Jugendgewalt. Was tun?
25.09.2009 um 10:15
Da hier ja immer noch, entgegen dem erlebten Faktor der Gesellschaft, viele behaupten die Jugendgewalt wäre gesunken, habe ich mal einen heute in der FAZ erschienen Artikel gescannt. Dort steht nämlich auch unmissverständlich dass zwar die Gesamtzahl leicht rückläufig ist aber unter Bereinigung des demografischen Effektes die Jugendgewalt doch anstieg im Verhältnis zur Menge der Jugendlichen. Außerdem wird gerne bei den Beschwichtigern außer Acht gelassen dass die Jugendgewalt von 1994 bis heute um 90% gestiegen ist und wenn sie dann heute, schon bedingt dadurch dass wir weniger Jugendliche haben, die Zahlen leicht (!) nach unten gehen, so ist dies noch lange kein Anzeichen von sinkender Jugendgewalt.
Auch wenn der Artikel vielleicht lang ist, so sollte man ihn sich ruhig mal durchlesen denn es zeigt wieder dieses widerliche Verhalten von Richtern, die dieses asoziale Dreckspack ständig nur mit Sozialstunden und Bewährung kuscheln. Wogegen die Opfer zumeist lebenslang an den Folgen zu kämpfen haben.
Man soll anderen ja nichts Schlechtes wünschen aber Richtern dieser Art und all den gutmenschlichen Kuschelpädagigikbefürwortern wünsche ich auch mal so ein bereicherndes Erlebnis, damit sie endlich auf den Boden der Realität ankommen
Gewalt um der Gewalt willen
München ist auch andernorts. In Berlin behaupten die Schläger, sie hätten nicht geahnt, wie gefährlich Tritte gegen den Kopf sind. Eine Studie widerlegt diese Prämisse vieler Urteile.
Es ist eine eiskalte Winternacht, kurz vor dem Jahreswechsel. Der U-Bahnhof Haselhorst ist fast menschenleer, nur ein Mann befindet sich noch auf dem Bahnsteig. Dann tau¬chen vier Jugendliche auf, die Kapuzen über den Kopf gezogen, und fallen über den Mann her. Sie schlagen ihn ins Ge¬sicht, der verletzte Mann versucht weg¬zugehen, sagt, sie sollen ihn einfach in Ruhe lassen. Sie holen ihn ein, stoßen ihn die Treppe herunter und treten ge¬gen seinen Kopf, gegen den Oberkörper, immer wieder, bis er sich nicht mehr rührt. Zum Schluss knallt einer der Jun¬gen eine Wodkaflasche auf den Kopf des Mannes. Sie zertrümmert die Schädelde¬cke. Splitter fallen ins Schädelinnere, verursachen eine Gehirnblutung. Die vier Jungen verschwinden einfach. Was mit ihrem Opfer ist, ob tot oder gerade noch am Leben, interessiert sie nicht.
Die Polizei veröffentlicht später diese Videosequenz einer Überwachungska¬mera. Es ist nicht die einzige aus dieser Nacht, die brutale Übergriffe der vier Schläger aufgezeichnet hat. Aber es ist die schlimmste. Der blutende Mann ver¬sucht, als er kurz das Bewusstsein wieder¬erlangt, seine Frau anzurufen. Sie ver¬steht ihn kaum, beginnt ihn zu suchen, findet ihn schließlich und ruft die Feuer¬wehr. Der Mann wird stundenlang ope¬riert, zur offenen Schädelfraktur und der Gehirnblutung kommen noch schwere Prellungen am und im Körper, der linke Arm ist zertrümmert. Er braucht Mona¬te, um wieder ein halbwegs normales Le¬ben beginnen zu können.
Am zweiten Verhandlungstag erzählt er vor dem Berliner Landgericht die Ge¬schichte dieser Nacht und was aus ihm, seiner Frau und seinen beiden kleinen Töchtern seitdem geworden ist. Er war so froh, als er wieder arbeiten gehen konnte, und er wollte vor allem für seine Töchter wieder der starke, unbesiegbare Vater sein. Ein Rückschlag trifft ihn sehr, ein schwerer epileptischer Anfall kündigt schlimmere Spätfolgen seiner Tortur an, als er sich vorstellen wollte. Er hat Sprachstörungen, darf nicht mehr Auto fahren, obwohl er ohne Auto sei¬nen Arbeitsplatz eigentlich kaum errei¬chen kann, U-Bahn fahren will er nicht. Er sagt, er habe Angst, dort wieder einen Anfall zu haben, die andere Furcht bleibt unausgesprochen. Die Töchter müssen nun lernen, was zu tun ist, wenn der Va¬ter plötzlich zusammenbricht. Es ist ein langer Bericht, der nur manchmal, wenn er ins Stocken gerät, vom behutsamen Nachfragen des Vorsitzenden Richters unterbrochen wird. Dass die Qualen ei¬nes Opfers so im Mittelpunkt stehen, ist nicht Standard in deutschen Gerichtssä¬len. Dann sollen, auf Bitten ihrer Anwäl¬te, die vier Angeklagten etwas sagen. Stotternd murmeln sie auswendig gelern¬te Entschuldigungen. Die Mütter der An¬geklagten weinen dabei immer lauter, eine gebärdet sich, wie sie es wohl aus Fernsehgerichten kennt.
