Verstorbene noch einmal ansehen?

Ozeanwind schrieb:Ich ging noch zur Grundschule, da wurde meine Freundin vor meinen Augen überfahren, war sofort tot.

Da fehlen mir jetzt eigentlich fast die Worte. Aber dass du deshalb ein ganz eigenes Verhältnis zum Tod bekommen hast, ist total nachvollziehbar. Ich denke, solch ein Erlebnis würde jeden auf irgend eine Art prägen.

Nein, die Menschen verfügen nur über ein begrenzte Lebensdauer, eine essentielle Wahrheit, mit der die Menschen klarkommen müssen.Die Toten tragen wir jedoch im Herzen und dort bleiben sie, bis man selbst ins Grass beisst

Bundeskanzleri schrieb:Da behaupte ich mal etwas provokativ, dass sich das durch die Erfahrung auch ändern kann.

Ich denke, da passiert dann was mit einem, was man vorher so nicht wusste.

Also, die Möglichkeit besteht, muss natürlich nicht bei jedem so sein.

Huch, jetzt erst gesehen... Also da magst du schon recht haben. So wie es @Ozeanwind beschrieben hat. Jedes Ereignis prägt einen, jeder Tote, den man zu beklagen hat, macht einen wohl ein wenig härter. Oder sagen wir so: es macht viele Menschen härter. Manche werden nie damit klar kommen.

Aber um wieder zurück zum eigentlichen Thema des Threads zu kommen: Als ich etwa 11 oder 12 war, ist meine Großmutter gestorben (Stiefoma, und ich hab sie auch nie Oma sondern nur Tante genannt). Sie wurde damals in einem offenen Sarg aufgebahrt. Und ich weiß noch, dass ich bewusst nicht hingesehen habe, weil ich mich davor gefürchtet habe, einen toten Menschen anzusehen. Ich muss auch dazu sagen, dass das Verhältnis zu ihr nicht sehr innig war (wie dieses "Tante" schon vermuten lässt) und vielleicht hatte ich deshalb kein Bedürfnis, sie noch einmal anzusehen. Fakt ist, dass ich es bis heute eben nicht mag und froh bin, dass man von diesen offenen Särgen eh immer mehr abkommt.

EnyaVanBran schrieb:noch, dass ich bewusst nicht hingesehen habe, weil ich mich davor gefürchtet habe, einen toten Menschen anzusehen.

B
Nun der tot ist etwas verbannt aus dem Alltag.

Zum einen wurde früher mehr gestorben, nicht nur im hohen Alter (kindetsterblichkeit)

Sondern auch mehr zuhause als heute im Krankenhaus.

Ich denke der tot ist nicht so alltäglich und das Dilemma der eigenen Sterblichkeit verdrängt man heute mehr

Fedaykin schrieb:Zum einen wurde früher mehr gestorben

Jetzt muss ich schmunzeln :D Aber ich weiß, was du meinst. Die Lebenserwartung ist heute viel höher als früher. Das stimmt schon. Von daher wird man damit als jüngerer Mensch nicht mehr sooo oft konfrontiert wie die Leute früher. Aber es nützt nix, der Tod, gehört eben zum Leben dazu.

EnyaVanBran schrieb:Jetzt muss ich schmunzeln :D Aber ich weiß, was du meinst. Die Lebenserwartung ist heute viel höher als früher

Ja ich weiß jeder stirbt nur einmal. Aber früher eben eher im Leben und die Familien waren auch größer.

EnyaVanBran schrieb:Aber es nützt nix, der Tod, gehört eben zum Leben dazu.

Dazu... Er ist bis auf weiteres unvermeidlich

Ich habe von einer Freundin gehört, dass noch vor etwa 45 Jahren in der Waldorschule verstorbene Lehrer dort aufgebahrt wurden.
Da hat der Tod natürlich auch zum Leben gehört, aber für mein Empfinden zu heftig. Gehört wohl eher in den pruvaten Raum und gerade Kinder sollten da doch die Möglichkeit haben, nein zu sagen.

