überlebte, so schreitet sie derselben auch in der Begeisterung, bildend und erweckend, voran. Ehe noch die Wahrheit ihr siegendes Licht in die Tiefen der Herzen sendet, fängt die Dichtungskraft ihre Strahlen auf, und die Gipfel der Menschheit werden glänzen, wenn noch feuchte Nacht in den Tälern liegt.
Wie verwahrt sich aber der Künstler vor den Verderbnissen seiner Zeit, die ihn von allen Seiten umfangen? Wenn er ihr Urteil verachtet. Er blicke aufwärts nach seiner Würde und dem Gesetz, nicht niederwärts nach dem Glück und nach dem Bedürfnis. Gleich frei von der eitlen Geschäftigkeit, die in den flüchtigen Augenblick gern ihre Spur drücken möchte, und von dem ungeduldigen Schwärmergeist, der auf die dürftige Geburt der Zeit den Maßstab des Unbedingten anwendet, überlasse er dem Verstande, der hier einheimisch ist, die Sphäre des Wirklichen; er aber strebe, aus dem Bunde des Möglichen mit dem Notwendigen das Ideal zu erzeugen. Dieses präge er aus in Täuschung und Wahrheit, präge es in die Spiele seiner Einbildungskraft und in den Ernst seiner Taten, präge es aus in allen sinnlichen und geistigen Formen und werfe es schweigend in die unendliche Zeit.
Aber nicht jedem, dem dieses Ideal in der Seele glüht, wurde die schöpferische Ruhe und der große geduldige Sinn verliehen, es in den verschwiegnen Stein einzudrücken oder in das nüchterne Wort auszugießen und den treuen Händen der Zeit zu vertrauen. Viel zu ungestüm, um durch dieses ruhige Mittel zu wandern, stürzt sich der göttliche Bildungstrieb oft unmittelbar auf die Gegenwart und auf das handelnde Leben und unternimmt, den formlosen Stoff der moralischen Welt umzubilden. Dringend spricht das Unglück seiner Gat-

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tung zu dem fühlenden Menschen, dringender ihre Entwürdigung, der Enthusiasmus entflammt sich, und das glühende Verlangen strebt in kraftvollen Seelen ungeduldig zur Tat. Aber befragte er sich auch, ob diese Unordnungen in der moralischen Welt seine Vernunft beleidigen oder nicht vielmehr seine Selbstliebe schmerzen? Weiß er es noch nicht, so wird er es an dem Eifer erkennen, womit er auf bestimmte und beschleunigte Wirkungen dringt. Der reine moralische Trieb ist aufs Unbedingte gerichtet, für ihn gibt es keine Zeit, und die Zukunft wird ihm zur Gegenwart, sobald sie sich aus der Gegenwart notwendig entwickeln muß. Vor einer Vernunft ohne Schranken ist die Richtung zugleich die Vollendung, und der Weg ist zurückgelegt, sobald er eingeschlagen ist.
Gib also, werde ich dem jungen Freund der Wahrheit und Schönheit zur Antwort geben, der von mir wissen will, wie er dem edlen Trieb in seiner Brust, bei allem Widerstande des Jahrhunderts, Genüge zu tun habe, gib der Welt, auf die du wirkst, die Richtung zum Guten, so wird der ruhige Rhythmus der Zeit die Entwicklung bringen. Diese Richtung hast du ihr gegeben, wenn du, lehrend, ihre Gedanken zum Notwendigen und Ewigen erhebst, wenn du, handelnd oder bildend, das Notwendige und Ewige in einen Gegenstand ihrer Triebe verwandelst. Fallen wird das Gebäude des Wahns und der Willkürlichkeit, fallen muß es, es ist schon gefallen, sobald du gewiß bist, daß es sich neigt; aber in dem innern, nicht bloß in dem äußern Menschen muß es sich neigen. In der schamhaften Stille deines Gemüts erziehe die siegende Wahrheit, stelle sie aus dir heraus in der Schönheit, daß nicht bloß der Gedanke ihr huldige, sondern auch der Sinn ihre Erscheinung liebend ergreife. Und damit es dir nicht begegne, von der Wirklichkeit das Muster zu empfangen, das du ihr geben sollst, so wage dich nicht eher in ihre bedenkliche Gesellschaft, bis du eines idealischen Gefolges in deinem Herzen versichert bist. Lebe mit deinem Jahrhundert, aber sei nicht sein Geschöpf; leiste deinen Zeitgenossen, aber was sie bedürfen, nicht was sie loben. Ohne ihre Schuld geteilt zu haben, teile mit edler Resignation ihre Strafen und beuge dich mit Freiheit unter das Joch, das sie gleich schlecht entbehren und tragen. Durch den standhaften Mut, mit dem du ihr Glück verschmähest, wirst du ihnen beweisen, daß nicht deine Feigheit sich

THEORETISCHE SCHRIFTEN / PHILOSOPHIE und ÄSTHETIK 596
ihren Leiden unterwirft. Denke sie dir, wie sie sein sollten, wenn du auf sie zu wirken hast, aber denke sie dir, wie sie sind, wenn du für sie zu handeln versucht wirst. Ihren Beifall suche durch ihre Würde, aber auf ihren Unwert berechne ihr Glück, so wird dein eigener Adel dort den ihrigen aufwecken und ihre Unwürdigkeit hier deinen Zweck nicht vernichten. Der Ernst deiner Grundsätze wird sie von dir scheuchen, aber im Spiel ertragen sie sie noch; ihr Geschmack ist keuscher als ihr Herz, und hier mußt du den scheuen Flüchtling ergreifen. Ihre Maximen wirst du umsonst bestürmen, ihre Taten umsonst verdammen, aber an ihrem Müßiggange kannst du deine bildende Hand versuchen. Verjage die Willkür, die Frivolität, die Rohigkeit aus ihren Vergnügungen, so wirst du sie unvermerkt auch aus ihren Handlungen, endlich aus ihren Gesinnungen verbannen. Wo du sie findest, umgib sie mit edeln, mit großen, mit geistreichen Formen, schließe sie ringsum mit den Symbolen des Vortrefflichen ein, bis der Schein die Wirklichkeit und die Kunst die Natur überwindet.
[...]


ÜBER DIE ÄSTHETISCHE ERZIEHUNG DES MENSCHEN IN EINER REIHE VON [27] BRIEFEN. IN: SCHILLER, SÄMTLICHE WERKE, BD. 5 (ERZÄHLUNGEN/ THEORETISCHE SCHRIFTEN), München (Hanser), 5. Aufl. 1975

(zitierfähige Form; Seitenangaben am Kopf der Seite)




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