Keiner der Schläger hat eine nette, nor¬male Kindheit erlebt, keiner die Schule ohne Probleme absolviert. Einer spielt immerhin Fußball, was nahelegt, dass er weiß, was gezielte Fußtritte auszurich¬ten vermögen. Alle haben ein umfäng¬liches Vorstrafenregister, auch von einge¬stellten Verfahren wegen Körperverlet¬zung ist die Rede. Sie haben sogenannte Anti-Gewalt-Trainings absolviert, was sie dort gelernt haben und ob man dabei überhaupt etwas lernen kann, steht in Frage. Es ist eine Katastrophe unter Hun¬derten, die sich immer wieder im glei¬chen Milieu abspielen, nicht nur in Ber¬lin. Und wie ebenfalls fast immer behaup¬ten auch diese jugendlichen Täter, keine Ahnung davon gehabt zu haben, was sie anrichten. Was natürlich nicht stimmt. Aber es ist eine Schutzbehauptung, die viele Urteile beeinflusst, zugunsten der Täter, zum Schaden der Opfer.
Wegen des Münchner Falles, bei dem ein Mann am helllichten Tag auf einem nicht einmal menschenleeren Bahnsteig totgetreten wurde, gerät auch dieser in die Diskussion um härtere Strafen gegen junge Wiederholungstäter und darüber, warum so etwas trotz vermeintlich sin¬kender Jugendkriminalität immer wie¬der passiert. Doch weder der absurde Streit um zehn oder fünfzehn Jahre als Höchststrafe noch die Zahlen, mit denen Politiker und einige Kriminologen die Öf¬fentlichkeit zu beschwichtigen suchen, treffen das Phänomen, mit dem wir es im¬mer häufiger zu tun haben: Gewalt um der Gewalt willen. Die Täter sind über¬durchschnittlich häufig noch im Jugend¬alter, die Opfer jedoch sind meist älter als ihre Peiniger.
Der Bremer Jurist Daniel Heinke hat für seine Dissertation „Tottreten - eine kriminalwissenschaftliche Untersuchung von Angriffen durch Fußtritte gegen Kopf und Thorax" auch Statistiken über¬prüft und erst einmal ein definitorisches Wirrwarr in verschiedenen Disziplinen feststellen müssen. Auch stellte er fest, dass die Summe von Taten der „Gewalt¬kriminalität" der polizeilichen Kriminal¬statistik die Körperverletzungen nach Pa¬ragraph 223 StGB nicht enthält, obwohl sie das quantitativ bedeutendste Delikt der Gewalt gegen Menschen sind. Er fass¬te die Zahlen zur Gewaltkriminalität (Mord, Vergewaltigung, Erpressung, ge¬fährliche Körperverletzung u. a.) und die vorsätzlichen Körperverletzungen zusam¬men: Innerhalb von zehn Jahren nahmen sie um vierzig Prozent zu, gesondert für sich, nahmen die Körperverletzungen so¬gar um über sechzig Prozent zu.
Die angeblich zurückgegangene Ju¬gendkriminalität wiederum berücksich¬tigt nur angezeigte Fälle, nicht aber den demographischen Faktor. Allein in Ber¬lin ist die Zahl der Schüler in den letzten Jahren um vierzigtausend gesunken - er¬heblich weniger Jugendliche begehen also noch immer fast genauso viele Straf¬taten. Opferbefragungen unter Schülern wollen uns zudem weismachen, dass trotz der gestiegenen Zahl registrierter Gewalttaten sich alles zum Besseren wende. Da die Statistik der Opfer aber ausweist, dass diese über alle Altersgrup¬pen verteilt sind, das Dunkelfeld erwach¬sener Opfer aber nie untersucht wurde, ist jene Vermutung das Papier nicht wert, auf dem sie leider steht. Heinke weist nach, dass der Anteil junger Schlä¬ger, fast alle männlich, überdeutlich hö¬her ist als deren Anteil an der Gesamtbe¬völkerung. Die Unsicherheit im öffent¬lichen Raum, über die gerade jetzt wie¬der heftig gestritten wird, ist also keines¬wegs nur irrationale „gefühlte Unsicher¬heit". Im wirklichen Leben, möchte man sagen, geht es viel schlimmer zu.