@Fedaykin
@EnyaVanBran

Bundeskanzleri schrieb:dass noch vor etwa 45 Jahren in der Waldorschule verstorbene Lehrer dort aufgebahrt wurden.

Persönlich fände ich es auch etwas schräg, würde man mich nach meinem Tod an meinem Arbeitsplatz aufbahren.

@Pony2.4
Allerdings. Und auch für die Angehörigen ist das ja völlig skurril.

Doors schrieb:Lebt man lange genug, erlebt man auch das Sterben von Angehörigen öfter, als einem möglicherweise lieb ist.

Auch in jungen Jahren kann das leider der Fall sein, dafür muss man nicht zwangsläufig sehr alt werden, aber hast natürlich Recht, normalerweise ist das so.

Ich habe mich so entschieden, dass ich meinen Vater, nach schwerer Krankheit noch mal sehen wollte und es war im Nachinein nicht gut und ich wünschte mir ich hätte mir das erspart, heute bin ich drüber hinweg, aber es hat mir damals nicht gut getan.
Wie @Tussinelda geschrieben hat, mir wäre es lieber ich würde sie begleiten während dem Sterbeprozess, sollte das möglich sein.
Denn oft macht man sicher sonst schwere Vorwürfe wenn man es nicht tut, auch wenn es eben nicht möglich war, man fühlt sich so als ob man seinen Angehörigen in der schwersten Stunde im Stich gelassen hat.

Aber wenn man alles getan hat..ich würde es nicht wieder tun und hab es damals auch meinem Freund so geraten, der nicht wusste ob er soll oder nicht..ich hab ihm gesagt, dass es seine Entscheidung ist, aber dass es mir damals ganz und garnicht gut getan hat.
Vor allem, wenn die Person vorher sehr krank war.
So eine Entscheidung ist schwer..:(

Hatmaker schrieb:So eine Entscheidung ist schwer..:(

Ja, das kann ich nachvollziehen.
Man hat nicht viel Zeit für die Entscheidung und man kann nichts rückgängig machen. Die Bilder nicht aus dem Kopf wieder rausbekommen.

Oder andersrum, man wird den Verstorbenen nie wieder sehen können.

Bundeskanzleri schrieb:Oder andersrum, man wird den Verstorbenen nie wieder sehen können.

So war es dann bei meinem Freund. Er hat seine Mama am Vortag noch gesehen, aber dann am nächsten Tag hat er sich dann eben so entschieden, dass er sie nicht mehr sieht, so wie der Rest der Familie, damals waren alle, auch ich komplett am Ende..denn es hat sich ja schon lange abgezeichnet.
Jedenfalls sagt mein armer Schatz manchmal wenn wir drüber reden schon, ich hätt sie doch noch mal sehen sollen :(

Genau wie du sagst, irgendwie ist keine Entscheidung "richtig".
Ich mach mir selbst noch heute Vorwürfe, dass ich ihm so geraten habe, aber er war damals auch sehr labil und ich hatte auch richtig Angst um ihn, daher weiss ich es war besser so.

Ich habe bis jetzt nur eine verstorbene Person gesehen und das war meine Oma . Ich wünschte ich hätte es nicht. Sie sah nicht mehr aus wie sie selbst. War verstörend für mich.
In meiner Kultur ist es auch so , dass man seine Eltern wenn diese versterben wäscht bevor diese beerdigt werden. Ist aber kein muss. Ich weiß nicht ob ich das könnte bzw möchte.

Bundeskanzleri schrieb:Ich habe von einer Freundin gehört, dass noch vor etwa 45 Jahren in der Waldorschule verstorbene Lehrer dort aufgebahrt wurden.

Naja, in 45 Jahren ändert sich viel. Das wird nicht jede Schule so praktiziert haben, jedenfalls habe ich davon noch nie gehört. Ich verstehe den Ansatz aber, dass man gerade den jüngeren Kindern die Möglichkeit geben wollte, sich von einer wichtigen Bezugsperson (und das ist vorallem der Klassenlehrer über viele Jahre hinweg) zu verabschieden und ihnen somit begreiflich zu machen, dass die Person nicht wiederkommt.

Ich möchte Verstorbene nicht noch einmal sehen, nein, wäre aber bei einigen wenigen mir wichtigen Personen definitiv beim Sterbeprozess dabei.

Ich habe mir das immer nicht zugetraut, hatte Angst, wie tote Menschen aussehen etc. Dann ist meine amerikanische Schwiegermutter gestorben. Wir wurden unterwegs angerufen, es ginge zu Ende. Durch Verkehrsstaus kamen wir zu spät und sie war verstorben. Ich bin dann doch zu ihr, habe Zeit mit ihr verbracht und sie umarmt und geküsst. Sie war ein extrem wichtiger Mensch für mich.
Auch mein Kind hat sich von ihr verabschiedet, wir hatten es freigestellt.
Sie war dann bei der Abschiedsfeier und Trauerfeier aufgebahrt, behandelt durch einen Bestatter. Sie sah aus, wie sie lebendig aussah und ich habe mich sogar getraut, sie anzufassen. Weil mein Kind es getan hat.
So sehr ich um sie trauere, bin ich froh, mich so verabschiedet zu haben und würde es wieder tun.

Nochmal meine gestorbene Leute zu sehen, würde mein Herz zerbrechen lassen.Sie sollen ruhen in Frieden.

Tussinelda schrieb:Ich würde mir wünschen, dass ich wenn die Menschen, die mir sehr nahe stehen, versterben, dabei bin. Damit sie nicht allein sind.

Tussinelda schrieb:Damit sie nicht allein sind.

Das finde ich am allerwichtigsten.
Niemand sollte alleine Sterben müssen.

EnyaVanBran schrieb:Als mein Vater gestorben ist,habe ich mich oft gefragt, ob ich im Krankenhaus hätte bleiben sollen... aber man hat mir versichert, dass er es nicht mitbekommen hätte, der er mit Medikamenten vollgepumpt war.

Das haben sie viel zu medizinisch betrachtet. Ohne das jetzt all zu spirituell zu meinen, glaube ich, dass derjenige es doch spürt, dass da jemand ist und ich glaube auch, dass es sehr wichtig ist, denjenigen zu begleiten. Ich habe meinem Vater die Hand gehalten, ihm all das gesagt, was ich ihm noch sagen wollte, mich für all das bedankt, was er für mich getan hat...

Interested schrieb:Niemand sollte alleine Sterben müssen.

Viele sterben alleine in unserer gesellschaft..die auf Ellenbogen ausgerichtet ist und viele zurücklässt, ich finds auch immer traurig.

Vymaanika schrieb:Viele sterben alleine in unserer gesellschaft

Das ist bzw. war gerade in Coronazeiten auch ein schwerwiegender Punkt, dass die Menschen in den Krankenhäusern ohne ihre Angehörigen gehen mussten. Und natürlich auch andersherum.

Und ich bin da bei dir @Interested

Interested schrieb:dass derjenige es doch spürt, dass da jemand ist und ich glaube auch, dass es sehr wichtig ist, denjenigen zu begleiten.

Genauso sehe ich das auch. Fast jeder Mensch hat große Angst vor dem Sterben, nicht unbedingt vor dem Tod.
Den Prozess kann man nicht einschätzen und der kann ja auch ziemlich furchtbar sein.

Kältezeit schrieb:in 45 Jahren ändert sich viel. Das wird nicht jede Schule so praktiziert haben, jedenfalls habe ich davon noch nie gehört.

Zum Glück ja :D
Ich habe es sonst auch noch nie gehört.

Klar, den Ansatz kann man nachvollziehen. Allerdings würde ich wie schon gesagt, die sehr nahen Bezugspersonen doch im Familienkreis verorten. Ich weiß, dass Waldorfs das anders sehen.

Laut meiner Freundin fanden die Schüler das auch schrecklich. Und das mag nicht immer ausschlaggebend sein, etwas zu tun oder zu lassen, aber bei so einer intimen Angelegenheit schon.