Was sind das für Gesetze?
Heinkes Arbeit an der Universität Bre¬men aber hat einen ganz anderen Schwerpunkt: die furchtbaren Folgen von Fußtritten gegen den Kopf und den Körper der Opfer. Wenn das Opfer stirbt, ist die Rechtslage noch einigermaßen übersichtlich. Aber die Brutalisierung ge¬rade junger Schläger hat immer häufiger schwerste Folgen, sie macht die Opfer le¬benslang schwer krank, sie werden Pfle¬gefälle, sind geistig und/oder körperlich schwer behindert. Doch nehmen viele Gerichte die Behauptung junger Täter, sie hätten nicht geahnt, was passiert, wenn man auf einem Menschen herum¬trampelt, zum Anlass, sie viel milder zu verurteilen, als es die lebensgefährdende Tat verlangt. Sie sind dazu durch höchst¬richterliche Urteile angehalten, weil diese die sogenannte „Hemmschwelle" auch für einen bedingten Tötungsvorsatz sehr hoch legen.
Zu hoch, sagt Heinke, der als Staatsan¬walt viele solcher Fälle kannte. Zudem sei diese Theorie überhaupt nicht empi¬risch untermauert, sondern werde ledig¬lich angenommen. Er hat rechtsmedizini¬sche und psychiatrische Gutachten, die Fachliteratur und viele Fälle ausgewer¬tet. Sein Fazit: Tritte gegen den Kopf, aber in aller Regel auch gegen den Ober¬körper sind, wenn sie mit einiger Wucht ausgeführt werden, lebensgefährlich. Ob der Täter dabei schwere Schuhe trägt oder barfuß tritt, ist egal. Das ergaben die Untersuchungen von entsprechen¬den Verletzungen.
Und Heinke hat, weil die vermeintliche Ahnungslosigkeit mittlerweile als allge¬meine Erfahrung gedeutet wird, fast neun¬hundert Rekruten dazu befragt. Das Er¬gebnis ist nur verblüffend, wenn man glau¬ben will, dass brutale Schläger wie die Berliner oder Münchner tatsächlich ah¬nungslos sind. Die Soldaten waren alle erst drei Wochen bei der Bundeswehr, hat¬ten Abitur, Realschulabschlüsse oder den der Hauptschule. Die Befragung ergab, dass nahezu die Hälfte der Abiturienten und etwa vierzig Prozent der anderen Pro¬banden nach Fußtritten gegen den Kopf eines am Boden liegenden Opfers dessen Tod oder lebensbedrohliche Verletzungen erwarteten. Tritte gegen den Oberkörper schätzten sie überwiegend als sehr gefähr¬lich ein. Insgesamt schätzten neunzig Pro¬zent der Befragten Fußtritte als lebensge¬fährlich ein. Man darf also voraussetzen, dass die meisten Menschen sich über der¬art brutale Misshandlungen im Klaren sind. Wer das tut, so sollte für die Täter gelten, begeht seine Tat vorsätzlich.
Als der zweite Verhandlungstag gegen die U-Bahn-Schläger in Berlin-Moabit zu Ende geht, leeren sich auch auf anderen Gerichtsfluren die Säle. Man sieht es den muskelbepackten Männern an, wie ihr Prozess ausgegangen ist. Zwei Hünen mit hoch ausrasierten Nacken klatschen zufrieden die Hände aneinander. Wieder mal ein knappes Jahr auf Bewährung. Und so schnell, wie das gegangen ist! Eine junge Frau, sie war Zeugin, schreit empört: „Was sind denn das für Gesetze?", ihr Freund meint nur, er habe es ihr gleich gesagt, so was
regelt man selbst. Sie aber ist das große Risiko eingegangen, die in ihrem Viertel und der Justiz gut bekannten Schläger zu identifizieren. Am Ende des Ganges verschwindet eine schmale Gestalt, krumme Schultern, Kopf gesenkt. Das ist das Opfer. Der Junge ist gerade siebzehn geworden; seit er die Fußtritte der Hünen dank der Kunst der Ärzte überlebt hat, verursacht ihm die Metallplatte in seinem Kopf unerträgliche Schmerzen. Sein Selbstwertgefühl, sagt die Zeugin, sei sowieso am Boden, und jetzt erst recht.
REGINA MÖNCH